Implantat: Wenn die private Krankenversicherung nicht zahlt
Der Begriff der medizinischen Notwendigkeit ist und bleibt Dreh- und Angelpunkt vieler Streitigkeiten zwischen Zahnärzten, Patienten und der PKV. Der kräftige Tritt privater Krankenversicherer auf die Kostenbremse führt immer häufiger zu einem direkten Eingriff in die zahnärztliche Therapiefreiheit.
Implantologische Leistungen sind immer Privatleistungen und nach der GOZ zu berechnen. Im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung wurden Implantatversorgungen nicht in den BEMA aufgenommen, da Leistungen der GKV immer in Verbindung mit § 12 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) zu sehen sind. Nur in Fällen, in denen eine Fixierung prothetischer Versorgungen ohne Implantate nicht möglich ist, kommt § 28 SGB V zum Tragen – im Rahmen einer sogenannten „Ausnahmeindikation“ übernimmt die GKV die Kosten für die Implantation.
In der GKV gilt das Solidaritätsprinzip: Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist notwendig, um eine Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Anders jedoch sieht es in der privaten Krankenversicherung aus. Da gilt das Äquivalenzprinzip, d. h., die Beiträge orientieren sich am zu versichernden Risiko (hohes Risiko = hohe Prämie). Versichert ist immer die medizinisch notwendige Heilbehandlung – die Erstattungshöhe richtet sich jeweils nach dem abgeschlossenen Tarif. Schon zur GOZ 1988 hat der Verordnungsgeber in seiner amtlichen Begründung aufgeführt: „Es bleibt dem fachlichen Ermessen des Zahnarztes in Absprache mit dem Patienten überlassen, für welche der möglichen Alternativen er sich entscheidet, um die notwendige Versorgung vorzunehmen…. Die Vorschriften des § 1 Abs. 2 GOZ umfassen deshalb auch anspruchsvollere Versorgungen, sofern diese geeignet sind, eine dauerhafte und effiziente Versorgung zu gewährleisten.“
Implantatkosten: Medizinische Notwendigkeit ist Dreh- und Angelpunkt
Dennoch bleibt der Begriff der medizinischen Notwendigkeit Dreh- und Angelpunkt vieler Streitigkeiten zwischen Zahnärzten, Patienten und der PKV. Der kräftige Tritt vieler privater Krankenversicherer auf die Kostenbremse führt immer öfter zu einem direkten Eingriff in die (zahn-)ärztliche Therapiefreiheit: Über den Begriff der medizinischen Notwendigkeit versuchen die privaten Krankenversicherer, zahnärztliche Therapieentscheidungen durch preisgünstigere Behandlungsmethoden zu ersetzen. Es gibt wohl kaum einen Zahnarzt, der diese Erfahrung noch nicht gemacht hat. Was vielen jedoch nicht bewusst ist: Die zur Streitklärung in medizinischen Bereichen angerufenen Gerichte halten die (zahn-)ärztliche Therapiefreiheit und das ungestörte Arzt-Patienten-Verhältnis für schützenswerte Güter.
Die Rechtsprechung definiert den Begriff der medizinischen Notwendigkeit weit: Entscheidend ist, ob es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung vertretbar war, die Behandlung als notwendig anzusehen.
Äußert die PKV Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit einer geplanten oder durchgeführten Behandlung, müssen diese Zweifel sich auf einzelne Leistungspositionen beziehen und im Einzelnen dargelegt werden. Ein pauschales Anzweifeln bzw. keine Angabe von Gründen, worauf sich die Zweifel stützen, ist unzulässig.
Der konkrete Fall
Der im Folgenden vorgestellte Fall kann als exemplarisch für die Probleme mit privaten Kostenerstattern angesehen werden:
Die fehlenden Zähne 16 und 15 sollen durch Implantate ersetzt werden. Der Patient erhält einen Heil- und Kostenplan und legt diesen seiner Versicherung zur Kostenübernahmeerklärung vor.
Die PKV lehnt die vollständige Kostenübernahme für die Implantate ab. Behauptung der PKV: „Für eine Implantatsetzung Regio 15 sehen wir keine medizinische Notwendigkeit, da unseres Erachtens eine Brückenversorgung von Zahn 14 auf ein Implantat 16 möglich ist.“ Diese Aussage trifft ganz offensichtlich der Sachbearbeiter der PKV, denn in der gesamten Korrespondenz zeigt sich kein Hinweis darauf, dass ein beratender Zahnarzt hinzugezogen wurde.
Fakt aber ist: Die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit ist ausschließlich approbierten Personen vorbehalten; Aussagen von Sachbearbeitern zur medizinischen Notwendigkeit stellen eine unerlaubte Ausübung der Zahnheilkunde dar.
Grundsätzlich gilt: Fehlende Zähne sind als Krankheit anzusehen, deren Ersatz ist medizinisch notwendig. Die Versicherung ist zur Leistung verpflichtet, solange sich aus dem abgeschlossenen Tarif keine Einschränkung ergibt. Der BGH führt dazu aus: „Wenn der Versicherer jedoch seine Leistungspflicht einschränken will, so ist er selbst darlegungs- und beweispflichtig“ (IV ZR 151/90, 25.09.1991). Diese Auffassung wird auch in späteren Entscheidungen wiederholt. Ein solcher Beweis ist durch die PKV nur schwer zu erbringen. Allein durch das Hinzuziehen eines beratenden Zahnarztes ist kein Beweis erbracht, denn dessen Stellungnahme kann kaum als neutral, objektiv und unabhängig angesehen werden. Über diese Eigenschaften verfügt ein Gutachter, der durch die Zahnärztekammer oder ein Gericht benannt wird. Die Rechtsprechung ist bezüglich der „medizinischen Notwendigkeit“ sehr eindeutig. Danach gilt eine Behandlung dann als „medizinisch notwendig“, (…) „wenn es nach den damaligen objektiven medizinischen Befunden vertretbar war, sie als notwendig anzusehen“ (…) (vgl. BGH, 29.11.1978, Az. IV ZR 175/77). Das bedeutet, dass eine Behandlung, die der Zahnarzt durchführt, geeignet sein muss, die Erkrankung zu lindern oder zu heilen. Implantatversorgungen sind nach heutigem Stand der Wissenschaft längst keine Luxusversorgungen mehr, sondern als „State oft the Art“ zu bezeichnen (LG Stuttgart, 07.11.2005, Az. 22 O 210/02).
Urteil des LG Stuttgart
Ebenfalls das LG Stuttgart (15.07.2002, Az. 27 O 304/01) führt in dieser Thematik aus, die Versicherung müsse entweder die implantologischen Leistungen aus ihrem Leistungskatalog streichen oder nur besonderen Tarifen vorbehalten oder sie müsse es grundsätzlich akzeptieren, dass auch die Zahnmedizin sich fortentwickelt und neue Methoden sich durchsetzen.
Durch den BGH wurde höchstrichterlich präzisiert: „Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Gibt es indessen mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben, besteht mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten, dann muss diesem durch entsprechende vollständige ärztliche Belehrung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will.“ (22.09.1987 – VI ZR 238/86)
In Streitfällen bezüglich der Notwendigkeit zahnärztlicher Leistungen oder der Berechnungsfähigkeit bestimmter Gebühren bittet uns der Patient regelmäßig um Unterstützung. Diese soll ihm auch gern gewährt werden, allerdings vermeiden wir den direkten Kontakt mit den Kostenerstattern, nicht zuletzt auch um deutlich zu machen, dass Probleme mit der Kostenübernahme immer Probleme im Verhältnis des Versicherten mit seiner Versicherung sind und er zwar mit Unterstützung, aber nicht mit einer Lösung seiner Probleme durch den Zahnarzt rechnen darf.
Im oben beschriebenen Fall ging folgendes Schreiben an den Patienten, das er – mit eigenem Briefkopf versehen – an seine PKV schicken konnte:
Implantat: Brief eines Patienten an die Krankenversicherung
Sehr geehrte Damen und Herren,
nach vollständiger Diagnostik hat mein Zahnarzt … meine weitere Behandlung geplant. Er hat einen Therapieplan erstellt, der Ihnen bereits vorliegt. Unter anderem sind in der Region 15 und 16 Implantatsetzungen vorgesehen.
Mit Schreiben vom … teilen Sie mir nun mit, dass Sie sich an den Kosten für die Implantatsetzung in regio 15 nicht beteiligen wollen. Sie behaupten, die geplanten Implantate seien nicht notwendig.
Wichtige Information: Die Bestimmung der medizinischen Notwendigkeit ist eine ärztliche/zahnärztliche Leistung. Nach § 1 Abs. 3 des Zahnheilkundegesetzes ist die Ausübung der Zahnheilkunde die berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Darüber hinaus betont § 1 Abs. 1 ZHG Folgendes: „Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Zahnheilkunde dauernd ausüben will, bedarf einer Approbation als Zahnarzt nach Maßgabe dieses Gesetzes.“ Unerlaubtes Ausüben der Zahnheilkunde (hier: Bestimmung der Notwendigkeit zahnärztlicher Leistungen) wird gem. § 18 ZHG unter Strafe gestellt.
Grundsätzliches zur medizinischen Notwendigkeit:
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 12.03.2003 (Az. IV ZR 278/01) verkündet, eine Heilbehandlungsmaßnahme sei medizinisch notwendig, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Das sei im Allgemeinen dann der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen oder zu lindern. Nach Ansicht des BGH könne aus § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76 – der Versicherungsfall wird hierin als „medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen“ definiert – nicht abgeleitet werden, dass Kostenaspekte zu berücksichtigen sind. Solange die Musterbedingungen der privaten Krankenversicherung den Passus „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ enthalten, hat der Versicherer keine Beschränkung seiner Leistungspflicht auf eine preisgünstigere Behandlung erklärt. Die Notwendigkeit einer Heilbehandlung sei allein aus medizinischer Sicht zu beurteilen. Nur bei medizinisch nicht notwendigen Maßnahmen entfalle die Erstattungspflicht. So jedenfalls sieht dies unsere höchste Gerichtsinstanz. Ein Blick in den von mir abgeschlossenen Tarif belegt: Prothetische und implantologische Leistungen sind versicherte Leistungen. Mit keinem Wort wird im Tarif darauf hingewiesen, dass bei verschiedenen Alternativen die Erstattung sich auf die jeweils kostengünstigste Versorgung beschränkt. Hier kann nur gelten, was der BGH gesagt hat (s. o.). Wenn Sie nun Ihre Leistungspflicht einschränken wollen, sind Sie darlegungs- und beweispflichtig, dass das Maß der medizinischen Notwendigkeit überschritten ist (BGH vom 29.05.1991, Az.: IV ZR 15.11.1991). Der BGH hat auch entschieden, dass die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einem neutralen Sachverständigen obliegt (BGH vom 29.11.1978, Az.: IV ZR 175/77).
Für Sie bedeutet dies nach meinem Dafürhalten: Wenn Sie an der Behauptung, die geplanten Leistungen seien nicht notwendig, festhalten wollen, sollten Sie einen neutralen unabhängigen Sachverständigen beauftragen, der Ihre Behauptung prüft. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass die Stellungnahme eines von Ihnen beauftragten beratenden Zahnarztes von mir nicht als unabhängige und objektive Begutachtung anerkannt wird. Beauftragen Sie in diesem Fall bitte einen durch die zuständige Zahnärztekammer benannten Gutachter. Folgende Alternative ist für mich denkbar: Die medizinische Notwendigkeit kann im Zweifel auch gerichtlich festgestellt werden und ich mache Sie darauf aufmerksam, dass auch dieser Schritt für mich denkbar ist.
Ihre Antwort erwarte ich bis zum …, und zwar in Form einer Leistungszusage, eines Gutachtenauftrags an die Zahnärztekammer … oder eines Signals, dass Sie die Erhebung einer Feststellungsklage erwarten.
Freundlich grüßt
Ihr Versicherungsnehmer Hannes Mustermann
Christine Baumeister-Henning
ist seit 1982 im Praxismanagement aktiv und zertifizierte Z-PMS-Moderatorin, Business-, Team- und Konfliktcoach, Sachverständige für Gebührenrecht.
Kontakt: info@ch-baumeister.de