Implantatversorgung im fortgeschrittenen Lebensalter
Bei der Therapieplanung für den Ersatz fehlender Zähne soll unabhängig vom Patientenalter unter Vorstellung der verschiedenen Therapieoptionen auch eine Implantattherapie in Betracht gezogen werden. Sowohl festsitzender als auch abnehmbarer Implantat getragener Zahnersatz kann eine Therapieoption sein.
So lautet die Empfehlung Nr. 1 der Fachleute von 23 wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Organisationen und Patientengruppen, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI e.V.) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK) die erste deutschsprachige Leitlinie zum Thema Implantate im fortgeschrittenen Lebensalter entwickelt haben.
Implantate zur Verankerung von Zahnersatz sind eine etablierte Option für Patienten nach Zahnverlust. Zunehmend versorgen Zahnärzte darum auch ältere Menschen mit den künstlichen Zahnwurzeln. Hinzu kommen Senioren, die schon länger Implantate tragen und bei denen sich Nachsorge- und Therapie-Bedarfe im Laufe der Jahre ändern.
Breites Indikationsspektrum bei Älteren
Seit vielen Jahren steigt bei älteren Menschen die Zahl der verbliebenen eigenen Zähne. Darum unterscheidet sich das Spektrum der Indikationen für Implantate im fortgeschrittenen Alter mittlerweile kaum noch von jenem bei jüngeren Menschen. Es reicht vom Ersatz einzelner Zähne bis zu festsitzenden oder abnehmbaren Implantat getragenen Versorgungen der ganzen Kiefer.
Auch die Erfolgsraten einer Implantattherapie bei Älteren können sich sehen lassen: „Die Implantat Therapie ist auch bei fortgeschrittenem Lebensalter eine vorhersagbare Therapieform mit ähnlichen Implantatüberlebensraten wie bei jüngeren Patienten“, lautet ein wichtiges Fazit der Fachleute. Die Patienten profitieren von einer höheren mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität und einer besseren oralen Funktion wie z. B. einer verbesserten Kaufähigkeit.
Risikofaktoren beachten
Gleichwohl müssen bei älteren Menschen stets besondere Risikofaktoren beachtet werden. Alterstypische Erkrankungen und Polypharmazie können den Erfolg einer Implantatbehandlung gefährden. Auch können sich im Alter die kognitive und manuelle Leistungsfähigkeit eines Menschen schnell ändern. Dann sind die Betroffenen auf fremde Hilfe bei der Mundhygiene angewiesen und der implantatgetragene Zahnersatz muss dementsprechend angepasst werden.
19 Empfehlungen für alle Abschnitte der Behandlung
Da es viel zu berücksichtigen und zu bewerten gilt, umfasst die neue Leitlinie eine ungewöhnlich hohe Zahl von Empfehlungen: Insgesamt 19 Empfehlungen decken alle Abschnitte einer Behandlung ab, von der Planung der Therapie bis zur Nachsorge.
Da die wissenschaftliche Evidenz trotz steigender Fallzahlen in den ausgewerteten Daten unterrepräsentiert ist, handelt es sich bei dieser Leitlinie um eine S2k-Leitlinie: Sie basiert auf dem Konsens von Experten, da keine systematische Aufbereitung der wissenschaftlichen Evidenz zugrunde gelegt werden konnte. Dieser Mangel an Studien hat auch damit zu tun, dass bei entsprechenden Untersuchungen allgemeinmedizinische Erkrankungen mitunter als Ausschlusskriterien benannt sind – also Patienten mit gesundheitlichen Risikofaktoren oder bestimmten Erkrankungen nicht in Studien eingeschlossen werden können.
Gleichwohl liefert die Leitlinie relevante Antworten auf Fragen nach Überlebens- und Komplikationsraten von Implantaten und prothetischen Suprastrukturen bei Älteren und gibt wichtige Hinweise, auf die Auswirkungen einer Implantattherapie.
Risiko und Nutzen abwägen auf Basis von Anamnese und Tests
Schon bei der Planung der Therapie soll die Indikation nach Abwägung von patientenspezifischen Risiken gegen den Nutzen der Behandlung und unter Beachtung der allgemeinmedizinischen und speziellen Anamnese gestellt werden. Bei Risikopatienten soll die Nachsorge sichergestellt sein und bei der Planung berücksichtigt werden. Der Allgemeinzustand soll ebenfalls berücksichtigt werden, wenn die Invasivität der Therapie sowie Dauer und Tageszeit der Therapiesitzungen geplant werden. Ebenso gilt es, bei der Planung auf die Ähnlichkeit des Zahnersatzes zur Restdentition bzw. der prothetischen Versorgung zu achten, da die Neuroplastizität des Gehirns mit steigendem Alter sinkt. Adaptationsschwierigkeiten sollten darum minimiert werden. Falls erforderlich können die kognitiven Fähigkeiten von Patienten mit einfachen Tests geprüft werden.
Um die Invasivität eines geplanten Eingriffs besser einschätzen und minimieren zu können, kann – so die Empfehlung Nr. 8 der Fachleute – eine 3D-Röntgenuntersuchung eingesetzt werden. Einfache Tests stehen für die Beurteilung der Kaufähigkeit zur Verfügung, aus der eine Therapieindikation abgeleitet werden kann. Mit einfachen Tests lässt sich auch die manuelle Geschicklichkeit der Patienten überprüfen.
Drei Empfehlungen zur Chirurgie
„Um Behandlungsdauer und Invasivität zu reduzieren, kann eine geführte Chirurgie angewandt werden“, heißt es in der Empfehlung 11. Dies verkürzt die Dauer des Eingriffs und mindert das postoperative Komplikationsrisiko. Allerdings ist dieses Vorgehen vor allem bei zahnlosen Patienten fehleranfällig. Darum muss die Genauigkeit bei der Übertragung der virtuellen Planung in den Patientenmund intraoperativ sichergestellt werden.
Kieferkamm-Augmentationen vermeiden
Kurze Implantate (6 mm) können eine vertikale Augmentation des Kieferkamms vermeiden, durchmesserreduzierte Implantate (unter 3,5 mm) sind eine Alternative zur horizontalen Augmentation. Systematische Übersichtsarbeiten belegen bei kurzen Implantaten durchschnittliche 5-Jahres-Überlebensraten von mehr als 90 Prozent. Für Implantate unter vier Millimeter ist die Evidenz geringer. Diese sollten daher nur in Ausnahmefällen in Erwägung gezogen werden.
Bei durchmesserreduzierten Implantaten (3,0–3,5 mm) sind die Überlebensraten mit jener von Standardimplantaten vergleichbar. Sogenannten Mini-Implantate sind zumeist einteilig und haben einen Durchmesser von weniger als 3 mm. Sie kommen vor allem bei horizontal stark atrophierten Kieferkämmen zum Einsatz, um abnehmbare Teil- oder Totalprothesen zu stabilisieren. Die Verlustraten sind bei diesen Implantaten im Oberkiefer höher als im Unterkiefer.
Zwei Empfehlungen zur Prothetik
Alterstypische degenerative Veränderungen des Kiefergelenks und der Verlust der parodontalen Propriorezeptoren erschweren im Alter die Okklusion. Ein Okklusionskonzept, das mehr Freiheiten gibt, kann diesen Problemen entgegenwirken. Möglichst vor der Fertigstellung der prothetischen Versorgung sollte die autonome Handhabung und Reinigungsfähigkeit des implantatgetragenen oder implantatgestützen Zahnersatzes durch die Patienten oder Helfende überprüft und sichergestellt werden.
Vier Empfehlungen zur Nachsorge
Eine Vielzahl von Studien belegen den positiven Effekt einer regelmäßigen Nachsorge inklusive einer professionellen Mund- und Prothesenhygiene. Darum lautet die erste Empfehlung zur Nachsorge, dass Patienten in ein systematisches Nachsorgeprogramm aufgenommen werden sollten. Ein fester Bestandteil in diesem Programm sollte auch die Überprüfung der Handhabung und Reinigungsfähigkeit des Zahnersatzes sein, damit eine Umgestaltung der Versorgung diese verbessern kann.
Ist eine suffiziente Mund- und Prothesenhygiene nicht gewährleistet, sollte zur Verminderung des Risikos von Aspirationspneumonien vom nächtlichen Tragen der Prothesen abgeraten werden. In ihrer letzten Empfehlung mit der Nummer 19 betonen die Fachleute, dass eine alleinige prothetische Neuversorgung und die daraus folgende Verbesserung der Kaufähigkeit nicht zwingend zu einer verbesserten Ernährung führt. Bei Gewichtsverlusten, die auf die prothetische Versorgung zurückgeführt werden können, sollte darum neben der prothetischen Neuversorgung eine Ernährungsberatung durch entsprechendes Fachpersonal und/oder ein Prothesenadaptationstraining eingeleitet werden.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich (DGI)