Zehn Gebote gegen die Great Resignation
Die Kündigungsbereitschaft der Mitarbeiter ist groß. Das spürt auch die Dentalbranche. Abgänge sind schwer zu kompensieren, neue Mitarbeiter kaum zu finden. Das belastet die verbliebene Belegschaft.
Als 2021 in den USA die „Great Resignation“, das große Davonlaufen, begann, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kündigungswelle der Mitarbeiter uns erreicht. Wie verschiedene Umfragen von Gallup und anderen Instituten zeigen, verschärfte sich im Frühjahr 2022 auch hier die Lage. Ein Viertel der Mitarbeiter will seinem Arbeitgeber in den nächsten zwölf Monaten den Rücken kehren. Über 40 Prozent planen den Absprung in den nächsten drei Jahren.
Man stelle sich einmal ein 15-köpfiges Praxisteam vor. Eine Stelle ist schon länger unbesetzt. Letzte Woche hat sich ein Mitarbeiter mit Burn-out krankgemeldet. Das kann länger dauern. Gestern hat dann die ZMV strahlend mitgeteilt, dass sie in freudiger Erwartung ist. Und genau jetzt verkündet die fähige und motivierte Auszubildende zur ZFA, dass sie noch einmal studieren will. Die Hütte brennt. Schnell ist klar, dass nur wenig Zeit vergeht, bis sich die neue Situation aufs Team auswirkt. Abhilfe ist nicht in Sicht.
Laut IAB, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, vergehen aktuell rund vier bis fünf Monate, bis eine Stelle nachbesetzt werden kann. Je nach Position, Standort und Ruf des Arbeitgebers kann die „time to fill“ wesentlich länger dauern.
Teufelskreis Fluktuation
Zurück zur dezimierten Mannschaft. Das Problem ist: Die Arbeit muss weiterhin erledigt werden. Und es ist der Job des Praxisinhabers, dafür zu sorgen, eine Lösung zu finden. Gar nicht so einfach! Eine reduzierte Belegschaft führt zu einer höheren Belastung, diese zu mehr Fehlern, unzufriedenen Patienten und zu mehr Druck. Daraufhin wächst die interne Unruhe, es steigen die Fehlzeiten und schließlich die Fluktuationsquote – womit der Teufelskreis in eine neue Runde geht (Abb. 1).
Die vier Mitarbeitertypen
Doch es hilft nichts. Jetzt geht es an die Überlegung, was jeder verbliebene Mitarbeiter zum Gelingen des Praxisablaufs beitragen könnte. Ob bewusst oder unbewusst – in der Regel orientieren sich Chefs dabei an zwei Parametern: Wollen und Können. Daraus ergeben sich vier Konstellationen mit jeweils unterschiedlichen Implikationen für die Führung (Abb. 2).
· Die „Lieblinge“, die können und wollen.
· Die hoffnungslosen Fälle oder „faulen Zähne“: Sie wollen nicht und können nicht.
· Die „Sorgenkinder“: Sie können eigentlich, wollen aber nicht. Die Frage ist, warum?
· Und schließlich die „Hoffnungsträger“, mäßig kompetent, aber Einstellung und Motivation stimmen.
Dabei tappen viele Praxisinhaber bei Personalengpässen in eine Falle, die intuitiv nachvollziehbar ist, sich aber operativ kontraproduktiv auswirkt. Wenn Not am Mann ist, wendet man sich am liebsten an die besten Leute. Diese leisten gute Arbeit und man kann sich auf sie verlassen. Das Problem: Das geht einmal gut, zweimal und vielleicht auch drei- oder viermal. Aber irgendwann merken diese guten Mitarbeiter, dass der Lohn für ihre gute Arbeit darin besteht, einen Rucksack nach dem anderen aufgeladen zu bekommen. Gleichzeitig werden die Kollegen, die Dienst nach Vorschrift verrichten, geschont.
Steigt der Druck und gehen bei der Führung Empathie und Wertschätzung verloren, droht ein Fiasko: Die besten Leute fühlen sich nicht als „Lieblinge“, sondern als „Packesel“. Dauert das an und wird auf monetärer und zwischenmenschlicher Ebene nicht angemessen kompensiert, fühlen sie sich ungerecht behandelt, ausgenutzt und beginnen, sich etwas Neues zu suchen.
Individuelle Mitarbeiterführung
Da sich der Rahmen nicht ändert, stellt sich die Frage, was stattdessen getan werden kann, soll und muss.
Gibt es eine Lösung für die „faulen Zähne“? Sich von Mitarbeitern, die weder wollen noch können, zu trennen, ist nicht so unmenschlich, wie es zunächst klingt. Nicht selten blühen entlassene Mitarbeiter in einem anderen Umfeld plötzlich auf.
Die „Lieblinge“ sollte man machen lassen und ihnen Freiräume schaffen: Wenn sie nicht bis zum Anschlag belastet werden, entwickeln sie mit ihren freien mentalen Reserven regelmäßig konstruktive und innovative Lösungen, die die Praxis voranbringen können.
Nun gilt es, die Potenziale der „Sorgenkinder“ und „Hoffnungsträger“ zu heben. Für Letztere empfehlen sich Tätigkeiten, bei denen ihre Stärken, die es immer gibt, zum Einsatz kommen. Ist Klarheit über die Zukunfts-Skills gewonnen, können diese Mitarbeiter rechtzeitig strategisch in die passende Richtung entwickelt werden.
Die heikelste, aber vielversprechendste Gruppe stellen die „Sorgenkinder“ dar. Haben sie früher einmal gewollt, ging irgendwann und -wo ihre Motivation verloren. Die Ursachen liegen meist in verspieltem Vertrauen, nicht erwiesener Wertschätzung und enttäuschten Erwartungen. Wenn es Praxisinhaber ernst meinen, können sie diese Mitarbeiter zurückgewinnen: Offene Gespräche, wirklich zuhören und ernst nehmen, eine saubere Klärung der Erwartungen, das Eröffnen von Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten und eine Führung, die die Kompetenz und den Einsatz der Mitarbeiter wertschätzt, stellen praktikable Schritte dar, um die Mitarbeiter wieder in den Lieblingsquadranten zurückzuholen.
Zehn Gebote, um im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter zu bestehen
- Scheren Sie Ihre Mitarbeiter nicht über einen Kamm, sondern führen Sie sie individuell, je nach Reifegrad.
- Lassen Sie Mitarbeiter, die können und wollen, einfach machen und schaffen Sie ihnen Freiräume, um sich zu entfalten und innovative Ideen zu entwickeln.
- Ziehen Sie die faulen Zähne im Team-Gebiss. Jene, die weder können noch wollen, vergiften die Stimmung und blockieren die Entwicklung des Teams.
- Schulen Sie konsequent jene Mitarbeiter, denen es noch an Kompetenz mangelt. Bilden Sie Stärken/Schwächen-Tandems und trauen Sie Ihren Mitarbeitern etwas zu.
- Bemühen Sie sich ernsthaft und nachhaltig darum, jene Mitarbeiter, die nicht mehr wollen, zurückzugewinnen. Wertschätzung ist der Schlüssel zum Erfolg.
- Machen Sie sich bewusst, dass die Struktur Ihrer Praxis die Machtverhältnisse, die Kommunikation und das Miteinander prägt.
- Vergeben Sie Jobs nicht nach dem „eierlegende Wollmilchsau“-Prinzip, sondern nach dem „Hire for Attitude & Train for Skills“-Prinzip.
- Führen Sie Bleibegespräche.
- Schaffen Sie sich einen Puffer im Budget, um gute Mitarbeiter direkt einstellen zu können, wenn sie auftauchen.
- Professionalisieren Sie Ihr Recruiting, um Personalengpässe schnell zu schließen. Machen Sie sich bewusst, dass es viele Methoden jenseits von „post & pray“ gibt. Machen Sie Personalgewinnung zur Chefsache und straffen Sie Ihren Prozess. Wer wochenlang wartet, bis er eine Vorauswahl trifft, darf sich nicht wundern, wenn die besten Bewerber schon bei einer anderen Praxis unterschrieben haben.
Christian Bernhardt
Hochschuldozent und Fachbuchautor, hält Vorträge und Hybrid-Trainings
zu Recruiting sowie Wertschätzende Kommunikationskultur und
berät Unternehmen in Deutschland und der Schweiz.
christian@bernhardt-trainings.com
www.bernhardt-trainings.com