Zahnästhetik von morgen bei den Esthetic Days
Mehr als 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer lockten die Esthetic Days Anfang Oktober nach Baden-Baden. Als eine der ersten Großveranstaltungen in Präsenz nach der Corona-bedingten Pause überzeugte der anderthalbtägige Kongress mit Strategien für die Zukunft.
Im Fokus der Esthetic Days standen entsprechend die Handlungsfelder, denen sich zukunftsorientierte Praxen vor dem Hintergrund der Digitalisierung und steigender Patientenansprüche derzeit widmen müssen: Omnichannel Patientengewinnung, dauerhafte Patientenbindung, neue Behandlungskonzepte wie Sofortversorgung oder AlignerTherapie, Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter sowie digitale Workflows.
Immer mehr Zahnarztketten
Nach wie vor sei die Implantologie ein gutes Geschäft, aber perspektivisch habe das Aligner-Segment mindestens das gleiche Potenzial, wie Gilbert Achermann, Chairman of the Board of Directors der Straumann Group, gleich zu Beginn der Esthetic Days herausstellte. Zu den Megatrends der kommenden Jahre zählten neben der Digitalisierung und neuen Technologien auch das sich ändernde Patientenverhalten, der Generationenwechsel und der stete Anstieg der Konzentration. Die inzwischen mehr als 1.000 Dental Service Organizations (DSO) weltweit krempelten die Branche um. Mit 120.000 bis 150.000 Implantat-Bestellungen pro Jahr in den USA und 20.000 bis 40.000 jährlich in Deutschland verfügten die Zahnarztketten über eine enorme Kaufkraft. Diese Entwicklung lasse sich weder wegdiskutieren noch umkehren. Seiner Ansicht nach stoßen die DSO nicht mehr auf so große Ablehnung wie in den Anfängen der Konzentration.
Welchen Handlungsfeldern sich zukunftsorientierte Praxen vor diesem Hintergrund widmen sollten, erfuhren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Esthetic Days in Schwerpunkt-Sessions, Workshops und Vorträgen. Das Spektrum reichte von neuen Wegen der Patientengewinnung und -bindung über neue digitale Workflows bis hin zu innovativen Behandlungskonzepten wie Sofortversorgung und den Einstieg in die Aligner-Therapie.
Sinuslift vermeiden
„Ohne Immediacy geht es nicht“, lautete die klare Botschaft Univ. Prof. DDr. Gabor Tepper, Wien, der sich vor mehr als 20 Jahren auf die Sofortversorgung spezialisiert hat. Selbst infizierte Alveolen sind für ihn keine Kontraindikation für die Sofortimplantation. Mit genauer Planung und den richtigen Konzepten vermeidet er in seiner Praxis zudem inzwischen auch immer häufiger den Sinuslift. „Wir haben schlanke Implantate, wir haben kurze Implantate, wir können Implantate anguliert geneigt setzen – und wir haben auch die Literatur dazu“, betonte er. So seien 6-mm-Implantate ohne Sinuslift bei Einzelzahnrestaurationen im hinteren resorbierten Oberkiefer nachweislich genauso erfolgreich wie lange Implantate nach einem Sinuslift, aber für den Patienten deutlich angenehmer. Habe der Patient in der Oberkiefer-Tuber-Zone noch Knochen, erübrige sich der Sinuslift fast immer. In den Sozialen Medien habe sein No-Sinuslift-Konzept bereits für Aufregung gesorgt. „Aber ich poste weiter.“ „Überlegen Sie vor jedem Sinuslift“, ober er wirklich notwendig ist“, appellierte er an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Dass es Fälle gibt, in denen ein Sinuslift klar indiziert ist, stehe selbstverständlich außer Frage.
Tissue Level: Old School oder state of the art?
Funktionieren die Sofortversorgungskonzepte auch mit Tissue-Level-Implantaten? Mit herkömmlichen nicht, mit dem neuen TLX-Implantat aber schon, wie PD Dr. Dr. Eik Schiegnitz, Mainz, ausführte. Der Grund: die hohe Primärstabilität des TLX-Implantats, sein konisches Design und sein aggressives Gewinde. Zudem lassen sich mit dem 6 mm langen TLX auch moderne Avoid-Augmentation-Konzepte etablieren. Sprich: Das TLX erweitert den klinischen Anwendungsbereich von TL-Implantaten erheblich. Schiegnitz und sein Team überblicken rund 200 TLX-Fälle, 30% davon in anspruchsvollen Indikationen wie Sofort- oder Avoid-Augmentation-Konzepten. Aber: Sind Tissue Level-Implantate heute noch „State of the Art“? Definitiv, meint Schiegnitz. Das belege auch eindrucksvoll die Derks-Studie.
Die Gruppe um Dr. Jan Derks wertete in der retrospektiven Studie das nationale Datenregister der schwedischen Sozialversicherungsbehörde aus. Sie wählte aus einer Population von annähernd 25.000 Patienten, die neun Jahre zuvor von unterschiedlichen Zahnärztinnen und Zahnärzten mit unterschiedlichsten Implantatsystemen behandelt wurden, 4700 Patienten (12.000 Implantate) aus. Die Nachuntersuchungen zeigen: Die Früh- und Spätverluste waren bei Tissue-Level-Implantaten signifikant geringer als bei Bone Level-Implantaten.
Am 23./24.09.2022 finden die 3. Esthetic Days in Baden-Baden statt.
Herr Utz, die Aligner-Therapie boomt, wann wird dieses Segment bedeutender als der Implantatmarkt sein?
UTZ: 2020 gab es deutschlandweit 120.000 Alignercase-Starts, in fünf bis sechs Jahren rechnen wir mit 500.000. Bis dahin könnten der Aligner- und der Implantatmarkt gleich stark sein.
Derzeit ist aber auch die Anzahl an Implantbehandlungen gestiegen, warum?
UTZ: Es könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Patienten während der Pandemie einfach mehr Zeit hatten. Viele Menschen waren vorrangig im Homeoffice tätig, haben ihre Ausgaben für Konsumgüter und Reisen deutlich reduziert und sich vielleicht auch deswegen für eine medizinische Behandlung entschieden , die sie aus ästhetischen Ansprüchen und aufgrund ihres steigenden Gesundheitsbewusstseins schon länger angehen wollten.
Sprich, die Nachfrage ist nicht von Dauer …
UTZ: Auch die Nachfrage nach Implantatbehandlungen wird zunehmen, allein schon wegen des demographischen Wandels. Derzeit werden 1,3 Millionen Implantate in Deutschland pro Jahr gesetzt, in fünf bis sechs Jahren rechnen wir mit 1,45 Millionen. Dennoch: Der Aligner-Markt wird stärker wachsen und den Implantatmarkt über kurz oder lang überholen.
Ist das auch auf den ZOOM-Effekt zurückzuführen?
UTZ: Definitiv, auf den ZOOM-Effekt aber auch auf die Präsenz vieler Patientinnen und Patienten auf Instagram und Co. Viele Menschen haben in den vergangenen Monaten viel Zeit auf Social Media und in digitalen Meetings verbracht. Dabei wurde das Äußere in besonderem Maße wahrgenommen.
Zahnarztpraxen sind unterschiedlich gut bzw. schlecht durch die Corona-Krise gekommen. Einige Praxen hatten erhebliche Umsatzeinbußen, andere kaum. Wie ist das zu erklären?
UTZ: Patientenkommunikation und Präsenz gehörten zu wichtigen Erfolgsgaranten. Es gab Behandler und Behandlerinnen, die ihre Patienten aktiv und kontinuierlich über ihre Social-Media-Kanäle über zusätzliche Hygiene-Maßnahmen und die Öffnungszeiten während der Pandemie informierten. Man kann davon ausgehen, dass solche Maßnahmen zum notwendigen Sicherheitsgefühl beigetragen haben und den Umsatzeinbußen entgegenwirken konnten.
Das sind Erfahrungswerte?
UTZ: Auch wir als Industrieunternehmen wissen, wie wichtig Kommunikation ist. Deswegen bin ich immer im persönlichen Austausch mit vielen Zahnärztinnen und Zahnärzten. Hier wird mir widergespiegelt wie bedeutend die digitale Präsenz der Praxen für die Patienten in der heutigen Zeit ist.
Kommen wir zum neuen TLX-Implantat. Ist Tissue-Level nicht eher ein Konzept von gestern?
UTZ: Überhaupt nicht. Das Tissue-Level-Konzept wird extrem nachgefragt, gerade auch von jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten. Die Implantate sind sehr einfach zu inserieren und prothetisch zu versorgen. Von der Derks-Studie wissen wir, dass die Überlebensrate sehr gut ist. Deshalb entwickeln wir das Konzept stetig weiter – vor allem in Richtung Sofortversorgung.
Etwas stockend scheint es derzeit mit den Keramikimplantaten voranzugehen? Was hat der Straumann-Group-Partner maxon dental in der Pipeline?
UTZ: Das Thema Keramikspritzguss mit unserem Partner maxon dental wird für den deutschen Markt tatsächlich bald spruchreif sein. Das ermöglicht eine ganz andere Preisgestaltung, denn die Herstellungskosten werden sinken.
Gibt es bald das erste zweiteilige Keramikspritzguss-Implantat in Deutschland?
UTZ: Ja, voraussichtlich im ersten Halbjahr 2022.