Abrechnungstipp

Wie viele Wurzelkanäle darf ein Zahn haben?

Die Erstattung einer endodontischen Behandlung beschränkt sich meist auf die „üblicherweise vorhandenen“ Wurzelkanäle, auch wenn deren Anzahl in der Realität oft höher ausfällt. Wie aber kann der entstandene Mehraufwand bei individuellen anatomischen Besonderheiten in die spätere Rechnung einfließen?


Wurzelkanäle

© DG Endo


Die Leistung nach Ziffer 2410 GOZ ist einmal je Kanal berechnungsfähig, wir haben deshalb die dreimalige Berechnung dieser Leistung an Zahn 26 in der Erstattung nicht berücksichtigen können“ – so oder so ähnlich lesen sich zunehmend Erstattungsbescheide von Versicherern und Kostenerstattern. Insbesondere Praxen, in denen schwerpunktmäßig endodontisch und meist ausschließlich mit Unterstützung des OP-Mikroskops gearbeitet wird, kommt diese Aussage gegebenenfalls sattsam bekannt vor.

Für den Patienten heißt das zunächst im Klartext: Die Erstattung einer endodontischen Behandlung wird eingeschränkt auf die am Zahn 26 „üblicherweise vorhandenen“ drei Wurzelkanäle, und auch wenn diese Zahl von der tatsächlich anatomisch vorhandenen abweicht, ist das für den Versicherer unerheblich. Wenn der Patient „Glück“ hat, räumt der Versicherer die Möglichkeit einer Nachprüfung ein, mit Einreichung entsprechender Behandlungsunterlagen, die das Vorhandensein der zusätzlichen Wurzelkanäle belegen sollen, allerdings ohne Garantie, dass dann eine entsprechende Nacherstattung erfolgt.

Aus zahnmedizinischer Sicht erscheint diese Vorgehensweise abwegig und unverständlich. In der Fachliteratur (unter anderem Görduysus M. O., Görduysus M., Friedmann S. Operating microscope improves negotiation of second mesiobuccal canals in maxillary molars. J Endod 27: 638–6 (2001)) wird seit Jahrzehnten die höchst individuelle Anzahl von Wurzelkanälen in einzelnen Zähnen oder Zahngruppen beschrieben.

So erscheint selbst dem zahnmedizinischen Laien folgende Aussage als logisch: „Beim Aufsuchen zusätzlicher Kanäle sind Lupe oder Mikroskop sicherlich unentbehrlich und so steigt die Zahl von Frontzähnen, bei denen statt eines Wurzelkanals zwei gefunden werden (laut Statistik 20 bis 25 Prozent). Bei Prämolaren sind es nicht nur die oberen 4er, die zwei Kanäle aufweisen, sondern auch obere 5er oder Unterkieferprämolaren. Selbst Prämolaren mit drei Wurzelkanälen sind sowohl im Ober- als auch Unterkiefer anzutreffen. Bei Molaren des Oberkiefers muss man sowohl bei 6er als auch 7er davon ausgehen, dass stets vier Kanäle (mb1, mb2, db und pal) vorliegen. Wohl wissend, dass so mancher vierte Kanal in 50 Prozent der Fälle erst nach Abtragen von mehreren Millimeter Dentins zu erschließen ist (Görduysus et al. 2001) …“

Spielfeld für Sparpolitik?

Für die privaten Krankenversicherer hingegen erschließt sich dieser Bereich der Zahnmedizin eher als lohnendes Spielfeld für eine neue Form der Sparpolitik. Dabei hat die Zahnarztpraxis es eigentlich selbst in der Hand, eine solche „Attraktivität“ für Mindererstattungen ganz schnell in brotlose Kunst zu wandeln, angefangen bei sorgfältigster Dokumentation des Behandlungsverlaufs.

Häufig wird schon mit Einleitung einer endodontischen Behandlung klar, ob im konkreten Einzelfall die „übliche“ Anzahl an Wurzelkanälen am betreffenden Zahn aufbereitet (und später wurzelgefüllt) wird oder zusätzliche Kanäle gefunden und endodontisch versorgt werden können. Sei es durch speziell ausgerichtete Röntgenaufnahmen oder durch ein intraorales Foto mit Darstellung der entsprechenden Kanaleingänge (zum Beispiel mithilfe des Operationsmikroskops mit zusätzlicher Kameraausstattung), es kann schon sehr detailliert die jeweilige Anzahl an therapierbaren Wurzelkanälen in der Patientenakte fixiert werden, ebenso wie individuelle Behandlungsdaten wie Arbeitslängen, Durchmessergrößen bei der Kanalaufbereitung etc.

In die Rechnung einfließen lassen

Gleichzeitig können in der späteren Rechnung gegebenenfalls vorhandene anatomische Besonderheiten dargestellt werden. Ein erhöhter Zeitaufwand mit Hinweis auf Projektion eines zusätzlichen Kanals zum Beispiel mithilfe der Einstellung einer speziellen Röntgentechnik kann etwa in der Wahl des Steigerungsfaktors seinen Ausdruck finden. Auch sollte der Rechnung zu entnehmen sein, ob gegebenenfalls vier Kanäle an einem Molaren in einer Sitzung simultan aufbereitet werden konnten oder ein zusätzlicher Kanal in gesonderter Sitzung erst gefunden und behandelt wurde. Dann genügt schon ein kurzer Hinweistext zur betreffenden zahnärztlichen Leistung.

Bei der Anfertigung intraoraler diagnostischer Fotos handelt es sich allerdings um eine Leistung, die nicht im Gebührenverzeichnis von GOZ und GOÄ aufgeführt ist und mittels Entsprechungsberechnung gemäß § 6 Abs. 1 GOZ dargestellt wird. Gleiches gilt für fortlaufende Bildaufnahmen (Bildsequenzen) oder Videoaufzeichnung von Bewegungen, beispielsweise während der Kanalaufbereitung.

Ohne Frage muss ein Versicherer im Einzelfall prüfen können, ob die an ihn gerichteten Erstattungsansprüche eines Versicherten berechtigt sind. Es gilt jedoch zu bedenken, dass Versicherungen zwar die an sie gerichteten Erstattungsansprüche, nicht jedoch selbst die Notwendigkeit einer Heilbehandlung beurteilen können. Denn sind die erbrachten endodontischen Leistungen auf der Rechnung ohne Hinweis auf eine Verlangensleistung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ ausgewiesen, ist deren medizinische Notwendigkeit bereits gemäß Rechnungsdarstellung indirekt „bescheinigt“.

Das Auskunftsrecht des Versicherers besteht dabei ausschließlich gegenüber dem Versicherten (nicht dem Behandler) und räumt dem Versicherer nur ein Auskunftsrecht im Sinne eines Fragerechts ein (OLG Hamm, Beschluss v. 04.09.1990, Az.: 20 W 35/90). Hegt ein Versicherer dennoch Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit und möchte daher nähere Informationen haben, muss er eine einzelfallorientierte Begründung dafür angeben.

Zeitnahe Übersendung

Unbestritten ist jedoch auch, dass der Versicherte bei gerechtfertigter Leistungsprüfung mitwirken muss. Insoweit empfiehlt sich für den Behandler, gegebenenfalls nach Einholung des Einverständnisses des Patienten sowie nach Abklärung der Erstattung, eine zeitnahe Übersendung der Behandlungsunterlagen. Dabei ist es sinnvoll, diese Unterlagen direkt an den Patienten zu schicken, allein schon, um das Vertrauensverhältnis mit dem Patienten zu stärken. So hat der Patient die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er Unterlagen an seine Versicherung weiterleitet. Nach derzeit geltender Rechtsprechung hat der Patient ein Recht auf Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen und/oder auf Übersendung von Kopien derselben (keine Originaldateien). Allerdings besteht kein Anspruch auf Zusendung der Behandlungsunterlagen, ohne die entstandenen Kosten für die Anfertigung von Kopien zu ersetzen (OLG Frankfurt – Beschluss vom 09.05.2011 – Az. 8 W 20/11).

Und genau diese Kosten sind dann nicht mehr Gegenstand von zahnärztlicher (GOZ) oder ärztlicher (GOÄ) Gebührenordnung, sondern vielmehr in den §§ 612 und 670 BGB geregelt und werden je nach Aufwand in Ansatz gebracht.

Steffi Scholl
ist Abrechnungsspezialistin und arbeitet seit 2011 bei der ZA Zahnärztlichen Abrechnungsgesellschaft AG in Düsseldorf in der GOZ-Fachabteilung.
sscholl@zaag.de