Extrahierte Zahnwurzeln als Knochenlager
Mit einem Paukenschlag begann die 28. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI), die am frühen Morgen in Düsseldorf eröffnet wurde: Kongresspräsident Prof. Dr. Frank Schwarz berichtete von einer präklinischen Studie, die belegt, dass die Repositionierung extrahierter Zahnwurzeln in die Extraktionsalveole – fixiert durch Schrauben – zu hervorragendem Kieferkammaufbau führt.
„Es mag kurios klingen, aber auf diese Weise könnten Ersatzmaterialien und aufwändige Knochenentnahmeeingriffe vermieden werde“, fügte Schwarz auf der DGI-Pressekonferenz an. Nach zwei Jahren präklinischer Entwicklung und Testung sei das Verfahren kurz vor der Genehmigung zur Anwendung am Patienten. Wichtig zu beachten sei, dass immer autogenes Material verwendet werden müsse – eine „Transplantation“ sei nicht angeraten. Voraussetzung für einen Erfolg sei zudem die komplette Entfernung der Ursachen für die Extraktion – also etwa von entzündeten Arealen. Ansonsten sei das Zahnmaterial, vom Dentin bis zum Wurzelzement, durch seine gegenüber dem Knochen komplett identische Struktur das ideale Knochenlager, wie Schwarz unterstrich. Dies gelte im Übrigen auch für eine Substanz, die aus „gemahlenen“ Zähnen gewonnen werde.
Zu Recht müsse man fragen, warum man eine solche Idee erst jetzt umsetze: „Aber manchmal ist das Naheliegende doch zu weit entfernt“, fügte Schwarz mit einem Augenzwinkern an. Stolz sei er auch darauf, dass das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell unterstützt werde. Schwarz: „Das geschieht bei zahnmedizinischen Forschungsprojekten äußerst selten.“
Details dieser präklinischen Studien will Schwarz morgen in seinem Vortrag im Forum Praxis und Wissenschaft (ab 9:55 Uhr) vorstellen.
“Implantologie – neu gedacht”
Das Kongressmotto „Implantologie – neu gedacht“ habe man gewählt, um das Fach ein wenig aufzurütteln. Häufig besuche man Kongresse, um bestätigt zu bekommen, dass man alles richtig mache. Aber auch in der Implantologie wäre dies ein Fehler, betonte Kongresspräsident Schwarz, der den Kollegen riet, die „Komfortzone zu verlassen“. So müsse man klar sagen, dass etwa die bislang als Fakt angenommene Einheilzeit für die Mehrzahl der Implantate nicht mehr vier bis sechs Monate betrage: „Heute weiß man, dass vier bis sechs Wochen als klinisch suffizienter Zeitraum anzusehen sind.“
DGI-Präsident Dr. Gerhard Iglhaut verwies mit Stolz auf die inzwischen 20-jährige Geschichte der DGI. „Das nehmen wir zum Anlass, die Jugend noch mehr in den Fokus zu rücken.“ Zum einen erreiche man nach wie vor viele junge Zahnärzte über die DGI-Curricula, von denen jeweils sieben bis acht parallel laufen. Zudem präsentiert sich die DGI in immer mehr zahnmedizinischen Hochschulen. In rund einem Dutzend Universitäten bietet sie in Kooperation mit den Leitungen der Häuser fakultative Kurse in der Implantologie an, die auch perspektivisch nicht zum festen Lehrplan der Hochschulen zählen werden. Absolventen dieser freiwilligen Kurse, die über zwei Semester laufen und mit Hands-on-Phasen versehen sind, erhalten dafür zwei Wochenendkurse im Rahmen des DGI-Curriculums „geschenkt“, wie der DGI-Pressereferent Prof. Dr. Germán Gómez-Román betonte.
Risikofaktoren der Implantatplanung
Ein Höhepunkt des ersten Kongresstages war das Forum Praxis und Wissenschaft, das sich mit den Risikofaktoren in der Implantatplanung befasste und von Prof. Dr. Dr. Jörg Handschel moderiert wurde. Im Bereich der systemischen Risiken sind nach wie vor die Bisphosphonate, die bei Osteoporose- und Krebspatienten zum Einsatz kommen, ein weit reichendes Problem. Durch Bisphosphonate können Nekrosen des Kieferknochens auftreten, die dann schwer zu behandeln sind. Das Nekrose-Risiko wird dabei determiniert durch Dosis und Dauer, aber auch durch die Applikationsform des Präparates, wie Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz sagte. Im Einzelfall müsse bei Betroffenen das Risiko einer Osteonekrose gegen den Nutzen einer Implantattherapie genau abgewogen werden. „Jede eindimensionale Betrachtung greift dabei zu kurz“, fügte Grötz an. Die DGI stelle dazu einen „Laufzettel“ zur Verfügung, der den Zahnarzt bei der Einschätzung des individuellen Patientenrisikos unterstütze.
Besonderes Augenmerk sollten die Zahnärzte auch auf Patienten richten, die eine Bisphosphonattherapie erhielten und bereits Implantate hätten: Hier sei ein noch engmaschigeres Recall dringend angeraten, betonte Grötz.
Alte Patienten: Implantologie muss reversibel sein
Ein Plädoyer für die Versorgung alter Menschen mit Implantaten hielt Prof. Dr. Frauke Müller, Gerodontologin aus Genf. Kauen habe auf den Körper dieselben positiven Effekte wie Sport: die Herzfrequenz steige, die Muskulatur werde trainiert, Kognition und Konzentration würden günstig beeinflusst. Wenn man berücksichtige, dass sechs Millionen Implantate jedes Jahr ins Altersheim ziehen, gebe es gerade hier auch mit Blick auf die Pflege des Zahnersatzes immensen Aufholbedarf. Dabei sei die Schulung des Pflegepersonals ein wichtiger Faktor. Eine Pflegeanweisung des Zahnarztes an das Heim helfe dem Personal bei der individuellen Mundhygiene. Aus diesen Gründen brauche es eine Implantologie mit reversiblen Lösungen: „Wenn Patienten eine implantatgetragene Prothese nicht mehr tragen wollen oder können, muss das, was wir reingeschraubt haben, auch herausschraubbar sein.“