Teil I: Hürden der Praxisübernahme nehmen
Wie findet man die richtige Praxis? An welche Fallstricke denkt man vorher nicht? Und wie sieht es eigentlich in puncto Work-Life-Balance aus? Wir haben fünf ganz unterschiedliche Praxisgründer gefragt, wie sie die Gründung erlebt haben. Im Teil I stehen die Praxisübernehmer Rede und Antwort.
Gab es diesen einen besonderen Moment, in dem euch klar geworden ist, dass ihr eine eigene Praxis wollt?
Eva-Marie Müller: Mein Schlüsselmoment war eigentlich gar nicht so spektakulär. Ich saß beim Abendessen mit Freunden, die sich in der Branche auskennen. Wir haben darüber gesprochen, dass ich jetzt zum ersten Mal konkret nach Praxen schauen will und deshalb mal zu Henry Schein fahre. Gesagt, getan.
Wie merkt man denn, dass das die Praxis ist, die man übernehmen will?
Ulrich Degen: Ich habe eine relativ moderne Praxis übernommen. Beim ersten Besuch habe ich durch die Scheibe geguckt und mir gedacht: Das ist genauso, wie ich es mir vorstelle. Dann ist mir auch direkt in den Kopf gekommen, dass ich dort nicht viele Umbaukosten habe. Das war eine wahnsinnig gute Gelegenheit und die habe ich beim Schopfe gepackt.
Eva-Marie Müller: Bei der Praxissuche habe ich zwei Objekte in die engere Auswahl genommen. Für das erste habe ich lange geplant. Aufgrund einer Mietkostensteigerung ist die Sache dann geplatzt. Die zweite Praxis hat sich komischerweise von Anfang an noch sicherer angefühlt. Als ich in der Praxis stand, habe ich mir alle Farben an die Wand gemalt und mir mein Konzept vorgestellt – da stand ich eigentlich schon in meiner Praxis. Und das war ein reines Bauchgefühl. Manchmal ist es gut, wenn man den Kopf für einen Moment auch mal ausschaltet und auf sein Herz hört.
Andreea Tiplic: Bei mir war es zwar eine Praxisübernahme, aber eigentlich war nicht viel da zum Übernehmen. Ich habe mir eine Dorfpraxis gewünscht. Die habe ich jetzt und darüber bin ich sehr glücklich. Alles, was ich an Know-how bis dahin gesammelt habe, habe ich in diese Praxis gesteckt.
Wie seid ihr die Herausforderung Business-Plan angegangen?
Andreea Tiplic: Den haben Experten für mich gemacht. Damit bin ich zur Bank gegangen und dann hat mit dem Kredit alles problemlos funktioniert.
Eva-Marie Müller: Mir war es wichtig, den Business-Plan selbst zu verfassen. Klar ist er einerseits relevant für die Bank – speziell bei uns in München, weil die Stadt bekanntlich ein Haifischbecken ist. Darüber hinaus hat es aber vor allem mir selbst extrem geholfen, mein eigenes Konzept zu entwickeln. Ich habe mich darüber weiterentwickelt. Der Business-Plan muss nicht übermäßig lang sein, aber er muss eine Geschichte erzählen. Außerdem habe ich Standortanalyse und all diese Dinge selber gemacht – dadruch habe ich mich mit Sachen beschäftigt, die ich vorher gar nicht kannte, wie etwa dem Einwohner-Zahnärzte-Verhältnis, der Kaufkraft usw.
Was war denn das Schwierigste auf dem Weg zur eigenen Praxis?
Eva-Marie Müller: Im Zuge der Praxisübernahme war es für mich die größte Herausforderung, zu erkennen, dass es Hindernisse gibt, die man vorher nicht einkalkuliert hat. Bei mir war es ganz konkret die Übernahme des Personals.
Welche Probleme gab es bei der Übernahme des Teams?
Eva-Marie Müller: Neben dem Umbau der Räumlichkeiten gab es bei mir auch einen „Umbau“ des Teams. Erstmal habe ich alles so gelassen, bin also dem Team sehr entgegengekommen. Zum Beispiel habe ich die alte Software behalten und bin auch sonst viele Kompromisse eingegangen. Weil ich mir gedacht habe, so ein Change-Management braucht seine Zeit. Ich dachte, dafür wird mir das Team sehr dankbar sein. Das war auch so. Irgendwann habe ich mir jedoch mal die Zahlen näher angeschaut und einige Vorgänge und Prozesse überprüft. Leider hat sich dann herausgestellt, dass das Personal nicht richtig zu mir passt, dass wir sehr unterschiedlich denken und nicht jeder mit den Veränderungen, die mir vorschwebten, einverstanden ist. Wir haben das Team dann von vier auf neun Leute vergrößert. Zwar nicht ganz nach Business-Plan, aber notwendig.
In einer Art „Strukturvertrieb“ habe ich das neue Team aufgebaut. Ich habe keine Werbung geschaltet, sondern stattdessen mein Netzwerk angesprochen und dadurch die ersten zwei jungen Leute akquiriert. Dieses Netzwerk sollte man sich schon während des Studiums bzw. so früh wie möglich aufbauen. Das Problem bei der Übernahme eines bestehenden und eingeschweißten Teams: junge Bewerber könnte das abschrecken, weil es sehr schwer sein kann, in ein so lange bestehendes Team reinzukommen. Heute ist das Team sehr gemischt und wir bekommen wiederum Initiativbewerbungen, weil die eigenen Mitarbeiter Werbung für die Praxis machen, im Bekanntenkreis oder auf Fortbildungen. Das hat die meiste Power.
Ulrich Degen: Meine Freundin arbeitet seit 15 Jahren in der Stadt und konnte mir dann glücklicherweise gleich ein Team zusammenbasteln. Da hatte ich überhaupt keine Probleme. Schwierigkeiten traten eher auf, wenn man gewisse Dinge zum allerersten Mal macht.
Alle Praxisgründer erzählen ihre Geschichte beim dent.talents. Gründer Camp am 06. und 07.09.2019.
Lebenslänglich diese eine Praxis?
Eva-Marie Müller: Aus rein wirtschaftlicher Sicht, wäre es nicht so klug, diese Praxis jetzt wieder zu verkaufen. Das Potenzial einer Praxis entfaltet sich erst nach ca. zehn Jahren. Erst dann lohnt sich das wirklich. Wenn aber jetzt etwas dazwischen käme – zum Beispiel familienbedingt – dann könnte ich mit meinem Konzept auch den Exit machen. Deshalb ist es nicht verkehrt, von Anfang an auf die Zahlen zu achten. Eine Praxis verkauft sich schließlich hauptsächlich über den Patientenstamm und nach dem Image, das man kreiert. Das alles steigert den Wiederverkaufswert. Ich bin mir sicher, das würde bei meiner Praxis jetzt schon funktionieren, weil wir gut aufgestellt sind. Das macht Freiheit im Kopf. Viele denken, sie sind dann in der eigenen Praxis gefangen. Deshalb sollte man darauf achten, dass die Praxis auch jederzeit wiederverkaufbar ist.
Ulrich Degen: Ich habe ein Objekt, mit dem ich mich noch vergrößern kann. Deswegen wäre es schön, lebenslänglich diese Praxis zu führen. Wenn man sich etwas aufbaut, möchte man das ja auch lange fahren. Für mich kommt es jetzt erstmal nicht infrage, über einen Wiederverkauf überhaupt nachzudenken.
Andreea Tiplic: Bei mir wird es auch ein lebenslanges Projekt sein, hoffentlich.
Schnellfragerunde mit den Praxisgründern:
Wie sieht es finanziell in der Anfangszeit aus? Hat man manchmal Sorgen, dass es nicht reicht?
Ulrich Degen: Ich glaube, als Selbstständiger macht man sich immer mal Sorgen und hat auch mal Existenzängste. Das sagen auch Kollegen, die schon seit vielen Jahren eine Praxis haben. Aber es läuft besser, als ich es mir vorgestellt habe.
Eva-Marie Müller: Mir wurde der Gründungszuschuss in voller Höhe gewährt und das entlastet sehr. Ich empfehle jedem, das zu versuchen. Es hilft auch mit den Experten von der Bank oder dem Steuerberater zu sprechen, die einen mit Vergleichswerten aus der Region dann wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Ich glaube aber nicht, dass man in eine maximale Schieflage geraten kann, wenn man sich gut vorbereitet. Dazu gehören auch Versicherungen. Man sollte die Praxis gegen alle Eventualitäten gut absichern. Thema Schwangerschaft zum Beispiel: Da gibt es seit kurzem ein neues Gesetz. Schwangere Frauen, die eine Krankentagegeldversicherung haben, können sechs Monate lang Zahlungen entsprechend der Höhe des vereinbarten Tagegeldes beziehen, ohne dass sie sich krankschreiben lassen müssen.
Stichwort Work-Life-Balance: Ist sie während und nach der Neugründung vorhanden?
Andreea Tiplic: Wenn man die Familie involviert – die neue Praxis also ein gemeinsames Projekt ist – dann funktioniert Work-Life-Balance. Unser Kind zum Beispiel fühlt sich auch sehr wohl und spielt in der Praxis im eigens dafür eingerichteten Zimmer. Dann sind wir alle gemeinsam auch mal am Samstag dort.
Ulrich Degen: Für mich ist viel Zeit, die ich in der Praxis verbringe, auch Freizeit. Ich bin da gerne und habe sogar meine PlayStation dort. Da ich auch gelernter Zahntechniker bin und viel selbst fertige, nutze ich zum Beispiel die Zeit, während der Zahnersatz im Ofen ist, um mich dort zu entspannen. Manchmal habe ich sogar mehr Ruhe als Zuhause. Meine Freundin ist auch häufig in der Praxis, aber wir beide empfinden das nicht als Belastung, auch wenn es natürlich mehr geworden ist. Urlaub ist allerdings wichtig. Da ist die Praxis zu. Denn diese Regenerationszeit braucht jeder in seinem Beruf.
Eva-Marie Müller: Bei mir kam aufgrund der großen Patientenflut die Entspannung erst mit der Einstellung der angestellten Zahnärztin nach einem Jahr. Dann hatte ich auch wieder mehr Zeit für Freizeit. Und ich trenne Privates und Praxis komplett. Zuhause spreche ich nicht über die Arbeit. Dort habe ich nichts, was mich an die Praxis erinnert. Nur den VPN-Zugang, um im Notfall aufs System zugreifen zu können.
Welche Tipps habt ihr für Kollegen, die ebenfalls über eine Gründung nachdenken?
Ulrich Degen: Es ist ein Sprung ins kalte Wasser und es wird immer Hindernisse geben, die man aber alle lösen kann. Man sollte nicht so viel darüber nachdenken. Denn man kann sich gar nicht alle Probleme vorstellen, die am Ende tatsächlich auftreten.
Hier finden Sie Teil II, in dem sich alles um die Neugründung dreht.
Zu den Webseiten der Praxisgründer
Machen Sie sich ein genaueres Bild von den fünf Gründern und ihren Praxiskonzepten:
Ulrich Degen: www.zahnarztpraxis-degen.de
Eva-Marie Müller: zahnaerztin-haar.de
Andreea Tiplic: zahnarztpraxis-eigeltingen.de
Dr. Timo Knoche: confident-zahnarztpraxis.de
Dr. Nora Buchner: www.zahnarzt-buchner.de