EuroPerio 10 in Kopenhagen

Neue S3-Leitlinie der EFT

Vom 15. – 18. Juni 2022 fand zum 10. Mal der international renommierteste Kongress für Parodontologie und Implantologie, die EuroPerio, statt. Die viertägige Veranstaltung wird von der European Federation of Periodontology (EFT) alle drei Jahre in einer europäischen Metropole organisiert, dieses Jahr in Kopenhagen/Dänemark.


01 - Bei strahlendem Sonnenschein fand die EuroPerio 10 dieses Jahr in Kopenhagen statt


Die EuroPerio zählt – in diesem Jahr mit rund 7000 Teilnehmern aus mehr als 100 verschiedenen Ländern – zu einem der größten Kongresse der Zahnmedizin weltweit. Mit besonderem Fokus auf Nachhaltigkeit war die EuroPerio 10 in Kopenhagen außerdem die umweltfreundlichste bislang. Den internationalen Teilnehmern wurde in zahlreichen Formaten wie Live-OPs, interaktive Sessions und Diskussionen ein spannendes Programm geboten. Über 130 Experten aus über 30 verschiedenen Ländern teilten dabei ihre neuesten Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis.

Weltpremiere: Präsentation der neuen S3-Leitlinie der EFT zu Stadium IV Parodontitis
Die am 10. Juni 2022 im Journal of Clinical Periodontology von der EFT veröffentlichte S3-Leitlinie „Behandlung von Parodontitis im Stadium IV – Die klinische Praxisleitlinie“ wurde auf der EuroPerio10 zum ersten Mal präsentiert und diskutiert. Sie komplementiert nun die 2020 veröffentlichte S3-Leitlinie zu Stadium I-III.
„Eine der größten Herausforderungen bei der Behandlung von Parodontitis im Stadium IV besteht darin, dass eine parodontale Behandlung allein nicht ausreicht“, sagte David Herrera, der wissenschaftliche Vorsitzende der EuroPerio10. „Sie müssen eng mit anderen zahnärztlichen Fachrichtungen zusammenarbeiten, um die verlorene Funktion wiederherzustellen und die Krankheitsfolgen zu bewältigen.“

Die neue Leitlinie umreißt die fünf Komponenten, die für die klinische Beurteilung einer Parodontitis im Stadium IV erforderlich sind:
1. Bewertung des Ausmaßes des Zusammenbruchs der Strukturen, die die Zähne stützen, die Ästhetik sowie die Fähigkeit zu kauen und zu sprechen.
2. Ermittlung der Anzahl der bereits durch Parodontitis verlorenen Zähne.
3. Bestimmung, welche verbleibenden Zähne erhalten werden können.
4. Bewertung aller Faktoren im Mund, die den Erhalt von Zähnen und/oder das Einsetzen von Zahnimplantaten behindern oder ermöglichen könnten, solche Lücken ohne Zähne und die Verfügbarkeit von Knochen.
5. Bestimmung der Gesamtprognose des Patienten, einschließlich der Wahrscheinlichkeit eines Fortschreitens oder Wiederauftretens der Krankheit, unter Berücksichtigung des möglichen Vorhandenseins von Risikofaktoren wie Rauchen und Diabetes.

Kongress-Highlight: Live-OPs
Unter der Moderation von Dr. Otto Zuhr, München, fand eine weitere Weltpremiere statt: zwei Live-Operationen zur multiplen Rezessionsdeckung wurden parallel von Dr. Ion Zabalegui (Clínica Albia in Bilbao, Spanien) und Prof. Massimo de Sanctis (Universitá Vita-Salute San Raffaele in Mailand, Italien) durchgeführt. Dabei wurden die zwei gängigen Techniken, die Tunneltechnik und der erweiterte koronale Verschiebelappen, zeitgleich in Bilbao und Mailand durchgeführt und konnten so direkt nebeneinander verfolgt und verglichen werden.

Neue Erkenntnisse zu Periimplantitis-Prävention
Unter der Moderation von Prof. Dr. Stefan Renvert, Kristianstad/ Schweden, wurde zum Thema Periimplantitis-Prävention diskutiert. Ist es möglich, Periimplantitis zu verhindern?
„Ja”, sagt Dr. Jan Derks, Götheborg/ Schweden, „wenn wir frühzeitig eine Mukositis am Implantat erkennen und behandeln.“ Vorrausetzung dafür sei ein jährlicher Recall mit Dokumentation der Taschentiefe. Ob mit einer Kunststoff- oder Metallsonde gemessen wird, sei dabei nicht relevant. Ob ein Patient eine Periimplantitis entwickele, hänge auch von weiteren Risikofaktoren ab.
Die effektive Behandlung der Mukositis bestehe laut Prof. Dr. Stefan Renvert aus der mechanischen Plaque-Entfernung durch den Patienten zu Hause, als auch in der Praxis mittels AirFlow, Kürette oder Ultraschall. Dabei zeigten zusätzliche Maßnahmen wie Chlorhexamed-Spülungen, Antibiotika-Gabe oder der Einsatz von Probiotika im Vergleich zu Placebo keine zusätzliche Verbesserung. Das Ziel der Mukositis-Therapie sei die Taschenreduktion um 0,5 – 1mm und ein negativer BoP-Befund.

Digitaler Workflow in der modernen Implantologie
Der digitale Workflow bietet viele Möglichkeiten in der modernen Implantologie und Prothetik und erlaubt oft eine Verkürzung der Behandlungszeit. Die hohe Akkuratesse ist den analogen Verfahren oft schon überlegen. Dennoch gibt es auch noch Ungenauigkeiten.
„Die größte Fehleranfälligkeit liegt im Matching von Scan und DVT bei der Implantatplanung“, sagt Prof. Dr. Florian Beuer, Berlin. Um dies zu minimieren, sollten mindestens fünf Zähne im DVT einbezogen werden und die Aufnahme frei von Artefakten sein. Geht es um eine Versorgung mit Bisshebung, wird dies in der Charité auch weiterhin im Artikulator geplant.
Großes Potenzial sehen die Experten auch im Einsatz von künstlicher Intelligenz, zum Beispiel in der Implantatplanung und Auswertung von Röntgenbildern. Hier seien in den nächsten Jahren noch spannende Entwicklungen zu erwarten.

Parodontitis und Allgemeinerkrankungen
Die Beobachtung, dass Parodontitis und Allgemeinerkrankungen wie Endokarditis, HIV, Frühgeburtlichkeit und Diabetes im Zusammenhang stehen, ist schon seit längerem bekannt. Neue Studien von Prof. Dr. Angela R. Kamer, New York/USA, zeigen nun, dass bei Parodontitis-Patienten Veränderungen im Gehirn vorliegen, die zu Alzheimer führen können.
Auch Prof. Dr. Nagihan Bostanci, Stockholm/Schweden, konnte zeigen, dass eine Parodontitis als Umweltfaktor das Risiko für rheumatoide Arthritis erhöht. Den Zusammenhang zwischen Parodontitis und Krebs beschrieb Prof. Dr. Gerry Linden,Belfast/Großbritannien, wobei jedoch noch viel weitere Forschung erfolgen müsse.
In der Debatte waren sich die Experten einig, dass eine Parodontitis immer behandelt werden sollte, da eine gegenseitige Bedingung mit den genannten Allgemeinerkrankungen naheliege.


Dr. Elisabeth Bruse
Zahnärztin, Weiterbildungassistentin für Oralchirurgie in der Praxis Dr. Ingmar Nick & Kollegen