Leader oder Führungskraft?
Der Begriff Leadership ziert inzwischen fast alle Publikationen rund um das Thema Führung. Auch in allen Führungskräfte-Entwicklungskonzepten findet man ihn. Jedoch wird nur selten konkret beschrieben, was einen „Leader“ von der klassischen Führungskraft unterscheidet. Daher bringt Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) in Wiesbaden, Klarheit. Denn mit den modernen Führungskompetenzen eines „Leaders“ können auch Praxisinhaber weiterkommen.
Das Management vieler Unternehmen befindet sich zurzeit in einer Selbstfindungsphase – nicht nur aufgrund der zahlreichen Umbrüche, seien diese technologischer oder gesellschaftlicher Art, die sich im Unternehmensumfeld vollziehen.
Hinzu kommt: In der Managementdiskussion der vergangenen Jahre wurde oft übersehen, dass jedes Unternehmen auch „Inkarnationsfiguren“ braucht. Das sind Personen, die es verkörpern und an denen die Mitarbeiter ihr Handeln orientieren können. Lange Zeit scheuten sich Unternehmen, solche Einzelpersonen zu exponieren. Stattdessen huldigten sie tendenziell einer „Nur-Team-Philosophie“, die zu einer gewissen Gleichmacherei neigt.
Akzeptanz neuer Managertypen
In den zurückliegenden Jahren hat sich diesbezüglich jedoch ein Paradigmenwechsel vollzogen. Zunehmend wurde erkannt, dass oft Einzelpersonen durch ihr Handeln Unternehmen vorantreiben – das gilt auch für kleinere und größere Zahnarztpraxen.
Deshalb wurden plötzlich wieder solche Managertypen wie Elon Musk akzeptiert; Personen, die zwar oft als schwierig im persönlichen Umgang beschrieben werden, denen aber jeder zugesteht, dass sie ihre Unternehmen (wirtschaftlich) erfolgreich führen Daher werden sie – außer von den Aktionären – auch von den Mitarbeitenden respektiert.
Wer ist ein „Leader“?
Doch welche Faktoren zeichnen solche „Leader“ aus, die sozusagen als die Motoren ihrer Unternehmungen bzw. der ihnen anvertrauten Unternehmensbereiche fungieren? Sie verfügen zum einen über eine sehr starke Willenskraft, die auf andere ausstrahlt, und zum anderen räumen sie dem Handeln das Primat ein. Zudem sind sie bereit, die ihnen verliehene Macht aktiv zu gebrauchen, um Entscheidungs- und Handlungsprozesse zu beschleunigen und die Zielerreichung zu sichern. Außerdem haben sie einen „Riecher“ für das Mögliche bzw. Gerade-noch-Machbare und ein Gespür dafür, wohin die Entwicklung geht.
Leader und loyale Unterstützer
Leader wissen, dass sie loyale Unterstützer brauchen. Im Gegensatz zu den „Industriekapitänen“ der Vergangenheit sind die heutigen „Leader“ jedoch meist keine omnipotenten Autokraten, die gleich Fürsten über ihrem Reich thronen – selbst wenn dies bei Elon Musk partiell anders sein mag. „Leader“ haben ein anderes Selbstverständnis. Sie wissen, dass sie Mitstreiter brauchen, um die erforderlichen Veränderungen und Prozesse zu bewirken, die ihr Unternehmen zum Erfolg führen. Daraus resultiert ein verändertes Verhältnis zu den Mitarbeitenden.
Integrator statt Konfrontator
Echte „Leader“ gehen zunächst davon aus, dass jeder Mitarbeitende in die Organisation Fähigkeiten und Fertigkeiten einbringt, die für das Erreichen der Unternehmensziele wichtig sind – auch wenn diese funktionsabhängig divergieren.
Sie akzeptieren zudem einen Kompetenzvorsprung ihrer Mitarbeitenden in einzelnen Fachfragen und nutzen deren Erfahrung, um die (Unternehmens-)Ziele zu erreichen. „Leader“ sehen ihre Hauptaufgabe zudem nicht darin, ihre Mitarbeitenden zu kontrollieren, sondern sie als Coach und Förderer zu führen und zu motivieren. Und: Sie gestehen ihnen ihren Anteil am Erfolg zu. Kurz: Ein Leader ist ein „Integrator“ und kein „Konfrontator“, der auch zu seinen Fehlern steht und die Verantwortung nicht den nachgeordneten sogenannten Wasserträgern zuschiebt. Folglich lässt er seine Mitarbeitenden auch nicht im Regen stehen, wenn diese Fehler begehen.
Proaktiv re-agieren
Leader re-agieren proaktiv auf Veränderungen. Hinzu kommen weitere Fähigkeiten: Wegen des stets diffuseren Umfelds der Unternehmen bzw. Praxen wird es für deren „Kapitäne“ immer schwieriger, alle Informationen zu sammeln, die für eine gesicherte Entscheidung nötig sind.
Deshalb benötigt ein Leader auch eine große Toleranz gegenüber Problem- und Zielunklarheiten. Außerdem muss er über die nötige Sensibilität verfügen, um auch schwache (Veränderungs-)Signale im Unternehmensumfeld wahrzunehmen, damit er proaktiv agieren kann, denn: Ein Nicht-Entscheiden hat im Betriebsalltag oft fatalere Folgen als ein partielles Fehl-Entscheiden. Denn mit einem Nicht-Entscheiden geht oft ein Verzicht auf ein aktives Gestalten der Zukunft einher.
Leadership-Kompetenzen
Besagte Kompetenzen sind in den oberen Führungsetagen der Unternehmen gewiss stärker als in den unteren gefragt. Jedoch nicht nur dort. In dezentral organisierten Unternehmen mit flachen Hierarchien sind Leadership-Eigenschaften auf allen Führungsebenen gefragt; zudem Führungspersönlichkeiten, die sich eher als Gestalter denn als Verwalter verstehen. Doch auch Projektleiter müssen diese Fähigkeiten haben.: Sie müssen bei ihrer Arbeit oft viele Interessen integrieren und Sichtweisen verstehen, weil von ihrem Projekt zahlreiche Bereiche und Funktionsgruppen betroffen sind. Außerdem benötigen sie oft eine starke Überzeugungskraft, damit andere Menschen ihnen oder ihre Ideen folgen, obwohl sie nicht deren disziplinarische Vorgesetzte sind.
Barbara Liebermeister
leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) in Wiesbaden.
Sie ist Autorin des Buchs „Die Führ- ungskraft als Influencer: Wie man Mitarbeiter
als Follower gewinnt“ und betreibt die Pod- casts „Digital ist egal … Was zählt bist DU!“
und „Business Secrets: Warum Frauen gelikt werden und Männern gefolgt wird!”
www.ifidz.de
Foto: privat