Expertenzirkel

Wurzelkanalaufbereitung ohne Stress

Noch immer liegt die Erfolgsquote endodontischer Behandlungen in Deutschland bei gerade einmal 50 Prozent. Können Single-File-Konzepte und feilenreduzierte Systeme das ändern? Eine Standortbestimmung.



Auf der IDS 2011 begann der Hype um die Aufbereitung mit nur einer Feile. Die Vorteile: kürzere Aufbereitungszeiten, entspannteres Arbeiten. Wann aber funktionieren Single-File-Konzepte und feilenreduzierte Systeme tatsächlich im Praxisalltag?
Bürklein: In maximal 80 Prozent der Fälle kann ein Einfeilensystem ausreichend sein (so suggerieren Herstellerangaben), vorausgesetzt, die manuelle und damit taktile Sondierung des Wurzelkanalsystems mit sogenannten Pilotfeilen sowie eine Gleitpfadpräparation und die vorherige Gestaltung einer idealen Zugangskavität und ein „Preflaring“ sind erfolgt. Diese vorbereitenden Maßnahmen stellen die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Wurzelkanalbehandlung dar.

Nur eine Feile reicht also nie?
Gorgolewski: Das wäre die absolute Ausnahme. Selbst für die elektrometrische Längenbestimmung braucht es ja eine weitere Feile.
Bürklein: Bei mir findet die Wurzelkanalaufbereitung mit nur einer Feile definitiv nicht statt.

Wie viele Feilen braucht es mindestens?
Gorgolewski: Mindestens zwei, eine Handfeile für die Gleitpfaderschließung, den Opener oder Gates-Bohrer für die koronale Erweiterung des Wurzelkanaleingangs und eine Feile mit ISO 025 für die initiale Formgebung.

Warum spricht man dann überhaupt von Single-File-Konzepten?
Bürklein: Weil das ständige Feilenwechseln während der Aufbereitung entfällt. Solche Konzepte vereinfachen das Aufbereiten nach der initialen Sondierung und Gestaltung der Zugangskavität deutlich. Bei einigen Fällen benötigt man eine Hybridtechnik, also den Einsatz maschineller Ein- oder Mehrfeilensysteme in Kombination mit zum Beispiel vorgebogenen Handfeilen. Lässt sich allerdings abschätzen, dass ein Wurzelkanalsystem mit einem einfachen Feilensystem nicht oder nur schwerlich aufbereitbar ist, etwa wegen extremer Krümmungen, sollte man erst gar nicht mit der Instrumentierung beginnen, um keine iatrogenen Stufen oder Kanalverlagerungen zu kreieren, und an den Spezialisten überweisen.

Und das könnte die Erfolgsquoten erhöhen?
Bürklein: Davon gehe ich aus. Jeder Kanal ist anders und sollte gemäß den anatomischen Gegebenheiten ausgeformt werden. Wir unterscheiden bei der Krümmung den Krümmungswinkel und den Krümmungsradius. Eine kontinuierliche Krümmung – im Röntgenbild deutlich erkennbar – ist deutlich leichter ohne Feilenwechsel aufzubereiten als eine plötzliche Krümmung mit einem Winkel von 45 Grad oder einem noch steileren. Auch pseudoelastische Nickel-Titan-Feilen möchten sich stets gerade stellen und lassen sich nicht ohne Weiteres über abrupte Krümmungen hinweg bewegen. Man sollte in solchen Fällen Step by Step arbeiten, also das Kanalsystem kontinuierlich nach und nach erweitern; man mindert so die Belastung für die einzelnen Feilen.
Single-Feilen beginnen meistens erst ab einer Größe von 25/100 mm im apikalen Bereich und sind bisweilen nur in bestimmten Größen verfügbar. Sie sind somit aufgrund des größeren Querschnitts deutlich größer und starrer als Feilen, die aufeinander aufbauen und mit geringen Größen beginnen – also solche, bei denen die vorherige den Gleitpfad für die nächste Feile bildet. Aber wie gesagt, Single-File-Konzepte können im Gros der Fälle eine adäquate Alternative darstellen. Damit arbeitet es sich für die meisten Anwender einfacher und zügiger als mit Mehrfeilenkonzepten.
Haynert: Dieses Feedback erhalten auch wir als Hersteller. Unsere Kunden erleben Einfeilensysteme als einfach und zeitsparend, insbesondere bei der reziproken Arbeitsweise.

Reziprok oder rotierend?

Warum gerade bei der reziproken Bewegung?
Haynert: Dies ist auf die vorgegebenen Drehmomenteinstellungen der gängigen reziproken Antriebe zurückzuführen. Diese Drehmomente sind sehr viel höher als die empfohlenen Drehmomente rotierender Feilensysteme. Das hat zur Folge, dass reziproke Feilen sich auch bei höherer Belastung effektiv und nahezu ungebremst durch den Wurzelkanal arbeiten.

Das klingt, als wären rotierende Systeme einfacher oder sicherer?
Haynert: Das würde ich so als generelle Aussage nicht vertreten. Aber gerade für Einsteiger in die maschinelle Wurzelkanalaufbereitung sind durch die niedrigeren Drehmomente mehr Sicherheitsstufen eingebaut, um kontrollierter vorzugehen und das Risiko einer Kanalschädigung geringer zu halten.
Gorgolewski: Deshalb favorisiere ich zum Beispiel die rotierenden Systeme. Eine sichere Wurzelkanalaufbereitung dank geringerer Frakturanfälligkeit sowie ein optimales Shaping des Wurzelkanals lassen sich auch mit feilenreduzierten rotierenden Systemen sicher erreichen, zum Beispiel mit einem Ein- oder Zweifeilensystem (F6 SkyTaper oder F360). Aufgrund der Konizität, also der Tapergröße, der F360 von .04 wird eine sehr gute Flexibilität erreicht. Dies ermöglicht es in der Praxis, tatsächlich das Gros aller Kanäle aufzubereiten, zwar nicht mit einem Single-File-System, aber mit einem Zweifeilenkonzept und einer weiteren Handfeile für die Längenbestimmung. Dieses reduzierte System spart Zeit und macht die Behandlung sicherer sowie prognostisch besser. Wichtige Faktoren wie Spülung und das Abfüllen des Kanals müssen natürlich beachtet werden.

Herr Dr. Bürklein, reziprok versus rotierend, welche Bewegung ist letztlich effektiver?
Bürklein: Das ist letztlich eine Glaubensfrage, die Aufbereitungsarten sind sich ebenbürtig, wie zahlreiche Studien belegen (Bane et al. Iran Endod J 2015, Bürklein et al. J Endod 2013). Es gibt einfach „zwei Lager“, diejenigen, die die rotierende Aufbereitung bevorzugen, die „Rotaries“, und diejenigen, die die reziproke Arbeitsweise bevorzugen, die „Reziproken“.

Heißt das, die Anwender wechseln nicht? Salopp gesagt: einmal reziprok, immer reziprok?

Bürklein: Ganz so einfach ist das nicht, jedoch werden zurzeit bei uns im Universitätsklinikum Münster nur rotierende Mehrfeilensysteme in den Studierendenkursen eingesetzt.

Bitte nennen Sie Ihren persönlichen Favoriten.
Bürklein: Für mich persönlich ist das indikationsabhängig. Bei Revisionsfällen zum Beispiel bevorzuge ich die reziproke Bewegung. Denn dabei gilt es viel Mate‧rial aus dem Kanal zu bringen. Und das funktioniert mit den reziproken Feilen aus meiner Sicht effizienter und sicherer. Ansonsten arbeite ich meist rein rotierend.
Gorgolewki: Mir dagegen missfällt das reziproke Handling. Die Bewegung verursacht ein leichtes Rütteln, das meine taktile Kontrolle beim Aufbereiten der Kanäle erheblich stört. Und diese taktile Kontrolle ist mir extrem wichtig. Sie hat für mich ähnlich hohe Bedeutung wie die perfekte Sicht auf den Kanalgrund. Deswegen nutze ich Handfeilen und rotierende Instrumente.

Single-File-Konzepte: Das Richtige für den Praktiker

Aber keine typischen Mehrfeilensysteme?
Gorgolewski: Nein, Systeme wie Komet F360 und das rotierende Einfeilensystem F6 SkyTaper inkl. der Pathglider und Opener. Die Kombination dieser beider Feilen ermöglicht die Aufbereitung sowie Revision aller Kanäle. Der Taper von .04 minimiert Microcrack-Risiken und sorgt für gute Flexibilität. Der S-förmige Querschnitt befördert das Debris nach koronal wie eine archimedische Schraube, der große Spanraum verhindert das Verkeilen des Instruments.
 
Ich fasse zusammen: Egal ob rotierend oder reziprok, Single-File-Konzepte sind das Richtige für den Praktiker?
Bürklein: Exakt, Single-File-Systeme – egal ob rotierend oder reziprok – können heute in 80 Prozent der Fälle (so die Herstellerangaben) den mechanischen Abtrag leisten, den in der Vergangenheit Mehrfeilensysteme übernehmen mussten. Generell gilt, dass die maschinelle Aufbereitung mit weniger Aufbereitungsfehlern, Stufenbildungen, Kanalbegradigungen oder Verlagerungen der Kanalachse assoziiert ist (Schäfer E. et al. J Endod 2004). Die Einmalverwendung der Instrumente ist zudem hygienischer und schützt vor Überlastung, sprich vor Frakturen.
Des Weiteren ist nachgewiesen, dass Frakturen, Kanalverlagerungen und weitere Komplikationen bei reziproker Wurzelkanalaufbereitung zusätzlich weniger häufig vorkommen.. Allerdings sind die reziproken Varianten in der Regel in weniger Größen erhältlich und mit einem größeren Taper verbunden.

Ist das ein Problem?
Bürklein: Nicht zwingend, ein größerer apikaler Taper (.06 oder größer) hat schließlich auch Vorteile. Er verbessert die Reinigung des Wurzelkanals während der Irrigation. Dank der apikal größeren Konizität bei der Ausformung des apikalen Abschnitts lässt sich bei der thermoplastischen Obutration der Kompaktionsdruck leichter kontrollieren und die Seitenkanäle, die Isthmen und die Rezessus sind besser zu obturieren. Weiter kann ein Überpressen des Wurzelfüllmaterials bei dieser Form besser vermieden werden. Darüber hinaus – und das ist Endo-Spezialisten sehr wichtig – wird das direkte Einspritzen von erwärmter Guttapercha (Squirting-Technik) auf voller Arbeitslänge überhaupt erst mit dieser Präparationsart möglich; dabei ist eine Konizität von etwa zehn Prozent hilfreich. Aber unter bestimmten Voraussetzungen führt bei der maschinellen Aufbereitung ein größerer Taper zu mehr Microcracks. Dieses Thema wird zurzeit allerdings sehr kontrovers diskutiert.
Gorgolewski: Ich als „Rotierer“ arbeite nicht mit größeren Tapern und rate Einsteigern ebenfalls davon ab. Jeder Behandler sollte jedoch verschiedene Feilen erproben und sich erst dann entscheiden. Beim Testen sollte er an die Belastungsgrenzen der Instrumente gehen. Zudem sollte man sich mit dem Feilendesign befassen, um eine Orientierung zu gewinnen. Nur so lassen sich zum Beispiel Instrumentenfrakturen bei Feilen mit kleinen Spanräumen vermeiden. Die .04-Konizität der F360 ist beispielsweise extrem flexibel und eignet sich damit auch für gebogene Kanäle. Die „Single-use“-Anwendung und der große Spanraum machen sie zudem fraktursicher. Mit diesen Eigenschaften übertrifft sie die Mehrzahl der reziproken Feilensysteme.
Haynert: Dazu kommt: Reziprok bedeutet immer hohe Drehmomente, starker apikaler Vorschub. Wenn dann noch mit einem großen Taper gearbeitet wird, steigt die Gefahr von Aufbereitungsfehlern und auch von Microcracks. F360 hält diese Gefahr niedrig und liefert leicht reproduzierbare Ergebnisse dank geringen Tapers und NiTi-Feilen, die dem Kanalverlauf sauber folgen.
Gorgolewski: Der Spezialist hat selbstverständlich mehrere Systeme in der Praxis, um in schwierigen Fällen zwischen den Aufbereitungsarten wählen zu können.

Rotierende Systeme letztlich preiswerter?

Bleiben wir bei der Allgemeinpraxis: Wer einen Motor besitzt, der rein rotierend arbeitet, und auch reziproke Instrumente einsetzen möchte, benötigt ein neues Gerät, das die Bewegung der Feile auch umsetzen kann. Das dürfte teuer werden …
Bürklein: … denn dann muss ein neuer Motor her, der auch die reziproke Bewegung generieren kann. Während spezielle Endomotoren (VDW-Silver/Gold und der X-Smart von Dentsply Sirona Endodontics) beide Bewegungen, die rotierende und reziproke, in der Feilenbibliothek zur Verfügung haben, lässt sich z. B. beim Universalmotor Endopilot (Schlumbohm) die reziproke Bewegung in und gegen die Schneidrichtung der Feile mit Angabe in Millisekunden „frei Hand“ einstellen. Diese manuellen Einstellungen kopieren den Modus der Originalmotoren recht gut, aber die Performance bei der Aufbereitung mit denselben Feilen (Reciproc (VDW) und WaveOne Gold (Dentsply Sirona Endodontics) ist nicht identisch mit der Nutzung der Originalmotoren.
Gorgolewski: Aus meiner Sicht sind rotierende Systeme letztlich preiswerter. Viele Praxen verfügen bereits über Endomotoren älteren Datums, die aber die reziproke Bewegung nicht unterstützen. Beim Umstieg auf ein neues rotierendes Feilensystem programmieren sie Drehmoment plus Drehgeschwindigkeit ein und können loslegen. Damit die reziproke Bewegung unterstützt wird, braucht es meist einen neuen Motor.
Haynert: Bis auf die Motoranschaffung „ja oder nein“ unterscheiden sich die Kosten nicht gravierend. Die Preise für Motoren und Feilen liegen auf einem ähnlichen Niveau.

Stichwort Gleitpfadbildung: Schaffen es reziproke Systeme auch ohne?
Bürklein: Ich halte die Gleitpfadbildung grundsätzlich und immer für obligat. Auch wenn der eine oder andere Hersteller das anders sieht. Eine Feile kann sich nur in einem Raum fortbewegen, der präexistent ist. Keine Feile schreitet in einem komplett obliterierten Kanal voran. Es braucht also den Hohlraum. Schließlich fehlen meist schneidende Spitzen (Safe-end tips). Die für mich obligate Sondierung des Kanalsystems mit einer Feile der ISO-Größe 10 (und zuvor ggf. auch Feilen der Größe .06 und .08) führt im Grunde schon zu einer Art Gleitpfad. Diese Sondierung liefert unverzichtbare Informationen bezüglich der Kanalkonfiguration.

Das diagnostische Röntgenbild reicht demnach nicht?
Bürklein: Nein, das Röntgenbild ist selbstverständlich unverzichtbar – allein auch schon aus forensischen Gründen ist ein diagnostisches Bild erforderlich. Doch es liefert primär nur zweidimensionale Informationen über die Kanalkrümmung. Mit der initialen Sondierung mit Edelstahlfeilen, beispielsweise Pilotfeilen, lässt sich die Kanalmorphologie ganz hervorragend austasten.

Wie genau funktioniert das?
Bürklein: Man führt die Pilotfeile (aus Edelstahl) nach dem Preflaring und ausreichender Spülung in den Kanal in einer leichten watch-winding motion (Rechts-Links-Bewegung wie beim Aufziehen einer mechanischen Uhr) und katheterisiert das Kanalsystem bis in den apikalen Bereich. Beim Herausziehen der Feile zeigt sich in der Regel die analog der Kanalkrümmung gebogene Feile aufgrund der bleibenden Deformation des Edelstahlinstruments. Das liefert uns folglich dreidimensionale Informationen über den Kanalverlauf. Wir brauchen dafür selbstverständlich den geraden Zugang, den „straight line access“, zum koronalen Kanaldrittel sowie ein OP-Mikroskop oder mindestens eine Lupenbrille. Dieser zusätzliche Informationsgewinn durch die initiale Sondierung und Gleitpfadaufbereitung verschafft enorme Vorteile. Und darauf möchte ich niemals verzichten.

Gleitpfadbildung: Verzichtbar?

Herr Gorgolewski, halten Sie die Gleitpfadbildung für verzichtbar?
Gorgolewski: Nein, keinesfalls, selbst wenn die WK-Aufbereitung bei wenigen Kanälen, die ein ausreichend großes Lumen haben, ohne Gleitpfadgestaltung klappen könnte. Studiert man die Hersteller-Produktanleitungen, wird praktisch immer eine Gleitpfadgestaltung empfohlen. Selbst in der Anleitung zur Reciproc Blue und der Wave One Gold wird bei der Aufbereitung zur Verwendung von Handinstrumenten für eine Rekapitulation aufgefordert.
Haynert: Und das ist auch bei aller Begeisterung für mehr Einfachheit verständlich. Der Gleitpfad gibt dem Behandler schließlich extrem wertvolle Informationen zur Kanalmorphologie, Hindernisse werden ertastet. Er ebnet also den nachfolgenden maschinellen Feilen einen leichten und sicheren Weg durch den Kanal. Das mindert die Gefahr einer Feilenfraktur und steigert die Aussicht auf eine erfolgreiche Wurzelkanalaufbereitung. Instrumente wie unser PathGlider kommen nach der koronalen Erweiterung mittels des Openers, der den Kanal bereits zu Anfang der Behandlung zuverlässig vom Großteil der Bakterien befreit, und der primären Sondierung per Handfeile zum Einsatz.

Apropos maschinelle Gleitpfadbildung: Könnte das auch die initiale Sondierung mit der Handfeile ersetzen?

Bürklein: Nein, die initiale Sondierung des Kanalsystems mit der Handfeile geht bei mir in der Behandlung immer voran. Auf diesen Informationsgewinn möchte ich nicht verzichten, auch wenn ich ein Fan der maschinellen Gleitpfadbildung bin: Ohne Motor bin ich mit meinen Fingerspitzen einfach näher an der Feile und habe eine bessere Taktilität.
Haynert: Das sehen wir genauso und empfehlen grundsätzlich den Einsatz von Handinstrumenten, bevor maschinelle Feilen zum Einsatz kommen. Handfeilen liefern dem Zahnarzt einfach mehr Informationen über die Kanalmorphologie und erlauben ein taktileres, vorsichtigeres Vorgehen.

Braucht es zwingend ein OP-Mikroskop für die Gleitpfaderstellung?

Bürklein: Ein OP-Mikroskop ist für Endodontologen sicherlich der Goldstandard, allerdings kann man auch mit Lupenbrillen mit vier- bis fünffacher Vergrößerung schon sehr gut arbeiten. Das ist schon eine wichtige Voraussetzung – und zwar unbedingt mit einer adäquaten Beleuchtung. Nicht die Vergrößerung allein, sondern die adäquate Ausleuchtung des Opera‧tionsfeldes ist letztlich mit erfolgsentscheidend. Ohne Licht ist es nach der Trepanation im Bereich der Kanaleingänge unabhängig von der Vergrößerung dunkel, man sieht einfach nichts!

Wo liegen weitere Hürden bei der Gleitpfadgestaltung?

Gorgolewski: Bei engen Kanälen und Revisionen wird es richtig schwierig. Manuelles Vorarbeiten ist Pflicht, dazu braucht es mehrere Handfeilen. Erst dann lässt sich mit sehr feinen maschinellen Feilen, zum Beispiel mit dem Pathglider von Komet, der Kanal weiter aufbereiten. Anschließend ist es möglich, mit rotierenden oder reziproken Feilen die restliche Kanalaufbereitung vorzunehmen.

Wann drohen Dentin-Infraktionen?

Zurück zur Tapergröße: Je größer er ist, desto starrer und unflexibler wird das Instrument: Ab welcher Größe drohen Dentin-Infraktionen, sogenannte Microcracks?
Bürklein: Jede maschinelle Aufbereitung des Kanalsystems kann Microcracks induzieren (Bier et al. J Endod 2009). In meinen Augen ist es durchaus sinnvoll, das Kanalsystem kontinuierlich zu erweitern, also nach und nach. Bei den Einfeilensystemen muss die einzelne Feile einen erhöhten Abtrag leisten. Dies könnte sich ungünstig auf die Integrität der Wurzelkanalwand auswirken und Microcracks induzieren. Hat man etwa initial eine ISO-Größe 10 und geht dann mit einer Single-File 25/.08 in den apikalen Bereich, steigt im apikalen Bereich die Feilengröße um 250 Prozent.
Logisch, dass dort die Kräfte auf das Dentin, auf die Kanalwand deutlich größer sind. Single-Feilen sind letztlich Allrounder. Ich vergleiche das gerne mit Zehnkämpfern in der Leichtathletik, auch sie können einfach nicht in allen Bereichen absolut genial sein. Single-File-Systeme mit unzureichendem Größenspektrum (verfügbare Feilen), also mit zu großen Sprüngen im Angebot, halte ich deshalb für etwas problematisch. Dennoch wird das Thema, wie bereits erwähnt, sehr kontrovers diskutiert und ein Einfluss auf die Wurzelkanalaufbereitung wird sogar infrage gestellt (De-Deus et al. J Endod 2014).

Welche Rolle spielt die richtige Legierung in diesem Zusammenhang?
Bürklein: Die richtige Legierung der Feilen reduziert zusätzlich das Risiko der Crack-Bildung. Bereits heute greifen viele Einfeilensysteme auf „Controlled Memory Wire“ (= CM-Wire) zurück, also auf spezielle Verfahren einer thermischen Nachbehandung der Legierung. Damit ist das Nickel-Titan sogar vorbiegbar, deutlich flexibler und schonender zur Zahnhartsubstanz
Gorgolewski: Die wenigsten Microcracks entstehen bei Handfeilen. Aber manuelle Instrumente bergen eine vergleichsweise hohe die Frakturgefahr. Signifikante Unterschiede zwischen rotierenden und reziproken Systemen mit Blick auf die Microcracks gibt es nicht − im Gegensatz zu kleinem und großem Taper innerhalb eines rotierenden Systems, wie beispielsweise bei der Protaper Next und der Universal.
Bei Instrumenten mit größerem Taper sind die Microcrack-Risiken besonders hoch. Darüber hinaus drohen aufgrund der geringeren Flexibilität bei größerem Taper Begradigungen von Kanälen oder Perforationen. Kontinuierliche Taper von .04 wie beispielsweise bei der F360 halte ich für ideal. Sie induzieren keine bis wenige Microcracks, die Instrumente sind flexibel genug, um fast alle Kanäle aufzubereiten. Schwierig finde ich Systeme, die einen wechselnden Taper innerhalb einer Sequenz haben. Es drohen aufgrund der unterschiedlichen Handhabung der verschiedenen Taper Instrumentenfrakturen, etwa beim Wechsel von der gelben 17/.04- auf die rote 25/.06-Feile bei ProTaper Next.

Wie sieht die Studienlage aus?
Haynert: Studien zeigen, dass die Frakturfestigkeit wurzelbehandelter Zähne ab einem Taper von .06 abnimmt (Zandbiglari et al. Oral Surg 2006). Wer mit einer Feile mit großem Taper zu lange im Kanal an einer Stelle arbeitet und nicht der typischen Auf- und Abwärtsbewegung folgt (z. B. bei stark gekrümmten Kanälen), hat schnell eine Kanalverlagerung verursacht. Das wiederum bringt Folgeprobleme mit sich: eine allgemeine Schwächung der Zahnhartsubstanz, eine schwierigere Spülung/Abfüllung und gegebenenfalls den Misserfolg der Behandlung.

Dennoch bevorzugen Experten einen großen Taper aufgrund der Fülltechnik. Warum?
Bürklein: Der Spezialist möchte seinen Kanal stets thermoplastisch obturieren, also die erwärmte Guttapercha in einem flüssigen Zustand in den Kanal einbringen. Die Standardtechniken dabei sind die Schildertechnik und die Continuous-Wave-Technik; bei einigen Behandlern finden auch trägerbasierte Techniken (etwa GuttaCore, GuttaFusion) Anwendung. Außerdem wird mit größeren Tapern die Kontrolle der Länge bei der Wurzelkanalfüllung erhöht: Dank der apikal größeren Konizität lässt sich bei der thermoplastischen Obutration der Kompaktionsdruck kontrolliert dazu nutzen, die Seitenkanäle, die Isthmen und die Rezessus besser zu obturieren. Weiter kann ein Überpressen des Wurzelfüllmaterials bei dieser Form vermieden werden. Darüber hinaus wird das direkte Einspritzen von erwärmter Guttapercha auf voller Arbeitslänge überhaupt erst mit dieser Präparationsart möglich (Squirting-Technik).
Grundsätzlich ist sicherlich auch für Generalisten und Anwender von Einfeilensystemen mit einem etwas größeren Taper .06 bis .08 eine thermoplastische Obturation gut möglich. Aber Spezialisten favorisieren meist einen größeren Taper, einfach um mehr Kontrolle zu haben.
Gorgolewski: Kleinere Taper lassen diese Abfülltechnik in der Tat nicht zu. Dennoch müssen sie nicht die gesamte Kanalaufbereitung mit einem großem Taper durchführen. Die letzte Feile in der Feilenabfolge mit einem Taper von mindestens .06 reicht.

Diesen Taper hat die F360 aber nicht im „Angebot“.

Haynert: Nein, aber die ebenfalls rotierende F6 SkyTaper hat den .06er-Taper. Und sie kann in Kombination mit der F360 verwendet werden.

Feilensysteme sind kombinierbar

Macht so eine Kombination Sinn?
Bürklein: Grundsätzlich hat man als Anwender die Möglichkeit, jegliche Feilensysteme zu kombinieren. Wie sagt man so schön? Es führen viele Wege nach Rom.
Allerdings würde ich schon empfehlen, dass die vom Hersteller vorgegebenen Motoreinstellungen, die Drehmomente und Rotationsgeschwindigkeiten, eingehalten werden. Es gibt in den Motoreinstellungen frei programmierbare „Feilensequenzen“. Folglich sind individuelle Kombinationen von Feilen sehr gut möglich. In einer Feilensequenz zu bleiben und eine gewisse Standardisierung mit aufeinander abgestimmten Feilen zu haben wird jedoch von manchen Behandlern bevorzugt.
Haynert: Der .06er-Taper ermöglicht die von den Endoexperten favorisierte thermoplastische Obturation. Sie wird in der Tat als die beste Methode für eine dichte Wurzelfüllung in der Literatur beschrieben. Mit einem großen Taper kann zudem der Kanal besser gereinigt werden. Fakt aber ist: Die Obturation ist für eine erfolgreiche endodontische Behandlung ein wichtiges, aber nicht das allein ausschlaggebende Kriterium. Was nützt eine dichte Obturation, wenn ein schlechter koronaler Aufbau Microleakage zulässt?
Gorgolewski: Noch wichtiger als die Konizität ist für mich die Architektur der Feilen. Systeme mit S-Querschnitt und großem Spanraum wie die F360 befördern das Debris nach koronal und vermeiden Frakturen der Instrumente durch Verkeilen. Auch wird kein Debris über den Apex gepresst. Systeme mit kleinerem Spanraum bedürfen der häufigeren Spülung, damit es nicht zu Frakturen kommt.

Immer wieder werden Kanalverlagerungen beklagt. Wie kommt es dazu und wie lassen sie sich vermeiden?
Bürklein: Kanalverlagerungen mit modernen Feilen sind eigentlich selten, wie unsere Studien in Münster gezeigt haben (Bürklein, Schäfer, Int Endod J 2013, 2016; J Endod 2013,2014). Verglichen wurden Röntgenbilder der stärksten Krümmungsbereiche oder DVT-Aufnahmen des Materialabtrags an der Innen- und an der Außenkurvatur. Wichtig ist vor allem, die apikale Transportation zu vermeiden. Die apikale Konstriktion sollte unter keinen Umständen verlagert und „unnötig erweitert“ werden. Bei modernen Feilensystemen ist auch bei den stärksten Krümmungen belegt, dass wir sicher aufbereiten können mit einer minimalen Kanalbegradigung, wenn die Basisprinzipien (Zugangskavität, koronale Erweiterung, Gleitpfad) eingehalten werden.

Welche Bedeutung hat die Flexibilität der Instrumente in diesem Zusammenhang?
Bürklein: Die Flexibilität ist nur ein Parameter, der dazu beiträgt, ob wir nun einen Kanal begradigen oder nicht. Es gibt weitere, z. B. den Feilenquerschnitt, den Schneidenwinkel, den Schneidenabstand, den sogenannten Pitch. Auch für die Schneidengeometrie existieren verschiedene Winkel, etwa der Keilwinkel, Freiwinkel, Schnittwinkel und Spanwinkel. Dazu kommen der Spanraum und viele weitere Faktoren, die zu Kanalbegradigungen führen können. Die Feile wird also nicht allein definiert durch den Taper, sondern durch viele andere Eigenschaften. Und das Wichtigste: Jede Feile ist nur ein Instrument in den Händen des Behandlers. Kommt Behandler A mit Feilensystem A gut zurecht, muss das noch lange nicht für Behandler B gelten. Der Operator-Skill ist maßgeblich. Der eine mag ein Feilensystem, das den Drang hat, mehr nach apikal zu laufen, andere mögen lieber ein passives System, das eine größere Sicherheit verspricht.

Sehen Sie das ebenso, Herr Gorgolewski?
Gorgolewski: Nur bedingt. Die Problematik der Kanalverlagerungen beginnt nach meiner Meinung nämlich schon einen Schritt vorher. Oftmals werden nicht alle Kanäle bzw. Kanaleingänge bei der Zugangskavität berücksichtigt bzw. gefunden. Oder es wird nach Kanälen gesucht, wo keine sind, so dass es zu Perforationen kommt. Wenn man dann keinen ordnungsgemäßen straight line access schafft, kann durch das fehlerhafte Eindringen des Instruments eine Kanalverlagerung stattfinden. Zu Kanalverlagerungen kommt es auch, wenn man mit einem zu großen oder zu starren Instrument versucht, einen Kanal aufzubereiten. Dies kann sowohl mit einer Handfeile mit großem ISO als auch mit einer maschinellen Aufbereitungsart mit großem Taper verursacht werden. Systeme mit kleinerem Taper folgen also besser dem Kanalverlauf. Ebenso führt der falsche Einsatz von Gates-Bohrern zu Kanalverlagerungen.
Bei Revisionen kann der Einsatz starrer Revisionsinstrumente, die häufig einen größeren Taper haben, um Frakturen zu vermeiden, zu Kanalverlagerungen oder Perforationen führen. Die neuen Instrumente wie Wave One Gold oder Reciproc Blue mit einem speziell durchgeführten Erhitzungsprozess sind flexibler als ihre Vorgänger. Dadurch kommt es trotz des relativ großen Tapers von .07 bei Wave One Gold gelb oder .08 bei der Reciproc Blue R25 zu weniger Frakturen und Kanalverlagerungen, eben dank der dadurch höheren Flexibilität. Also: Entweder spezielle Legierung oder kleiner Taper, das sind die Mittel der Wahl für eine größere Flexibilität. Ich denke, dass in der Entwicklung noch anspruchsgerechterer Legierungen die Zukunft in der Endodontie liegt. Es wird mehr Instrumente geben, die noch flexibler und weniger frakturanfällig sind.

Herr Haynert, was sagen Sie?
Haynert: Ich sehe primär zwei Gründe, die zu einer Kanalverlagerung führen: der nicht korrekte Einsatz unserer Feilen zum einen, die falsche Feilenauswahl zum anderen.

Was schlagen Sie vor?
Haynert: Bezüglich der Handhabung unserer Feilen empfehlen wir immer: Drei Auf- und Abwärtsbewegungen im Wurzelkanal, dann die Feile aus dem Kanal ziehen, reinigen und auf Verformung überprüfen. Dann die Feile wieder in den Kanal einführen. Durch diese Vorgehensweise verhindert man, dass man die Feilen zu lange an einer Stelle einsetzt. Außerdem reduziert man so auch das Risiko einer Instrumentenfraktur. Die richtige Feilenwahl orientiert sich an der Anatomie. Je nach Kanalmorphologie sind der Schwierigkeitsgrad und die Anforderungen an die Wurzelkanalbehandlung unterschiedlich. Dementsprechend sollte ein Zahnarzt die jeweils passenden Feilen einsetzen. Hat der Zahnarzt es bspw. mit sehr gekrümmten Wurzelkanälen zu tun, empfiehlt es sich, mit Feilen zu arbeiten, die einen geringen Taper haben. Solche Feilen aus Nickel-Titan sind flexibler und passen sich besser dem gekrümmten Kanalverlauf an als Feilen mit einem großen Taper.

Das Spülkonzept: A und O des endodontischen Erfolgs

Kommen wir zum Spülkonzept, dem A und O des endodontischen Erfolgs: Erfordern feilenreduzierte beziehungsweise Single-File-Systeme längere Spülintervalle?
Bürklein: Definitiv! Die reine Aufbereitungszeit wird reduziert und damit der Kontakt der Spüllösung zur Kanalwand verkürzt. Das müssen wir kompensieren, am besten durch eine Aktivierung der Spüllösung, sei es durch die passive Ultraschallaktivierung (PUI), Laseraktivierung (PIPS), eine Unterdruckspülung (EndoVac) oder Schallaktivierung (Eddy), den Endo-Activator (Dentsply Sirona) oder Saugdruck-Technologie kombiniert mit hydrodynamischer Aktivierung (Rinse-Endo)oder andere Systeme . Entscheidend ist einfach, dass die Spüllösung aktiviert wird, damit wir eine bessere Wirkung erzielen. Des Weiteren kann man zusätzlich zur Effizienzsteigerung das Natriumhydrochlorit, die einzige Spüllösung, die eine gewebeauflösende Wirkung aufweist, erwärmen. Ein suffizientes Spülprotokoll umfasst jedoch noch die Entfernung der Schmierschicht, die bei jeglicher mechanischen Bearbeitung der Kanalwand entsteht. Also ist in ein Protokoll zumindest Zitronensäure oder EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure) zu integrieren. Fakt ist: Wir bereiten auf, um zu spülen, also für die chemische Desinfektion des Kanals. Die mechanische Aufbereitung mit der Feile ebnet den Weg, damit die Spülflüssigkeit in den kritischen Bereich kommt. Und der kritische Bereich ist nun einmal apikal. Bei einer infizierten Nekrose ist das gesamte Kanalsystem mit Bakterien kontaminiert; dort haben wir einen bakteriellen Biofilm auf der Kanalwand, den es zu entfernen gilt. Wir wissen heute über mit Mikro-CT-Analysen durchgeführte Studien von Zvi Metzger und Frank Paqué (J Endod 2010), dass wir mit jeglichem Feilensystem, egal ob reziprok oder rotierend, maximal bis zu 60 Prozent der Kanalwände berühren. Das heißt, die aktive Bearbeitung der Kanalwand ist mit der mechanischen Aufbereitung allein gar nicht möglich. Deshalb sind wir angewiesen auf diese chemische Komponente. Fazit: Spülen, spülen, spülen – und die Erfolgsquote wird deutlich gesteigert.

Welche Aktivierung präferieren Sie?
Bürklein: Die Ultraschallaktivierung mit speziellen Aktivierungsspitzen aus Metall oder die Schallaktvierung mit der Kunststoffspitze Eddy (VDW), die in gekrümmten Kanälen für unsere noch ungeübten Studierenden einen großen Sicherheitsfaktor darstellt. Denn damit können keine Stufen in die Kanalwände präpariert werden wie mit der Ultraschallaktivierung.

Inwieweit beeinflusst die Wahl des Tapers die Reinigungswirkung?
Bürklein: Ist der Taper, also die Konizität, etwas größer, verbessert sich die Reinigungswirkung im apikalen Bereich. Auch der Austausch/die Erneuerung der Spülflüssigkeit funktioniert besser, und wir haben mehr Platz für mehr Volumen. Auch deshalb halte ich es für durchaus sinnvoll, eine gewisse Aufbereitungsgröße mit einer etwas größeren Konizität (≥ .06) auch im apikalen Bereich zu erzielen. Damit verbessern wir die Wirkung der Chemie.

Die reziproke Aufbereitung verlangt längere Spülintervalle. Ist das ein Problem für Praktiker?

Gorgolewski: Nein, die reziproke Aufbereitung verlangt zwar ein häufigeres Spülen als die rotierende, dafür ist die Aufbereitungszeit etwas geringer. VDW spricht bei der Reciproc Blue von einer nötigen Spülung bereits nach dreimaligem Picking. Auch bei der Wave One Gold soll laut Hersteller „ständig“ gespült werden. Dagegen wird in der Anweisung für die F360-Feile nur von einer „ausreichenden“ Spülung gesprochen.
Haynert: Unabhängig vom verwendeten Feilensystem weiß man durch Studien, dass ein großer Anteil der Kanaloberfläche tatsächlich unaufbereitet bleibt, wie auch Dr. Bürklein schon hervorgehoben hat. Deswegen ist eine gründliche Spülung stets unerlässlich. Dies gilt insbesondere für Einfeilensysteme, bei denen die Gefahr besteht, aufgrund der kurzen Aufbereitungssequenz die Spülung zu vernachlässigen. Endospezialisten empfehlen daher immer, die bei der Aufbereitung gewonnene Zeit in eine intensivere Spülung und Reinigung des Kanalsystems zu investieren. Besonders effizient passiert das durch Schallaktivierung, z. B. mit der Schallspitze SF65.

Welchen Stellenwert genießen Einfeilensysteme inzwischen an den Universitäten?
Bürklein: Mit den Einfeilensystemen können wir die Hochschulen und Studierenden zwar grundsätzlich „beglücken“, aber wir sollten auch nach wie vor den Umgang mit Mehrfeilensystemen lehren. Studierende in Münster arbeiten derzeit mit einem Mehrfeilensystem. Die Ergänzung mit einem Einfeilensystem ist angedacht.

Ein Blick in die Zukunft: Werden sich Einfeilensysteme flächendeckend durchsetzen?

Bürklein: Das wünsche ich mir. Ich würde das aber auf die maschinelle Wurzelkanalbehandlung ausdehnen wollen, denn möglicherweise verbessern sich so die noch immer im Argen liegenden Erfolgsquoten der WK-Behandlungen in Deutschland. Die Erfolgsquote liegt bei gerade einmal 50 Prozent (Hülsmann et al. DZZ 1991, 1998), ließe sich aber mit einiger Sicherheit deutlich steigern, wenn mehr maschinell aufbereitet würde. Je unkomplizierter die Systeme, desto mehr Behandler werden sie nutzen. Und davon profitieren vor allem unsere Patienten. Wir müssen die Qualität der WK-Behandlung in Deutschland flächendeckend verbessern.Wenn nur einige Spezialisten ein Luxusproblem diskutieren, werden wir das nicht schaffen – es muss ein Umdenken in der Breite stattfinden. Single-File-Konzepte und auch feilenreduzierte Systeme sind eine hervorragende Ergänzung in der täglichen Praxis.
Haynert: Wir haben uns darauf eingestellt und bieten ein Komplettangebot für den Zahnarzt, vom rotierenden bis zum reziproken System. Er kann frei wählen. Wir arbeiten unablässig an weiteren Verbesserungen unserer Instrumentendesigns.

Zusammenfassung

  • Mit suffizienter Gestaltung der Zugangskavität, Preflaring, Gleitpfadpräparation und manueller Sondierung des WK-Systems sind Single-File-Systeme fast immer eine adäquate Alternative zu den komplizierteren Mehrfeilensystemen.
  • Einfeilensysteme, ob reziprok oder rotierend, sind einfach, zeitsparend und das Richtige für den Praktiker. 
  • Die beiden Aufbereitungsarten, reziprok und rotierend, sind sich ebenbürtig, wie zahlreiche Studien belegen.
  • Doch egal welches System, eine Gleitpfadbildung ist stets obligat. Der Informationsgewinn ist immens, höher als durch das diagnostische Röntgenbild. 
  • Jegliche maschinelle Aufbereitung eines Kanalsystems kann Microcracks induzieren.
  • Nur größere Taper (> .06) erlauben die von Endoexperten bevorzugte thermoplastische Obturation.
  • Auch wenn das Problem der Kanalverlagerungen mit modernen Feilen mehr oder weniger vom Tisch ist: Wer bei der WK-Behandlung die Instrumente (Handfeilen oder maschinelle Feilen) falsch einsetzt, riskiert Kanalverlagerungen.
  • Single-File-Systeme oder Systeme mit reduzierter Feilenzahl erfordern intensivere und längere Spülintervalle. Die Aktivierung der Spüllösung – sei es durch Schall, Ultraschall oder Laser – ist ein Muss. 
  • Fälle mit extremen WK-Krümmungen gehören nach wie vor in die Hände von Spezialisten.

Die Experten

Marcus Haynert
studierte Betriebswirtschaftslehre in Paderborn und Australien und verantwortet seit 2014bei Komet den Produktbereich Endodontie auf nationaler und internationaler Ebene.
mhaynert@kometdental.de

PD Dr. Sebastian Bürklein
ist als Fachzahnarzt für Oralchirurgie und Spezialist für Endodontie (DGET) tätig im Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Universitätsklinikum Münster und in niedergelassener Praxis.
Sebastian.Buerklein@ukmuenster.de

ZA Robert Gorgolewski
studierte Zahnmedizin in Hamburg und ist seit 2016 niedergelassen in eigener Praxis in Lüneburg. Zu seinen Spezialgebieten zählen die Endodontie und die Kieferorthopdie.
r.gorgolewski@zahnarzt-stadtkoppel.de