Weiß und verschraubt
Materialbedingt wurden Keramikimplantate bislang vor allem einteilig angeboten. Doch immer mehr Anwender verlangen nach der gleichen prothetischen Flexibilität wie bei Titanimplantaten. Hersteller haben reagiert und bieten immer bessere zweiteilige Systeme an. Noch ist die Datenlage dünn, aber es geht voran. Eine Standortbestimmung.
Die Forschungen laufen auf Hochtouren: Zweiteilige Keramikimplantate sind spätestens seit der IDS gefragt wie nie. Nach welchen Kriterien soll sich der Anwender entscheiden?
Gahlert: Am wichtigsten ist die Prognose für den Patienten. Und da sollte man nur Implantatsysteme von Herstellern wählen, die Wert auf wissenschaftliche Dokumentation legen. Dazu gehört unter anderem eine nachgewiesene ausreichende Osseointegration. Denn wenn Implantate nicht „verknöchern“, ist das für den Patienten, aber auch für den Anwender ein Desaster.
Zechner: Unbestritten ist die Datenlage mit Blick auf die Osseointegration zweiteiliger Keramikimplantate geringer als bei zweiteiligen Titanimplantaten, die bis zu 20 Jahre evidenzdokumentierte Erfolgsergebnisse vorweisen können. Doch erste Vierjahresrücklaufdaten sind publiziert und die Datenbasis wird breiter. Wir in Wien halten es deshalb nun für an der Zeit, mit zweiteiligen Keramikimplantaten Erfahrungen zu sammeln und sie unter Berücksichtigung der Materialeigenschaften einzusetzen. Einteilige Keramikimplantate sind und waren für uns trotz publizierter Datenlage wegen des Zementierens und der prothetischen Limitierungen keine sinnvolle Option. Neue Implantatmaterialien müssen meiner Meinung nach die gleiche prothetische Flexibilität aufweisen, wie bewährte Materialien. Ein „Zurück“ zur Einteiligkeit soll es ob der Nachteile für Patient und Behandler nicht geben.
Sie sprachen Vierjahresdaten an: Welche Untersuchung meinen Sie?
Zechner: Ich meine die ersten Daten einer österreichischen Gruppe aus Innsbruck zum zweiteiligen Keramikimplantat ZERAMEX von Dentalpoint. Es handelt sich um eine deskriptive Statistik und Aufarbeitung von zweiteiligen Keramikimplantaten …
… um eine Materialstatistik?
Zechner: Um eine retrospektive statistische Analyse von zweiteiligen Zirkondioxidimplantaten. Statistisch ausgewertet wurde dabei die Rate der an den Hersteller zurückgesendeten Implantate in Relation zu den ausgelieferten Implantaten innerhalb desselben Zeitraums, insgesamt vier Jahre. Die von Jank und Hochgatterer 2016 (siehe auch Kasten Seite 14) als „Success Rate“ beschriebenen Werte lagen bei 96,7, 98,5 und 99,4 % je nach Implantattyp unter Annahme einer 2%igen Quote von nicht eingeschickten, verloren gegangenen Implantaten. Eine weitere lesenswerte Publikation ist der systematische Review (2017) von Pieralli et al. [2], die erfolgversprechende kumulative Überlebensraten von 93,3%–97,9% von Zirkonimplantaten in einem Beobachtungszeitraum von 12–60 Monaten beschreiben. Neben diesen Studien gibt es auch einige interessante Studienergebnisse zur Hart-, Weichgewebs- und ästhetischen Einheilungsverhalten von Kera‧mik‧implantatoberflächen und -abutments von Sailer I. et al. 2018 [3], Chappuis V. et al. [4], Cosgarea R. et al. [5] und Kajiwara N et al. [6].
Demnach hat sich der Werkstoff Zirkoniumdioxid auch zur Herstellung von zweiteiligen Implantaten bewährt?
Gahlert: Im Bereich der einteiligen Implantate definitiv. Da gibt es inzwischen prospektive Daten [7, 8, 9]. Bei den zweiteiligen Systemen fehlt es noch an Langzeitdaten, die Systeme sind ja erst maximal fünf Jahre auf dem Markt. Die Verlaufskontrolle von Jank und Hochgatterer hat aus meiner Sicht wenig Evidenz.
Die reduzierte Oberflächenrauigkeit in der Einheilphase hat bei den einteiligen Keramikimplantaten anfangs viele Probleme bereitet. Ist das gelöst?
Zechner: Aus meiner Sicht ja. Die neuen mikrorauen Keramikoberflächen sind ein wesentlicher Meilenstein in der Entwicklung der Keramikimplantate.
Nobel Biocare setzt seit dem Jahr 2000 bei Titanimplantaten auf die TUnite-Oberfläche. TiUnite ist eine verdickte, mäßig raue Titanoxidschicht mit hoher Kristallinität und einem hohen Phosphorgehalt. Ist die NobelPearl-Oberfläche damit vergleichbar?
Matter: Durchaus, es handelt sich bei beiden um mäßig raue Oberflächen. Das ist ja das Spannende: Wir haben es seit eh und je mit keramischen Oberflächen zu tun, auch auf Titanimplantaten, die sandgestrahlt und säuregeätzt werden. Denn Titan ist chemisch gesehen ein hoch-reaktives Metall, das sich an der Luft mit einer Schutzschicht aus Titandioxid umgibt. Titandioxid ist eigentlich eine Keramik, allerdings ist diese Schutzschicht dünn, sodass das Licht nicht weiß reflektiert wird, sondern „durch“geht und damit immer noch als metallgrau wahrgenommen wird. Wäre diese Schutzschicht dicker, wären die heutigen Titanimplantate weiß.
Casus knacksus der Zweiteiligen war stets die adäquate Innenverbindung. Die erste Generation der zweiteiligen Zirkonoxidimplantate besaß bekanntlich eine Innenverbindung, die je nach Typ rein verklebt oder rotationsgesichert verklebt wurde …
Gahlert: … was sich aus meiner Sicht nicht bewährt hat. Die Abutments haben sich zum Teil wieder gelöst.
Aber man verklebt immer noch, was soll man dem Anwender also empfehlen?
Gahlert: Um ein Implantatsystem tatsächlich empfehlen zu können, braucht es, wie gesagt, Langzeitdaten. Das gilt sowohl für die verklebten als auch für die verschraubten Innenverbindungen. Anwender sollten auf mögliche Komplikationen gefasst sein und darüber auch Patienten aufklären.
Matter: Aus unserer Sicht ist eine verschraubbare Lösung ein Muss. Die passgenaue Innenverbindung in Kombination mit der karbonfaserverstärkten Schraube ist das Herzstück von NobelPearl. Die damit verschraubte Keramik-Keramik-Verbindung erreicht hohe Ermüdungsfestigkeit, ist rotationsgesichert und quasi spannungsfrei. Ein korrekter, dauerhafter Sitz des verschraubten Abutments sollte den Behandlungserfolg langfristig positiv beeinflussen. Unser zweiteiliges Keramik‧implantat gibt den Behandlern die Möglichkeit, ihre Patienten komplett metallfrei zu versorgen und dabei prothetisch vorzugehen, wie sie es von zweiteiligen Titanimplantaten gewöhnt sind.
Gahlert: Unbestritten haben wir mit den neuen Generationen der Zweiteiligen auch sehr gute Einheilerfolge, weit über 95 %.
Welche Systeme nutzen Sie?
Gahlert: Ich habe bislang mehr als 150 zweiteilige Keramikimplantate von Straumann gesetzt und zirka 50 ZERAMEX.
Wie sieht es mit der prothetischen Flexibilität aus?
Gahlert: Wenn der Hersteller abgewinkelte Abutments bietet, ist sie gegeben. Ist das nicht der Fall, fehlen die Ausgleichsmöglichkeiten, wenn man das Implantat nicht ganz korrekt setzt. Nur mit abgewinkelten Abutments spielt die Zweiteiligkeit ihre Stärken aus. Werden sie nicht angeboten, kann man auch gleich ein einteiliges Keramikimplantat setzen.
Zechner: Bei NobelPearl sind abgewinkelte Abutments (15 Grad) im Sortiment und die prothetische Flexibilität ist gegeben.
Kommen wir zum Herstellungsprozess: En vogue ist derzeit die Spritzgusstechnik. Sie sei kostengünstiger, heißt es. Herr Dr. Matter, Sie bevorzugen dennoch die Frästechnik, warum?
Matter: Für uns ist eine hohe Präzision mit engen Toleranzen wichtig. Das zweiteilige Keramikimplantat NobelPearl wird aus harten und gehippten Zirkonoxid-ATZ-Rohlingen mit einer neuartigen Bearbeitungstechnik hergestellt. Nach der finalen Formgebung des Implantats findet keine Nachbearbeitung durch thermische Prozesse (Sintern) oder Ähnliches statt. So wird sichergestellt, dass es zu keiner weiteren Veränderung im Materialgefüge kommen kann, weil direkt aus dem harten, finalen Material gefräst wird. Die Spritzgusstechnik ist dagegen ein indirekter Prozess. In der Regel muss noch nachgesintert werden.
Ist das ein Problem?
Matter: Es ist höchst anspruchsvoll, Spritzguss so zu betreiben, dass es keine Fehlstellen oder Einschlüsse im finalen Produkt gibt und sich zudem die Toleranzen gut kontrollieren lassen. Meist ist dafür ein weiterer Arbeitsschritt – nachträgliches Beschleifen – nötig. Viel entscheidender ist aber: Bis vor Kurzem konnte man Keramik gar nicht fräsen, sondern nur schleifen. Das Material war viel zu hart. Erst mit der Technik unseres Partners Dentalpoint ist das Endmate‧rial nun bearbeitbar. Zudem ist die Spritzgusstechnik nicht so kostengünstig, wie wir meinen. In der Vergangenheit wurde versucht, Titanimplantate in Spritzgusstechnik herzustellen; man wendet bis heute aber aus Kostengründen die Frästechnik an.
Kronen und andere Keramikrestaurationen werden doch schon seit Jahren problemlos aus Keramikblöcken gefräst? Was ist der Unterschied.
Matter: Kronen etc. werden aus einem „Grünling“ gefräst und anschließend gesintert. Das ist natürlich unproblematisch, weil die Toleranzen bei Keramikrestaurationen eine viel geringere Rolle spielen: Die Kronen werden auf den Abutmentstumpf zementiert und der Zement gleicht Toleranzen aus.
Funktioniert das bei Keramikimplantaten nicht?
Matter: Ich kann nur über unsere Produkte sprechen. Der Schrumpfungsprozess ist nicht einfach zu kontrollieren, und man muss die Implantate nachträglich beschleifen, um derart präzise Passungen zu erreichen, wie wir sie für erforderlich halten. Bei NobelPearl dagegen wird direkt aus dem finalen harten Material gefräst, aus dem das Implantat letztlich besteht. Damith wissen wir ganz genau, was wir verarbeiten, und haben unsere Produk‧tionstechnik entsprechend angepasst. Die Herstellung ist kostengünstig, allerdings deutlich teurer als die Fertigung von Titanimplantaten.
Die einteiligen Keramikimplantate, die sich ja bewährt haben, wurden auch subtraktiv erzeugt …
Matter: … aber nicht gefräst, sondern beschliffen. Fräsen ist präziser und vor allem deutlich schneller und damit auch hinsichtlich der Kosten interessanter.
Gahlert: Ich halte das Spritzgussverfahren dennoch für hochinteressant und sehe schon Chancen, Keramikimplantate auf diese Weise kostengünstiger zu produzieren. Vielleicht laufen sie dann sogar den Titanimplantaten als biologisches, preisgünstiges Medizinprodukt den Rang ab. Spannend bei der Spritzgusstechnik ist, dass sich die Oberflächentopografie vorkonditionieren lässt. Damit entsteht ein Teil der Mikrorauigkeit allein durch das Spritzgussverfahren. Der Nachteil: Rückstände der Spritzgussformen verbleiben in der Oberfläche. Und diese Rückstände osseointegrieren nicht.
Wann wird es mehr wissenschaftliche Daten zu zweiteiligen Keramikimplantaten geben?
Matter: Publizierte Daten zu NobelPearl gibt es noch nicht, sie werden jetzt aber „aufgegleist“. Es gibt aber bereits mechanische Untersuchungen, die Studien von Prof. Dr. Andrea Mombelli in Genf [10] sowie die bereits erwähnte Verlaufsstatistik über 15.000 Implantate (siehe Kasten). Zudem wurde das Konzept mit der karbonfaserferstärkten Schraube schon von der FDA zugelassen. Deren Kriterien sind ja sehr streng für neue Anwendungsbereiche, sodass für den Anwender schon eine gewisse Sicherheit besteht. Dazu kommt: Die Materialien haben sich generell enorm weiterentwickelt. In den 70er-Jahren gab es sowohl Titanimplantate als auch Alumi‧niumoxidimplantate, das Tübinger Sofort‧implantat ist jedem in Erinnerung …
… sicherlich nicht in positiver …
Matter: … richtig, damals hat man auch Aluminiumoxid als Keramikmaterial verwendet, das aufgrund zu geringer Biegefestigkeit unter Belastung gebrochen ist. Die Implantate mussten zum Teil aufwendig und für den Patienten extrem belastend herausgefräst werden. Angesichts der Probleme damals ist man auf Titan umgeschwenkt. Keramik kam erst mit der Weiterentwicklung der Materialien, also mit Zirkondioxid, und neuen Frästechniken wieder ins Spiel. Gerade beim Zahnersatz haben die vollanatomischen Kronen aus Zirkondioxid inzwischen Furore gemacht.
Wie lange ist das verschraubte Keramik‧implantat auf dem Markt?
Matter: Das verschraubte Keramikimplantat von unserem Partner Dentalpoint ist seit 2014 auf dem Markt. Und mit NobelPearl, das ab Juli im Handel ist, bringen wir nun Studien auf den Weg. Zudem laufen nach wie vor die ZERAMEX-Studien in Bern von Prof. Dr. Daniel Buser. Mombelli hat Fünfjahresdaten, die verfügbar sind und bald publiziert werden sollten – allerdings wurde noch mit den geklebten Abutments gearbeitet [11].
Kommen wir zum Periimplantitisrisiko. Es soll bei Keramikimplantaten geringer sein. Gilt das für ein- und zweiteilige Varianten?
Gahlert: Für beide Varianten. Zusammen mit meinem Kollegen Dr. Stefan Röhling haben wir entsprechende experimentelle Studien in Basel und in den USA durchgeführt. Ergebnis: Keramikimplantate weisen signifikant geringere Plaque‧anlagerungen und ein geringeres Periimplantitisrisiko auf als Titanimplantate. Aber auch das Implantatdesign spielt mit Blick auf das Periimplantitisrisiko eine große Rolle: Tissue-Level-Implantate schneiden besser ab als Bone-Level-Implantate. Denn eine Spaltbildung unter dem Zahnfleisch kann dazu beitragen, dass sich Plaque in Mikrospalten ansiedelt. Tissue-Level-Keramikimplantate haben also das günstigere Design, die Spalten liegen auf Gingivaniveau oder supragingival. Und sollte die Plaque die sehr dünne Titandioxidschicht korrodieren, sind die Vorteile der Keramikimplantate ganz enorm. Bei ihnen ist der gesamte Festkörper aus Dioxid, das sich aufgrund seines inerten Charakters komplett neutral verhält. Die Plaque könnte, selbst wenn sie da ihre sauren Stoffwechselprodukte absondert, dem Implantatmaterial absolut nichts anhaben. Doch noch wissen wir nicht genau, was mit der hauchdünnen Titandioxidfläche passiert, wenn diese angegriffen wird, und wie sich das dann immunologisch bei dem einen oder anderen Patienten auf das umliegende Gewebe auswirkt. Die immunologischen Gewebeveränderungen bei Titanionisierung gilt es noch zu untersuchen.
Matter: Bereits nachgewiesen ist die bakterienindzuierte sog. Crevice Corro‧sion. Die entsprechenden „Paper“ liegen vor [12].
Was aber bei zweiteiligen Keramikimplantaten ohnehin keine Rolle spielt …
Gahlert: … vorausgesetzt, alle Implantatkomponenten inklusive der Schraube der Innenverbindung sind nicht aus Metall. Da schafft die Karbonschraube des NobelPearl sehr gute Voraussetzungen.
Herr Professor Zechner, Sie haben in einer ebenfalls experimentellen Studie das Periimplantitisrisiko von ein- und zweiteiligen Titanimplantatsystemen verglichen (Zechner et al. 2004). Was haben Sie herausgefunden?
Zechner: Passgenaue zweiteilige Syste- me haben bei suffizienter Mundhygiene ein geringes Periimplantitisrisiko. Kommt es jedoch zu einer Periimplantitis, hat sich histologisch gezeigt, dass nicht nur eine intensive Mundhygiene, sondern auch die Ausbildung einer biologischen Breite – ein Abstand der Knochenoberfläche zum Implantatabutment – erforderlich ist, um eine Periimplantitis stabilisieren zu können. Dass Keramikimplantate aufgrund der etwas weniger rauen Oberfläche ein ähnliches oder geringeres Risiko haben, wird derzeit vermutet, unter anderem von Canullo L. et al. und Sridhar S. et al. [13, 14].
Gibt es spezielle Kontraindikationen für Keramikimplantate?
Gahlert: Nein, es gelten die gleichen Grundsätze wie bei Titanimplantaten auch beispielsweise für Bisphosphonat‧patienten, siehe S3-Leitlinie der DGI.
Zechner: Ich rate allerdings darüber hinaus von einer Sofortimplantation mit Sofortversorgung ab. Eine Sofortimplantation mit gedeckter Einheilung ist nach meinen Erfahrungen unproblematisch. Implantate, die mit 10 bis 15 Ncm eingedreht werden, osseointegrieren bei gedeckter Einheilung im Regelfall verlässlich..
Gahlert: Ich schließe mich an. Sofortbelastungen stehe ich per se kritisch gegenüber, egal ob auf Titan- oder Keramikimplantaten. Ich habe zu großen Respekt vor den Transformationsprozessen. Außerdem fehlt es an speziellen Implantatformen aus Zirkondioxid, die für diese speziellen Indikationen Verwendung finden können.
Keramik leitet keine Wärme, was bedeutet das für das Behandlungsprotokoll?
Matter: Keramikimplantate sollten sicherlich langsamer inseriert werden. Die Umdrehungszahl beim Eindrehen ist geringer. Die Eindrehgeschwindigkeit sollte bei zirka 15 Umdrehungen/Minute liegen. Ansonsten ist das Protokoll das gleiche wie bei Titanimplantaten.
Zechner: Wenn das Implantat gemäß dem vorgegebenen Behandlungsproto- koll – mit Gewindepräparation und Eindrehvorgaben – inseriert wird, ist ein thermisches Problem nicht zu erwarten.
Gahlert: Die fehlende Wärmeleitfähigkeit hat einen riesengroßen Vorteil für mich: Am Keramikimplantat kann ich mit dem Elektrotom arbeiten und überschießende Schleimhaut wunderbar wegtrimmen. Das ist bei Titanimplantaten natürlich ein absolutes No-Go.
Stichwort Verschrauben versus Zementieren – empfehlen Sie verschraubte prothetische Lösungen auf NobelPearl?
Matter: Gerade im Frontzahnbereich ist das nicht ganz einfach. Der größte Nachteil der verschraubten Restaurationen besteht in der Bedingung einer achsengerechten Implantatposition.
Gahlert: Das sehe ich ebenso. Hat man das Implantat nicht achsengerecht gesetzt, lässt sich die Fehlpositionierung nur über das Abutment ausgleichen und die Krone wird doch wieder zementiert. Ein vestibulär gelegener Schraubenschacht ist im ästhetischen Bereich nicht akzeptabel. Doch auch im Seitenzahnbereich muss der Schraubenschacht mit seinen umliegenden Materialstärken beachtet werden. Nebenbei: Ich wehre mich gegen den aktuellen Anti-Zementierungs-Hype. Bei Tissue-Level-Implantaten ist die Gefahr einer Zementitis aufgrund von Zementüberschüssen um ein Vielfaches geringer als bei Bone-Level-Implantaten. Ich habe in meiner ganzen klinischen Erfahrung nur einen Periimplantitisfall gesehen, der durch Zementreste entstanden ist.
Matter: Zudem hat man über die heutige CAD/CAM-Technologie die Möglichkeit, die monolithische Keramikkrone direkt auf dem Abutment zu platzieren.
Aber man kann dann die Krone nicht abnehmen …
Zechner: Richtig, und das sollte man können. Es würde auch niemand ein Auto mit verschweißter Motorhaube kaufen. So erkläre ich die Vorteile der verschraubten Suprakonstruktionen meinen Patienten im Beratungsgespräch. Sicher, es erfordert Erfahrung, aber ob ich nun auf zweiteiligen Keramik- oder Titanimplantaten verschraube – das macht aus meiner Sicht keinen Unterschied.
Wird es zusätzliche Tools für verschraubbare Suprakonstruktionen von Nobel Biocare geben?
Matter: Die Entwicklungen werden weitergehen. Wir erleben nun erst einmal die Vorteile von Keramikimplantaten mit verschraubbaren metallfreien Innenverbindungen. Wir haben NobelPearl als einfaches und sehr überschaubares System konzipiert, mit maximal 60 Teilen. Denn es ist ja ein zusätzliches System für die Praxis. Je komplizierter es wird, desto weniger akzeptieren es die Behandler.
Haben einteilige Keramikimplantate überhaupt noch eine Zukunft?
Matter: Gegenfrage: Haben die einteiligen Titanimplantate überlebt?
Einige schon, und es gibt auch echte Fans …
Matter: … wenn jemand mit einteiligen Implantaten klarkommt, ist das ja in Ordnung; die große Mehrheit wünscht sich jedoch die Zweiteiligkeit weil sie flexibler ist. Für uns ist die Einteiligkeit überholt.
Zechner: Ich bin ein Befürworter der zweiteiligen Systeme. Die Vorteile der zweiteiligen Titanimplantate sollten auch auf neue Materialien übertragen werden können. Ich sehe weder für einteilige Keramik- noch für einteilige Titanimplantate einen sinnvollen Markt. Aus meiner Sicht gibt es keine nachvollziehbare Indika‧tionsstellung für ein einteiliges Implantat.
Gahlert: Aus meiner Sicht dürfen einteilige Keramikimplantate auf keinen Fall in der Versenkung verschwinden; die Ergebnisse sind unvergleichlich gut. Wer in der Lage ist, einteilige Keramikimplantate richtig zu positionieren, ahmt am natürlichsten den auch einteiligen Zahn nach. Das Problem von Schraubenlockerungen und Mikrospalten unter dem Zahnfleisch fällt auch weg. Das einteilige Prinzip ergänzt sich so biologisch mit dem völlig inerten Werkstoff Zirkoniumdioxid.
Die meisten Anwender scheinen das anders zu sehen …
Gahlert: … weil sich viele Kollegen nicht zutrauen, einteilige Keramikimplantate richtig zu positionieren. Aus meiner Sicht ist es das größte Dogma in der Implantologie, dass ein Implantat zweiteilig sein muss. Und: Es kann durchaus sein, dass ein Umdenken ansteht und die Einteiligkeit doch nicht überholt ist. Denn mit den neuen Druckergenerationen lässt sich der extrahierte Zahn scannen und bald aus Zirkondioxid drucken, auch das wäre ein einteiliges Implantat. Erste vielversprechende Ansätze gibt es bereits.
Herr Professor Zechner, sind gedruckte Zähne eine Option für Sie?
Zechner: Alle die Vorteile, die wir in den letzten Jahren für industriell präzise gefertigte und bezüglich Instrumenta‧rium und Komponenten aufeinander abgestimmte und hergestellte Implantate dokumentiert und gefunden haben, sollten auch für neue Implantatmaterialien und -techniken gelten. Als Leiter der ARGE Digitale Zahnheilkunde an der Universitätszahnklinik Wien beschäftige ich mich im Team fachabteilungsübergreifend seit Längerem mit digitalen Techniken, wobei wir auch mit „geprinteten“ Schablonen und Provisorien arbeiten. Die Genauigkeit für „gedruckte“ definitive Zahnrestaurationen halten wir derzeit noch nicht für ausreichend für eine verlässliche klinische Anwendung. Daher bevorzugen wir – derzeit noch – gefräste CAD/CAM-Lösungen. Als Universitätsklinik arbeiten wir sowohl in der ARGE als auch in den jeweiligen Fachabteilungen klinisch und wissenschaftlich daran, unseren Beitrag dazu zu leisten, evidenzbasierte Daten bei diesen neuen Techniken wie auch bei (zweiteiligen) Keramikimplantaten zu sammeln.
Die Experten:
Dr. Sandro Matter ist Werkstoffwissenschaftler und war von 2015 bis Herbst 2016 CEO der Dentalpoint AG. Seit Herbst 2017 ist er vice President Multi-Brand Strategy bei Nobel Biocare.
PD Dr. habil. Dr. Michael Gahlert ist seit 1990 selbstständig tätig in eigener Praxis in München, seit 2011 am Hightech-Forschungs-Zentrum der Universität Basel und befasst sich seit Jahren wissenschaftlich mit Keramikimplantaten.
Univ. Prof. Dr. Dr. Werner Zechner ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Orale Chirurgie und Implantologie der Universitätszahnklinik Wien, private implantologische Überweisungspraxis in Wien.
Literatur:
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2. Pieralli S, Kohal RJ, Jung RE, Vach K, Spies BC. Clinical Outcomes of Zirconia, Dental Implants: A Systematic Review. J Dent Res. 2017 Jan;96(1):38–4)Anmerkung 3: 3
3. Sailer I et. al. ) Asgeirsson AG, Thoma DS, Fehmer V, Aspelund T, Özcan M, Pjetursson BE. Fracture strength of zirconia implant abutments on narrow diameter implants with internal and external implant abutment connections: A study on the titanium resin base concept. Clin Oral Implants Res. 2018 Apr;29(4):411–423. doi:
4. Chappuis V et al., Osseointegration of zirconia and titanium implants in the presence of multi nucleated giant cells. CIDRR, 2015 Sept. 17,
5. Cosgarea R et al., Peri-implant soft tissue colour around titanium and zirconia abutments: a prospective randomized controlled clinical study. Clinical Oral Implant Research 26, 2015 / 537–544;
6. Kajiwara N et al., Soft tissue biological response to zirconia and metal implant abutments compared with natural tooth: Microcirculation Monitoring as a Novel Bioindicator., Implant Dentistry Volume 24, Number 1 2015.).
7. Gahlert M, Kniha H, Weingart D, Schild S, Gellrich NC, Bormann KH.(2015) „A prospective clinical study to evaluate the performance of zirconium dioxide dental implants in single-tooth gaps“ Clin Oral Implants Res. 2015 Apr 1. doi: 10.1111/clr.12598. Epub ahead of print)
7a. Bormann K.H., Gellrich N.C., Kniha H., Schild S., Weingart D. & Gahlert M. (2018), A prospective clinical study to evaluate the performance of zirconium dioxide dental implants in single-tooth gaps in the maxilla and mandible: 3-year results, Review process in BMC Oral Health 2018
8. Grassi, F R, Capogreco, M, Consonni, D, Bilardi, G, Buti, J & Kalemaj, Z (2015) Immediate occlusal loading of one-piece zirconia implants: Five-year radiographic and clinical evaluation. International Journal of Oral & Maxillofacial Implants 30: 671–680.
9. Balmer M Spies BC, Vach K4, Kohal RJ, Hämmerle CHF, Jung RE.(2018) Three-year analysis of zirconia implants used for single-tooth replacement and three-unit fixed dental prostheses: A prospective multicenter study. Clin Oral Implants Res. 2018 Mar;29(3):290–299. doi: 10.1111/clr.13115. Epub 2018 Jan 12.
10. Cionca N , Müller N, Mombello A ; Two-piece zirconia implants supporting all-ceramic crowns: A prospective clinical study
11. Cionca N, Müller N, Mombello A ; Two-piece zirconia implants supporting all-ceramic crowns: A prospective clinical study
12. Sridhar; In Vitro Investigation of the Effect of Oral Bacteria in the Surface Oxidation of Dental Implants
13. Canullo L et al, Distinguishing predictive profiles for patient-based risk assessment and diagnostics of plaque induced, surgically and prosthetically triggered peri-implantitis. Clin Oral Implants Res. 2015 Nov 20
14. Sridhar S et al., In Vitro Investigation of the Effect of Oral Bacteria in the Surface Oxidation of Dental Implants. Clin Implant Dent Relat Res. 2015 Oct;17 Suppl 2; ).