ZFZ Sommerakademie 2016

Das richtige Maß bei Hygiene und Zahnpflege finden

„Zu viel des Guten?“ – das war die Leitfrage der diesjährigen Sommerakademie des zahnmedizinischen Fortbildungszentrums Stuttgart (ZFZ) in Ludwigsburg.



Bereits zum 23. Mal fand die Sommerakademie des ZFZ Stuttgart statt und auch dieses Mal war das Wetter pünktlich zum Start der Veranstaltung sommerlich warm und sonnig. Dem Thema „Wie viel ist zu viel“ im Bereich der zahnmedizinischen Prophylaxe widmeten sich die Referenten erst am zweiten Tagungstag. 

Am ersten Tag der Veranstaltung bezog sich das Thema “Zu viel…?” auf allgemeinere gesellschaftliche Themen. Oder um es mit dem Worten von Prof. Dr. Johannes Einwag, Direktor des ZFZ Stuttgart, zu sagen: „Hier lernen die Teilnehmer eher was fürs Leben als im Bereich der Zahnmedizin.“ Daher holte Einwag für das diesjährige Programm einige „Querdenker mit ins Boot“.

Darunter der Kinderimmunologe Prof. Dr. Tim Niehues mit dem Thema “Zu viel Hygiene”, der die Wirkweise des menschlichen Immunsystems vereinfacht vorstellte und auch Bezug auf den Biofilm im Mundraum sowie die Parodontitis nahm. Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Udo Pollmer rechnete in seinem Vortrag „Zu viel bio?!“ im Stile eines Stand-up-Comedians auf polarisierende Art und Weise mit aktuellen Ernährungstrends wie beispielsweise dem Veganismus ab. Pollmers Motto: “Iss, was dir bekommt, egal wie gesund es ist!” Gibt es auch ein Zuviel an Bewegung? Mit dieser Frage beschäftigte sich Sportmediziner Prof. Dr. Ralph Beneke in seinem Vortrag, und Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer (“Zu viel digital?”) erklärte, warum man seinen Kindern umgehend das iPad und Smartphone wegnehmen sollte.

Verleihung des Deutschen Preises für Dentalhygiene

Der Freitagabend endete bei herrlichem Juli-Wetter traditionell mit dem großen Sommerfest, bei dem die mehr als 1000 Teilnehmer auf dem Außengelände des Forums Ludwigsburg sich in gemütlichem Ambiente austauschten. Parallel dazu wurde der Deutsche Preis für Dentalhygiene verliehen. Dieser ging in diesem Jahr an den Verein ZahnGesundheit Tirol. Einwag: “Damit geht der Preis nicht nur erstmalig ins Ausland, sondern auch zum ersten Mal an ein Team und keine Einzelperson.” Der Verein wurde im Besonderen dafür geehrt, das Berufsbild der Prophylaxe-Assistentin in Österreich professionalisiert und durch seinen Einsatz die allgemeine Zahngesundheit in Tirol nachweislich verbessert zu haben.

Wenn die Zahnbürste zu Waffe wird

Am Samstagvormittag stand dann die Zahnmedizin im Mittelpunkt. Auch hier lag der Fokus auf dem “Zuviel” – diesmal im Bereich der Zahnpflege. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie, Prof. Dr. Christof Dörfer, startete mit seinem Vortrag „Ein sauberer Zahn bleibt gesund? Wenn die Zahnbürste zu Waffe wird…“. Nicht abgerundete Filamente, eine zu harte Zahnbürste, traumatisches Schrubben, abrasive Zahnpasta und das Putzen nach dem Verzehr von säurehaltiger Nahrung – all diese Dinge würden für Abrasion, Rezessionen und Attachementverlust verantwortlich gemacht. Doch stimmt das wirklich? Ursache um Ursache beleuchtete Dörfer und ordnete sie anhand von aktuellen wissenschaftlichen Studien ein. Mit dem Ergebnis: Alle Annahmen sind wissenschaftlich nicht belegt. So seien beispielsweise weiche Bürsten bei geschädigten Zähnen sogar kontraindiziert, da die abrasiven Putzpartikel wegen der geringeren Federung der weichen Borsten länger auf den Zähnen verbleiben als bei harten Borsten und dort für weitere Schäden sorgen. Dörfer: „Wenn wir die Anfänge von Rezessionen entdecken, dürfen wir dem Patienten nicht einfach eine weiche Zahnbürste in die Hand drücken.” Viel mehr müsse man generell den Weg zum schonenden Putzen weisen. “Entscheidend ist die Einstellung der Patienten. Die Lösung muss im Kopf der Patienten passieren”, sagte Dörfer.

„Wir brauchen Fluorid um den Zahnschmelz widerstandsfähig zu halten“

Prof. Dr. Elmar Hellwig ließ es sich trotz eines Risses der Achillessehne nicht nehmen, seinen Vortrag zum Thema „Wozu noch Flourid oder CHX, wenn die Karies fast besiegt ist?“ zu halten. Und beantwortete die Frage direkt zu Anfang: „Wir brauchen Fluorid um den Zahnschmelz widerstandsfähig zu halten.“ 130 Studien mit über 65.000 Teilnehmern würden diese These stützen. Eine Langzeitstudie habe beispielsweise gezeigt, dass das Kariesrisiko für Heranwachsende deutlich gesenkt werden könne, wenn diesen ab dem Milchzahn-Durchbruch regelmäßig Fluorid gegeben werde.

Und nicht nur das: Bei Kindern und Jugendlichen sei die Fluoridierung sogar wichtiger als die Putztechnik. Auch relativierte er die Annahme, die Karies sei besiegt. Neben vielen Kindern, wären auch heute noch 45 Prozent aller Senioren betroffen, schwerpunktmäßig von Wurzelkaries. Auf die Wirksamkeit von CHX ging Hellwig nur kurz ein, sagte jedoch, dass die Verwendung CHX-haltiger Präparate nur bei durchbrechenden Zähnen und bei älteren Patienten sinnvoll sei, die sich ihre Zähne nicht mehr eigenständig putzen könnten.

Die Art und Weise des Trinkens ist unerheblich

Sehr praxisnah präsentierte Prof. Dr. Adrian Lussi aus Bern sein Thema „Vorsicht Schmelzfresser: Ernährungstipps und Zahngesundheit für dentale Erosionen“. Der Schweizer ging mit den Teilnehmern eine Liste verschiedenster Getränke durch und ordnete diese nach ihrer erosiven Wirkung ein.

Auch auf die Art und Weise des Trinkens (viele kleine Schlücke oder wenige große Schlücke) und die Menge (viel oder wenig) ging Lussi ein. Entgegen früherer Annahmen sei die Menge unerheblich. Die Häufigkeit der Säureattacken sei entscheidend. Auch der PH-Wert eines Nahrungsmittels sei nicht der entscheidende Einflussfaktor, sondern ob in diesem zusätzlich Fluorid, Kalzium und Phosphat enthalten seien. So sei Orangensaft beispielsweise hocherosiv, versetze man diesen jedoch mit Kalzium, verhalte er sich neutral. Doch egal, wie sehr eine ungünstige Ernährung die Bildung von Erosionen begünstige, müsse der behandelnde Zahnarzt beachten, dass die Ursachen immer multifaktoriell sind.  

Die Sommer-Akademie 2016 fand erstmals als Gemeinschaftstagung mit der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie e.V. (DGKFO) satt. Daher wurde die Agenda der Sommer-Akademie um Workshops am Donnerstagnachmittag und einen wissenschaftlichen Programmteil am Freitagvormittag ergänzt.