Referentenentwürfe zum Antikorruptionsgesetz in der Kritik

Antikorruptionsgesetz: Stimmung gegen Zahnärzte

Antikorruptionsgesetz: „Unberechenbar und gefährlich“, so nennen zwei Experten die viel diskutierten Referentenentwürfe, die helfen sollen, die Korruption im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Medizinanwalt Frank Heckenbücker aus Köln und Richter Kai-Uwe Herbst vom Amtsgericht Tiergarten in Berlin beschäftigen sich auch mit möglichen Folgen der Gesetzentwürfe.


Antikorruptionsgesetz

Antikorruptionsgesetz: Vorliegenden Gesetzentwürfen fehlt die Präzisierung Foto: Halfpoint/fotolia.com


Die Problematik korruptiven vertragsärztlichen Verhaltens ist – vor allem mithilfe der Medien – bereits in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gedrungen, spätestens seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2012 (Geschäftszeichen: GSSt 2/11), mit der das Gericht die Strafbarkeit von Kassenärzten nach den Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuchs (§§ 331 ff., § 299 StGB) verneint hat, weil Kassenärzte weder Amtsträger noch Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen seien.

Auch „spektakuläre Fälle“ wie der durch den Bundesgerichtshof entschiedene, in dem ein verschreibender Arzt fünf Prozent des Herstellerabgabepreises als Prämie dafür erhalten hatte, dass er Arzneimittel eines bestimmten Unternehmens und nicht die seiner Mitwettbewerber verschrieb, sorgen für weitere Aufmerksamkeit. Insgesamt hatte der Arzt getarnt als fiktive wissenschaftliche Vorträge 18.000 Euro erhalten.

Einzelfälle oder mehr?

Die Medienberichterstattung vermittelt dabei den Eindruck, dass es sich nicht um zu vernachlässigende Einzelfälle handelt, sondern dass Lieferanten von Medikamenten und anderen Medizinprodukten den Absatz ihrer Produkte systematisch dadurch fördern, dass sie Kassen(zahn)ärzte je nach Umfang der Verschreibung mit Prämien oder anderen geldwerten Vorteilen bedenken. Entsprechend mahnte der Große Senat des Bundesgerichtshofs in seiner vorgenannten Entscheidung auch ein Tätigwerden des Strafrechtsgesetzgebers an, da Missständen, „die – allem Anschein nach – gravierende finanzielle Belastungen des Gesundheitssystems zur Folge haben“ (so der Bundesgerichtshof wörtlich), nur mit Mitteln des Strafrechts effektiv entgegengetreten werden könne. Die Folge sind die Referentenentwürfe, zum einen derjenige zu einem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen und zum anderen ebenso der Gesetzesantrag des Freistaats Bayern im Bundesrat – die sogenannten Antikorruptionsgesetze für das Gesundheitswesen.

Sonderstrafrecht

Für Medizinanwalt Frank Heckenbücker werden damit Gesetze auf der Basis von Stimmungen gemacht. Dies werde deutlich, wenn man sich einmal den bayerischen Gesetzentwurf vornehme, in dem ausgeführt wird: „… das Gesundheitswesen weist – nicht zuletzt aufgrund struktureller Besonderheiten – ein breites Feld korruptionsgefährdeter Beziehungen auf, die nur punktuell durch die geltenden strafrechtlichen Regelungen erfasst werden können.“

„Der Verfasser dieser Zeilen muss sich die Frage stellen lassen, wie er es rechtfertigen möchte vor dem Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts und vor dem Prinzip der Allgemeinheit der Gesetze, ein Sonderstrafrecht für Angehörige der Heilberufe einzuführen. Unter welchem Gesichtspunkt soll der Missbrauch der Vertrauensstellung durch Angehörige der Heilberufe etwas anderes sein, als beispielsweise der eines Architekten, Steuerberaters oder Rechtsanwalts?“, fragt Heckenbücker.

Der bayerische Gesetzentwurf führt aus, dass gerade im Bereich des Gesundheitsmarktes Formen unzulässiger Einflussnahme und die Erlangung regelwidriger Vorteile durch Kooperationen in den Blick der Strafverfolgung geraten sind. Es wird hingewiesen auf Absprachen zur Vergütung einer Patientenzuführung bei denen der Nehmer (Angehöriger eines Heilberufs) von der Gegenseite dafür belohnt wird, dass er für die Abnahme gerade ihrer Dienst- und Sachleistung durch den zu behandelnden Patienten sorgt. „Ist dies etwas, was man nur vom Gesundheitsmarkt kennt? Dies ist selbstverständlich nicht so“, betont Heckenbücker. Er nennt hier Kick-Back-Zahlungen durch Bauunternehmen an Architekten, wenn diese ein spezielles Bauunternehmen vermitteln, oder etwa „Beratungsvereinbarungen“, die Rechtsanwälte und Steuerberater mit spezialisierten Kollegen treffen, denen sie Mandanten vermitteln, die von ihnen selbst nicht betreut werden können.

Antikorruptionsgesetz: Ängste schüren

Einen sachlichen Anknüpfungspunkt, der diese Ungleichbehandlung von Angehörigen der Heilberufe aus vernünftigen Gründen rechtfertigt, sieht Heckenbücker nicht. Dieser Gesetzentwurf sei nicht von Vernunft, sondern durch Stimmungen bestimmt. „Da ist die diffuse Angst von Lieschen Müller, Opfer eines korrupten Arztes zu werden, was immer das bedeuten mag.“ Nichts eignet sich seiner Meinung nach so gut wie das Gesundheitswesen, um Ängste zu schnüren, dass die unabhängige medizinische Entscheidung zulasten des Patienten beeinflusst sein könnte.

Auch Kai-Uwe Herbst, Richter am Amtsgericht Tiergarten in Berlin, sieht das Sonderstrafrecht für Angehörige der Heilberufe kritisch. Aber, das betont Herbst auch, in zwei wesentlichen Punkten unterscheiden sich Kassen(zahn)ärzte von anderen Freiberuflern: Als Ärzte müssen und dürfen sie für die möglichst optimale Versorgung ihres Patienten sorgen. Nur ihre ärztliche Überzeugung, die sich allein an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren hat, soll für die Therapie bestimmend sein. Geht der Arzt aber eine wie auch immer geartete für ihn finanziell vorteilhafte Vertriebsvereinbarung ein, wird seine ärztliche Entscheidung – mag er sich vornehmen, noch so gewissenhaft zu handeln – von einem weiteren Faktor bestimmt, von dem er sich nicht freimachen kann. „Weiß sein Patient davon, kann das Vertrauensverhältnis zudem massiv erschüttert werden.“ Kassen(zahn)ärzte entscheiden – anders als Rechtsanwälte, Steuerberater und Architekten – über die Vergabe öffentlicher Mittel aus den Sozialversicherungskassen. „Dies sollen sie in erster Linie nach medizinisch Kriterien tun und nicht danach, was ihnen auch persönlich nutzt“, sagt Herbst.

Referentenentwürfe schießen übers Ziel hinaus

Die beiden Referentenentwürfe gehen allerdings auch Herbst zu weit und schießen für ihn deutlich über das Ziel hinaus. Der Gesetzentwurf verkenne in seiner Allgemeinheit, dass bestimmte, auch entgeltliche Absprachen zur Patientenzuführung durch das Sozialrecht ausdrücklich erwünscht seien, um im öffentlichen Gesundheitswesen Kosten zu sparen. So heißt es im aktuellen Kabinettsentwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes: „Die Verzahnung zwischen ambulantem und stationäreM Sektor und die lückenlose Versorgung der Versicherten beim Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung werden durch anpassende Rahmenbedingungen des Krankenhausmanagements verbessert.“ An anderer Stelle heißt es: „Beim gemeinsamen Bundesausschuss wird ein Innovationsfond zur Förderung innovativer sektorenübergreifender Versorgungsformen und für die Versorgungsforschung geschaffen, für den in den Jahren 2016 bis 2019 jährlich jeweils 300 Millionen Euro von den Krankenkassen und aus dem Gesundheitsfonds zur Verfügung zu stellen sind.“

Dies bedeutet laut Herbst nichts anderes, als dass Strukturen geschaffen werden sollen, in denen Patientenströme koordiniert von einem Leistungserbringer zum anderen geleitet werden, was für beide Seiten mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden ist.

All diese Vorschriften des Sozialgesetzbuchs V enthalten laut Herbst nichts anderes als Absprachen zur Vergütung einer Patientenzuführung. Nun wird dieser Sichtweise entgegengehalten werden, es stehe im Gesetzentwurf des Antikorruptionsgesetzes ja nun ausdrücklich die Formulierung „in unlauterer Weise“. Was ist aber unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff zu verstehen? Hier sieht Herbst ein erhebliches Missbrauchsrisiko durch wirtschaftliche Konkurrenten.

Vorliegenden Gesetzentwürfen fehlt die Präzisierung

Wählt das Krankenhaus mit dem niedergelassenen Vertragsarzt eine Honorierung, die einem Kollegen nicht passt, und erstattet dieser Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, ist in keiner Weise vorhersehbar, was die Staatsanwaltschaft noch als eine lautere oder bereits als eine unlautere Vergütung ansehen wird und welche Vergütungsvereinbarung sie zur Anklage bringen wird. „Den vorliegenden Gesetzentwürfen fehlt damit die Präzisierung und Klarheit, die einer strafrechtlichen Regelung abzuverlangen ist“, beklagt Herbst. Wenn laut Gesetzentwurf die Bestrafung eines Angehörigen der Heilberufe auch dann erfolgen soll, wenn er „in sonstiger Weise seine Berufsausübungspflichten verletzt“, so bedeutet dies laut dem Amtsrichter, dass jedes Verhalten, das als berufsordnungswidrig angesehen und in den Zusammenhang mit „korruptiven Vorgängen“ gebracht werden kann, zur Strafbarkeit führt.

Völlig unabsehbar ist es für beide Experten auch, inwieweit die im Rahmen des Heilmittelwerbegesetzes unproblematische Abgabe von Werbegaben von geringem Wert, die die deutlich sichtbare Bezeichnung des Werbenden enthalten, je nach Konstellation nicht doch von einem Staatsanwalt noch unter einen neuen § 299a Strafgesetzbuch (StGB) subsumiert werden wird. Offen sei zudem, nach welchen Maßstäben das Industriesponsoring von wissenschaftlichen Kongressen beurteilt werden wird. „Da wird es sehr auf die individuelle Ausgestaltung ankommen. Dies gilt ebenso für Referenten wie für Teilnehmer“, glaubt Heckenbücker.

Gesundheitswesen stark reglementiert und kontrolliert

Er kritisiert zudem die fehlende Begründung der Referentenentwürfe. Vor dem Hintergrund, dass das Gesundheitswesen stark reglementiert und kontrolliert sei, beispielsweise durch die Stellen zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen, müsse man doch annehmen, dass die Dringlichkeit dieses Gesetzesvorhabens durch konkrete Zahlen belegt werden könne, so Heckenbücker. „Aber mit solchen Zahlen findet die politische Diskussion nicht statt, sondern auf einer rein emotionalisierten Ebene, die sachliche Anknüpfungspunkte vermissen lässt.“

„Sollte dies tatsächlich Gesetz werden, ist diese gesetzliche Vorschrift für die Angehörigen der Heilberufe in jeder Hinsicht unberechenbar und gefährlich“, sagt Herbst. In der praktischen Handlungskonsequenz könne dies nur bedeuten, dass Angehörige von Heilberufen sich nicht nur genau überlegen sollten, ob sie noch die geringwertigen Werbegeschenke wie Notizblöcke der Industrie annehmen, sondern sie sollten sich genauso gut überlegen, ob die vom Sozialgesetzbuch V gewünschten Kooperationen überhaupt noch eingegangen werden sollten.

Kassenzahnärzte müssen mit Korruptionsstraftatbeständen rechnen

Diese Detailfragen ändern für den Richter jedoch nichts daran, dass Kassen(zahn)ärzte über kurz oder lang mit auf ihre Tätigkeiten zugeschnittenen Korruptionsstraftatbeständen rechnen müssen, so dass sie sich die Frage stellen müssen, was sie jetzt noch annehmen dürfen. „Um hier jegliche Unsicherheit zu vermeiden, kann einem Kassen(zahn)arzt nur empfohlen werden, keinerlei Vorteile wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Art, die ihm zugewendet werden und auf die er aufgrund seiner Stellung keinen Anspruch hat, anzunehmen.“ Dazu gehören neben Barleistungen und Sachwerten auch andere Leistungen, beispielsweise Einladungen mit Bewirtungen, die Gewährung unverhältnismäßig hoher Vergütungen für wissenschaftliche Nebentätigkeiten, zinsgünstige, nicht zu den üblichen Konditionen gewährte Kredite, die Vermittlung von Einkaufsmöglichkeiten zu Vorzugspreisen, Einladungen zu oder Mitnahme auf Informations-, Repräsentations- und Urlaubsreisen oder deren Bezahlung, kostenlose oder deutlich unter dem Marktwert liegende Überlassung von Unterkünften, Kraftfahrzeugen oder anderen Gebrauchsgegenständen und die Gewährung von Freikarten.

Herbst: „Auf den Wert der Zuwendung kommt es nicht an, da bereits jeglicher Anschein einer Einflussnahme vermieden werden soll. Soll der dem (Zahn-)Arzt zugedachte Vorteil durch fiktive Gegenleistungen oder Scheinleistungen, die dem Wert des Vorteils nicht entsprechen, verschleiert werden, hat der Betroffene ein sicheres Indiz dafür an der Hand, dass es sich wahrscheinlich um strafbewehrte Korruption handelt.“

Auch wenn Richter Herbst ein solches Antikorruptionsgesetz mit Zielrichtung Kassenärzte grundsätzlich für gerechtfertigt hält, weist er darauf hin, dass der vorliegende Entwurf diese Einschränkung nicht vornimmt, sondern alle Zahnärzte und Ärzte betrifft.