Erfahrungsbericht: So können sich Zahnarztpraxen auf Flüchtlinge einstellen
Was tun, wenn durch den Flüchtlingsstrom in der Zahnarztpraxis Probleme wie Sprachbarrieren, unklare Leistungsabrechnungen und überfüllte Wartezimmer auftreten? Dr. Beckmann und Dr. Branding, beide praktizierende Zahnärzte in Nordrhein-Westfalen und im Vorstand der ZÄKWL bzw. KZVWL, berichten im Interview mit dem DENTAL MAGAZIN über ihre Erfahrungen mit Asylsuchenden in der Praxis.
Wie viele Flüchtlinge bzw. Asylsuchende kommen in Ihre Praxis und welche Probleme treten dabei auf?
Beckmann: Statistisch steht für 20 Flüchtlinge eine Zahnarztpraxis zur Verfügung. Da die meisten Asylbewerber keine akuten Zahnschmerzen haben, wäre das kein Problem. Allerdings werden Praxen in der Nähe von großen Asylbewerber-Unterkünften und Anlaufstellen erheblich durch diese Notfälle belastet. Das kann bis zur drohenden Blockade einer Praxis wegen Überlastung reichen.
Schwierigkeiten bereiten häufig Sprachbarrieren. Wie gehen Sie damit um? Inwieweit helfen dabei die von der ZÄKWL und KZVWL entwickelten mehrsprachigen Fragebögen?
Branding: Wenn der Asylbewerber bereits den ausgefüllten Patientenerhebungsbogen und zusätzlich seine Identitätskarte und den Krankenbehandlungsschein mitbringt, können wir uns direkt um das zahnmedizinische Problem kümmern. Häufig ist das aber nicht der Fall und wir müssen austesten, welchen den unter www.zahnaerzte-wl.de veröffentlichten fremdsprachigen Fragebogen für Notfallbehandlungen der Patient lesen kann. Ist der Patient Analphabet, sind wir ohne Sprachvermittler meist nicht in der Lage, direkt zu helfen.
Behandelt werden dürfen – ohne Krankenbehandlungsschein bzw. G-Karte in NRW – laut Gesetz nur „akute Erkrankungen und Schmerzzustände“. Wie ist ein Notfall in der Zahnarztpraxis definiert?
Beckmann: Wir müssen den Notfall deshalb als unaufschiebbare Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen definieren. Es gibt keinen abschließenden Katalog. Jeder Einzelfall muss individuell entschieden werden. Es empfiehlt sich, die entsprechende Dokumentation vorzunehmen.
In welchen Fällen entscheiden Sie sich als Zahnarzt gegen eine Behandlung von Flüchtlingen?
Beckmann: Wenn ein Notfall vorliegt, muss ich ohne Wenn und Aber helfen. Wenn mir in übrigen Fällen, zum Beispiel aufgrund der Sprachbarriere, entscheidende Informationen fehlen und ich davon ausgehen muss, dass ich deshalb den Patienten schädigen könnte, zum Beispiel mit Medikamenten, die er nicht verträgt, muss ich gegebenenfalls die Behandlung zurückstellen und warten, bis zum Beispiel ein Sprachvermittler verfügbar ist.
Mit welchen Konsequenzen muss ein Zahnarzt rechnen, wenn er sich für einen Behandlungsaufschub entscheidet? Wie sollte er dies dokumentieren?
Beckmann: Wenn der Behandlungsaufschub – wie gerade ausgeführt – medizinisch indiziert ist, um dem Patienten nicht zu schaden, wird es keine Konsequenzen wegen unterlassener Hilfeleistung geben. Die Gründe sind in jedem Fall zu dokumentieren. Wir empfehlen, die Stelle zu informieren, die den Patienten aus der Einrichtung in die Praxis geschickt hat. Dort kann man gegebenenfalls mit dem Asylbewerber den zweisprachigen Patientenerhebungsbogen ausfüllen oder einen Sprachvermittler organisieren.
Wie rechnen Sie die Kosten für die Behandlung von Flüchtlingen ab?
Branding: Wenn der Patient in einer vom Bundesland eingerichteten Erstaufnahmestelle untergebracht ist, wird eine Rechnung zu Kassensätzen erstellt und an die zuständige Stelle gesandt. In Westfalen-Lippe ist das das Regierungspräsidium Arnsberg. Wenn der Patient bereits weiter vermittelt und in einer Kommune oder in einer von der Kommune ausgewiesenen Einrichtung untergebracht wurde, ist das örtliche Sozialamt der Kommune Kostenträger. Dann kann ich über die für mich zuständige KZV abrechnen. Voraussichtlich ab Januar 2016 können diese Asylbewerber in NRW auch mit einer G-Karte ausgestattet sein, die der Behandler dann einlesen und ebenfalls über die KZV abrechnen kann. Aber Achtung: Der Leistungsrahmen bleibt bis auf weiteres auch dann auf Akut- und Schmerzbehandlung beschränkt.
Wenn ein Dolmetscher hinzugezogen werden muss – wer trägt die Kosten dafür?
Branding: Das ist eine der vielen noch offenen Fragen und von der zahnärztlichen Selbstverwaltung nicht zu beantworten. Die Kostenträger jedenfalls haben erklärt, dass sie die Kosten nicht tragen. Wir hoffen, dass dafür zeitnah eine Lösung gefunden wird.
Wie schulen Sie Ihr Praxisteam? Worauf müssen die Empfangsmitarbeiterinnen vorbereitet sein?
Branding: Es ist hilfreich, gut sortiert zu sein und alle Unterlagen bereits von der bekannten Website der zahnärztlichen Körperschaften heruntergeladen zu haben. Sie sollten an der Anmeldung griffbereit sein. Falls die Nachfrage den üblichen Praxisablauf zu blockieren droht, muss die Organisation über gesonderte Notfallbehandlungszeiten nachdenken. Falls auch das nicht hinreichend entlastet, sollte die Asylbewerber-Einrichtungen über die Vertretung der örtlichen Zahnärzteschaft eine erweiterte Liste der Zahnärzte vor Ort erhalten, auf die die Schmerzfälle verteilt werden können.
Dr. Wilfried Beckmann ist Mitglied des Vorstandes der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (ZÄKWL) und niedergelassener Zahnarzt in Gütersloh. Dr. Burkhard Branding ist stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) und niedergelassener Zahnarzt in Detmold.