11 Monate Versorgungsstrukturgesetz
Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz soll die flächendeckende bedarfsgerechte medizinische Versorgung in Deutschland auch künftig sicherstellen. Wichtig für Vertragszahnärzte mit Beteiligung an einem gewerblichen zahntechnischen Labor: Die Aufnahme des Verbots der entgeltlichen Patientenzuweisung ins SGB V.
Der Gesetzgeber übernimmt das berufsrechtliche Verbot der entgeltlichen Patientenzuweisung nunmehr auch in das vertragsarztrechtliche und vertragszahnarztrechtliche Normengefüge (§ 73 Abs. 7 SGB V). Auf den ersten Blick erscheint dies überflüssig, da ein solches Verbot bereits berufsrechtlich weitestgehend normiert ist. Das Berufsrecht indes gilt u. a. nicht für institutionelle Leistungserbringer wie bspw. ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Durch die Aufnahme dieses Verbots in das SGB V bewirkt der Gesetzgeber zugleich die Anwendbarkeit des Zulassungsentziehungstatbestands (§ 95 Abs. 6 SGB V) im Fall eines Verstoßes gegen dieses vertragszahnarztrechtliche Verbot.
Damit erhält die Frage nach der Zulässigkeit der Beteiligung an einem zahntechnischen Labor neue Brisanz. Durch die entsprechende Anwendbarkeit des § 128 Abs. 2 S. 3 SGB V ist klargestellt, dass auch Einkünfte aus Unternehmensbeteiligungen von Leistungserbringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungs- oder Zuweisungsverhalten selbst maßgeblich beeinflussen, Zuweisungen in diesem Sinne darstellen.
Praktische Erfahrungen mit den Neuregelungen liegen bisher noch nicht vor. Insbesondere im ärztlichen Bereich sind allerdings in der jüngeren Vergangenheit „Zuweisungsmodelle“ vermehrt Gegenstand der öffentlichen Diskussion gewesen. Es ist zu erwarten, dass diese Entwicklung auch vor Zahnärzten keinen Halt macht. Immerhin kann als positive Entwicklung festgehalten werden, dass der große Senat des Bundesgerichtshofs in einem Beschluss vom 29.03.2012 (GSSt 2/11) festgehalten hat, dass Kassenärzte weder Amtsträger noch Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen sind und sie sich daher nicht wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr oder Vorteilsnahme strafbar machen, wenn sie Zuweisungsentgelte erhalten.
Vertragszahnärztliche Vergütung
Aus Sicht des Gesetzgebers haben die bis dato geltenden Regelungen keine positiven Auswirkungen auf die Honorarsituation im vertragszahnärztlichen Bereich gehabt. Der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) war zwischen den KZVen und den Krankenkassen gemeinsam und einheitlich zu vereinbaren. Künftig ist der HVM nur noch „im Benehmen“ mit den Krankenkassen festzulegen. Durch diese „Rolle rückwärts“ wird der vor dem 1. Juli 2004 geltende Rechtszustand wiederhergestellt. Dies bedeutet konkret eine Erweiterung des Gestaltungsspielraums der KZVen bei der Honorarverteilung (§ 85 Abs. 4 S. 1 SGB V).
Darüber hinaus wurden auch die Bemessungskriterien für die zu vereinbarende Gesamtvergütung geändert. Während die Höhe der zu verhandelnden Vergütung bislang durch den Grundsatz der Beitragsstabilität begrenzt war, ist dieser Grundsatz nun zwar noch zu berücksichtigen, steht aber gleichwertig neben den ansonsten bei der Höhe der Vergütungsverhandlungen zu berücksichtigenden Faktoren wie etwa der Zahl und Struktur der Versicherten, Morbiditätsentwicklungen sowie Praxiskosten und Versorgungsstruktur (§ 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V i. V. m. § 71 SGB V).
Medizinische Versorgungszentren (MVZ)
Für den vertragszahnärztlichen Leistungserbringer MVZ sieht das GKV-VStG nicht unerhebliche Beschränkungen im Vergleich zur Rechtslage bis zum 31.12.2011 vor.
Gründer und damit Gesellschafter eines MVZ können zukünftig nur noch zugelassene Ärzte/Zahnärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen oder gemeinnützige Träger sein, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
Der Gesetzgeber versucht durch diese Einschränkung der Kommerzialisierung der Medizin entgegenzuwirken. Am 01.01.2012 bereits zugelassene MVZ erhalten allerdings in diesem Zusammenhang umfassenden und unbefristeten Bestandsschutz, auch was eine zukünftige Erweiterung des MVZ angeht. Gleichzeitig schränkt der Gesetzgeber auch die potenzielle Rechtsform eines MVZ auf Personengesellschaften, eingetragene Genossenschaften oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ein. Alt-MVZ erhalten auch insoweit uneingeschränkten Bestandsschutz.
Der berufene ärztliche/zahnärztliche Leiter muss ab dem 01.01.2012 selbst im MVZ als Zahnarzt tätig sein. Faktisch handelt es sich dabei um eine gesetzgeberische Klarstellung, da dies schon vor dem 01.01.2012 weitgehend Praxis der Zulassungsgremien war. Alt-MVZ, die diese Anforderung nicht erfüllen, müssen bis spätestens zum 30.06.2012 Abhilfe schaffen, anderenfalls droht ihnen die Entziehung ihrer Zulassung. Für den vertragszahnärztlichen Bereich sind diese Änderungen von untergeordneter Bedeutung.
Assistententätigkeit Bundeswehrangehörige
Hinsichtlich der Vorbereitungsassistenzzeit wird die auf einer Zahnstation der Bundeswehr abgeleistete Tätigkeit mit der in der Universitätszahnklinik geleisteten Tätigkeit gleichgestellt. Grundsätzlich mussten und müssen sechs Monate der zweijährigen Vorbereitungsassistenzzeit bei einem niedergelassenen Vertragszahnarzt absolviert werden. Bis zu drei Monate konnten durch eine Tätigkeit an einer Universitätszahnklinik kompensiert werden. Um Zahnärzten der Bundeswehr die Niederlassung als Vertragszahnärzte nach Beendigung ihrer Dienstzeit zu erleichtern, sind die auf den Zahnstationen abgeleisteten Tätigkeiten nunmehr mit denen an Universitätszahnkliniken gleichgestellt (§ 3 Abs. 3 Satz 3 Zahnärzte-ZV).
Nebentätigkeiten eines Vertragszahnarztes
Nach bisheriger Rechtslage können vertragszahnärztliche Leistungserbringer mit einem Vollversorgungsauftrag einer Nebentätigkeit mit max. 13 Wochenstunden, mit einem halben Versorgungsauftrag einer Nebentätigkeit mit max. 26 Wochenstunden nachgehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen diese starren zeitlichen Restriktionen, die auf die Rechtsprechung des BSG zurückgehen, zukünftig nicht mehr zur Anwendung kommen. Die Ausübung einer Nebentätigkeit und deren zulässiger Umfang wird in § 20 Abs. 1 Satz 1 Zahnärzte-ZV nicht mehr allein an der zeitlichen Dauer der Nebentätigkeit, sondern insbesondere an der zeitlichen Lage der Nebentätigkeit ausgerichtet. Eine Nebentätigkeit ist hiernach zulässig, wenn der vertragszahnärztliche Leistungserbringer Sprechstunden zu den für die vertragszahnärztliche Versorgung üblichen Zeiten anbietet und die Nebentätigkeit außerhalb dieser Zeiten ausübt; die Nebentätigkeit kann dann auch über 13 bzw. 26 Wochenstunden hinausgehen. Auch wenn der Gesetzestext eine gewisse Präzision vermissen lässt, ist die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang sehr eindeutig – die starren zeitlichen Restriktionen nach der Rechtsprechung des BSG sollen aufgebrochen werden.
In der Praxis hat die Neuregelung dazu geführt, dass der Umfang von Nebentätigkeiten nicht mehr so streng abgefragt wird. Nimmt ein Zahnarzt in ausreichendem Umfang an der Versorgung gesetzlich Versicherter teil, kommt es im Ergebnis nicht mehr auf den Umfang der Nebentätigkeit an.
Gesundheitsprüfung
Hat der Zulassungsausschuss gewichtige Zweifel an der Gesundheit eines Zahnarztes, kann er eine ärztliche Begutachtung des Gesundheitszustands des Zahnarztes auf dessen Kosten durch einen vom Zulassungsausschuss benannten Sachverständigen verlangen. Der Zulassungsausschuss hat eine Frist zur Vorlage des Gutachtens zu bestimmen und muss konkretisieren, mit welchen Fragen zum Gesundheitszustand sich der Gutachter befassen soll.
Residenzpflicht entfällt
Die Residenzpflicht, die Vertragszahnärzte bislang dazu anhielt, in räumlicher Nähe zur Praxis zu wohnen, entfällt ersatzlos (Streichung § 24 Abs. 2 S. 2 Zahnärzte-Zulassungsverordnung a. F.).
Zweigpraxis
Die Voraussetzungen zur Genehmigung einer Zweigpraxis werden weiter entschärft. Soweit eine Zweigpraxis dazu führt, dass die Versorgung der Versicherten am Hauptstandort nur geringfügig beeinträchtigt wird, darf diese geringfügige Beeinträchtigung nicht mehr automatisch zur Verweigerung der Genehmigung führen, sondern kann die Ablehnung der Genehmigung nur noch tragen, wenn die Beeinträchtigung durch die Versorgungsverbesserung am Standort der Zweigpraxis nicht aufgewogen wird. Es kann auch nicht mehr verlangt werden, dass in der Zweigpraxis nur solche Leistungen angeboten werden, die auch am Hauptstandort zum Leistungsangebot gehören.
Die eigentliche Problematik bei der Gründung von Zweigpraxen besteht regelmäßig nicht in der Beeinträchtigung der Versorgung am Vertragszahnarztsitz. Meist scheitert die Genehmigung daran, dass die zuständige KZV eine Versorgungsverbesserung am Ort der Zweigpraxis ablehnt. Die Neuregelung hat daher bisher nur wenige neue Zweigpraxen entstehen lassen. Das BSG hat jedoch durch Urteil vom 09.05.2012 (B 6 KA 43/11) bereits unter Berücksichtigung der neuen Regelung entschieden und klargestellt, dass eine Entfernung von mehr als 130 km zwischen Vertragsarztsitz und Zweigpraxis der Genehmigung nicht zwingend entgegensteht.
Vertretung/Kindererziehung
Die Vertretungsregelungen werden familienfreundlicher gestaltet. So kann sich eine Vertragszahnärztin in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer Entbindung bis zu zwölf Monate (bisher nur sechs Monate) vertreten lassen. Eine Vertretung oder Assistentenbeschäftigung ist zum Zwecke der Kindererziehung sogar bis zu 36 Monate, die nicht zusammenhängend in Anspruch genommen werden müssen, zulässig. Ist ein Angehöriger zu pflegen, ist eine Vertretung oder Assistentenbeschäftigung bis zu sechs Monaten gestattet.[]
Verbot der Zuweisung gegen Entgeld
Bereits vor Inkrafttreten des Versorgungsstrukturgesetzes und der Neuregelung in § 73 Abs. 7 SGB V galt das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt. Dieses bis dato nur berufsrechtlich verankerte Verbot hatte auch Auswirkungen auf Kooperationen zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern.
Beispielsweise hat der BGH (Urt. v. 23.02.2012, I ZR 231/10) einem Urteil folgenden Leitsatz vorangestellt:
Es stellt eine unangemessene unsachliche Einflussnahme auf die zahnärztliche Diagnose- und Therapiefreiheit dar, wenn sich Zahnärzte vertraglich verpflichten, ein von einer GmbH betriebenes Dentallabor mit sämtlichen bei der Behandlung ihrer Patienten anfallenden Dentallaborleistungen zu beauftragen, und die Zahnärzte durch eine gesellschaftsrechtliche Konstruktion am Gewinn dieser GmbH partizipieren können.
Der konkrete Fall
Die Beklagten sind in Praxisgemeinschaft als Zahnärzte niedergelassen. Die Klägerin betreibt ein Dentallabor in der Rechtsform einer GmbH. Sie macht Ansprüche aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Kooperationsvertrag geltend. Gesellschafterin der GmbH war u. a. eine weitere GmbH, deren Alleingesellschafter eine von den beklagten Zahnärzten gegründete AG war. Zwischen der weiteren GmbH und dem Dentallabor waren Gewinnbezugsrechte vereinbart. Die Zahnärzte verpflichteten sich gegenüber dem Dentallabor, alle anfallenden Leistungen dort in Auftrag zu geben. Als Vertragszweck wurden die Sicherstellung einer fristgerechten und kontinuierlichen Belieferung mit Dentallaborprodukten in gleichbleibend hoher Qualität sowie die kontinuierliche Fortentwicklung der für die zahnmedizinische Behandlung der Beklagten notwendigen Dentallaborprodukte genannt.
Begründung
Der BGH hielt den Kooperationsvertrag für nichtig, da die Zahnärzte gegen das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt verstießen (§ 1 Abs. 1 BO ZÄ Nordrhein a. F.; § 8 Abs. 5 MBOZ). Zwar sah der Kooperationsvertrag keine Gegenleistung für Auftragserteilung vor. Durch die gesellschaftsrechtliche Organisation waren die Zahnärzte über die weitere GmbH an dem Gewinn des Dentallabors beteiligt. Der BGH ließ diesen mittelbaren Vorteil aus der Zuweisung als „Entgelt“ ausreichen.
Nun Verbot der Zuweisung auch in § 73 Abs. 7 SGB V
Nunmehr findet sich das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt nicht nur in der MBOZ, es ist in § 73 Abs. 7 SGB V normiert. Aufgrund zahlreicher Umgehungsversuche gesellschaftsrechtlicher Art hat der Gesetzgeber in § 128 Abs. 2 S. 3 SGB V, der entsprechend auf das Verhalten von Zahnärzten angewendet wird, zudem klargestellt, dass bereits die Beteiligung an Gewinnen von Unternehmen, die Zahnärzte durch Zuweisungsverhalten beeinflussen, unstatthaft ist.
Rechtsanwalt Jens-Peter Jahn ist Fachanwalt für Medizinrecht in der Kanzlei Dr. Halbe in Köln. Tätigkeitsschwerpunkte: Zahnarztrecht, insbesondere im Zusammenhang mit Praxisgründungen, -abgaben oder -übernahmen sowie der Gründung oder Umstrukturierung von Kooperationen wie Berufsausübungsgemeinschaften.
Kontakt: jens-peter.jahn@medizin-recht.com