Brånemarks-Erben stellen sich den Herausforderungen der Osseointegration
Auch wenn der diesjährige Kongress der European Association of Osseointegration (EAO) die Herausforderungen der Implantologie zum Motto macht, ist bei der erstmals in Stockholm stattfindenden Veranstaltung eine gehörige Portion Geschichte dabei. Das zeigte sich auch bei der gestrigen Eröffnung durch den EAO-Vorsitzenden Prof. Dr. Björn Klinge.
In seiner Willkommensrede begrüßte Klinge die an den drei Kongresstagen erwarteten rund 2500 Teilnehmer aus 72 Ländern. Erwartet werden zudem rund 800 Vertreter von 90 Firmen der Dentalindustrie in der Industrieausstellung.
Klinge erklärte, dass der diesjährige Kongress in Gedenken an den 2014 verstorbenen Schweden und Begründer der modernen Implantologie, Per-Ingvar Brånemark, stattfinden wird. Zu Ehren Brånemarks wird die EAO die Veranstaltung in Stockholm um einen Tag verlängern. Am Sonntag, 27. September, wird ein spezielles Symposium zu Ehren Brånemarks ausgerichtet für das gestern auf der Bühne während der Eröffnung auch Brånemarks Witwe noch einmal warb. Anmeldungen dafür seien noch kurzfristig über die EAO Website (www.eao.org) möglich.
Kontrollierte Prothesen
Und auch sonst war gestern fast überall in der Stockholmer Messe Brånemarks Geist zu spüren. Sogar sein Sohn, der Orthopäde Prof. Dr. med. Rickard Brånemark, hielt den „Blick-über-den-Tellerrand“-Vortrag zu „Osseointegration and brain control prosthesis“. Dabei zeigte er, wo der Weg in der Orthopädie im Bereich Implantologie gehen könnte. Bereits jetzt werden Prothesen durch Osseointegration implantiert. Zukünftig sollen diese durch implantierte Elektroden durch das Gehirn gesteuert werden können. Der erste Patient hat eine solche Prothese bereits implantiert bekommen. Brånemark erwartet „wahre Wunder“ für die Zukunft der Implantologie.
Das Hauptprogramm stand Donnerstag auch ganz im Zeichen von 50 Jahren Osseointegration. Prof. Dr. Thomas Albrektsson, Göteburg, stellte die Brånemark-Methode vor und berichtete von Anfängen der Implantologie, die er zum großen Teil selber mit gestaltet hat. Brånemark ist und bleibt für Albrektsson ein Visionär. „Er hat sich bereits 1978 ein Patent für Nano-Technologien auf Implantatoberflächen eintragen lassen, obwohl diese Technologie in der Osseointegration damals noch gar nicht umsetzbar war.“
Forschung ohne Internet
Erstaunlich war, dass fast zeitgleich in den 70er Jahren mit Brånemark in Schweden auch in Deutschland und der Schweiz unabhängig voneinander grundlegende Forschung im Bereich der Implantologie stattfand. Prof. Dr. Daniel Buser, Bern, berichtete über Prof. Dr. André Schroeder, der in Bern 1976 die erste histologische Osseointegration dokumentierte. „Erst Mitte der 80er Jahre realisierte Schroeder, dass in Schweden ein gewisser Brånemark Studien in diesem Bereich veröffentlichte“, erklärte Buser. „Damals gab es noch kein Internet oder Handys.“ Schroeder initiierte 1980 das International Team of Implantology (ITI).
Auch der deutsche Forscher Prof. Dr. Dr. h.c. Willi Schulte betrieb in Tübingen zur selben Zeit Pionierarbeit in der Implantologie, wie Prof. Dr. Jörg Meyle, Tübingen, berichtete. Schultes Ziel dabei: das Weichgewebe und das Implantat schützen.
Risikofaktoren für den Implantaterfolg
Im letzten Vortrag der Hauptsession ging der Weg dann wieder zurück in die Gegenwart. Prof. Dr. Jan Derks, Göteborg, stellte brandaktuelle Ergebnisse eines landesweiten Forschungsprojektes aus Schweden vor. Dabei wurden mehr als 25.000 Daten der schwedischen Sozialversicherung einbezogen, um Daten über die Effektivität der Implantattherapie zu erlangen.
Die Ergebnisse (teilweise noch nicht veröffentlicht) waren erstaunlich: So zeigten 45 Prozent der Implantate Zeichen einer Periimplantitis und 14,5 Prozent eine moderate Periimplantitis. Außerdem konnte die Studie einige Patienten- und Implantatbezogene Faktoren identifizieren, die für das Therapieergebnis ausschlaggebend sein können. Dazu gehören unter anderem die parodontale Gesundheit, die Anzahl der gesetzten Implantate, der Hersteller des Implantats sowie die Kieferbehandlung und der Abstand des Abutments zum krestalen Knochen.
Hart- und Weichgewebe
Mit dem Hart- und Weichgewebe befasste sich ein weiterer Programmpunkt gestern. Den Fokus auf das Hartgewebe legte Dr. Luca Cordaro, Rom. Er konnte was die Augmentationen betrifft vor allem aus seinen eigenen Erfahrungen berichten. „Denn leider gibt es nur wenige Daten darüber, welche Methode der Augmentation zu bevorzugen ist“, bemängelte Cordaro. Er empfiehlt eine Methodenauswahl von Fall zu Fall. „Der Zahnarzt muss zudem wissen, dass diese Fälle eine Herausforderung sind und sich gut überlegen, ob er diese einem Spezialisten übergibt oder es selber versucht“, sagte der Italiener. Die klinische Erfahrung des Implantologen ist für ihn der entscheidende Faktor.
Dass die EAO-Veranstaltungen immer auch Gelegenheit sind neue Methoden oder Ansätze zu präsentieren, für die vielleicht noch die wissenschaftlichen Daten fehlen, zeigten zwei weitere Vorträge. Dr. Tomas Linkevicius, Vilnius (Litauen), betonte die Wichtigkeit der vertikalen Weichgewebsdicke für den Implantaterfolg und die Vermeidung eines krestalen Knochenverlustes nach der Insertion. Dazu stellte er verschiedene Techniken vor, mit denen man einem zu dünnen Weichgewebe begegnen könnte. „Allerdings beruhen diese Methoden rein auf eigenen klinischen Erfahrungen“, sagte Linkevicius. Die passenden Studien dazu würden noch fehlen.
Erste Studien zur Methode, die Prof. Dr. Marc Quirynen und Dr. Andy Temmerman, Leuven (Belgien), vorstellten gibt es bereits. Trotzdem ist die Verwendung von L-PRF-Membranen (Leukocyte- and platelet-rich fibrin) für die Weichgewebsregeneration umstritten. Aus Eigenblut des Patienten wird über eine Zentrifuge diese Membran gewonnen. Zeit und Equipment spielen dabei laut Quirynen eine entscheidende Rolle. Er bezeichnete L-PRF als „living human tissue graft“. Die Einsatzmöglichkeiten der Membran seien dabei vielfältig. Ebenso wie die Vorteile, die Temmerman vorstellte: weniger post-operativer Schmerz beim Patienten, bessere Knochenqualität, weniger Knochenabbau nach dem Ziehen des Zahnes und antimikrobakterielle Eigenschaften von L-PRF. Doch bevor dieser Ansatz sich durchsetzt, seien noch weitere klinische Studien nötig, betonten beide Referenten.
Prof. Dr. Jan Lindhe ausgezeichnet
Der weltweit bekannte Parodontologe Prof. Dr. Jan Lindhe erhielt von EAO-Präsident Prof. Dr. Klinge die EAO Goldmedaille für seinen außergewöhnlichen Einsatz für die EAO überreicht.