Sinuslift versus Zygomaimplantat
Das ursprünglich aus der Tumorchirurgie stammende Zygomakonzept erlaubt einen Verzicht auf langwierige Augmentationen bei extremen Atrophien. Doch welche Versorgung ist sicherer, der Sinuslift oder die Verankerung der Implantate eine Etage höher im Jochbein?
In welchen Fällen ziehen Sie für die Verankerung ein Zygoma‧implantat im Jochbein dem Sinuslift vor?
Wachtel: Grundsätzlich handelt es sich bei Zygomaimplantaten um schräg gesetzte Implantate. Man versucht damit den vorhandenen Knochen optimal zu nutzen. Das Verfahren ist indiziert bei atrophischem Knochen, beispielsweise nach Unfällen oder Tumoroperationen. Auch für Patienten, die jung zahnlos geworden sind und extreme Atrophien aufgrund jahrzehntelangen Tragens einer Totalprothese aufweisen, sind Zygomaimplantate eine Alternative zur Augmentation. Bei extremen Atrophien lässt sich der Alveolarknochen nicht mehr zur Verankerung von Implantaten nutzen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: den Sinuslift oder die Verankerung der Implantate im Jochbein, also eine Etage höher.
Welche Vor- und Nachteile haben die unterschiedlichen Methoden?
Wachtel: Geht man den traditionellen Weg über die Knochenaugmentation, bieten sich die bekannten Wege der Augmenta‧tion an. Goldstandard ist die Beckenkammtransplantation. Das ist natürlich langwierig, frühestens nach einem, oft erst nach eineinhalb bis zwei Jahren bekommt der Patient seine neuen Zähne.
Wie hoch ist das Komplikationsrisiko?
Wachtel: Je mehr Eingriffe, desto höher ist die Komplikationsdichte. Das liegt auf der Hand. Dazu kommt ein enormer Zeit- und Kostenaufwand.
Sind Zygomaimplantate kostengünstiger?
Wachtel: Ja, schon allein weil der Patienten noch am selben Tag feste Zähne bekommt. Es ist nur ein Eingriff erforderlich.
Welchen Patienten empfehlen Sie Jochbeinimplantate?
Wachtel: Zum einen älteren Patienten, die schon aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht ein bis zwei Jahre beim Zahnarzt zubringen möchten, um wieder zu festen Zähnen zu kommen. Zum zweiten Patienten, die eine schlechtere Heilung aufweisen, Rauchern zum Beispiel. Denn die Heilung dauert, der Knochen muss sich schließlich erst bilden. Das Jochbeinimplantat ist grundsätzlich indiziert, wenn der Alveolarknochen für die Verankerung eines Implantats nicht ausreicht und eine Augmentation aus den genannten Gründen die schlechtere Variante ist.
Das Zygomakonzept stammt ursprünglich aus der Tumorchirurgie …
Wachtel: Richtig, heute diskutiert man aber bei auch extremen atrophischen Kiefern über die Jochbeinimplantate. Denn bei diesen Patienten hält genau wie bei Tumorkranken keine Totalprothese mehr. Alles, was in den Mund soll, muss geklebt werden. Und selbst das hält nicht mehr richtig. Die Patienten können nicht mehr kauen. Ihnen fehlt ein funktionierendes Oberkiefergebiss. Und anstatt zu augmentieren und den Knochen wieder herzustellen, gehen wir eine Etage höher und nutzen das Jochbein.
Man hört von fatalen Misserfolgen, bis hin zu Patienten, die ihr Augenlicht verlieren, weil die Implantate falsch gesetzt wurden. Wie steil ist die Lernkurve?
Wachtel: Es braucht Erfahrung. Die OP läuft unter Intubationsnarkose. Das war anfangs ausschließlich eine Alternative für kieferchirurgische Zentren. Zygomaimplantate etablieren sich aber inzwischen und setzen sich durch, das wissen wir von den Kursen.
Seit wann sind Zygomaimplantationen en vogue? Wie lange gibt es diese spezielle Implantationsform bereits, und wie viele Implantate dieser Art wurden seitdem gesetzt, wie viele wurden in Ihrer Klinik inseriert?
Wachtel: Wir haben in München inzwischen mehr als 150 Zygomaimplantate gesetzt. Die OP-Technik verbessert sich kontinuierlich. Verschiedene Gruppen, unter anderem in Belgien und den USA, arbeiten ebenfalls seit Jahren mit Zygomaimplantaten. Auch ihre Erfahrungen tragen zur Optimierung bei.
Welche Wartezeiten müssen Patienten bei Augmentationen einkalkulieren?
Wachtel: Das hängt vom Knochenangebot ab. Wenn man im Sinus aufbaut und nur sehr wenig Knochen zur Verfügung steht, sind auch mit Knochenersatzmaterial Insertionen erst nach zehn Monaten möglich. Nach weiteren sechs Monaten kann dann erst die prothetische Versorgung erfolgen. Insgesamt gehen da durchaus anderthalb Jahre ins Land.
Seit wann genau gibt es Zygomaimplantate?
Wachtel: Die erste Publikation – wieder einmal von Brånemark – war die Publikation von 1998: „Zygomatic fixture“, in Göteborg erschienen von Nobel Biocare. Man hat jetzt also schon fast 15 bis 20 Jahre Erfahrung mit der Methode. Verschiedene Gruppen, darunter eine Gruppe in Belgien, haben sich bereits über Jahre mit dieser Methode auseinandergesetzt. Es arbeiten weltweit etwa 20 bis 30 Zentren mit dieser Methode.
Wie hoch ist die Misserfolgsrate?
Wachtel: Die Misserfolgsrate ist höher ist als bei normalen Implantaten im Alveolarknochen. In unserem Haus ist die Komplikationsdichte etwa dreimal so hoch. Dabei geht es nicht um ein Herausfallen, sondern um Komplikationen wie Expositionen usw. Es geht also nicht um die Überlebensrate, aber die Komplikationsrate bei Zygomaimplantaten ist schon zwei- bis dreifach erhöht.
Steigt die Komplikationsdichte, weil es sich um Risikopatienten handelt?
Wachtel: Richtig, und gerade bei älteren und krankeren Patienten ist das Gewebeangebot extrem eingeschränkt. Dazu kommt: Die OP-Technik ist kompliziert und komplex.
Kann man die Technik dann überhaupt mit der Insertion von konventionellen Implantaten in den ortsständigen Knochen vergleichen?
Wachtel: Zumindest ist es etwas unfair. Man müsste die Technik mit der Komplikationsdichte bei Augmentationen vergleichen.
Gibt es eine solche Vergleichsstudie?
Wachtel: Zurzeit läuft eine große Vergleichsstudie zwischen Augmentation und Zygomaimplantation. Ergebnisse liegen noch nicht vor. Ich vermute, die Misserfolgsraten sind identisch, aber das ist nur eine Vermutung. Wir haben noch keine klaren Daten, die belegen, welche Methode mehr Komplikationen und eine höhere Komplikationsdichte aufweist. Entscheidend ist aus meiner Sicht grundsätzlich der Quality-of-Life-Aspekt. Nach Augmentationen müssen Patienten lange Phasen mit Totalprothesen überbrücken. Das ist für viele ein Problem, weil die Totalprothesen immer schlechter halten. Sie müssen verklebt und während der langwierigen Behandlung immer wieder angepasst werden.
Wirken Sie an dieser großen Vergleichsstudie mit?
Wachtel: Nein, in Deutschland lassen sich solche Vergleichsstudien nicht durchführen.
Warum nicht?
Wachtel: Aus ethischen Gründen. Da wird quasi per Münzwurf entschieden, ob ein Patient eineinhalb Jahre behandelt wird und nach umfangreicher Augmentation Zähne erhält oder binnen 24 Stunden. Dafür konnten wir keine Patienten finden, das lässt sich auch schwer vertreten. Entsprechende Daten werden aber in Spanien, Italien, Schweden erhoben. In drei bis vier Jahren sollen die Ergebnisse publiziert werden.
Zur prothetischen Versorgung: Schrauben oder besser zementieren – was empfehlen Sie bei Zygomaimplantaten?
Wachtel: Das Implantat wird immer verschraubt, nie zementiert. Auch das erfordert Übung, es gibt entsprechende Kurse – und da muss man sich einfach das Know-how holen.
Wann ist mit Langzeitdaten zu rechnen?
Wachtel: Wir haben retrospektive Langzeitstudien, die schauen auch alle ganz gut aus. Aber dabei gibt es natürlich keine großen Fallzahlen. Wir haben keine Daten über zehn bis 20 Jahre, und das kommt auch nicht so bald. Aber wir haben mehr als 20 Jahre Erfahrung mit unterschiedlichen Fällen.
Wie viele Zygomaimplantate setzen Sie in einer Sitzung?
Wachtel: Bis zu vier Zygomaimplantate bei einem Patienten. Dann werden allerdings keine anderen Implantate gesetzt, sondern nur die vier Zygomaimplantate, und darauf wird die feste Brücke verschraubt.Das nennt man Quad-Zygoma.
Hat das irgendetwas mit dem All-on-Four-Konzept zu tun?
Wachtel: Nein. Nach dem All-on-Four-Konzept werden die Implantate in den Alveolarknochen gesetzt.
Läuft die prothetische Versorgung anders?
Wachtel: Die Implantate sind nur im Zygoma verankert und dadurch länger. Die Suprakonstruktionen werden verschraubt, nicht zementiert. Das war’s. Der Prothetiker versorgt einen Patienten mit vier Implantaten, wo die verankert sind, ist ihm mehr oder weniger egal.
Sind die neuen „Nobel Speedy long“, eine Alternative zu Zygomaimplantaten? Sie sind ähnlich lang …
Wachtel: Es handelt sich dabei um schräge Implantate, die durch den Sinus laufen und lateral in der Nasenwand verankert sind, also in der vorderen Kieferhöhlenwand. Das ist auch eine Variante für den atrophischen Kiefer. Bei einigen Patienten lassen sich mit der „schrägen“ transsinusalen Methode Zygomaimplantate umgehen. Das hängt extrem von der Anatomie ab. Grundsätzlich ersetzen kann die Methode die Zygomaimplantate nicht.
Prof. Dr. Hannes Wachtel
Mitgründer des Privatinstituts für Parodontologie und Implantologie in München (IPI) und der Bolz/Wachtel dental clinic, Lehrauftrag Charité Medizin Berlin und Universität Göteborg, Schweden
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