Beihilfe für Totalprothese
Eine Totalprothese soll die Biss- und Kaufähigkeit wiederherstellen, wenn die Zähne ausgefallen oder funktionslos sind. Die Gewährung von Beihilfe erweist sich jedoch als schwieriger Prozess – die Voraussetzungen zur Gewährung müssen nicht bereits zu Behandlungsbeginn, sondern erst wenn die Leistung erbracht wird, vorliegen.
Die Versorgung eines Kiefers mit einer Totalprothese ist beihilferechtlich notwendig, wenn in dem Kiefer keine Zähne mehr vorhanden sind oder wenn einzelne noch vorhandene Zähne eine weniger aufwändige Versorgung nicht ermöglichen oder wegen mangelnder Erhaltungsmöglichkeit im Laufe der Behandlung entfernt werden müssen.
Ist eine herausnehmbare Totalprothese medizinisch nicht indiziert und sind nicht genügend hinreichend gesunde natürliche Zähne vorhanden, die eine fest verankerte Prothese tragen könnten, ist eine implantatbasierte Totalprothese beihilfefähig. Sofern die medizinische Notwendigkeit einer Fixierung an mehr als zwei Implantaten durch eine ärztliche Bescheinigung belegt wird, sind bis zu vier Implantate zur Fixierung beihilfefähig.
Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil vom 27.03.2012 (Az.: 2 C 46/10) entschieden. Der Entscheidung lag ein Rechtsstreit über die Gewährung von Beihilfe für eine im Oberkiefer verankerte Totalprothese zugrunde. Der Klage wurde durch das Verwaltungsgericht Koblenz stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz hat das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Dem Kläger, dem zu Beginn der Behandlung bereits zehn Zähne im Oberkiefer fehlten und dessen Kieferknochen-Insuffizienz einer herausnehmbaren Prothese entgegenstand, wurden im Jahr 2007/2008 zunächst sechs Implantate zur späteren Prothesenbefestigung eingesetzt. Nach Abschluss der sechsmonatigen Einheilphase wurden seine noch vorhandenen, durch Paradontitis geschädigten und auch ohne implantologische Maßnahmen entfernungsbedürftigen Zähne gemäß dem zuvor erstellten Heil- und Kostenplan entfernt, und die Prothese auf die Implantate aufgesetzt. Für vier der sechs Implantate beantragte der Kläger sodann bei der Beklagten Beihilfe. Diese wurde ihm jedoch nur für zwei Implantate gewährt.
Nach der Entscheidung des BVerwG steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nach § 5 Abs. 1 und den weiteren Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) in der anzuwendenden Fassung aus dem Jahr 2001 zu. Dem Grunde nach notwendige Aufwendungen sind demnach beihilfefähig, soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Aufwendungen für bis zu vier Implantate zur Fixierung einer Totalprothese sind dann beihilfefähig, wenn für ihre Notwendigkeit eine besondere Begründung vorliegt.
Medizinische Erforderlichkeit entscheidend
Entgegen der Rechtsauffassung des OVG hängt weder die Notwendigkeit der Versorgung mit einer fest verankerten Totalprothese noch die Notwendigkeit der Fixierung einer solchen an mehr als zwei Implantaten davon ab, dass die Versorgung mit einer derartigen Totalprothese „zwingend“ notwendig wäre oder bereits in dem Zeitpunkt, in dem die Implantate eingesetzt wurden, keine Zähne mehr in dem betroffenen Kiefer vorhanden sind.
Beide Fragen richten sich entsprechend dem Zweck der Beihilfevorschriften vielmehr nach der medizinischen Erforderlichkeit, die für die Fixierung der Prothese an mehr als zwei Implantaten ausdrücklich durch eine entsprechende Bescheinigung belegt werden muss. Die medizinische Erforderlichkeit unterliegt zwar grundsätzlich einer gerichtlichen Nachprüfung, nach dem BVerwG wird der Beurteilung des Arztes jedoch aufgrund seiner Sachkunde regelmäßig zu folgen sein.
Die Versorgung mit einer Totalprothese verfolgt den Zweck, die durch Verlust beziehungsweise Funktionslosigkeit aller Zähne ausgefallene Biss- und Kaufähigkeit wiederherzustellen. Das der Totalprothese immanente Erfordernis der Zahnlosigkeit beziehungsweise Funktionslosigkeit des Kiefers muss jedoch entgegen der Rechtsauffassung des OVG nicht bereits bei Beginn der Behandlung, sondern vielmehr erst in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Leistung erbracht wird, die die beihilferechtlich geltend gemachte Aufwendung begründet.
Das BVerwG hat entschieden, dass dies nicht bereits das Einsetzen der Implantate, die nur einen Teil der beihilferechtlich geltend gemachten Leistung darstellen, ist, sondern erst das Aufsetzen beziehungsweise die Nutzungsmöglichkeit der Totalprothese, mithin der Behandlungserfolg. Dies folgt auch aus der Formulierung der Norm („… Implantate … zur Fixierung von Totalprothesen“), die den Zweck der Behandlung und nicht den Zeitpunkt des Einsetzens der Implantate in den Mittelpunkt rückt.
Mit der Ansicht der Vorinstanz müssten in Fällen, in denen der betroffene Kiefer bei Behandlungsbeginn nicht völlig zahnlos ist, die Entfernung der nicht dauerhaft erhaltungsfähigen Restzähne jedoch vor dem Einsetzen der Implantate medizinisch indiziert ist, dem Patienten zur Erlangung seiner Beihilfeberechtigung bereits vor dem Einsetzen der Implantate sämtliche Zähne, die einer provisorischen Funktionserhaltung während der Einheilphase dienen sollen, entfernt werden. Das Herbeiführen eines medizinisch nicht indizierten etwa sechsmonatigen Zustands der völligen Zahnlosigkeit in einem Kiefer widerspricht jedoch dem Ziel des Beihilferechts.
Das BVerwG hat darüber hinaus klargestellt, dass eine Totalprothese nur dann nicht notwendig ist, wenn der Patient über genügend hinreichend gesunde Zähne verfügt, die eine Versorgung des Kiefers mit Kronen, Brücken oder Teilprothesen erlauben, dies aber auch nur dann, wenn nicht einzelne der gesunden Zähne so ungünstig platziert sind, dass sie einer Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit im Wege stehen. Im letzteren Fall können die verbleibenden gesunden Zähne allerdings unter Umständen als Haltepunkte für eine Totalprothese genutzt werden.
Zur Gewährung von Beihilfe für Zahnimplantate ist auch auf zwei Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) aus dem Jahr 2013 hinzuweisen:
Das OVG NRW hat mit Beschluss vom 26.03.2013 (Az.: 1 A 631/11) festgestellt, dass Kosten für Zahnimplantate unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht nur in Ausnahmefällen beihilfefähig sein könnten, beispielsweise dann, wenn ein endgültiger Verlust zurzeit intakter Zähne zu befürchten wäre. Das Anschleifen der unmittelbar für das Anbringen des „konventionellen“ Zahnersatzes benötigten Zähne genüge hierfür nicht, so das Gericht.
Das Gericht geht zudem mit Beschluss vom 23.04.2013 (Az.: 1 A 2617/12) davon aus, dass es eines Vorabanerkennungsverfahrens für ein Zahnimplantat auch bei einer Einzelzahnlücke bedarf. Die Frage, ob ein Vorabanerkennungsverfahren entbehrlich ist, wenn von Anfang an feststeht, dass nur die Zahlung einer fixen Pauschale pro Implantat erfolgen kann, weil keine der in der Beihilfenverordnung genannten Indikationen vorliegt, hat das Gericht offen gelassen.
RAin Sarah Gersch ist Fachanwältin für Medizinrecht in der Kanzlei DR. HALBE RECHTSANWÄLTE in Köln. Zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten zählt insbesondere das Zahnarztrecht im Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren, dem Arbeitsrecht in der Zahnarztpraxis sowie Praxisgründungen, -übernahmen und -abgaben. Kontakt: sarah.gersch@medizin-recht.com