Expertenzirkel

Mundspülungen: Was bringen ätherische Öle?

Es gibt zahllose Mundspüllösungen. Die eine verspricht Hilfe bei Zahnfleischerkrankungen, die andere will bei der Kariesverhütung unterstützen, das dritte Mittel verschafft schlicht frischen Atem. Fallen Mundwasser unter die „Verordnung für kosmetische Mittel“, können Zutaten und Farbstoffe beliebig zusammengemischt werden, solange das Produkt dem Menschen nicht schadet. Was hilft wirklich?



Wer zusätzlich zur mechanischen Zahnreinigung Mundspülungen anwendet, erhöht seine Chance auf plaquefreie Zähne und gesundes Zahnfleisch, lautet die Werbung zahlreicher Hersteller. Was ist da dran?
Noack: Wer heilt hat recht, heißt es oft so schön. Aber wer recht haben will, muss auch den Nachweis erbringen, dass eine Mundspüllösung auch eine beweisbare und klinisch relevante Wirkung erzielt, ohne dabei unerwünschte Effekte zu provozieren. Dies bedeutet im Alltag, dass man nach klinischen Studien fragen muss, in denen nicht irgendein Teilparameter bestimmt wird, sondern ein relevanter Gesundheitsnutzen erzielt wurde. Für viele Mundspüllösungen ist diese Forderung bequem erfüllbar.
Saxer: Werden Mundspülungen gezielt eingesetzt, sind sie eine große Hilfe. Dazu braucht es allerdings eine genaue Indikation, die wiederum eine exakte Diagnose voraussetzt – mit umfassender Anamnese, Untersuchung der Biofilme in der Mundhöhle und ggf. auch der systemisch zusammenhängenden weiteren Organe.

Das klingt zeit- und beratungsintensiv.
Rode: Ist es auch. Denn Patienten müssen im ersten Schritt die Ursachen für mögliche Zahn- und Zahnfleischprobleme kennen und verstehen. Nur dann kann ein aktives Putzverhalten im Sinne der Dreifachprophylaxe erwartet und ein sinnvoller Einsatz von Mundspüllösungen gewährleistet werden. Entscheidend bei der Wahl der richtigen Spüllösung ist nicht etwa der „frische Atem“, sondern die Wirkung auf die orale Plaque und die Funktion der Biofilmkontrolle. Präparate mit den Wirkstoffen Amin- und Zinnfluorid, Chlorhexidindigluconat und ätherischen Ölen erfüllen diese Funktion.

Was heißt das in der Praxis?
Rode: Unsere Empfehlungen, die wir entsprechend der individuellen Patientensituation geben, beschränken sich auf diese drei Wirkstoffgruppen. Das Praxisteam sollte grundsätzlich über Nebenwirkungen aufklären, zum Beispiel auf mögliche Verfärbungen bei dauerhaftem Gebrauch bestimmter Präparate hinweisen. Möchten Patienten eine Mundspüllösung zur Unterstützung der täglichen Mundhygiene verwenden, sollten sie wissen, dass Spülen nur nach mechanischer Reinigung eine erfolgreiche Biofilmkontrolle verspricht.

Bei welchen Indikationen setzen Mundwässer an?

Saxer: Das Indikationsspektrum ist ausgesprochen breit:

  • Ein Mundwasser kann präventiv helfen gegen Infektionen, selbst gegen virale.
  • Es kann die mikrobielle Flora in der Mundhöhle wieder stabilisieren, was nicht nur der Zahnfleischgesundheit, sondern auch der allgemeinen Gesundheit dient, direkt oder über das immunologische Abwehrsystem unserer Darmflora.
  • Mit Mundspüllösungen lässt sich Karies reduzieren, sei es durch Zugabe von Fluoriden oder anderen wirksamen Substanzen.
  • Mundwässer bekämpfen Mundgeruch und optimieren die Mundhygiene, da auch mit Zahnseide und Zahnbürste nicht zu säubernde Stellen erreicht werden.
  • Sie schützen zudem vor Zahnhalsüberempfindlichkeiten und unterstützen sowohl die Wundheilung als auch die Speichelfunktion.
  • Selbst bei Verfärbungen helfen bestimmte Mundspüllösungen, Zähne aufzuhellen.

Und damit ist das Indikationsspektrum noch immer nicht komplett. Wichtig dabei: Der Zahnarzt muss die auf dem Markt angebotenen Mittel genau kennen.

Was eine Herausforderung sein dürfte …
Saxer: Richtig, denn es gibt die unterschiedlichsten Produkte und zahlreiche wissenschaftliche Berichte über ihre Wirkungsmechanismen. Werbung kann dagegen frei erfunden sein. Der Zahnarzt muss sich also mit dem Thema beschäftigen und patientenindividuell analysieren, ob der Bedarf für eine Mundspüllösung besteht und welches Mundwasser sich eignet.

Die Compliance des Patienten, regelmäßig eine Mundspüllösung anzuwenden, scheint aber auch ohne direkte zahnärzt‧liche „Verordnung“ sehr hoch zu sein. Sehe ich das richtig?
Dietrich: Ja, zumindest meine Praxiserfahrung bestätigt das. Umso wichtiger ist es, dem Patienten neben der Basis der mechanischen Reinigung mit Zahnbürste und Zahnzwischenraumpflege das wirklich passende Produkt zur Ergänzung der Dreifachprophylaxe an die Hand zu geben. Das erfordert ein fundiertes Wissen über Inhaltsstoffe und deren Einsatz. DHs und ZMPs lernen dies im Rahmen ihrer Ausbildung. Literatur sowie ausreichend wissenschaftliche Studien über Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von antibakteriellen Mundspüllösungen helfen uns, das Mittel der Wahl zu empfehlen. Das A und O dabei ist immer der therapeutische Nutzen.

Atemerfrischungspräparaten dürfte genau dieser Nutzen fehlen. Wie lässt sich vermeiden, dass der Patient beim Discounter exakt solche Mundspüllösungen erwirbt? Sollte er eventuell besser in der Apotheke kaufen?
Rode: Grundsätzlich ist gegen den Erwerb von Mundspüllösungen in der Apotheke nichts einzuwenden. Neben dem Praxisteam ist der Apotheker ein geeigneter Ansprechpartner in allen Fragen zu Inhaltsstoffen und zur Wirkung unterschied‧licher Präparate. Diese Beratungsqualität entfällt beim Discounterkauf.

Raten Sie von dem Kauf beim Discounter ab?

Rode: Nein, keineswegs, wenn der Patient bereits sensibilisiert wurde und ihm bekannt ist, welches Produkt sinnvoll ist, spricht überhaupt nichts gegen den kostengünstigeren Kauf. Neben großen Drogerie- und Supermarktketten lassen sich alle Arten von Mundpflegeprodukten auch über das Internet günstig und unkompliziert erwerben.
Saxer: Letztlich haben sowohl der Discounter als auch der Apotheker den entscheidenden Nachteil, dass sie die Situation beim Patienten über seine persönliche Problematik nicht genau kennen, der Apotheker allenfalls durch Aussagen des Patienten. Hat der Zahnarzt ein Produkt empfohlen, dürfte der Patient auch beim Discounter das richtige Präparat erwerben können. Markenpräparate werden schließlich nicht verändert. Beim Apotheker darf der Patient immerhin mit einer wissenschaftlich korrekten Beratung rechnen, eine konkrete Diagnose im Mund gibt es aber nur in der zahnärztlichen Praxis.

Gilt der Kauf in der Apotheke als Gütesiegel?
Saxer: Der Kauf sicher nicht, allenfalls die Empfehlung durch einen Apotheker, wenn dieser sich genau über die verschiedenen Wirkungen eines bestimmten Produkts informiert hat und nicht nur nach der Werbung beurteilt. Man hat halt Vertrauen in Apotheker, die ihre Kunden gut beraten.

Einige Mittel sind natürlich auch apothekenpflichtig.
Dietrich: Richtig. Chlorhexidin zum Beispiel wird als Arzneimittel geführt. Das Indikationsspektrum ist breit und reicht von der Infektionsprävention über die Parodontitistherapie bis hin zur Desinfektion.

Mundspüllösungen mit Chlorhexidingluconat, ätherischen Ölen, Aminfluorid/Zinnfluorid, Zinklactat oder auch Zinkchlorid gibt es auch im Supermarkt. Kommen die „Discounter“-Mundwässer beim Patienten anders an? Gelten Sie als „harmloser“ oder weniger effektiv?
Noack: Die verschiedenen Vertriebswege haben sich historisch entwickelt und lassen keine automatischen Rückschlüsse auf die Produktqualität zu. Es kann im Drogeriemarkt wirksame Kosmetikprodukte und in der Apotheke unzureichend erforschte OTC-Produkte, also rezeptfreie „Over the Counter“-Produkte, geben. Es bleibt nur die Prüfung der wissenschaftlichen Dokumentation der Produkte, die in aller Regel auf der Homepage des Herstellers hinterlegt ist.

Wirksamkeit ätherischer Öle werden nicht selten bezweifelt …

Dennoch wird die Wirksamkeit ätherischer Öle bezogen auf Gingivitis und Plaque‧reduktion nicht selten bezweifelt …
Saxer: Die Effektivität ätherischer Öle ist wissenschaftlich wohl am besten dokumentiert. Ich verstehe die Zweifler, denn wenn ätherische Öle nur kurzfristig eingesetzt sind, also Tage oder Wochen, dann hat sich die „Tiefenwirkung“ des Präparats noch nicht durchgesetzt. Das zeigen auch Studien über zwei bis vier Wochen, dass Listerine zum Beispiel gerade im Vergleich zu CHX nur eine kleine Wirkung zeigt; nach drei bis sechs Monaten ist aber das Produkt bei regelmäßiger Anwendung gleichwertig. Ätherische Öle wirken bei Lege-artis-Anwendung definitiv gegen Biofilm.
Noack: Listerine Mundspüllösungen zählen zum Beispiel zu den am besten untersuchten Produkten. Aus einer Metaanalyse, die alle 29 klinischen Studien, auch bisher unveröffentlichte, miteinbezieht, geht die Wirksamkeit eindeutig hervor. Demnach bewirkt das tägliche Spülen mit Listerine eine fünffach bessere Quote bezogen auf Gingivitis und Plaque. 83 von 100 Patienten weisen 20 % weniger Plaque auf. In diesen Studien wurden immerhin über 2500 Patienten klinisch kontrolliert untersucht. Besser kann man Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nicht nachweisen.
Saxer: Bei Zahnfleischproblemen reicht die alleinige Anwendung eines Mundwassers allerdings nicht aus. Nur wenn die therapeutische Intervention erfolgreich ist, lässt sich mit unterstützender Wirkung durch das Mundwasser ein Langzeiterfolg erzielen. Und nur in der Nachkontrolle beim Behandler lässt sich dieser Erfolg messen. Die erfolgreichsten Mundwässer nach therapeutischen Interventionen am Zahnfleisch in der Wundheilungsphase, also ca. drei bis sechs Wochen nach einem Eingriff, sind chlorhexidinhaltige (CHX) Produkte. In der Langzeitbetreuung und bei Patienten mit einer behandelten Taschenproblematik oder mit Implantaten haben sich die ätherischen Öle als wirksamer erwiesen, möglicherweise auch infolge der Nebenwirkungen von CHX-Produkten.

Wie ist das zu erklären?
Saxer: Die meisten Mundwässer haben eine lokale Wirkung gegen planktonische Bakterien in vitro, aber beim Menschen finden sich die oralen Bakterien in einem Biofilm. Die Keime sind in eine Polysaccharide enthaltende Matrix eingebettet und organisieren sich, wachsen und tauschen Substanzen und Informationen untereinander aus. Die Filmmatrix wird von einer wässrigen Lösung durchströmt, so dass die Versorgung mit Nährstoffen und der Abtransport von metabolischen Produkten gewährleistet sind. Zusätzlich werden in den Biofilmen Abwehrmechanismen und Resistenzen aufgebaut. Im Biofilm schützen sich die Bakterien selbst gegen Austrocknung und Antiinfektiva (Desinfek‧tionsmittel und Antibiotika). Die Überlebensfähigkeit der Mikroorganismen ist massiv erhöht. Die ätherischen Öle haben die Fähigkeit in den Biofilm auch subgingival einzudringen.

Damit wird aber nicht geworben …
Saxer: Auf die Anpreisung eines therapeutischen Effekts wird in der Tat verzichtet, doch die Wirkung ist vorhanden. Verschreibt der Zahnarzt ätherische Öle für eine konkrete Indikation nach entsprechender Anamnese und Diagnose, haben die ätherischen Öle nachgewiesen medizinische Effekte.

Plädieren Sie für ein präventives Spülen?

Die Entstehung des Biofilms selbst ist grundsätzlich ein natürlicher und nicht per se schädigender Prozess. Plädieren Sie für ein präventives Spülen?
Rode: Ja, bei einer mangelnden Biofilmkontrolle droht eine Entgleisung mit möglicherweise weitreichenden Folgen für das gingivale, parodontale und dentogene Gewebe. Die medizinische Relevanz des Biofilms ist abhängig von einer ganzen Palette unterschiedlicher Faktoren.

Zum Beispiel?
Rode: Von der allgemeinen Gesundheit des Patienten, der Zahnstellung, dem Vorhandensein von Zahnersatz, der Qualität von Restaurationsrändern etc.
Im Praxisalltag empfehlen mein Team und ich gerne Mundspüllösungen mit ätherischen Ölen. Eine relative Indikation zur Empfehlung gilt meiner Meinung nach allgemein erst einmal für alle Patienten, die für zusätzliche Reinigungsmaßnahmen neben der mechanischen Zahnpflege motiviert sind. Da das Biofilmmanagement als wesentlicher Teil der parodontalen Infektionskontrolle verstanden werden kann, ist die Indikation zur Empfehlung bei Patienten mit Parodontitis sicher gegeben.
Mangelndes Biofilmmanagement kann im äußersten Fall systemische Auswirkungen haben. Es gibt bekanntlich Zusammenhänge zwischen Parodontitis und neurodegenerativen Erkrankungen, Schlaganfällen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Respirationstraktes, entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, Nierenerkrankungen und Schwangerschaftskomplikationen. Daher ist auch bei den genannten Risikogruppen eine besondere Biofilmkontrolle angezeigt.

Sollten ätherische Öle vor diesem Hintergrund eventuell besser als medizinische Mundspüllösungen eingestuft werden?
Saxer: Nein, wie es zurzeit gehandhabt wird, ist es richtig.
Der Patient soll sein ihm bekanntes Mundwasser überall erwerben können. Wichtig ist die Empfehlung des Experten, sprich des Zahnarztes oder der Dentalhygienikerin.
Noack: Ich schließe mich an: Die Einstufungen finde ich für den Verbraucher bzw. Patienten verwirrend. Oft sind juristische Aspekte wichtiger als inhaltliche. Schließlich wirken Zahnpasten mit 1450 ppm Fluorid medizinisch, indem sie kariöse Läsionen verhindern. Trotzdem, oder zum Glück, werden die Zahnpasten im Supermarkt verkauft. Für mich gibt es nur bewiesenermaßen klinisch wirksame und fraglich wirksame Produkte, wo auch immer die Produkte im Regal liegen.
Rode: Dazu kommt: Werden ätherische Öle als „medizinische Mundspüllösungen“ eingestuft, könnte dies den Eindruck erwecken, sie allein reichten für die tägliche Zahnpflege aus. Das ist aber nicht der Fall. Spüllösungen mit ätherischen Ölen entfalten erst nach vorangegangener mechanischer Zahnreinigung und vernünftiger Interdentalreinigung ihre Wirkung.
Zudem sollte der Unterschied von Spüllösungen mit ätherischen Ölen und solchen, die auf Chlorhexidindigluconat basieren, deutlich bleiben. Chlorhexidinpräparate sind eindeutig nicht zur täglichen, dauerhaften Anwendung geeignet. Handelsübliche Mundspüllösungen haben hingegen keine Nebenwirkungen und lassen sich bedenkenlos genauso wie Zahncreme täglich und dauerhaft verwenden.

Die Einstufung von Mundspüllösungen in „medizinisch“ und „nicht medizinisch“ spielt also keine Rolle?
Dietrich: Nein, Studienlagen und Effektivität entscheiden darüber, welches Produkt beim Patienten zur Mundgesundheit beiträgt. Danach richten sich unsere Empfehlungen. In der Langzeitanwendung ist der medizinische Effekt in Verbindung mit Zahnreinigung nachgewiesen. Die aktuelle Metaanalyse bestätigt dies. Viel wichtiger aber ist: Mundhygiene muss kontinuierlich trainiert werden. Der Patient lernt in der Prophylaxesitzung „seinen Mund“ kennen und reinigt häuslich mit individuell für ihn angepassten Hygienehilfsmitteln. Durch regelmäßiges Monitoring von Mundhygieneindizes und Motivation nach Wissensstand können Karies und Zahnfleischerkrankungen minimiert werden. Basis für eine gründliche Mundhygiene sind die mechanische Reinigung der Zähne und die Reinigung der Interdentalräume.
Ist es Patienten nicht möglich, Plaqueakkumulationsstellen wie Engstände der Zähne, schwer zugängliche Nischen und Verblockungen zu erreichen, sind Mundspüllösungen unerlässlich.
Listerine bekämpft nachweislich ein breites Spektrum oraler planktonischer Bakterien und Bakterien im Biofilm, wie zahlreiche Studien belegen. Ätherische Öle haben bei kontinuierlicher Anwendung eine nachgewiesene plaquereduzierende Wirkung und beugen Gingivits vor. Unsicherheiten bei der täglichen Anwendung lassen sich in der Prophylaxesitzung besprechen. Ziel der häuslichen Mundhygiene ist die regelmäßige Umsetzung der Dreifachprophylaxe:
1. Reinigung der Zähne
2. Reinigung der Interdentalräume
3. Optimierung der Biofilmkontrolle mit Listerine

Je mehr Fluorid, desto besser die Kariesverhütung?

Je mehr Fluorid, desto besser die Kariesverhütung? Gilt der Satz auch für die Mundspüllösungen?
Noack: Auch wenn es für Fluoride eine Dosiswirkungsbeziehung gibt, sind die meisten Studien mit fluoridhaltigen Mundspüllösungen mit der üblichen Konzentration von 225 ppm durchgeführt worden. Dem gegenüber steht, dass ca. 20 Millionen Patienten weltweit fluoridhaltige Mundspüllösungen benutzen. In jedem Falle ist eine zusätzliche Fluoridmundspüllösung insbesondere für Risikopatienten vorteilhaft. Dies gilt etwa für Schulkinder oder Patienten während der kieferorthopädischen Therapie.
Saxer: In der Kariesprophylaxe lassen sich verschiedene fluoridhaltige Produkte kombinieren, etwa fluoridiertes Kochsalz, Zahnpasta und Mundwasser. Die Fluoridwirkung, die im Wesentlichen auf der Aufnahme von Fluoriden nach dem Zähneputzen aus übrig gebliebenen Plaqueresten beruht (Tenuta et al. Caries Res 43:278–285, 2009), kann nicht linear gesteigert werden: Ein Patient, der trotz zweimaligen Zähneputzens mit fluoridhaltiger Zahnpaste weiterhin Karies entwickelt, kann seine Kariesprogression auch nicht durch sechsmaliges Zähneputzen reduzieren (Zero et al. Caries Res 44:90–100, 2010). Um die Mundschleimhaut vor Infektionen zu schützen, muss mehr als nur zwei- oder dreimal pro Tag gespült werden. Grundsätzlich gilt: Nahrungsverzehr eliminiert die Wirkung eines Mundwassers.
Dietrich: Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) beschreibt in ihren Leitlinien „Empfehlungen zur Kariesprophylaxe mit Fluoriden“ den Einsatz von Fluoriden in den verschiedenen Altersklassen und Indikationen. Zahnärzte und Prophylaxeteams müssen ihr Know-how in puncto Fluoridempfehlung regelmäßig aktualisieren.
Rode: Fakt aber ist: In Deutschland herrscht kein Fluoridmangel, eine zusätzliche Gabe oder Einnahme über Fluoridtabletten oder zusätzlich fluoridierte Spüllösungen erübrigt sich deshalb meines Erachtens in der Regel.
Saxer: Viele Patienten in Deutschland könnten allerdings durchaus ein fluoridiertes Mundwasser gebrauchen. Gerade nach säurehaltigen Speisen mach das Sinn, um den Zähnen etwa erosiv weniger zu schaden!

Lässt sich mit Mundspüllösungen die mechanische Reinigung nach dem Mittagessen „umgehen“?
Dietrich: Nein, Mundspüllösungen ersetzen keine mechanische Reinigung. Sie sind additiv einzusetzen und optimieren die Mundhygiene. Die Empfehlung „Je mehr desto besser“ kann den Patienten dahin gehend verleiten, häufiger mit antibakteriellen Mundspüllösungen zu spülen um gleichzeitig das tägliche Putzen zu reduzieren.
Ausschlaggebend sind die Herstellerangaben. Listerine hat in der aktuell vorliegenden Metaanalyse nachweisen können, dass die zweimal tägliche zusätzliche Mundspülung in Verbindung mit mechanischer Reinigung der Zähne und Biofilmentfernung in den Interdentalräumen eine fast achtmal höhere Chance bietet, die Zahnflächen von Plaque zu befreien als die mechanische Zahnreinigung allein.
In der Langzeitanwendung konnten keine negativen Auswirkungen auf die Mundhöhle, weder eine Verschiebung des mikrobiologischen Gleichgewichts noch Verfärbungen oder Schleimhautveränderungen, festgestellt werden. Das schafft Vertrauen, kompetente Anwendungsempfehlungen zu Mundspüllösungen werden dankbar seitens der Patienten angenommen.

 

Kontraindikationen?

Kommen wir zu den Kontraindikationen. Wann raten Sie von ätherischen Mundspülungen ab?
Noack: Einige Produkte enthalten Alkohol, andere nicht. Auch wenn die Alkoholkonzentration in Mundspüllösungen als klinisch unbedenklich eingeschätzt wird, gibt es Patientengruppen, für die dies nicht infrage kommt, beispielsweise Kinder. Für sie muss eine alkoholfreie Alternative gesucht werden. Auch gibt es einige wenige Patienten, die auf einzelne pflanzliche Inhaltsstoffe allergisch reagieren.

Was sagen Sie, Herr Dr. Rode?
Rode: Grundsätzlich ist meiner Meinung nach die tägliche Anwendung von Mundspüllösungen mit ätherischen Ölen zusätzlich zur mechanischen Reinigung der Zähne und Interdentalräume indiziert und hat bei sachgerechter Anwendung auch keinerlei nachweisbare nachteilige Effekte für die Mundflora. Auch Verfärbungen sind ausgeschlossen. Trotzdem empfehle ich keine übermäßige Nutzung von Mundspüllösungen. Die Verordnung von Mundspüllösungen mit ätherischen Ölen zur Therapie von aktiven parodontalen Läsionen oder Mundschleimhautveränderungen sehe ich ebenfalls skeptisch. Dafür gibt es sicherlich andere Präparate, die nachgewiesenermaßen sicher zum Therapieerfolg führen.

Sie sprechen von Chlorhexidin?

Rode: Ja, denn die Grenzen der Wirksamkeit von Mundspüllösungen mit ätherischen Ölen müssen klar sein. Zur täglichen, zusätzlichen Pflege und Prophylaxe, ja. Bei pathologischen Prozessen die über die einfache lokalisierte Gingivitis hinausgehen, nein.
Bei aktiven parodontalen Läsionen verordne ich Spüllösungen mit dem Wirkstoff Chlorhexidindigluconat (CHX), der als Goldstandard gilt. Das Wirkspektrum von CHX liegt weiter im Bereich von parodontalpathogenen Keimen, als es eine Mundspüllösung mit ätherischen Ölen leisten kann.
Saxer: Da muss ich widersprechen. Chlorhexidin ist der Goldstandard – kurzfristig und bei der Wundheilung –, langfristig kann aber Listerine eingesetzt werden, das antibakterielle Spektrum ist gerade gegen subgingival sich ansiedelnde Keime ausgeprägter (siehe Fine et al. 2007, Foster et al. 2004 – Bilder). In diesem Sinne kann man diese beiden Produkte nicht vergleichen, sondern muss diese gezielt und differenziert einsetzen.
Rode: Das mag sein, in der Praxis muss man sich aber entscheiden. Die kurzfristige Anwendung von CHX im Rahmen von Parodontitistherapien ist in der Regel verträglich, wohingegen eine mittelfristige Nutzung entsprechender Präparate Nebenwirkungen, wie bräunliche Verfärbung von Zunge und Zähnen oder Beeinträchtigung des Geschmackssinns, nach sich zieht. Auch die prä- und postoperative antiseptische Spülung kann nicht mit Mundspüllösungen mit ätherischen Ölen erfolgen. Da ist ein Präparat auf CHX-Basis ein Muss.
Neben der Therapie von parodontalen Läsionen sollte auch die Behandlung von Mundschleimhauterkrankungen aller Art nicht mit handelsüblichen Mundspüllösungen durchgeführt werden. Eine Mundspüllösung mit ätherischen Ölen zur Biofilmkontrolle ist ideal. Wenn dieser jedoch entgleist und sich gesundheitliche Folgen darstellen, ist eher eine Lösung mit spezifischer Wirkung, wie CHX, zu empfehlen.
Noack: Chlorhexidin ist in der höchsten Konzentration von 0,2 % in der Tat das wirksamste Mittel, um im Rahmen von oral- oder parodontalchirurgischen Maßnahmen eine verbesserte Heilung sicherzustellen. Auch in der nichtchirurgischen PA-Therapie ist das Antiseptikum im Sinne einer „Full-Mouth-Therapie“ in verschiedenen Darreichungsformen unverzichtbar. Aufgrund der bekannten unerwünschten Wirkungen (Verfärbungen, Geschmacksirritationen) bleibt der Einsatz von Chlor‧hexidin aber nur für einen begrenzten Zeitraum sinnvoll.

Mit anderen Worten: Indiziert sind CHX-Mundspüllösungen nach chirurgischen Eingriffen bei geschlossenen Wundverhältnissen.
Saxer: Richtig, allerdings sind auch allergische Reaktionen bekannt, wie die Literatur belegt. CHX ist aber in der Wundheilungsphase derart wichtig, dass ich meist nicht darauf verzichten möchte. Damit keine Probleme entstehen, mache ich mit CHX immer eine sogenannte Probebehandlung unter Kontrolle: Ich lasse den Patienten mit 0,1%iger Lösung spülen. Treten keine Probleme auf, wird es bei der nachfolgenden Abgabe von CHX keine Probleme geben.
Dietrich: Der Einsatz von Chlorhexidin in der Konzentration von 0,12 % bis 0,2 % hat sich sowohl in der PA-Therapie als auch bei der Behandlung bakteriell bedingter Gingivitis bewährt. Chlorhexidin verfügt über eine gute Adhäsion an die Mukosa, die Gingiva, die Zähne und generell an Mikroorganismen. Die lange Substantivität von mehr als zwölf Stunden hemmt die Stoffwechselaktivität der Bakterien und reduziert die Keimzahl in der Mundhöhle. Aufgrund dieser guten bakteriostatischen und bakteriziden Wirkung sollte Chlorhexidin bei akuten Entzündungen, zur Unterstützung der Wundheilung sowie bei eingeschränkter Mundhygiene als der Wirkstoff zum Einsatz kommen. Die bekannten Nebenwirkungen wie Geschmacksirritationen und Verfärbungen von Zähnen, Mukosa und Zunge sind nach zeitlich begrenztem Einsatz reversibel. Im Vordergrund steht immer das individuelle Therapieziel.

DMS V – Ein Etappensieg?

Allen düsteren Prognosen zum Trotz scheint sich die Mundgesundheit der Deutschen weiter zu stabilisieren, wie die DMS V zeigt. Ein Etappensieg?
Dietrich: Ja, in den Zahnarztpraxen hat sich ein Wandel vollzogen. Prävention statt Reparation lautet der Slogan. Prophylaxe rückt immer mehr in den Fokus. Das Gesundheitsbewusstsein der Patienten hat sich verändert, Präventionskonzepte werden in Anspruch genommen, egal in welchem Alter.
Eine Herausforderung wird die Betreuung von Senioren bleiben. Die Behandlungsbedürftigkeit steigt mit zunehmendem Alter. Mehr qualifizierte Fachkräfte mit der Spezialisierung Alterszahnheilkunde sind notwendig. Auch das Berufsbild der zahnärztlichen Mitarbeiterin hat sich darauf eingestellt. Aufstiegsfortbildungen und das Studium zur Dentalhygienikerin B.Sc. bieten eine Plattform, sich beruflich weiterzuentwickeln.

Herr Professor Noack, hätten Sie mit einer solch positiven DMS V gerechnet?
Noack: Warum die DMS-V-Daten sich so darstellen, bleibt letztlich Spekulation, da viele Faktoren Einfluss nehmen. Die bessere Durchdringung von Präventionsdienstleistungen in Zahnarztpraxen wird sich genauso niedergeschlagen haben wie vermehrte Medienaktivität der Kosmetikprodukthersteller sowie der veränderte Zeitgeist. Schade, dass zwar unsere Patienten im direkten Gespräch sehr positive Rückmeldungen bieten. Die Sozialpolitik dagegen schafft es in 60 Jahren nicht, eine neue Approbationsordnung oder auch mal eine Punktwertanhebung der Gebührenordnung für unseren volkswirtschaftlich positiven Beitrag hinzubekommen. Und die Medien konzentrieren sich in der Regel auf Diffamierung im Rahmen von Detailproblemen und Pflege des Sozialneids.
Saxer: Herr Kollege Noack, ich gratuliere Ihnen zu diesem mutigen und aufrichtigen Votum – ich kann das nur unterstützen.

Zusammenfassung

  • Das Indikationsspektrum von Mundspüllösungen ist breit. Mundwässer bekämpfen Mundgeruch, reduzieren Karies und schützen vor Zahnhalsüberempfindlichkeiten. Selbst bei Verfärbungen können sie helfen. Der Zahnarzt sollte die auf dem Markt angebotenen Mittel kennen, um adäquat beraten zu können.
  • Die jeweiligen Vertriebswege lassen keine automatischen Rückschlüsse auf die Produktqualität zu. Ein Kauf in der Apotheke gilt nicht als Gütesiegel.
  • Ätherische Öle haben die Fähigkeit, den Biofilm auch subgingival zu durchdringen, und sind in der Langzeitbetreuung sowohl bei Parodontitis- als auch bei Implantatpatienten wirksam.
  • Die Effektivität ist wissenschaftlich belegt. Ätherische Öle halten bei Lege-artis-Anwendung definitiv den oralen Biofilm unter Kontrolle, die Tiefenwirkung setzt allerdings erst bei längerer regelmäßiger Anwendung ein, nicht nach wenigen Tagen oder Wochen.
  • Bei Zahnfleischproblemen reicht das alleinige Anwenden von Mundspüllösungen allerdings nicht aus. Nach einer therapeutischen Intervention unterstützen sie aber den Langzeiterfolg.
  • Bei parodontalen Keimen gelten Chlorhexidinspülungen als Goldstandard, langfristig sollten aber ätherische Öle eingesetzt werden.
  • Kontraindiziert sind ätherische Öle bei Allergiepatienten, bei bestimmten Patientengruppen (Kinder, Alkoholiker) sind alkoholfreie Präparate indiziert.

Prof. Dr. Michael Noack
ist Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferzahnheilkunde der Universitätsklinik Köln.
michael.noack@uk-koeln.de

Prof. Dr. Ulrich P. Saxer
spezialisierte sich auf die Parodontologie und Präventivzahnmedizin und war am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ZZMK der Universität Zürich tätig.
u.p.saxer@icloud.com

Klaudia Dietrich, DH B.Sc.
arbeitet als Dentalhygienikerin mit den Schwerpunkten Prävention und Parodontologie in einer Praxis in Laichingen. Zudem ist sie als
Fortbildungsreferentin aktiv.
klaudia-dietrich-la@t-online.de

Dr. Nicolas Rode
studierte Zahnmedizin in Frankfurt a. M. und ist seit diesem Jahr in Kriftel tätig. Zu seinen
Spezialgebieten zählen die Parodontologie und die Implantologie.
praxis@rodental.de