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Kieferorthopädie: Konzepte bei Grenzfällen

Einer spannenden Grundsatzfrage widmete sich das 4. Symposium von IKG und BDK zur Erwachsenen-Kieferorthopädie Ende Mai in Frankfurt: Welche zahnmedizinische Disziplin würde bei Grenzfällen wie vorgehen ­– und welche Rolle spielt dabei die Kieferorthopädie?


Referenten des 4. Symposiums zur Erwachsenen-Kieferorthopädie in Frankfurt: Prof. Florian Beuer, PD Dr. Stefan Fickl, Prof. Peter Proff, Prof. Angelika Stellzig-Eisenhauer, Dr. Gundi Mindermann, Dr. Gabriel Kastl, Dr. Björn Ludwig und Dr. Peter Göllner (v.l.) Foto: BDK/IKG


Wie können die Disziplinen miteinander an die oft komplexen Situationen bei erwachsenen Patienten herangehen und in gemeinsamem Vorgehen die Erfolge verbessern? Das Konzept des Symposiums, wie immer unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Angelika Stellzig-Eisenhauer, Würzburg, stellte solche Schnittstellen vor aus den Bereichen Kieferorthopädie und Parodontologie, Kieferorthopädie und Prothetik sowie Kieferorthopädie und Ästhetik – jeweils aus Sicht eines profilierten Kieferorthopäden und eines Repräsentanten des anderes Fachgebietes.

Beim Doppel „KFO und PA“ standen sich OA PD Dr. Stefan Fickl/Würzburg und Dr. Björn Ludwig/Traben-Trarbach gegenüber. Patienten mit dünner Gingiva hätten ohnehin ein erhöhtes Risiko für Rezessionen, hier könne eine rein kieferorthopädische Behandlung ohne begleitende Maßnahmen zu Problemen führen, so Fickl. Die Position des Zahnes im Zahnkamm spiele bei Rezessionen eine gewichtige Rolle – allein das Verschieben eines Zahnes nach lingual könne für mehr Alveolarkamm und Gingiva auf der buccalen Seite sorgen. Bei Rezessionen habe sich die Tunneltechnik heute als erfolgreiches Vorgehen bestätigt – damit habe der Patient zwar noch immer nicht mehr Knochen, das Weichgewebe stabilisiere die Situation aber nachhaltig gut. Wann die Patienten nach einer PA-Behandlung „fertig“ sind für eine anschließende kieferorthopädische Maßnahme, definierte er so: „Wenn der klinische Befund gesund und die Taschentiefe kleiner 5 mm ist.“

KFO und Parodontitis

Aus kieferorthopädischer Sicht und der Erfahrung in der eigenen Praxis beschrieb Ludwig, in welch heikle Situation er bei „PA & KFO“ manchmal kommt: „Wir können nur in einem entzündungsfreien Zustand Zähne bewegen. Wie sage ich dem überweisenden Zahnarzt, dass sein langjähriger Patient Parodontitis hat…?“ Er habe daher ein Testverfahren entwickelt, unter anderem mit MMP-8-Markern, das er als Gesprächsgrundlage mit dem Zahnarzt nutze.

Seine vorgestellten Lösungen betrafen parodontal-gesunde Patienten, um Grundsätzliches darzustellen. Ein großes Thema sei die Intrusion: „Das ist ein Kampf der Gewebe – wer verdrängt hier wen?“ Man müsse die Wurzel freihalten von Bindegewebe, hier sei parodontologisches Denken wichtig. Gewinnbringend und meist unproblematisch sei die Extrusion: „Da können wir sehr gut helfen, Gewebe zu schaffen!“ Der Effekt optimiere meist auch die Mundhygiene.

Kieferchirurgisches Vorgehen zur Gewebeoptimierung sei ihm oft zu invasiv – vertikales Extrudieren (bei jungen Patienten mit Pausen für das biologische Wachstum) sei seine Alternative. Äußerst kritisch wehrte er sich gegen die Position, für Frühbehandlung gebe es keine Evidenz: „Sie macht trotzdem Sinn!“ Unter seinen entsprechenden Beispielen, die geradezu ein Feuerwerk an erfolgreichen Lösungen mit Handlungsempfehlungen für die Praxen waren, gab es auch einige, die die parodontale Situation nachhaltig verbesserten: „Engstand vermeiden ist nicht nur Ästhetik, sondern Zahngesundheit!“

Prothetik ist digital geworden

Im Doppelblock Prothetik diskutierten Prof. Dr. Florian Beuer, München und Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Regensburg herausfordernde Aufgabenstellungen. Prothetik sei extrem digital geworden, meinte Beuer. Es sei hilfreich, auch in kieferorthopädischen Praxen digitale Patientendaten aufzuheben, da dies für spätere Prothetik sehr nützlich sein könne.

Die demografische Entwicklung, so Kieferorthopäde Proff, stellt entsprechende Anforderungen an beide Fächer: “Es gibt, das ist vielen Zahnärzten nicht bewusst, im Bereich der Kieferorthopädie Indikationen, die nicht abhängig sind vom Lebensalter der Patienten.“ KFO reguliere keinen Zahn, sondern ein ganzes System durch das Zusammenspiel aller Komponenten im orthograden Feld.

Ästhetik als Schnittstelle für Zahnmedizin und Kieferorthopädie

Ästhetik als Schnittstelle für Zahnmedizin und Kieferorthopädie und vor allem den Faktor, was beide Bereiche voneinander lernen können, präsentierten OA Dr. Gabriel Kastl, Basel aus dem Bereich Zahnerhaltung und Dr. Peter Göllner, Bern für die KFO. Anhand einer Fall-Liste zeigte Kastl Aufgaben, wie sie Zahnärzte von ihren kieferorthopädischen Kollegen erwarten, darunter „Lückenschluss, Berücksichtigung der Zahnproportion, Gingivaverlauf, ideale Papillenform und eine optimale parodontale Situation.“ Für all solche Aspekte seien KFO-Maßnahmen, nicht zuletzt bei Gewebeverlust auch nach Trauma durch Extrusionsverfahren, in Kombination mit restaurativen Maßnahmen wie Komposit-Arbeiten ein haltbares, zuverlässiges und zudem ästhetisches Vorgehen.

Göllner ergänzte, die KFO habe von der Implantologie gelernt und mit Gaumenimplantaten hocheindrucksvolle Ergebnisse vorzuweisen, nicht zuletzt im Bereich der Nichtanlagen: „Eine kieferorthopädische Lösung braucht Zeit – aber sie ist der beste Zahnersatz überhaupt.“ Für ein biologisch, funktionell und ästhetisch ansprechendes Ergebnis könne es auch notwendig werden, Zahnhartsubstanz partiell zu reduzieren: „Lieber die Zähne aus dem Engstand bringen als aus ihrer Umgebung.“ Die moderne Kultur des „Nicht-Wegnehmens“ widerspreche der Natur. Studien zeigten, dass sich noch heute bei Ureinwohnern die Zahnform reduziere und zwar ohne negative Konsequenzen: „Beschleifen ist eigentlich eine logische Behandlung und löst das Problem da, wo es ist.“ Seine Empfehlung an die Kollegen: „Behalten sie dieses Vorgehen im Hinterkopf. Aber: Es muss Sinn machen!“