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“Viele Kinder kommen zu spät in die Praxis”

In diesem Jahr widmet sich der 25. September, der Tag der Zahngesundheit, ganz besonders jenen Kindern, die nicht das Glück haben, in einer gesundheitsbewussten Familie groß zu werden. „Nicht selten lässt sich der Mangel an Zuwendung an den Kinderzähnen ablesen, mit denen die Kinder in die Zahnarztpraxis kommen“, sagt Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZÄK. Viele von ihnen kämen einfach zu spät.


Kinder, die schon an Milchzahn-Karies leiden, entwickeln auch mehr Karies an den bleibenden Zähnen. Foto: tagderzahngesundheit.de


Anlässlich der zentralen Pressekonferenz zum Tag der Zahngesundheit 2014 am 19. September in Berlin wies Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), auf erfreuliche Entwicklungen bei der Mundgesundheit hin: „Deutschland befindet sich beim Kariesrückgang vor allem bei Kindern und Jugendlichen im internationalen Spitzenfeld!“

Karies bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien

Die fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) wird mit Ihrer Veröffentlichung voraussichtlich im nächsten Jahr zeigen, wie sich die Entwicklung fortsetzt. Eindeutig belegt ist die sogenannte Polarisierung der Karies. Entsprechende Daten zeigen eine deutliche Schieflage bei der Verteilung der Karies auf Kinder aus Familien in sozial schwierigen Lebenslagen.

Prof. Oesterreich: „Altersgruppenabhängig kann davon ausgegangen werden, dass 60 bis 80 Prozent aller kariösen Zähne auf eine Gruppe von 10 bis 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen entfallen.“ Dies sei ein Signal dafür, dass es diesen Kindern an „Fürsorge im Sinne des Vorsorge-Gedankens“ mangelt und das nötige Wissen über Vorsorgemöglichkeiten in diesen Familien nicht vorhanden ist. 

“Mangel an Zuwendung lässt sich an  Kinderzähnen ablesen”

Allein durch zahnärztliche Konzepte lassen sich diese Probleme nicht lösen – sie sind ein gesamtgesellschaftliches Problem. „Nicht selten lässt sich der Mangel an Zuwendung an den Kinderzähnen ablesen, mit denen die Kinder in die Zahnarztpraxis kommen“, so der Vizepräsident. Viele von ihnen kämen einfach zu spät: „Die frühkindliche Karies an den Milchzähnen bei Kleinkindern bis zum dritten Lebensjahr hat im Unterschied zur Karies an den bleibenden Zähnen in den letzten Jahren an Häufigkeit zugenommen, man geht von einer Verbreitung zwischen 7 und 20 Prozent aus.  “Die Betreuung allein durch den Kinderarzt in den ersten drei Lebensjahren reicht offensichtlich nicht aus, um das Krankheitsrisiko zu senken.“

Nicht zuletzt mit dem gemeinsamen Versorgungskonzept „Frühkindliche Karies vermeiden“ haben Bundeszahnärztekammer, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, der Bundesverband der Kinderzahnärzte und der Deutsche Hebammenverband ein Netzwerk gegen die frühkindliche Karies geschaffen. „Mit dem Ziel“, so Prof. Oesterreich, „gesetzliche Rahmenbedingungen für einen Zahnarztbesuch ab dem ersten Lebensjahr zu schaffen.“ Darüber hinaus fordert die Bundeszahnärztekammer am Tag der Zahngesundheit „die entsprechende Berücksichtigung der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde bei sämtlichen Aktivitäten im Bereich Gesundheitspolitik.“

Karies an Milchzähnen ist genauso schmerzhaft

Warum Fürsorge für Milchzähne so wichtig ist, machte Dr. Reinhard Schilke, Oberarzt am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover, deutlich – und wie es aussieht, wenn diese Fürsorge nicht ausreichend erbracht wird.
 
„In den ersten Jahren nach Durchbruch der Zähne in den Mund sind diese besonders empfindlich“ sagte er und klärte auch hinsichtlich eines verbreiteten Missverständnisses auf: „Karies an Milchzähnen ist genauso schmerzhaft wie an bleibenden Zähnen!“ Trotz langjähriger Aufklärungsmaßnahmen nicht nur der Zahnärzteschaft zu Entstehung und Verhinderung von „Saugerflaschen-Karies“ sei diese nach wie vor weit verbreitet.
 
So habe eine Studie in Hamburg ergeben, dass bereits 15 Prozent der ein- bis zweijährigen Kinder Karies aufwiesen. Davon zeigten 80 Prozent die typische Verteilung der kariösen Zähne, die bei einer Saugerflaschen-Karies auftritt. Viele Eltern wüssten weder, welche Rolle die Milchzähne für die physiologische und auch neuromotorische Entwicklung spielen, noch, welche Folgen Entzündungen an den Milchzähnen für die gesunde Entwicklung von Körper und Seele haben.

Erst Milchzahn-Karies, dann an bleibenden Zähnen

Nicht zuletzt entwickelten Kinder, die schon an Milchzahn-Karies leiden, auch mehr Karies an den bleibenden Zähnen. Wenn Milchzahn-Schäden und damit eine Vernachlässigung der Kindergesundheit auf Nichtwissen der Eltern zurückgeht, berge dies ein großes Potential, den Kindern und Eltern durch entsprechende Beratung helfen zu können. Schwerer sei die Situation bei Kindern, die beispielsweise aus Gründen der Überforderung ihrer Familie vernachlässigt oder gar misshandelt würden.

Eine Auswertung von sieben internationalen Studien habe gezeigt, dass das Problem kein rein nationales ist und „diese Kinder bis zu achtmal häufiger unbehandelte kariöse Zähne haben als altersentsprechende Kinder“, so Dr. Schilke: „In Österreich gab es bereits eine Verurteilung von Eltern, weil ihre vierjährige Tochter unter frühkindlicher Karies litt.“ 

Besondere Karies-Gefahr für Kinder bis zum ersten Geburtstag

Gefährdet sind Studien zufolge insbesondere Kinder bis zum ersten Geburtstag. Der Zahnärzteschaft gehe es nicht um eine Anklage dieser Eltern, sondern um die Entwicklung starker Netzwerke, die Hilfsangebote bündeln. Zu lösen sei die Situation der aus welchen Gründen auch immer überforderten Eltern aber nur gesamtgesellschaftlich.

„Wir haben ein Herz für Zähne“, sagte Dr. Schilke, „und wünschen uns Eltern, die wir für die Gesundheit ihres Kinds begeistern können!“