Besonderheiten des Ausbildungsvertrags
Im August eines jeden Jahres starten zahlreiche junge Menschen in einen neuen Lebensabschnitt: Ihre berufliche Ausbildung. Neben unzähligen Erwartungen gehen damit auch Rechte und Pflichten einher – und das sowohl für die Auszubildenden selbst als auch deren Ausbildende. Dr. Nicolai Culik, Fachanwalt für Arbeitsrecht, und Ass. jur. Markus Fröchte, beide bei KWM LAW Münster, liefern einen Überblick über diese Rechte und Pflichten und stellen die Grundzüge der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen dar.

Das auf dem Abschluss eines Ausbildungsvertrages beruhende Ausbildungsverhältnis ist sowohl zeitlich als auch inhaltlich von dem auf dem Abschluss eines Arbeitsvertrages beruhenden Arbeitsverhältnis abzugrenzen. In zeitlicher Hinsicht kann sich ein Arbeitsverhältnis an ein Ausbildungsverhältnis anschließen – und erfreulicherweise zeigt eine Übernahmequote von etwa 77 Prozent im Jahr 2023, dass diese Möglichkeit den Regelfall darstellt.
In inhaltlicher Hinsicht sind auf den Ausbildungsvertrag zwar die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden – dies allerdings verbunden mit der Einschränkung, dass sich aus dem Wesen und dem Zweck des Ausbildungsvertrages sowie dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) als wesentliche rechtliche Grundlage eines jeden Ausbildungsverhältnisses nichts anderes ergibt. Aus dieser Einschränkung wird aufgrund des Zwecks der Ausbildung und der sich aus dem BBiG ergebenden wechselseitigen Rechte und Pflichten der Grundsatz, dass Ausbildungsverträge nicht allgemein mit Arbeitsverträgen vergleichbar sind, sondern vielmehr einige Besonderheiten für das darauf beruhende Ausbildungsverhältnis mit sich bringen.
Vertragspflichten des Azubis und Ausbilders
Im Gegensatz zu einem Arbeitsverhältnis geht es in einem Ausbildungsverhältnis nicht um die untrennbar miteinander verknüpften Pflichten zur Erbringung der Arbeitsleistung auf der einen und der Zahlung einer Vergütung auf der anderen Seite. Vielmehr besteht die wesentliche Pflicht des Auszubildenden darin, aktiv an der eigenen Ausbildung mitzuwirken und sich stets zu bemühen, das Ausbildungsziel zu erreichen (sog. Lernpflicht).
Spiegelbildlich dazu ist der Ausbildende im Wesentlichen dazu verpflichtet, dem Auszubildenden nach den zunächst umständlich erscheinenden Worten des BBiG die berufliche Handlungsfähigkeit zu vermitteln, die zum Erreichen des Ausbildungszieles erforderlich ist und ihm so den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrung zu ermöglichen, einfacher ausgedrückt:
Der Auszubildende ist auf einen bestimmten Beruf vorzubereiten.
Demgegenüber tritt die Pflicht zur Zahlung einer Ausbildungsvergütung, jedenfalls aus rechtlicher Sicht und aus der Perspektive des Ausbildenden, in den Hintergrund.
Lernpflicht: Die allgemeine Lernpflicht konkretisierend hat der Auszubildende insbesondere die Pflicht, die ihm im Rahmen der Berufsausbildung aufgetragenen Aufgaben sorgfältig auszuführen und die Berufsschule zu besuchen.
Ausbildungspflicht: Wiederum spiegelbildlich dazu haben Ausbildende den Auszubildenden bei persönlicher und fachlicher Eignung grundsätzlich selbst (auch charakterlich) auszubilden bzw. ausnahmsweise einen entsprechend geeigneten Ausbilder zu beauftragen, die nötigen Ausbildungsmittel kostenfrei zur Verfügung zu stellen und ihre Auszubildenden für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freizustellen.
Duale Ausbildung, Schule und Praxis
Die damit einhergehende duale Organisation der Ausbildung – also in praktischer Hinsicht in dem Ausbildungsbetrieb und in theoretischer Hinsicht in der Berufsschule – soll den Erwerb der Kenntnisse und Fähigkeiten des Auszubildenden in einer Weise fördern, die es ihm ermöglicht, die in der jeweiligen Berufsausbildung zugrunde liegenden Ausbildungsordnung genannten Ausbildungsziele tatsächlich zu erreichen. Die insofern noch allgemein gehaltenen Ziele werden durch den der jeweiligen Ausbildungsordnung angehängten Ausbildungsrahmenplan konkretisiert.
Pflichten des Ausbildenden: Es müssen die vielfältigen Ziele in einen nochmals kleinteiligeren Ausbildungsplan gegossen werden. Dabei können sie sich an entsprechenden Mustern orientieren, die auf den Internetseiten der jeweils zuständigen Kammer (für Medizinische Fachangestellte also etwa bei der Ärztekammer) zu finden sind.
Diese Verpflichtung mag zwar auch einem Selbstzweck dienen: Es ist dem Ausbildenden aufgrund eines detaillierten Ausbildungsplans eher möglich, die zu erreichenden Ziele besser zu überblicken, dadurch Motivation für sich und den Auszubildenden zu schaffen und so letztlich die ohnehin schon hohe Übernahmequote nochmals zu erhöhen.
In erster Linie geht es im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses aber um den Auszubildenden. Das zeigen auch die gesetzlichen Grundlagen:
So werden etwa allgemein zuungunsten des Auszubildenden von den Vorschriften des BBiG zur Berufsbildung abweichende Regelungen für unvereinbar erklärt sowie konkret Kündigungsmöglichkeiten des Ausbildenden eingeschränkt (s. u.).
Außerdem werden bestimmte Klauseln ausgeschlossen, z. B. die Verpflichtung des Auszubildenden, für die Berufsausbildung eine Entschädigung zu bezahlen, Vertragsstrafen, der Ausschluss oder die Beschränkung von Schadensersatzansprüchen oder die Festsetzung einer pauschalen Schadensersatzhöhe.
Schutzstellung des Auszubildenden
Die besondere Schutzstellung von Auszubildenden wird schon durch diese allgemeinen Regelungen vorgezeichnet. Noch weitere, deutlich schärfere Konturen erfährt sie durch rechtliche Besonderheiten, die sich vom Abschluss des Vertrages über dessen Durchführung bis hin zu dessen Beendigung zeigen.
Einwilligung der gesetzlichen Vertreter bei Minderjährigen: So wird schon der Vertragsschluss zwischen Ausbildendem und Auszubildendem regelmäßig der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter der Auszubildenden bedürfen, dürfte es sich bei diesen doch häufig noch um Minderjährige handeln. Im Regelfall liegt es dann also an den die elterliche Sorge innehabenden Eltern(teilen), die Wirksamkeit des Ausbildungsvertrages durch vorherige Einwilligung oder nachträgliche Genehmigung herbeizuführen.
Mittelbares Textformerfordernis für Ausbildungsvertrag: Die Wirksamkeit des Ausbildungsvertrages hängt allerdings nicht von der Einhaltung einer etwaigen Form ab. Ein Ausbildungsvertrag kann genau wie ein Arbeitsvertrag auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Mittelbar unterliegt er aber der Textform – daran knüpfen auch die seit Anfang des Jahres geltenden Formerleichterungen durch das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) an.
Der Ausbildende hat unverzüglich nach Abschluss des Berufsausbildungsvertrages, spätestens aber vor Beginn der Ausbildung, den wesentlichen Inhalt des Vertrages in Textform abzufassen und dem Auszubildenden und dessen gesetzlichen Vertretern auszuhändigen bzw. speicherbar zu übermitteln.
Zu diesem wesentlichen Inhalt gehören unter anderen das Ziel der Berufsausbildung, ihre sachliche und zeitliche Gliederung, ihr Beginn und ihre Dauer, die Dauer der täglichen Ausbildungszeit und die Voraussetzungen der Kündigung.
Den vollständigen Mindestinhalt zeigen entsprechende Ausbildungsvertragsmuster der jeweils zuständigen Kammer auf, die im Internet zu finden sind und dem Ausbildenden als Orientierung dienen können. Zudem hat der Ausbildende unverzüglich nach Abschluss des Ausbildungsvertrages die Eintragung des Vertrages in das bei der jeweiligen Kammer geführte Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse zu beantragen.
Pflichten und Rechte während des Ausbildungsvertrags
Auch bei der Durchführung des Vertrages sind einige Besonderheiten zu beachten:
So dürfen Auszubildenden etwa nur Aufgaben übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und ihren körperlichen Kräften angemessen sind.
In konsequenter Heranführung an das jeweilige Ausbildungsziel trifft den Auszubildenden eine Nachweispflicht: In einem schriftlich oder elektronisch geführten Ausbildungsnachweis (Muster und Ausfüllhinweise finden sich wiederum auf den Internetseiten der jeweils zuständigen Kammer) dokumentiert er das Erreichen der zuvor vom Ausbildenden ausgearbeiteten Zwischenziele.
Spiegelbildlich dazu hat der Ausbildende den Auszubildenden zum ordnungsgemäßen Führen des Ausbildungsnachweises anzuhalten und die Eintragungen regelmäßig durchzusehen.
So sollen sowohl Lernfortschritte als auch Lerndefizite erkannt werden, was einerseits die Motivation aller Beteiligten erhöhen und andererseits eine effiziente Unterstützung des Auszubildenden ermöglichen soll. Durch diese zielorientierten Verpflichtungen soll der Auszubildende in die Lage versetzt werden, im Rahmen der Abschlussprüfung nachzuweisen, dass er die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse erlernt hat und auch abrufen kann.
Kündigung eines Ausbildungsvertrags
Abschließend wird auch bei Beendigung des Vertrages die besondere Schutzstellung Auszubildender deutlich. Hinsichtlich der Möglichkeiten einer vorzeitigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses muss differenziert werden:
Das Ausbildungsverhältnis kann nur während der verkürzten (mindestens ein- bis maximal viermonatigen) Probezeit von beiden Seiten ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden.
Nach Ablauf der Probezeit sind die Kündigungsmöglichkeiten des Ausbildenden beschränkt:
Ausbildenden bleibt allein eine außerordentliche Kündigung des Auszubildenden, die einen wichtigen Grund voraussetzt, an den wiederum wegen der schwerwiegenden Konsequenzen für den Auszubildenden strengere Maßstäbe als bei der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers gestellt werden.
Demgegenüber ist es dem Auszubildenden auch nach der Probezeit möglich, ordentlich mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen zu kündigen, wenn er die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen möchte.
Kündigung nur unter Angabe von Gründen möglich: An beide Vertragspartner richtet sich wiederum die qualifizierte Schriftformklausel – in den Fällen der Kündigung nach Ablauf der Probezeit muss diese nämlich nicht nur schriftlich, sondern auch unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Dies dient nicht nur dem Nachweis des tatsächlichen Vorliegens der Kündigungsgründe, sondern auch ihrer Reflexion und damit dem Schutz des Auszubildenden vor voreiliger Kündigung – wohlgemerkt sowohl durch ihn als auch durch den Ausbildenden.
Schlichtungsverfahren: Kommt es zu Streitigkeiten anlässlich der vorzeitigen Beendigung eines Ausbildungsvertrages, ist vor der Anrufung der dann zuständigen Arbeitsgerichte im Rahmen einer Kündigungsschutzklage ein verpflichtendes Schlichtungsverfahren vor einem Ausschuss der jeweiligen Kammer (also etwa einem Ausschuss der Ärztekammer) durchzuführen.
Das Zeugnis muss sein
Unabhängig von Grund und Zeitpunkt der Beendigung des Vertrages – also planmäßig durch Abschluss der Ausbildung oder vorzeitigem Bestehen der Abschlussprüfung oder bereits vorher durch Kündigung – hat der Ausbildende dem Auszubildenden ein schriftliches Zeugnis auszustellen, das mindestens Angaben über
Art, Dauer und Ziel der Berufsausbildung sowie über die erworbenen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten des Auszubildenden (einfaches Zeugnis) enthält.
Verlangt der Auszubildende auch Angaben über sein Verhalten und seine Leistung, sind auch diese aufzunehmen (qualifiziertes Zeugnis).
Fazit
Insgesamt gibt es also zahlreiche besondere Regelungen im Ausbildungsverhältnis. Halten aber sowohl Ausbildender als auch Auszubildender die rechtlichen Leitplanken im Blick, ergeben sich aus dem Ausbildungsverhältnis vor allem Chancen
für den Auszubildenden, bestmöglich auf den sich unmittelbar anschließenden Beruf vorbereitet zu werden und charakterlich zu wachsen und
für den Ausbildenden, durch sinnstiftende, zielgerichtete und motivierende Tätigkeiten im Rahmen der Ausbildung in Zeiten des Fachkräftemangels junge Berufskräfte für sich zu gewinnen.
Dr. Nicolai Culik
ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und berät Zahnärzte in allen Belangen des Arbeitsrechts. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Bereich Datenschutz und IT-Recht. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen.
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Markus Fröchte
ist Rechtsassessor und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei KWM LAW in Münster. Er hat Rechtswissenschaften an den Universitäten Bochum und Münster studiert.
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