Wissensmanagement für die Zukunft der Zahnarztpraxis

Wie lässt sich Erfahrungswissen bewahren?

Wie stellen wir sicher, dass das (Erfahrungs-)Wissen unserer Mitarbeitenden nicht verloren geht? Das ist eine Frage, die zurzeit in vielen Unternehmen gestellt wird, auch weil in den kommenden Jahren zahlreiche Mitarbeitende altersbedingt ausscheiden werden. Diese Frage ist gleichermaßen für Zahnarztpraxen relevant, zum Beispiel auch dann, wenn es um die Praxisnachfolge geht.


(c) Adobe Stock/tadamichi

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Selbst als der Begriff Wissensmanagement noch nicht existierte, fragten sich Unternehmer schon: „Wie sorgen wir dafür, dass wertvolles Wissen in unserer Organisation erhalten bleibt? Und wie können wir dieses so speichern, dass es an andere Personen weitergegeben 
werden kann?“

So fragten sich zum Beispiel Spezialisten wie Handwerker: Wie vermitteln wir unser Experten- und Erfahrungswissen an unsere Mitarbeitenden? Das sind Fragen, die auch für Zahnarztpraxen relevant sind.
Seit Bestehen der Menschheit erfolgte diese Wissensweiter­gabe in mehr oder minder strukturierter Form. Doch lange Zeit wurde die Wissensweitergabe nicht als Managementprozess verstanden, der zielorientiert gestaltet werden sollte. Dieses Bewusstsein entwickelte sich erst im Laufe der Industrialisierung. In diesem Kontext gewann auch die Frage an ­Relevanz: Wie sorgen wir dafür, dass die Wissensbasis unserer Organisation nicht nur gewahrt bleibt, sondern sich auch so erneuert, dass das Unternehmen mittel- und langfristig erfolgreich ist?

Herausforderung: Vermittlung von Erfahrungswissen
In diesem Prozess wird zwischen dem „expliziten Wissen“ und dem „impliziten Wissen“ unterschieden (Abb. 1). Diese zwei Begriffe prägte der Chemiker und Philosoph Michael ­Polanyi, unter anderem in seinem 1958 erschienenen Buch „Personal Knowledge“.

Unter dem Begriff „explizites Wissen“ wird meist das Wissen subsummiert, das man unter anderem mittels Sprache, Schrift, Zeichnungen und Bildern eindeutig kodifizieren und dokumentieren kann. Hierbei handelt es sich weitgehend um das Regel- und Faktenwissen, das man beispielsweise in Form von Berichten, Lehr- und Handbüchern, Arbeitsanweisungen sowie Zeichnungen an andere Menschen weitergeben kann. Dieses explizite Wissen kann aufgrund seiner kodierten Form auf zahlreichen Medien gespeichert, verarbeitet und übertragen werden – auch online.

Der Begriff „implizites Wissen“ hingegen bezieht sich auf das Wissen, das häufig als Erfahrungswissen bezeichnet wird. Die Träger dieses Wissens, das sich aus Erfahrungen, Erinnerungen und Überzeugungen speist, können Personen wie Mitarbeitende oder Praxisinhaber oder Organisationen sein. Es kann zudem dem jeweiligen Träger bewusst sein, muss es aber nicht. Auf alle Fälle lässt sich dieses Wissen nur schwer kodifizieren und dokumentieren und somit an andere Personen weitergeben.

Das implizite Wissen ist mit Einstellungen verknüpft
Beide Wissensformen sind für den Erfolg von Unternehmen bzw. einer Zahnarztpraxis wichtig. Dabei gilt jedoch die Regel: Das Vermitteln des expliziten Wissens fällt leichter – nicht nur, weil es sich dokumentieren lässt, sondern auch, weil eine Zahnarztpraxis hiermit in ihren Bereichen Aus- und Weiterbildung schon viel Erfahrung gesammelt hat.

Anders verhält es sich mit dem impliziten Wissen. Seine Vermittlung setzt oft voraus, dass es in einem gezielten Prozess der Externalisierung – beispielsweise durch eine systematische Befragung der Wissensträger oder eine Analyse ihres Tuns – zunächst in ein explizites Wissen umgewandelt wird, sodass es dokumentiert werden kann. Dieses Externalisieren ist beim impliziten Wissen aber häufig nur bedingt möglich. Es kann anderen Personen oft nur in Coaching- und Mentoring-Programmen weitergegeben werden.

Hinzu kommt: Das implizite Wissen ist oft auch mit Einstellungen und Überzeugungen verknüpft. Deshalb ist bei den Personen, die dieses Wissen verinnerlichen möchten oder sollen, nicht selten auch eine Einstellungs- und Verhaltensänderung nötig. Ansonsten entfaltet es keine Wirkung. Auch deshalb ist seine Weitergabe oft nur über Coachings und Mentoring möglich (Abb. 2).


Veränderte Rahmenbedingungen erfordern verändertes Wissensmanagement
Dabei gilt die Faustregel: Je komplexer eine Aufgabe ist, umso mehr implizites Wissen muss zu ihrer Lösung übertragen werden. Dies ist insofern relevant, als in den letzten Jahren unter anderem im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung die Arbeit und die in ihr gestellten Anforderungen – zumindest in der Wahrnehmung der Mitarbeitenden – immer komplexer wurden.

Deshalb sollten auch Zahnarztpraxen der Vermittlung des impliziten Wissens mehr Bedeutung beimessen, wenn sie vermeiden möchten, dass in ihrer Praxis immer mehr Wissensinseln entstehen, die letztlich

  • eine oft angestrebte hierarchie- und bereichsübergreifende Team- und Projektarbeit erschweren, und
  • dem Schaffen der erforderlichen Strukturen, um schnell und flexibel bzw. agil auf neue Herausforderungen zu reagieren, im Wege stehen.

Neben dieser sieht sich das „Unternehmen“ Zahnarztpraxis mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert:
Auch das explizite Wissen, also das Fach- bzw. Faktenwissen, veraltet in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUCA-Welt (s. Kasten) rascher als früher.
Dasselbe gilt für das externalisierte implizite Wissen: Alte Erfolgsrezepte taugen aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen oft nicht mehr bzw. müssen regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden.

Zwar lässt sich heute das explizite Wissen einfacher als früher aktualisieren und verbreiten. Ungeachtet dessen müssen Unternehmen/Zahnarztpraxen es jedoch fortlaufend aktualisieren. Deshalb gilt heute mehr denn je: Wissensmanagement ist ein fortlaufender Prozess.

Dies haben inzwischen viele Unternehmen erkannt. Deshalb überdenken sie ihr tradiertes Wissensmanagement und versuchen es den veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen im digitalen Zeitalter anzupassen. Dieser Prozess verläuft in der Regel in folgenden Schritten ab (Abb. 3):

Im ersten Schritt wird zunächst die Ist- bzw. Ausgangssituation analysiert und es werden Fragen gestellt wie:

  • Wie erfolgt unser Wissensmanagement heute?
  • Entspricht dies noch den Erfordernissen im digitalen Zeitalter?
  • Lassen sich unsere Unternehmensziele, wie z. B. schneller und flexibler auf Marktveränderungen zu reagieren, so noch erreichen?
  • Wo besteht ein Änderungsbedarf?

Hierauf aufbauend stellen sich dann weitere Fragen, die mit der Auftragsklärung zusammenhängen, z. B.:

  • Welches Wissen brauchen wir (künftig) aufgrund seiner Erfolgsrelevanz und sollte deshalb kontinuierlich ausgebaut werden?
  • Handelt es sich hierbei um explizites und/oder implizites Wissen?
  • Wer sind die relevanten Wissensträger und wie lange stehen sie uns noch zur Verfügung?

Sind diese Fragen vorläufig geklärt, stellen sich z. B. diese Fragen:

  • Welche Ressourcen (u. a. Zeit, Geld, Verfahren) stehen uns zur Wissensidentifikation, -dokumentation, -verteilung und -weiterentwicklung zur Verfügung bzw. welche Ressourcen brauchen wir?
  • Welche Rahmenbedingungen struktureller, kultureller und motivationaler Art sind erforderlich, damit in unserer Organisation ein fluider, bereichs- und funktionsübergreifender Wissensmarkt entsteht?

Ziel: einen fluiden Wissensmarkt schaffen
Sind diese Fragen geklärt, können erste Versuchsballons gestartet werden. Wichtig ist, dass in diesen Prozess Reflexionsschleifen eingebaut werden wie: „Befinden wir uns (noch) auf dem richtigen Weg?“. Unternehmen bzw. Zahnarztpraxen betreten hier oft Neuland, auch weil ihnen die moderne Informations- und Kommunikationstechnik neue Möglichkeiten der Wissensidentifikation, -speicherung und -verbreitung bietet. Zudem gilt es im Prozess- bzw. Projektverlauf regelmäßig zu überprüfen:

  • Erheben wir überhaupt das erfolgsrelevante Wissen, das unsere Organisation/Praxis (künftig) braucht?
  • Haben wir die relevanten Wissensträger als Mitstreiter beim Versuch, einen fluiden Wissensmarkt zu schaffen, gewonnen?
  • Gelangt das erhobene Wissen auch zu den Personen, die es für ihre Arbeit brauchen, und wird es von ihnen effektiv genutzt?

Diese Fragen gilt es, sich im Projektverlauf immer wieder zu stellen, damit das übergeordnete Ziel erreicht wird: das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen.

Dr. Georg Kraus
ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner in Bruchsal.
Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence,
der St. Galler Business-School und der technischen Universität Clausthal.
www.kraus-und-partner.de
Foto: privat

Kasten: Was bedeutet VUCA?
VUCA ist ein Akronym für die englischen Begriffe

  • volatility: Volatilität (Unbeständigkeit)
  • uncertainty: Unsicherheit
  • complexity: Komplexität
  • ambiguity: Mehrdeutigkeit