Endoprotheseninfekte durch zahnärztliche Eingriffe?
Infektionen eines künstlichen Hüft- und Kniegelenks sind eine zwar seltene, aber dennoch gefürchtete Komplikation: Bakterien können über den Blutweg streuen, die Prothesenoberfläche besiedeln und zur Lockerung des Kunstgelenks führen. Bei blutigen Zahn-Eingriffen an Trägerinnen und Trägern von Endoprothesen empfehlen deshalb die American Academy of Orthopaedic Surgeons (AAOS) und die AE –Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. die einmalige Gabe eines Antibiotikums [1,2].
Eine aktuelle britische Studie kommt nun zu dem Schluss, dass diese vorsorgliche Verabreichung eines Antibiotikums nicht notwendig sei [3]. Sie wertete die Daten von knapp 9500 Patienten mit Spätinfekten ihrer Gelenkprothesen aus, die zuvor eine Zahnbehandlung erhalten hatten. Dabei konnten sie keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen einem Zahn-Eingriff und dem Protheseninfekt finden. Eher trage ein ungepflegtes Gebiss, etwa Entzündungen, die leicht bluteten, dazu bei, dass Bakterien aus der Mundhöhle verschleppt würden. Die Studie unterstreiche die große Bedeutung einer lebenslangen Zahnpflege bei Patienten mit Kunstgelenken, kommentiert die AE. Gleichzeitig kündigt sie an, ihre Empfehlung zu überprüfen. Paradontitisbehandlung, Zahnprophylaxe, Extraktionen – manchmal fließt Blut beim Zahnarzt. Dabei können auch Bakterien in die Blutbahn gelangen und sich auf dem künstlichen Hüft- oder Kniegelenk festsetzen. Diese Infektionen treten mitunter auch noch Jahrzehnte nach der Implantation auf. Oft ziehen sie dann langwierige und aufwendige Behandlungen mit mehreren Operationen nach sich.
„Allein die direkten Kosten für solche Eingriffe liegen in Deutschland einschließlich dem dann wieder zu erfolgenden Einbau eines neuen Implantates zwischen 20 000 und 30 000 Euro“, sagt Professor Dr. med. Carsten Perka, Generalsekretär der AE und Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Doch wie kann man die Patienten schützen? Die Datenlage zum Risiko einer Implantatinfektion durch einen blutigen Eingriff in der Mundhöhle ist dünn: „Das liegt daran, dass insgesamt nur etwa 0,5 bis zwei Prozent aller Patienten eine sogenannte periprothetische Infektion ihres Hüft- oder Kniegelenks erleiden. In dieser Gruppe machen Bakterien aus der Mundhöhle wiederum nur einen sehr kleinen Teil aus“, sagt der Orthopäde und Unfallchirurg.
Um sich der Fragestellung anzunähern, hatte ein Forscherteam der Charité im Jahr 2019 retrospektiv auf dem Blutweg übertragene Protheseninfektionen untersucht [4]. In 72 von 106 untersuchten Fällen (68%) konnte es den Ausgangspunkt der Infektion identifizieren. In sieben Fällen (10%) fand sich ein Zusammenhang mit einer vorangegangenen Zahnbehandlung. Unter anderem deshalb empfiehlt die AE bislang die einmalige Gabe von 2 g des Antibiotikums Amoxicillin eine Stunde vor einem invasiven („blutigen“) zahnmedizinischen Eingriff [2]. Amoxicillin gilt als gut verträglich, insbesondere bei einmaliger Anwendung. Die Kosten sind mit bis etwa 1,30 € pro 1 g Wirkstoff gering.
Obwohl auch 90 Prozent der US-amerikanischen Orthopäden die vorsorgliche Antibiotikagabe unterstützen, haben sich nicht alle Länder dieser Empfehlung angeschlossen. In England etwa ist die Antibiotikaprophylaxe vor dem Eingriff nicht Standard. Hier haben Forscher nun die Daten von Patienten aus dem National Health Service (NHS) aus den Jahren 2011 bis 2017 untersucht [3]. Auch in dieser Studie kommen die Forscher zu dem Schluss, dass bei etwa neun Prozent der Spätinfekte die oralen Streptokokken ein möglicher Grund sein können. Nichtsdestotrotz fanden sie keine Kausalität mit den vorangegangenen Zahn-OPs. Dies deute darauf hin, dass die wenigen Spätinfekte, die durch orale Streptokokken verursacht wurden, eher die Folge von Zahnpflegeroutinen waren – wie Zähneputzen oder Anwendung von Zahnseide, so die Forscher. Insbesondere Patienten mit schlechter Mundhygiene seien hier gefährdet. Deshalb raten sie, auf die routinemäßige Antibiotikaprophylaxe bei Zahneingriffen künftig zu verzichten.
„Wir begrüßen diese wichtige neue Studie und prüfen eine Anpassung unserer Empfehlung“, sagt AE-Generalsekretär Perka. Schon jetzt unterscheide man nach gesunden und vorerkrankten Patienten. Es sei bekannt, dass chronisch Kranke, etwa Diabetiker, Krebskranke oder Menschen mit schwerer Adipositas ein höheres Risiko für jedwede Komplikationen haben und entsprechend besser geschützt werden müssen.
„Ein erster Schritt ist sicherlich, statt einer generellen Antibiotikapophylaxe insgesamt mehr Aufklärung und Bewusstsein für die Bedeutung von Zahngesundheit bei Trägern von Endoprothesen zu schaffen“, sagt auch Privatdozent Dr. Stephan Kirschner, Präsident der AE und Direktor der Klinik für Orthopädie in den ViDia Kliniken Karlsruhe. Vor dem Eingriff sollte der Zahnstatus überprüft und gegebenenfalls saniert werden, betont er. Zahnhygiene mit einer mindestens halbjährlichen Kontrolle durch den Zahnarzt sei zudem fester Bestandteil der eigenen Fürsorge für den Gelenkersatz.
LITERATURLISTE
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