Platform-Switching: effektiv oder egal?
Kann ein simpler Versatz helfen, Knochenverlust und die gefürchtete Periimplantitis zu vermeiden? Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen des Platform-Switchings? Was sind die Indikationen? Welche Nachteile gibt es? Spielt die „richtige“ Innenverbindung eine Rolle? Das diskutierten Fachleute aus der Praxis, der Hochschule und der Industrie.
Je weiter der Austrittsort der knochenschädigenden Flüssigkeit aus dem Implantatinneren entfernt ist, desto weniger Knochenabbau tritt auf. Ist das der Hauptvorteil des Platform-Switchings?
Nentwig: Ein Platform-Switching mit kleinerem Abutmentdurchmesser im Vergleich zum Implantatdurchmesser an der Fügezone hat zunächst einmal den Vorteil, dass sich der Abstand im Gingivabereich zu einer benachbarten Zahn- oder Implantatstruktur vergrößert, sodass mehr Weichgewebe Platz findet. Dies gilt natürlich besonders für zwei benachbarte Implantate, die dann relativ eng stehen können, ohne dass das Volumen und damit die Stabilität der approximalen Weichgewebsmanschette zu stark beeinträchtigt werden. Das optimiert den sogenannten „Versiegelungseffekt“ der Weichgewebsmanschette am Implantatdurchtritt.
Wie eng können die Implantate dann stehen? Darf zum Beispiel der Pflichtabstand von 3 mm unterschritten werden?
Nentwig: Nicht mutwillig, aber in einigen Fällen lässt sich eine nähere Platzierung leider nicht vermeiden.
In welchen zum Beispiel?
Nentwig: Zum Beispiel bei Sofortimplantationen nach Extraktion eng benachbarter Zähne. In diesem Fall kann sich die Notwendigkeit einer näheren Platzierung ergeben. Und dabei sorgt das Platform-Switching nachweislich für ein Plus an Stabilität im Weichgewebsbereich.
Mehr Stabilität und besserer Erhalt des krestalen Knochens durch Platform-Switching – Herr Dr. Pape, welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Praxis?
Pape: Wir setzen seit Jahren bei der prothetischen Versorgung unserer Implantate das Platform-Switching regelmäßig ein. Probleme mit Knochenabbau oder Periimplantitiden beobachten wir bei unseren Patienten zum Glück nur selten. Ob dieser Erfolg nun tatsächlich aufs Platform-Switching zurückzuführen ist, kann ich nicht sagen. Das müssten letztlich kontrollierte Vergleichsstudien klären.
Ist eine solche Studie denn realistisch?
Pape: Wohl kaum, sie wird aus Mangel an Fällen nicht zu aussagekräftigen Ergebnissen führen. Unabhängig von irgendwelchen Studien halten wir jedoch sowohl in unserer Praxis als auch in der Klinik das Platform-Switching für stimmig und sinnvoll. Aber ob es nun wirklich der Erfolgsfaktor für unsere guten Langzeitergebnisse ist, das lässt sich nicht belegen. Da spielen viele Faktoren zusammen.
Herr Dr. Riedl, was sagen Sie?
Riedl: Zunächst möchte ich einmal den Satz „Je weiter der Austrittsort der knochenschädigenden Flüssigkeit aus dem Implantatinneren entfernt ist, desto weniger Knochenabbau tritt auf.“ infrage stellen.
Warum?
Riedl: Diese Aussage mag theoretisch stimmen, in der Praxis gibt es aber klare Limitierungen. Schließlich lässt sich der Austritt nicht zwei mm zirkulär nach innen legen. Das hält die Implantat-Abutment-Verbindung nicht aus, sie wird zu dünn. Prinzipiell stimme ich aber zu: Dadurch, dass wir den Mikrospalt vom Knochen entfernen, verringert sich tatsächlich der Knochenabbau.
Ist das belegt?
Krampe: Ja, Finite-Elemente-Messungen zeigen, dass die an der Schnittstelle Implantat-Abutment wirkenden Kräfte durch das Platform-Switching nach „zentral“ verlagert werden und somit nicht so stark auf den krestalen Knochen wirken können. Wenn zudem die Implantatschulter mit einer mikrorauen Oberfläche versehen ist, kann der Knochen auf die Implantatschulter wachsen, wie das zum Beispiel beim ANKYLOS-Implantatsystem der Fall ist.
Schaltet damit das Platform-Switching quasi die Hauptursachen des Knochenabbaus aus?
Nentwig: Nein, dass ein zervikaler Knochenabbau beim Platform-Switching geringer ausfällt, wird zwar häufig als Vorteil genannt, dabei wird aber übersehen, dass für den zervikalen Knochenverlust hauptsächlich das operative Trauma – Deperiostierungs-, Präparations- und Insertionstrauma – verantwortlich ist. Später kommt dann als mögliche Ursache noch die Periimplantitis dazu. Beides lässt sich durch ein Platform-Switching nicht beeinflussen. Zu typischen Ursachen für zervikalen Knochenverlust zählt aber auch das Microleakage der Innenverbindungen.
Lässt sich der durch Microleakage verursachte Knochenverlust durch Platform-Switching denn lindern oder gar abstellen?
Nentwig: Das kommt auf die Konstruktion der Innenverbindung an.
Konisch versus flach-zu-flach?
Nentwig: Korrekt. Und da sind die konischen Verbindungen, die keinen Fügespalt benötigen, den parallel gefügten Stoßverbindungen konstruktionsbedingt überlegen. Denn besonders gefördert wird die Abgabe kontaminierter Substanzen aus dem Innenbereich der Implantatverbindung bei einer Dynamisierung durch Mikrobewegungen.
Durch den „Pumpeffekt“ also?
Nentwig: Richtig. Die Folge einer solchen mikrobiellen Kontamination um die Fügezone ist – ähnlich einer apikalen Infektion –, dass sich anliegender Knochen zurückbildet und Granulationsgewebe zur Infektionsabwehr etabliert wird. Davon betroffen sind vor allem einzeln stehende Versorgungen. Verblockungen mit weiteren Implantaten können mögliche Mikrobewegungen weitestgehend aufheben, vergleichbar mit dem Verblockungseffekt parodontal gelockerter Zähne. Damit relativiert sich das Problem des mikrobiellen Leakage.
Ist das Implantat aber beispielsweise suprakrestal platziert und die Fügezone somit nicht mehr von Knochen umgeben, wirkt sich die Kontamination weniger stark auf den Knochen aus.
Ein Effekt wie beim Platform-Switching …
Nentwig: Genau, wie beim Platform-Switching mit stumpfen Verbindungen: Durch den Versatz des Fügespalts nach innen entfernt sich die Zone der Freisetzung der Kontamination vom peripheren Knochen, so dass sich die Auswirkung auf den Knochen reduzieren kann; das Ausmaß der Kontamination ändert sich jedoch nicht, es wird nur sozusagen nicht mehr röntgensichtbar.
Ändert sich das Ausmaß der Kontamination denn bei konischen Verbindungen? Herr Dr. Krampe, was sagen Sie aus Sicht des Herstellers?
Krampe: Eine konische Innengeometrie der Implantat-Abutment-Verbindung sorgt dafür, dass der Pumpeffekt gar nicht erst auftritt, weil bei dieser Art der Verbindung bauartbedingt kein Mikrospalt vorhanden ist.
Können Sie das konkretisieren?
Krampe: Stumpfe Verbindungen haben im Gegensatz zu konischen Verbindungen einen Mikrospalt an der Implantat-Abutment-Verbindung. Bei der konischen Verbindung finden wir dagegen keine Mikrobewegungen zwischen Implantat und Abutment, was einen Bakterien- und Endotoxinaustausch wirkungsvoll unterbindet. Auch Schraubenlockerungen treten dabei praktisch nicht auf. Und: Eine konische Verbindung hat im Vergleich zur Flach-zu-flach-Verbindung keine Auflagefläche auf der Implantatschulter. Diese Auflagefläche dient der vertikalen Abstützung und ist der Ort der Mikrobewegungen. Indem ein durchmesserreduziertes Abutment eingesetzt wird, verlagert sich diese Bewegung weiter nach zentral, also vom Knochen weg.
Ein Konus hingegen verlagert diesen Drehpunkt ins Implantatinnere und es können so keine Bewegungen stattfinden. Allerdings funktioniert das nur bei einem echten, selbsthemmenden Konus wie zum Beispiel beim ANKYLOS-System.
Welche Auswirkungen hat das aufs Inserieren?
Nentwig: Es hat sich gezeigt, dass sich Implantate mit selbsthemmender Konusverbindung (Ankylos, Bicon) aufgrund des äußerst geringen Microleakage subkrestal platzieren lassen und der Knochen bis an die Fügezone heranwächst und stabil bleibt (Abb. 1a–1c).
Dennoch sind sogenannte Butt-Joints weltweit und auch in Deutschland nach wie vor beliebt. Werden die konischen Systeme die stumpfen Verbindungen aufgrund der genannten Vorteile in Zukunft verdrängen?
Pape: Davon gehe ich nicht aus. Sie haben zu viele Fans, vor allem die prothetischen Pluspunkte und das einfache Handling sprechen dagegen. Ich selbst führe keine Überweiserpraxis und übernehme die prothetische Versorgung selbst. Und aus Sicht des Prothetikers sage ich klipp und klar: Ich mag die konischen Verbindungen nicht, gleichgültig, was an Vorteilen diskutiert wird. Flach-zu-flach-Verbindungen geben dem Behandler stets die Sicherheit, dass Abdruckpfosten und Abutments sicher und korrekt platziert sind. Selbst das Einsetzen komplexer Restaurationen gestaltet sich unkompliziert.
Riedl: Ich glaube, dass es in einigen Jahren nur noch konische Innenverbindungen geben wird. Einfach weil der Mikrospalt deutlich reduziert wird. Wir haben festere Verbindungen, wir schaffen ja fast eine Kaltverschweißung. Ich habe auch schon Flach-zu-flach-Verbindungen implantiert, ich komme damit auch zurecht. Ich habe aber ein schlechtes Gefühl dabei. Und das habe ich beim konischen Implantatsystem nicht.
Ergebnisse
Was schreckt Sie ab?
Riedl: Die Ergebnisse der Zipprich-Studie.
Zipprichs Studienergebnisse haben um 2007 in der Tat für Aufsehen gesorgt. Er hat in einer In-vitro-Studie das Verhalten unterschiedlicher Implantat-Abutment-Verbindungen unter simulierten Kaubelastungen untersucht. Das Interface der Implantat-Abutment-Verbindung wurde röntgenologisch mit einer Videokamera erfasst und vermessen. Die Studie ist spektakulär, aber nicht unumstritten …
Riedl: Mich hat sie überzeugt. Ich meide seither Flach-zu-flach-Verbindungen wann immer möglich. Zipprich hat gezeigt, sobald Belastungen dieser Implantat-Abutment-Verbindungen auftreten, öffnet sich der Mikrospalt, und zwar bei jedem System, bei dem konischen aber deutlich weniger. Und: Weil Zipprich wirklich spektakulär demonstriert hat, was da an diesem Mikrospalt passiert, ist das Platform-Switching meiner Ansicht nach heute ein Muss. Während es bei den konischen Verbindungen in Abhängigkeit vom Konuswinkel bereits integriert ist und konstruktionsbedingt besser funktioniert, muss man sich bei stumpfen Verbindungen in Eigenregie dafür entscheiden.
Herr Dr. Pape, bleiben Sie dennoch Ihrer Flach-zu-flach-Verbindung treu?
Pape: Auf jeden Fall! In der Theorie mögen die Vorteile der konischen Systeme, vor allem was die Spalten zwischen dem Aufbauten und Implantatkörper anbetrifft, schon überzeugend klingen. Doch ich weiß, welche Komplikationen auftreten können. Das beginnt schon bei der Abformung.
Inwiefern?
Pape: Bei konischen Systemen handelt es sich bei der Abformung letztlich immer um eine Presspassung.
Das heißt?
Pape: Bei der Pick-up-Technik besteht zum Beispiel die Gefahr, dass die systemimmanente Haftkraft so fest ist, dass der Abdruckpfosten im Mund und nicht im Abdruck verbleibt. Er reißt aus und man kann dann nicht mal eben den Abdruckpfosten ausschrauben, in den Abdruck reponieren und neu starten.
Warum nicht?
Pape: Der Abdruck wäre dann mit Sicherheit verfälscht und unbrauchbar.
Kann man nicht eine andere Abformtechnik wählen?
Pape. Sicher, aber die starken Fixation-Probleme bei der Abformung sind systemimmanent. Flach-zu-flach-Verbindungen sind da einfach leichter zu handeln. Es lassen sich unterschiedliche Abformtechniken nutzen. Wir können mit einem Abformpfosten sowohl in der Transfer- als auch in der Pick-up-Technik abformen. Eine kurze gegen eine lange Schraube austauschen – das war’s. Das System ist durchdacht. Die prothetischen Optionen sind vielfältig, und das Handling ist ausgesprochen simpel.
Ich versorge seit über 25 Jahren Implantate, vorzugsweise mit Flach-zu-flach-Verbindungen, im letzten Jahrzehnt vornehmlich das Xive-Implantat. XiVE hat eine Innenhexverbindnung; das Handling ist sowohl in der Chirurgie als auch in der prothetischen Versorgung einfach. Wir haben eine Misserfolgsrate von unter einem Prozent bei der Versorgung zahnloser Oberkiefer nach umfangreichen augmentativen Verfahren. Das habe ich in einer internen Studie mit 450 Implantaten untersucht.
Also brechen keine „konischen Zeiten“ für Sie an?
Pape: Sicher nicht. Selbst wenn ein Implantatsystem tatsächlich speicheldicht zwischen Implantat und Aufbau wäre, ich würde aufgrund möglicher Fixationsprobleme bei der Abformung das System nicht nutzen. Das Risiko, unpräzise Abdrücke zu bekommen, gehe ich nicht ein.
Einfaches Handling und simple Wege zu einer vernünftigen Prothetik sind meiner Ansicht nach mindestens genauso wichtig wie eine möglichst dichte Verbindung zwischen Abutment und Implantat und das Platform-Switching. Und ob sich nun wirklich ein Konussystem bei aller stimmigen Theorie so auswirkt, dass wir deutlich höhere Überlebensquoten haben, wage ich zu bezweifeln. Dann würden wir mit unserem Implantatsystem auch nicht diese Langzeiterfolge haben. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere Implantate heute doch eine so lange Lebenserwartung haben, dass durchaus eine zweite oder dritte prothetische Versorgung der Implantats notwendig werden kann. Dabei kann es je nach Erfordernissen der Prothetik notwendig sein, ein Abutment auszutauschen. Bei der Innenhexverbindung des Xive-Implantats ist das Abutment immer sicher zu verschrauben, aber – und das ist entscheidend – auch immer sicher zu entfernen, auch nach Jahren. Da sehe ich bei den Konusverbindungen mit der schon erwähnten Gefahr der Kaltverschweißung zwischen Implantat und prothetischem Aufbau ein hohes Problempoten‧zial für den praktisch tätigen Zahnarzt.
Herr Prof. Nentwig, sind stumpfe Verbindungen tatsächlich einfacher zu handhaben?
Nentwig: Das gilt vielleicht für außenliegende Hexverbindungen, da dort die Aufbauhöhe des Hex gering ist und Abdruck bzw. Fügung der Prothetik bei stärker divergierenden Implantaten leichter gelingt. Ein entscheidender Nachteil der stumpfen (Flach-zu-flach-) Verbindungen ist jedoch, dass bei klinisch nicht sichtbarer Fügeebene ein Röntgenbild zur Passkontrolle empfohlen wird, was für konische Verbindungen nicht erforderlich ist.
Herr Dr. Riedl, wie sehen Sie das?
Riedl: Mir bereitet ein konisches System keine Probleme, im Gegenteil. Bei einer Flach-zu-flach-Verbindung muss ich, wenn ich nach einer geschlossenen Einheilung die Verschlussschraube aus dem Implantat nehme und den Gingivaformer einbringe, so viel Zahnfleisch wegnehmen oder verdrängen, dass ich die komplette Flachverbindung sehe. Das entfällt beim konischen System. Bei ausreichend vorhandener attached Gingiva reicht oft eine Stichinzision, der Konus sucht sich seinen eigenen Weg. Für mich als Chirurg gestaltet sich das Prozedere deutlich einfacher.
Und aus prothetischer Sicht?
Riedl: Da ich all meine Implantate ja auch prothetisch selbst versorge, muss ich meinen Kollegen insofern widersprechen, als dass ich auch hier die „Selbstfindung“ der prothetischen Komponenten sehr schätze. Ich habe bislang auch noch nie einen Abform-pfosten aus dem Abdruck „gerissen“. Man muss allerdings anmerken, dass es von System zu System Unterschiede bezüglich des Konuswinkels gibt. Je steiler der Konus – zum Beispiel bei ANKYLOS –, desto größer könnte natürlich die Gefahr der angesprochenen „Presspassung“ sein. Als Astra-Anwender sehe ich dieses Problem überhaupt nicht. Würde ich Flach-zu-flach-Verbindungen verwenden, wäre ich mir nur über eine Röntgenkontrolle des Abformpfostens sicher, dass mein Abformpfosten an der korrekten Position sitzt, ich also kein Gewebe eingequetscht habe. Das ist eine Möglichkeit, aber eben recht aufwendig.
Wie reagiert die Industrie auf die Klagen der Prothetiker?
Krampe: Mit unseren Implantatsystemen ANKYLOS, ASTRA TECH Implant System und XiVE können wir dem Kunden alle Verbindungsvarianten anbieten, die am Markt relevant sind. Während ANKYLOS und das ASTRA TECH Implant System mit ihrer konischen Verbindung den Platform-Switch integriert haben, ist dieser beim XiVE-System mit seiner Flach-zu-flach-Verbindung optional einfach realisierbar. Somit können wir jeder prothetischen Versorgungsphilosophie unserer Kunden gerecht werden. Platform-Switch allein ist aber nicht entscheidend für den Langzeiterfolg einer implantologischen Versorgung. Es geht in erster Linie darum, bereits in der Planungsphase die spätere prothetische Konstruktion zu berücksichtigen und die Implantate strategisch so zu setzen, dass keine Überlastungen auftreten können. Diese sind für einen Misserfolg wesentlich bedeutender als die Art der Verbindung.
Während bei konischen Systemen das Platform-Switching integriert ist, muss man sich bei anderen Verbindungen von Fall zu Fall für das Platform-Switching entscheiden. Ist das im Praxisalltag ein Problem?
Pape: Überhaupt nicht! Wir setzen 1400 bis 1500 Implantate pro Jahr, seit 2004 nehmen wir das Implantatsystem und greifen grundsätzlich aufs „bewusste“ Platform-Switching zurück – egal ob für Brücken- oder Stegversorgungen. Auf ein 4,5er-Implantat kommt bei mir immer ein 3,8er-Abdruckpfosten, da denke ich gar nicht mehr drüber nach. Das reduziert auch die von den Kollegen erwähnten Probleme bei der Freilegung. Knochen, der eventuell über das Implantat gewachsen ist, muss eben nicht mehr entfernt werden, so dass auch bei meinen Freilegungen in der Regel die Stichinzision zur Anwendung kommt, es sei denn, man muss die Freilegung mit einem mukogingivalchirurgischen Eingriff, zum Beispiel einem apikalen Verschiebelappen zur Bildung von unverschieblicher Gingiva periimplantär, kombinieren, was nach umfangreichen Augmentationen oft durchgeführt werden muss. Und die Ergebnisse überzeugen, obwohl wir fast nie Implantate in den ortsständigen Knochen setzen, fast immer sind umfangreiche Augmentationen nötig. Dies konnten wir bei der schon erwähnten internen Longitudinalstudie erkennen.
Kommen wir zum Sondieren am platformgeswitchten Implantat. Das wird zurzeit auf Kongressen kontrovers diskutiert, zuletzt auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie in Münster. Welche Probleme können auftreten?
Nentwig: Wir führen heute das Sondieren am Implantat im Sinne einer „Taschentiefenmessung“ nur dann durch, wenn radiologisch eine Periimplantitis mit approximalem Knochenabbau (auf zweidimensionalen Aufnahmen ist nur diese Ebene beurteilbar) festgestellt wurde, um den Knochenabbau auch vestibulär und oral zu evaluieren. Unter Verdrängung der Mukosa wird die Sonde entlang der Implantatoberfläche in die Tiefe geführt.
Ansonsten wird die PA-Sonde nur zur Ermittlung einer eventuellen Blutungstendenz vorsichtig im Sulkus zirkulär geführt. Bei gesunden Verhältnissen kann die Sonde nur mit Gewaltanwendung die straffe zirkuläre Mukosa so weit verdrängen, dass die außenliegende Peripherie des Implantats ertastet werden kann. Das lehnen wir als zu traumatisierend ab.
Herr Dr. Pape, verhindert der Versatz ein Sondieren? Bleibt man sozusagen mit der Sonde an der Stufe „hängen“?
Pape: Das kann natürlich vorkommen. Wählt man zum Beispiel ein 5,5-mm-Implantat und einen 3,8-mm-Aufbau – da wird es schwierig, vernünftig zu sondieren. Aber muss ich das überhaupt? Ist es überhaupt sinnvoll, sich bei einem klinisch und röntgenologisch unauffälligen Implantat auf Gedeih und Verderb mit der Kunststoffsonde in die Tiefe vorzutasten, um zu messen, ob die Tiefe der Tasche 1 mm oder 1,5 mm oder 2 mm beträgt? Die klinische Relevanz halte ich jedenfalls für gering.
Heißt das, das Sondieren am unauffälligen Implantat ist überflüssig oder sogar kontraproduktiv?
Pape: So weit möchte ich nicht gehen. Liegt jedoch ein deutlich sichtbarer Knocheneinbruch von drei oder vier mm vor, der per Röntgenaufnahme diagnostiziert wurde, dann müssen wir sondieren. In diesen Fällen stört der Versatz aber nicht, da sich in der Regel Granulationsgewebe gebildet hat, das das Implantat nicht mehr straff umschließt.
Herr Dr. Riedl, sehen Sie das ähnlich?
Riedl: Ja, auch wir sondieren nicht am Implantat.
Und wie beugen Sie der Periimplantitis vor? Hatten Sie bereits Periimplatitisfälle in Ihrer Praxis?
Riedl: Die hat leider jeder Implantologe. Denn abgesehen von iatrogenen Faktoren hält sich leider nicht jeder Patient an unsere Pflege- und Recall-Anweisungen … Wenn ich auf die letzten zehn Jahre zurückblicke, habe ich etwa ein Prozent der gesetzten Implantate durch eine Periimplantitis verloren oder entfernen müssen. Ein weiteres halbes Prozent versuche ich gerade zu therapieren.
Wie gehen Sie dabei vor?
Riedl: Wir entfernen das Abutment, um die Implantatwindungen im krestalen Anteil zu glätten und zu polieren. Wir schaffen so quasi nachträglich eine maschinierte Schulter. Nach Abschluss der Behandlung wird das Weichgewebe so dicht wie möglich an die nun glatte Schulter adaptiert, nur eben jetzt eine Etage tiefer. Die raue Implantatoberfläche, an die sich Bakterien anlagern können, ist so nahezu eliminiert.
Wo liegen die Grenzen dieser Methode?
Riedl: Sobald mehr als die Hälfte des Implantats beschliffen werden müsste, wird das Implantat entfernt.
Gibt es Alternativen?
Riedl: Aus meiner Sicht nicht. Lasern, Sandstrahlen, Knochenaufbau, Kürettieren jeweils mit oder ohne begleitende Antibiose – das alles bringt nachweislich nichts. Dies ist durch diverse Studien auch belegt. Die raue Implantatoberfläche muss geglättet werden, sobald sie freiliegt, andernfalls „lockt“ sie wieder Bakterien an. Und ob es eine langfristig erfolgversprechende, nicht „destruktive“ Implantitistherapie gibt oder geben wird, bleibt abzuwarten.
Wie, wenn nicht durchs Sondieren, prüfen Sie die Periimplantitisgefahr?
Pape: Das A und O ist der regelmäßige Recall. In der Regel röntgen wir einmal im Jahr, das empfehle ich auch den Kollegen. Zeigen sich Auffälligkeiten, wird ein Zahnfilm nachgeschossen. Im Zweifel nehmen wir auch die Arbeiten ab. Dann schaut man auf das Implantat und kann problemlos am Implantat sondieren, zentral und nicht von der Seite. Das liefert auch einen genaueren Befund.
Ist das Periimplantitisrisiko bei Flach-zu-flach-Verbindungen höher?
Pape: Nein, dann hätten wir in unserer Praxis nicht diese Erfolge. Noch einmal: Für den Praktiker und Generalisten bereitet ein Konussystem in manchen klinischen Situationen Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten lassen sich nicht durch höhere Langzeitprognose aufgrund einer geringen Leakage-Rate aufwiegen, die nicht erwiesen ist. Wäre das der Fall, müsste man stumpfe Systeme unverzüglich vom Markt nehmen.
Könnte das drohen? Immerhin scheinen seit 2008 immer mehr Hersteller auch auf konische Systeme zu setzen. Stagnieren die Absatzzahlen der Flach-zu-flach-Verbindungen?
Krampe: Nein, keineswegs. Ich denke, das wird sich auch in Zukunft die Waage halten. Weltweit nutzen schätzungsweise die Hälfte der Zahnärzte konische und die andere Hälfte stumpfe Verbindungen.
Herr Prof. Nentwig, wie lautet Ihre Prognose?
Nentwig: Implantate mit selbsthemmender Konusverbindung lassen sich aufgrund des äußerst geringen Microleakage subkrestal platzieren, wodurch der Knochen bis an die Fügezone heranwächst und stabil bleibt. Wir sollten nicht vergessen, dass dieser Knochen auch in idealer Weise das zirkuläre Weichgewebe stützt. Ich gehe davon aus, dass sich die Konusverbindung unter diesem Aspekt als Verbindungstyp weiter am Markt durchsetzen wird.
Zusammenfassung Platform-Switching
- Hauptursache des zervikalen Knochenverlusts ist das operative Trauma, das Deperiostisierungs-, Präparations- und Insertionstrauma. Eine weitere Ursache kann später Periimplantitis sein. Beides lässt sich durch Platform-Switching nicht beeinflussen.
- Finite-Elemente-Messungen zeigen, dass die an der Schnittstelle Implantat-Abutment wirkenden Kräfte durch das Platform-Switching nach „zentral“ verlagert werden und somit nicht so stark auf den krestalen Knochen wirken können.
- Durch Microleakage verursachter Knochenverlust lässt sich durch Platfom-Switching etwas reduzieren, weil sich die Distanz des Knochens zur Kontaminationsquelle vergrößert. Gleiches gilt für eine suprakrestale Positionierung des Implantats.
- Besonders gefördert wird die Abgabe kontaminierter Substanzen aus dem Innenbereich der Implantatverbindung bei einer Dynamisierung durch Mikrobewegungen, was hauptsächlich bei einzelstehenden Implantatversorgungen erfolgt. Dieser Pumpeffekt kommt bei prothetischen Verblockungen nicht vor. Bei kraftschlüssigen konischen Verbindungen ist der Pumpeffekt von Vorneherein in jedem Falle ausgeschlossen.
- Dennoch werden sich Flach-zu-flach-Verbindungen am Markt behaupten. Denn das einfache prothetische Handling sorgen für eine hohe Akzeptanz. Zudem überzeugen die Langzeitergebnisse.
- Das Sondieren am platformgeswitchten gesunden Implantat kann aufgrund des Versatzes problematisch sein und ist abzulehnen. Wurde bereits röntgenologisch eine Periimplantitis diagnostiziert, bereitet das Sondieren trotz des Versatzes kaum Probleme, da sich in der Regel Granulationsgewebe gebildet hat, das das Implantat nicht fest umschließt
Die Experten
Dr. Dietmar Krampe
ist Senior KOL Relationship & Clinical –Writing Manager bei DENSPLY Implants. Er studierte Zahnmedizin in Frankfurt a. M. und ist seit Jahren in der Dentalbranche tätig.
Kontakt: Dietmar.Krampe@dentsply.com
Prof. Dr. Georg-H. Nentwig
ist Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie und Implantologie der Universität Frankfurt und Co-Direktor des Masterstudiengangs „Orale Implantologie“.
Kontakt: g.h.nentwig@em.uni-frankfurt.de
Dr. Friedrich-Wilhelm Pape
ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie und Spezialist für Prothetik der DGPro. Er ist als Oberarzt in der Privatzahnklinik Schloss Schellenstein in Olsberg tätig und niedergelassen in Hagen.
Kontakt: drspape@t-online.de
Dr. Marcus Riedl
studierte Zahnmedizin in Erlangen und ist seit 2005 niedergelassen in Stein bei Nürnberg. Seit 2006 Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie der DGI.
Kontakt: dr.riedl@dr-marcus-riedl.de