Mental Health in der Zahnarztpraxis

Wenn die Stresspufferzone eng wird

Mental Health lässt sich mit „geistige Gesundheit“ zwar leicht übersetzen, doch was dieser Begriff konkret im Lebensalltag bedeutet, ist oft unklar. Rein praktisch geht es darum, selbst in anstrengenden Lebens- und Praxisphasen immer wieder die innere Balance zu finden, um nicht in eine dauerhafte Überforderung mit Gefühlen wie Hilflosigkeit und Resignation abzu- rutschen. Alexander Volz, Initiator und Mitgründer von „Mensch & Praxis“, berät Praxisinhaber mit ihren Teams. Ziel ist, die Basis für ein dauerhaft gesundes und erfolgreiches Berufsleben zu schaffen. Denn nur wer mental gesund ist, wird seine Praxis langfristig erfolgreich führen.


Long hour work. Burnout in workplace.


Ist die Wichtigkeit des Themas Mental Health in unserer Gesellschaft angekommen?
Volz: Beispielsweise zeigen aktuelle Krankenkassenreports, dass hierzulande rund 26 Prozent der registrierten Fehltage auf eine zumindest vorübergehende psychische Erkrankung zurückzuführen sind. Dabei muss es sich nicht um eine manifestierte Erkrankung wie eine Depression oder ein Burn-out handeln. Auch nicht berücksichtigt sind körperliche Beschwerden wie Magen-, Rücken- oder dauerhafte Kopfschmerzen, die als typische, körperliche Folgen einer psychischen Überbelastung gelten.
Man kann also davon ausgehen, dass rund ein Drittel oder mehr der Fehltage auf eine gestörte mentale Balance zurückzuführen sind. Daher stufe ich die mentale Gesundheit als sehr relevant ein.
Allerdings sehe ich leider noch nicht, dass das Thema eine ausreichende Akzeptanz in unserer Gesellschaft erfährt. Bekennt sich z. B. ein VIP zu seiner mentalen Dysbalance, dann findet es Aufmerksamkeit nach dem Motto „der traut sich was“. Gerade das ist aber ein Zeichen dafür, dass diese Erkrankung noch nicht frei akzeptiert ist.
Sich dazu offen zu bekennen, scheint noch immer eine persönliche Überwindung zu kosten.

Warum ist mentale Gesundheit generell in der heutigen Zeit wichtig?
Volz: Seit mittlerweile fast fünf Jahren leben wir in eine Art Dauerkrise, angefangen mit der Corona-Pandemie, gefolgt von einem Krieg, der nicht weit von uns entfernt in Europa stattfindet – das alles belastet unsere emotionalen und mentalen Kapazitäten. Gleichzeitig steigt die Unsicherheit für die eigene Zukunft – das alles kann auf Dauer einen generellen Erschöpfungszustand auslösen.

Was geschieht, wenn man aus der inneren Balance fällt?
Volz: Dann steht man permanent unter Stress und es treten in der Regel körperlich messbare Reaktionen auf: Rein physiologisch wird die Denkfähigkeit aufgrund der Stresshormone eingeschränkt. Das wirkt sich negativ auf die Entscheidungskompetenz aus, man fällt zurück auf Automatismen und ist gefangen in seinen Routinen. In diesem Zustand fällt es schwer, lösungsorientiert zu denken. Zudem birgt Stress das Risiko, körperlich zu erkranken.

Wo ist konkret der Zusammenhang zwischen mentaler Gesundheit und Praxiserfolg?
Volz: Praxiserfolg, auch im wirtschaftlichen Sinne, hängt wesentlich von der mentalen Gesundheit des Chefs ab. Um funktionierende, interne Praxisstrukturen zu installieren und eine auf Dauer leistungsfähige Praxis zu führen, braucht man innere Klarheit – nur so wird man lösungsorientiert führen und letztlich wirtschaftlich erfolgreich arbeiten können.

Welche Herausforderungen empfindet man heute in einer Zahnarztpraxis als belastend?
Volz: Zusätzlich zu den normalen Praxisherausforderungen spüren wir die Auswirkungen von Personalmangel und steigender Bürokratie. Auch die Digitalisierung in der Praxis ist eine zusätzliche Herausforderung für das gesamte Team.
Auch immer mehr Patienten leiden unter Stresssymptomatiken, die sie unbewusst mit in die Praxis bringen. Hinzu kommt, dass sie aufgrund von Internetrecherchen kritischer gegenüber Zahnärzten eingestellt sind und ihre Rechte sehr genau wahrnehmen. Manchmal fehlt auch die Bereitschaft, die Grenzen des medizinisch machbaren zu akzeptieren. Da kann schon mal die Stresspufferzone eng werden.

Welche Gefahr ist damit verbunden?
Volz: Oft sind mehr zwischenmenschliche Spannungen die Folge. Das wiederum kann eine Überbelastung mit verursachen, aus der sich dann wieder ein zusätzliches Konfliktpotenzial ergibt.
Und: Noch immer sind die meisten Zahnärzte in einer Einbehandlerpraxis selbstständig. Wer hier in eine Überlastungssituation gerät, ist damit in der Regel allein. Im direkten beruflichen Umfeld fehlt ein Ansprechpartner auf Augenhöhe, um das, was gerade nicht optimal läuft, zu diskutieren. Mitarbeiter sind dafür keine geeigneten Austauschpartner, weil man sie nicht verunsichern will.
Wer eine mentale Dysbalance bei sich oder einem Mitarbeiter ignoriert, läuft Gefahr, dass sich das Praxisklima langsam verschlechtert. Meist werden die Mitarbeiter zunehmend unzufriedener und kündigen. Andere rutschen erst einmal in ein Dilemma. Sie wollen ihr Team nicht im Stich lassen und halten daher in der „kranken“ Struktur einfach aus – bis es dann nicht mehr geht.

Wie erkennt man von außen ­eine mentale Dysbalance?
Volz: Die Entwicklung ist ein schleichender Prozess, individuell unterschiedlich und kann mit verstärkter Reizbarkeit, dauerhafter Müdigkeit und/oder Antriebslosigkeit beginnen. Konflikte im Team treten scheinbar aus dem Nichts auf. Wenn sich dann Flüchtigkeitsfehler häufen oder bestimmte Abläufe trotz mehrfacher Besprechungen nicht laufen, sind das akute Warnsignale. Körperliche Folgen können Schlafstörungen, Rücken- oder Magenschmerzen sein.

Wie kann man als Mensch und als Praxis wieder daraus finden?
Volz: Wichtig ist, solche Anzeichen frühzeitig zu erkennen und sie überhaupt wahrzunehmen. Dann heißt es einen Schritt zurückgehen, Abstand gewinnen und versuchen die Situation von außen zu betrachten. Haben wir alle genug Erholungsphasen? Fühlen wir uns leistungsfähig? Haben wir eine gesunde Kommunikation? Wird nur eine dieser Fragen mit Nein beantwortet, lohnt ein genauerer Blick.
Wenn man bereits ein gutes Gespür für sich und sein Team entwickelt hat, kann man selbst Veränderungen anstoßen und offen besprechen. Außerdem ist es keine Schande, sich einen Coach an die Seite zu holen, der nicht mittendrin steckt und den klaren Blick hat. Denn nur mit einem klaren Kopf kann man sich aus problemorientierten Situationen herauslösen und diese objektiv betrachten.

Wie lässt sich vorbeugen?
Volz: Wenn alles rund läuft und sich das Team wohlfühlt, ist der richtige Zeitpunkt, um eine vertrauensvolle Gesprächskultur aufzubauen, die dann in der Krise belastbar ist. Wichtig ist das Signal an das Team, dass es menschlich zugehen darf. Die Beziehung der Menschen untereinander ist der Kernpunkt.
Ist ein Konflikt zu lösen, muss dieser auf der sachlichen Ebene ausgetragen werden. Gibt es persönliche Konflikte, sind diese respektvoll und lösungsorientiert anzugehen.
Und natürlich hilft eine gute Praxisorganisation mit einer stimmigen Planung des Praxisalltag, der allen ausreichend Raum für Erholung bietet. Das bedeutet vor allem Zeit, die zur freien Verfügung steht. Wie jeder diese Zeit gestaltet, richtet sich nach dem individuellen Bedürfnis und wie der Mensch am besten Kraft tankt.

Haben Sie noch drei Tipps, die für eine mentale Gesundheit und eine harmonische Praxisstruktur wichtig sind?
Volz: Das ist natürlich ein sehr komplexes Thema, aber diese drei Punkte können schon helfen:
Jeder ist für sein eigenes Wohl selbst verantwortlich. Meint: Man sollte niemanden dafür verantwortlich machen, ob es einem gut oder schlecht geht.
Jedes große Problem war einmal ein kleines Problem, um das man sich nicht gekümmert hat. Meint: Beschäftige dich mit den kleinen Problemen, mache aber keine Mücke zum Elefanten.
Selbstreflexion. Meint: Nehme dich nicht so wichtig, denn längst nicht alles, was und in welchem Tonfall gesagt wird, oder wie jemand reagiert, hat etwas mit dir zu tun. Also nicht übersensibel reagieren.

Herzlichen Dank für das hoch informative Gespräch.

Alexander Volz
ist Initiator und Mitgründer von „Mensch & Praxis“, die Anlauf- stelle für weniger Stress und mehr Wohlbefinden in der Praxis. Gründen, Führen und Leben sind die Kernbereiche des Beratungs- und Kursangebots. Volz ist Dipl. Betriebswirt und kaufmännischer Leiter der Zahnarztpraxis [fotzn’spanglerei].
www.menschundpraxis.de
Foto: privat