Die Abrechnung des extremen Weisheitszahns
Er ist das „Extrem“ – und allen chirurgisch tätigen Zahnärzten hinlänglich bekannt: der stark verlagerte oder retinierte Weisheitszahn. Seine Entfernung erfordert nicht nur fachliches Geschick, sondern auch gebührenrechtlich die eine oder andere „Weisheit“.
Vor der Novellierung der zahnärztlichen Gebührenordnung kam für die Berechnung dieser Maßnahmen lediglich eine Leistung aus der ärztlichen Gebührenordnung infrage: die Ä2650. Denn in der GOZ gab es dafür keine Beschreibung.
Dies wollte der Verordnungsgeber mit der Novellierung ändern. Die Basis hierfür liefern die Amtlichen Begründungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), der Bundesregierung beziehungsweise des Bundesrats: „Die neu in das Gebührenverzeichnis der GOZ aufgenommene Leistung nach der Nummer 3045 entspricht inhaltlich weitgehend der GOÄ Nr. 2650. Sie ist dabei stärker auf die Entfernung eines retinierten Zahns abgestellt. Damit wird das in der Anwendungspraxis auftretende Problem der Abgrenzung dieser Leistung zur Germektomie (Nr. 3270) gelöst.“
Doch was ist die Folgeproblematik der Abgrenzung der Nummern 3270 GOZ (Germektomie) und der 3045 GOZ (umfangreiche Osteotomieentfernung extrem verlagerter/ extrem retinierter Zahn mit Nachbarschaftsgefährdung)? Fakt ist: Beide Gebührenziffern stehen im Gebührenverzeichnis nun gleichberechtigt nebeneinander – und zwar mit nicht missdeutbarem Zugriff für Zahnärzte und Oralchirurgen.
Was eindeutig geregelt wurde, ist die Abgrenzung der Ziffer 3045 GOZ im Vergleich zur Ziffer Ä2650 GOÄ und somit gleichzeitig der Zugriff von Zahnärzten und Oralchirurgen für die jeweils zutreffende Leistung. Wirklich neu ist, dass jetzt der Zahn bei Retention nicht wie bei Nr. 3040 lediglich retiniert, sondern tief retiniert sein muss – genau wie bei der Verlagerung. Der Leistungsinhalt der Nr. 3045 GOZ ist das „Entfernen eines extrem verlagerten und/oder extrem retinierten Zahns durch umfangreiche Osteotomie bei gefährdeten anatomischen Nachbarstrukturen“. Zutreffend wird diese Leistung nur berechnet, wenn folgende drei Voraussetzungen vorliegen:
1. extreme Verlagerung und/oder extreme Retention
2. erforderliche umfangreiche Osteotomie als Vorbedingung zur Entfernung
3. gefährdete anatomische Nachbarstrukturen.
Der erste Punkt bedeutet: Die extreme Verlagerung ist so weitgehend, dass die Einstellung des Zahns in eine regelrechte Position unmöglich ist, und/oder die extreme Retention ist so weitgehend, dass der betreffende Zahn allseits von Knochen umgeben ist. Der zweite Punkt meint, dass die umfangreiche Osteotomie über das Ausmaß der Kronendimension des Zahns hinausgeht. Während diese ersten beiden Voraussetzungen noch relativ eindeutig sind, sollen „gefährdete anatomische Nachbarstrukturen“ nun genauer erklärt werden, da die Formulierung doch relativ unbestimmt erscheint.
Was ist genau unter gefährdeten anatomischen Nachbarstrukturen zu verstehen?
So kann zum Beispiel ein anderer Zahn, ein Blutgefäß, ein Nerv oder auch die Kieferhöhle gefährdet sein. Das heißt in diesen Fällen muss zwingend mit deutlich mehr Vorsicht und daher auch mit größerem Zeitaufwand vorgegangen werden. Demzufolge ist eine Begründung für einen erhöhten Steigerungssatz bei Nr. 3045 mit der Formulierung „erhöhter Zeitaufwand wegen gefährdeter Nachbarstrukturen“ eine fehlerhafte Begründung, da dies offenkundig Leistungsbestandteil ist.
Die Ziffer 3045 GOZ ist mit etwas höherer Punktzahl als die Ä2650 und mit einem etwas niedrigeren Zuschlag für nichtstationäre Erbringung ausgestattet (0510 GOZ). Es ergibt sich aus der novellierten GOZ und der neu geschaffenen Leistung nach 3045 auch, dass die Ä2650 nun für Zahnärzte und Oralchirurgen in der Regel nicht mehr zugänglich ist.
Hingegen ist für Fachärzte (Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen) gemäß § 1 Abs. 1 GOÄ die Ä2650 vorrangig, falls der operativ zu entfernende Zahn nicht zusätzlich oder alternativ zur extremen Verlagerung „extrem“ retiniert sein sollte. So gilt es aus fachärztlicher Sicht zu prüfen, ob und wie weit der betreffende Zahn neben der extremen Verlagerung retiniert ist, denn unter die Ä2650 fällt gegebenenfalls auch nur der einfach „retinierte“ Zahn.
Um die gebührenrechtliche Betrachtung zu vervollständigen, sei noch die eingangs erwähnte und unbedingt erforderliche Abgrenzung beider Gebührenziffern (Ä2650 und 3045 GOZ) zur Germektomie genannt: Die Leistung nach 3270 GOZ setzt auf jeden Fall eine Lappenbildung, nicht aber unbedingt eine Osteotomie voraus – und ganz bestimmt keine ausgedehnte wie bei einem extrem retinierten/verlagerten Zahn, was sich anatomisch gut nachvollziehen lässt. Und es handelt sich dabei um einen Zahnkeim, der mehr oder weniger orthograd und nicht retiniert ist, sondern noch nicht durchgebrochen.
Berechnung der Entfernung von Implantaten bei gefährdeten Nachbarstrukturen
Die Leistungen nach 3045 „Osteotomieentfernung extrem retinierter Zahn“ und 3270 GOZ „Zahnkeimentfernung“ unterscheiden sich natürlich auch hinsichtlich der jeweiligen Zahnausbildung. Bei der 3045 GOZ beispielsweise durch Teilwurzeln und das Vorhandensein einer extremen Retention. Wenngleich hiermit die Verschiedenheit dieser Leistungen vom Verordnungsgeber betont wird, sind genau diese Unterschiede dennoch nicht so präzise dargelegt, wie die Amtlichen Begründungen dies darstellen wollen.
Bei all diesen Betrachtungen blieb unberücksichtigt, dass nicht nur Zähne, sondern auch Implantate, zum Beispiel nach tiefer Fraktur, bei Vorliegen gefährdeter anatomischer Nachbarstrukturen entfernt werden müssen. Die Berechnungsbestimmung zur Entfernung von Implantaten erscheint mit dem Verweis auf die Nummern 3000 und 3030 GOZ (einfache Entfernung und Osteotomieentfernung) eindeutig. Jedoch ist damit nicht explizit die „umfangreiche Osteotomieentfernung eines tief frakturierten Implantates bei gefährdeten Nachbarstrukturen“ dargestellt. Es besteht deshalb nur die Möglichkeit der Berechnung einer Entsprechungsleistung gemäß § 6 Abs. 1 GOZ, wie zum Beispiel bei 3045a GOZ (Analogie).
Steffi Scholl
ist Betriebswirtin für Management im Gesundheitswesen, QM-Praxismanagerin, AZP und arbeitete zehn Jahre lang freiberuflich als Abrechnungsspezialistin. Seit 2011 ist sie bei der Zahnärztlichen Abrechnungsgenossenschaft eG (ZA) in Düsseldorf in der GOZ-Fachabteilung tätig.