Kariesdiagnostik: Neue Techniken
Visuelle Inspektion, taktile Untersuchung per Sonde plus Röntgendiagnostik galten lange als Goldstandard. Doch frühzeitige Läsionen lassen sich mit herkömmlichen Methoden gar nicht diagnostizieren, das gilt vor allem für Approximalkaries. Etablieren sich neue röntgenfreie Techniken?
Die visuelle Diagnostik mit zahnärztlich geschultem Auge gilt als eine der wichtigsten primären Untersuchungsmethoden. Hat sich das mit dem wachsenden Angebot moderner Techniken bereits geändert?
Kühnisch: Nein, die konventionelle visuelle Kariesdiagnostik ist aus meiner Sicht auch in Zukunft die Methode der ersten Wahl für die zahnärztliche Routineuntersuchung. Aber sie hat einen gravierenden Nachteil.
Inwiefern?
Kühnisch: Kariöse Prozesse, insbesondere an Okklusal- und Approximalflächen, lassen sich nur mit einer begrenzten Sicherheit detektieren und diagnostizieren. An Approximalflächen ist mit einer visuellen Einschätzung
- erstens keine valide Früherkennung möglich und
- zweites keine präzise Beurteilung der Kariesausdehnung in Relation zur Pulpa zu leisten.
- Welche Alternativen bieten sich an?
Kühnisch: Eine ganze Palette an ergänzenden Diagnostikverfahren kann diese Nachteile ausgleichen. Allerdings erreichen die meisten der bislang eingeführten lichtoptischen Verfahren bei Weitem nicht die Diagnosegenauigkeit an den Approximalflächen wie die Bissflügelröntgenaufnahme. Der wesentliche Nachteil des Röntgens, die Strahlenbelastung, darf hier natürlich nicht vergessen werden.
Herr Dr. Boch, ist die herkömmliche Kariesdiagnostik in Ihrer Praxis noch ein Thema?
Boch: Auf jeden Fall. Neben der Karies gibt es schließlich etliche andere Hartsubstanzdefekte, zum Beispiel Keildefekte, Erosionen und Abrasionen. Die Übergänge sind hier fließend. Aber: Auge, Sonde und Röntgenbild allein reichen zur frühzeitigen Defekterkennung nicht aus.
Dienen sie vor allem einer Basisdiagnostik?
Boch: Ja, und wir ergänzen und erweitern sie mithilfe der neuen Techniken. Zur Beurteilung der Glattflächen, Fissuren und Grübchen setzen wir vornehmlich die Laserfluoreszenzmessung (DIAGNOdent) und die Widerstandsmessung (CarieScan) ein. Beide Verfahren eignen sich allerdings nicht zur Beurteilung des Approximalraums.
Und welche Vorteile bringen die neuen Verfahren. Bitte nennen Sie Beispiele.
Emde: Mit der im letzten Jahr eingeführten DIAGNOcam können zum Beispiel auch Läsionen im Approximalraum röntgenfrei gut beurteilt werden. Zahnärzte, die bereits damit arbeiten, teilen uns mit, dass sich die Detektionsquote für kariöse Läsionen damit deutlich erhöht. Neben der Initialdiagnostik zeigen die Untersuchungen an der Zahnklinik der Universität München zur DIAGNOcam, dass, wenn eine Läsion die Schmelz-Dentin-Grenze breitflächig erreicht hat, dies immer mit einer Dentinkaries einherging. Da die Kariesausdehnung im Dentin nicht in allen Fällen sichtbar ist, kann dann zur weiteren Abklärung ein Röntgenbild angefertigt werden. Die DIAGNOcam kann auch ohne ionisierende Strahlen sowohl okklusale als auch approximale Läsionen darstellen.
Boch: Wir arbeiten bereits seit Längerem sowohl bei der Primärdiagnostik als auch zur Verlaufskontrolle erfolgreich mit der DIAGNOcam. Die besondere Technologie macht es möglich, dass wir Veränderungen an der Zahnhartsubstanz, insbesondere der Approximalflächen, frühzeitig erkennen können. Die so gewonnenen Befunde fließen in die Erstellung eines individuellen Risikoprofils und in die Verlaufskontrolle ein.
Bitte konkretisieren Sie das.
Boch: Es kommt letztlich auf die sorgfältige Erstellung eines individuellen Risikoprofils durch den Zahnarzt an. Liegt es vor, erfolgt die Therapieentscheidung. Insbesondere bei Risikopatienten, z. B. bei Kindern und Jugendlichen, ist ein einfaches Ernährungsprotokoll sehr hilfreich.
Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage: Sind konventionelle Techniken heute mehr oder weniger obsolet?
Emde: So stringent würde ich das nicht fragen. Konventionelle und neue Techniken ergänzen sich und erweitern durch die richtige Anwendung das Behandlungsspektrum.
Welche Rolle spielt die Kariesverlaufskontrolle in der Praxis?
Boch: Eine wesentliche! Vor dem Hintergrund des allgemein beobachteten Kariesrückgangs, der Möglichkeiten der Kariesfrüherkennung und der präventiven Maßnahmen sind wir mehr und mehr in der Lage, die Ausdehnung kariöser Prozesse zu verlangsamen oder ganz zu stoppen.
Emde: Das Erkennen initialer Läsionen muss mehr im den Fokus rücken. Schließlich hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Läsionen im Durchschnitt nicht mehr die Ausdehnung einnehmen wie in der Vergangenheit.
Herr Dr. Kühnisch, was sagen Sie aus Hochschulperspektive?
Kühnisch: Im Zuge einer rückläufigen Kariesprävalenz und der Verfügbarkeit effektiver kariespräventiver Behandlungsstrategien wird es in der Breite mehr und mehr gelingen, den kariösen Prozess zu verlangsamen oder gänzlich zu arretieren. Dies ist allerdings gleichzusetzen mit der Notwendigkeit, nicht kavitierte kariöse Läsionen gezielt zu beobachten, um gerade solche Fälle herauszufiltern, die auf eine präventive Intervention nicht ansprechen und eine weitere Progression aufweisen.
Was konkret empfehlen Sie?
Kühnisch: Eine möglichst standardisierte Bildgebung oder Quantifizierung, um letztlich objektive Vergleiche zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen. Die Indikation zur Anfertigung von Bissflügelaufnahmen im Rahmen des Kariesmonitorings stellt sich immer dann, wenn auf den vorab angefertigten Aufnahmen schmelzbegrenzte Läsionen diagnostiziert werden konnten.
Gibt es dafür eine Faustregel?
Kühnisch: Als Faustregel kann dabei angenommen werden: Je jünger der Patient und je weiter fortgeschritten die Schmelzkaries in Richtung der Schmelz-Dentin-Grenze, um so eher sollte auch eine Wiederholungsaufnahme angefertigt werden. Während beim jugendlichen Patienten diese Anschlussaufnahme bereits nach ein bis zwei Jahren indiziert ist, lässt sich das Intervall bei Erwachsenen durchaus verlängern.
Wie integrieren Sie das Monitoring in Ihre Praxisroutine? Welchen Aufwand sollte man einkalkulieren?
Boch: Die Anforderungen an das Zeit- und Terminmanagement sind schon höher. Das gilt für die Diagnostik, die Dokumentation und auch für die Therapie.
In die Verlaufskontrolle fließen sämtliche Befunde der visuellen Diagnostik ein, die Ergebnisse der Laserfluoreszenzmessung mit DIAGNOdent, der taktilen Untersuchung mit der stumpfen Sonde, der Erhebung verschiedener Indizes, der Röntgenaufnahmen und der Aufnahmen mit der DIAGNOcam. Um dieses alles praktikabel und realisierbar zu machen, setzen wir auf ein engmaschiges Recallsystem, das abgestimmt ist auf das individuelle Kariesrisiko.
Emde: Mit den mittlerweile zur Verfügung stehenden neuen Diagnostikmethoden, ist eine Röntgenindikation zur Kariesverlaufskontrolle aus meiner Sicht nicht mehr gegeben.
Noch gelten die Bissflügelaufnahmen als Goldstandard. Darf der Zahnarzt sie denn einfach streichen?
Emde: Insbesondere schmelzbegrenzte Läsionen lassen sich mit der DIAGNOcam einfach schonender monitoren. Da es sich um ein bildgebendes – und damit auch objektives – Verfahren handelt, lassen sich in der Software direkt Aufnahmen unterschiedlicher Daten miteinander vergleichen. Und wie gesagt, es handelt sich um ein röntgenfreies Verfahren, das in kurzen Abständen wiederholt werden darf. Das wissen Patienten zu schätzen.
Boch: Ich glaube, wir sind noch nicht so weit, auf Bissflügelaufnahmen gänzlich verzichten zu können. Wie bereits gesagt, nutzen wir die neuen Verfahren als sinnvolle Ergänzung. Ganz besonders hilfreich ist die röntgenfreie Methode zur Kariesdiagnostik vor allem bei Schwangeren und Kindern. Die wirklich gute Qualität der Bilder erleichtert die Verlaufsdokumentation und die Patientenaufklärung sehr. Damit hat sich auch unser Behandlungsspektrum erweitert. Da wir mehr sehen, können wir gezielter und mehr behandeln. Insbesondere die individuelle, risikobezogene Prophylaxe und die Kariesinfiltration lassen sich so erheblich verbessern.
Emde: Dazu kommt: Durch die einfache Interpretation der Bilder wird ein Behandlungsbedarf von Patienten sehr viel schneller verstanden.
Boch: Damit hat sich auch unser Behandlungsspektrum erweitert. Da wir mehr sehen, können wir mehr behandeln. Die Individualprophylaxe und die Kariesbehandlung ohne Bohren lässt sich so erheblich verbessern.
Welche Aufgaben kann das Team übernehmen?
Boch: Sowohl das Röntgen als auch der Einsatz von DIAGNOdent und DIAGNOcam können an entsprechend geschulte Mitarbeiterinnen delegiert werden. Wir delegieren vornehmlich an die Prophylaxeassistentinnen. Aufgabe der Zahnärzte ist es, die Befunde zusammenzuführen, die Diagnose zu stellen und die Therapieentscheidung zu treffen.
Handhaben Sie das in Ihrer Klinik ähnlich, Herr Dr. Kühnisch?
Kühnisch: Nein, ich persönlich lege ausgesprochenen Wert auf eine sorgfältige klinische Untersuchung und führe auch die ergänzende Diagnostik selbst durch. Das ist für mich in vielen Fällen weniger zeitaufwendig, als mich in erstellte Befunde hineinzuarbeiten. Aber das ist meine persönliche Haltung. Fakt ist: Die Durchführung bildgebender Verfahren wie Röntgendiagnostik oder Nahinfrarot-Transillumination lässt sich an die ausgebildete Assistenz delegieren.
Zurück zu den Bissflügelröntgenaufnahmen. Man hört immer wieder von Überlagerungseffekten …
Kühnisch: Überlagerungseffekte entstehen meist, wenn auf Film- bzw. Sensorhalter verzichtet wird und damit eine rechtwinklige Projektion nicht ermöglicht wurde.
Welche Folgen drohen?
Kühnisch: Die entsprechenden Approximalräume werden überlagert und lassen sich nicht auswerten. Dies ist vor allem auch deshalb ungünstig, weil die erfolgte Exposition mit Röntgenstrahlen nur zu einem begrenzten diagnostischen Nutzen führte.
Lassen sich die Überlagerungseffekte denn vermeiden?
Boch: Meiner Meinung nach nicht. Sie sind ärgerlich und entstehen häufig bei Eng- und Drehständen innerhalb der Zahnreihen und wenn keine Bildhalter eingesetzt werden. Durch Überlagerungen lassen sich die Approximalflächen nicht oder nur unzureichend beurteilen. Der diagnostische Nutzen ist dadurch deutlich reduziert. Auch wenn die Strahlenbelastung relativ gering ist, darf sie in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.
Emde: Überlagerungseffekte sind aber nicht der einzige Grund, warum Röntgenaufnahmen oftmals nicht ausgewertet werden können. Dazu kommen sogenannte „Cone Cuts“. Dabei handelt es sich um Röntgenaufnahmen, die den gewünschten Bereich nicht zeigen, weil der Röntgenstrahl falsch positioniert bzw. der Sensor oder Film nicht exakt getroffen wurde.
Wie häufig kommen solche „Cone Cuts“ im Praxisalltag vor?
Emde: Einer Untersuchung der Europäischen Kommission zufolge betrifft dies fast die Hälfte aller Aufnahmen.
Überlagerungseffekte oder „Cone Cuts“ werden bei der Verwendung der DIAGNOcam vermieden. Zum einen, weil die richtige Positionierung live am Bildschirm kontrolliert wird, zum anderen weil durch die okklusale Betrachtungsweise die anatomischen Voraussetzungen für Überlagerungseffekte nicht gegeben sind. Darüber hinaus ist der Aufsatz flexibel. Das finden Patienten übrigens sehr angenehm.
Auch wenn sich das Erscheinungsbild der Karies bei jüngeren Patienten inzwischen gewandelt hat, gilt Wurzelkaries als enormes Problem. Jede achte freiliegende Wurzeloberfläche bei Erwachsenen und jede sechste bei Senioren ist nicht mehr gesund (Prof. Dr. Johannes Einwag, DENTAL MAGAZIN 1/2010).
Ist Wurzelkaries vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die Herausforderung der Kariestherapie?
Kühnisch: Nicht nur der Kariestherapie. Etliche dieser Patienten leiden zusätzlich unter einem parodontalen Attachmentverlust.
Was kann man tun?
Kühnisch: Die klinische Untersuchung ist und bleibt das A und O, auch beim älteren Patienten. Wir müssen diesen locus minoris resistentia kennen und deshalb gezielt die Approximalräume supragingival in dieser Patientengruppe untersuchen. Ergänzende Verfahren, z. B. die Röntgendiagnostik, können hilfreich sein. Allerdings bedürfen Radioluzenzen über dem Limbus alveolaris auch immer der genauen klinischen Abklärung, da differenzialdiagnostisch ein Burnout-Effekt zu vermuten wäre.
Boch: Zur Diagnostik setzen wir auf engmaschige, meist halbjährliche Untersuchungen mit den konventionellen Methoden, der Messung mit DIAGNOdent und der Bestimmung des individuellen Kariesrisikos.
Wie verhält es sich mit der Sekundärkaries?
Kühnisch: Wesentliches Merkmal ist hierbei das Vorliegen einer Primärkaries im Füllungsrandbereich. Insofern ist dies meist eine klinische Diagnose. Ergänzende Verfahren haben hier jedoch aufgrund von Überlagerungen auch ihre Probleme. In diesen Situationen empfiehlt sich die Reparation bzw. der Austausch der Restauration. Belassene Restkaries, die von einer Sekundärkaries abzugrenzen ist, kann bei einer intakten Restauration und positiver Vitalitätsprobe mit dem Ziel des Erhalts der Pulpaintegrität durchaus bestehen bleiben bzw. bedarf nicht der erneuten Intervention.
Wie entdeckt man solche Läsionen relativ zielsicher?
Kühnisch: Das ist schwierig. In der Regel werden solche Situationen als Zufallsbefund anhand von Bissflügelröntgenaufnahmen detektiert.
In unserer Patientklientel findet sich aber auch mittlerweile eine Vielzahl von Patienten, die von einer restriktiven Exkavation profitiert haben und somit einen vitalen anstelle eines endodontisch behandelten Zahns aufweisen. Liegt jedoch ein klinischer oder röntgenologischer Zugang zum kariösen Restdentin vor, muss mit einem Kariesrezidiv gerechnet werden. Daher empfiehlt sich in solchen Situationen die Neuversorgung.
Emde: Sekundärkaries eindeutig zu detektieren ist mit keinem auf dem Markt befindlichen System vollständig möglich, weil durch die Füllung nicht alle Bereiche einsehbar sind bzw. diese verdeckt werden. Beim Röntgen kann zwar eine approximale und am Boden der Kavität gelegene Karies sichtbar gemacht werden, bukkale und linguale Läsionen sieht man aber nicht.
Warum?
Emde: Mit der DIAGNOcam sind die Bereiche, die okklusal einsehbar sind, darstellbar. Aber die Füllung darf nicht zu groß sein – je nach Fall max. 2- bis 3-flächig: Ansonsten kann zu wenig Licht in den Zahn eingekoppelt werden, um eine Diagnose durchzuführen. Die Karies erscheint, wie bei einer approximalen Läsion, als deutlich weniger transluzent. Ob diese dann versorgt werden muss, ist der weiteren Diagnostik und der Einschätzung durch den Behandler überlassen.
Extension for prevention – das war einmal! Wie minimalinvasiv oder noninvasiv darf man heute intervenieren?
Kühnisch: Für mich ist immer die minimalinvasive Therapie der optimale Betreuungsansatz. Dazu zählen Ansätze wie die Versiegelung okklusaler Schmelzläsionen oder auch die Kunststoffinfiltration approximaler kariöser Prozesse. Der allerbeste Ansatz wäre natürlich die Verhinderung der Initiation einer Karies!
Boch: Das gilt auch für uns. Die gesamte Betreuung in unserer Praxis richtet sich nach einem Leitspruch von Hippokrates: „Schön ist es, für die Kranken besorgt zu sein, ihrer Gesundheit wegen; viel schöner ist es, für die Gesunden besorgt zu sein, ihres Nichterkrankens wegen!“ Das bedeutet für die Kariestherapie eine Differenzierung zwischen non-, mikro- und minimalinvasivem Vorgehen.
- Noninvasiv ist die Professionelle Zahnreinigung und Anwendung von Schutzlacken.
- Mikroinvasiv sind Versiegelungen und die Kariesinfiltration.
- Minimalinvasiv sind erweiterte Versiegelungen und Komposit-Restaurationen.
Die allerbeste Methode wäre, das sehe ich natürlich wie die Kollegen, die Kariesentstehung zu verhindern.
Herr Dr. Emde, so wenig invasiv wie möglich wünschen sich die Zahnärzte die Kariestherapie. Was tun die Hersteller?
Emde: Die Industrie hat den Zahnärzten entsprechende Werkzeuge an die Hand gegeben, mit denen sie in diesem veränderten Umfeld arbeiten können. Dabei ist auch ein gewisser wirtschaftlicher Aspekt nicht zu vernachlässigen, denn durch den insgesamt reduzierten Bedarf bei größeren Restaurationen kann durch die Behandlung kleinerer Läsionen dies entsprechend aufgefangen werden.
Herr Dr. Kühnisch, wie lässt sich die Kariesdiagnostik noch weiter verbessern?
Kühnisch: Durch den Einsatz digitaler Systeme, die alle Informationen des Patienten perfekt bündeln, Trends anzeigen und somit als Frühwarnsystem im Fall einer kariesaktiven Entwicklung dienen. Dies ist aber derzeit nur ein Wunsch auch unter Berücksichtigung eines zeit- und kosteneffizienten Vorgehens. Auch liegen die monetären Anreize in unserem Gesundheitssystem nicht unbedingt in einem präventiven Ansatz, sondern favorisieren Vorgehensweisen, die eine invasive Behandlung rechtfertigen. Aus diesem Blickwinkel haben es sowohl diagnostische Methoden als auch nichtinvasive Präventionsmaßnahmen schwer, sich wirklich zu etablieren. Bleibt zu hoffen, dass sich dies ändert.
Teilnehmer des aktuellen Expetenzirkels
PD Dr. Jan Kühnisch
studierte Zahnmedizin in Leipzig und Erfurt und hat sich spezialisiert auf das Fachgebiet der Kinder- und Jugendzahnheilkunde. 2004 war er als Wissenschaftlicher Assistent in der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Universität München tätig. Aktuell leitet er hier die Sektion Kinderzahnheilkunde.
Dr. Werner Boch
ist seit 1994 niedergelassen in eigener Praxis in Ulm. Tätigkeitsschwerpunkte: Präventive Zahnheilkunde, Funktionsanalyse und -therapie sowie Parodontologie. Er befasst sich seit 2008 intensiv mit der Entwicklung alternativer Techniken zur Kariesdiagnostik und der Integration dieser Verfahren in die Praxisroutine.
Dr. Frank Emde
studierte nach absolvierter Zahntechnikerausbildung Zahnmedizin in Marburg. Ab 1999 arbeitete er zunächst als Produktmanager in unterschiedlichen Bereichen der Dentalindustrie. 2005 übernahm er die Rolle eines Innovationsmanagers und seit 2012 ist er Director Clinical Affairs bei KaVo in Biberach.
Approximalkaries erkennen ohne Röntgen
Die DIAGNOcam stellt ohne ionisierende Strahlen sowohl okklusale als auch approximale Läsionen dar. Im Grunde nutzt man dazu eine Weiterentwicklung und Modifikation des (DI)FOTI-Prinzips; allerdings wird ein Nahinfrarot(NIR)-Licht verwendet. Wie Hall Girkin, 2004, zeigten, streuen längere Wellenlängen weniger und können Objekte besser durchdringen. Nahinfrarot ist der Bereich von ~ 700 bis 1.500 nm. DIAGNOcam arbeitet mit ~ 780 nm.
So funktioniert’s: Das Licht wird durch den Kieferknochen hindurch nach koronal in den Zahn weitergeleitet. In Bereichen, wie z. B. kariösen Läsionen, die das Licht nicht weiterleiten, kommt es zur Absorption des Lichts. Diese Bereiche werden dann am Computerbildschirm als dunkle Areale sichtbar. Das gelingt auch bei kieferorthopädisch bebänderten Zähnen, da das Licht nicht direkt am Zahn eingekoppelt wird. Die Anwendung ist einfach. Die Interpretation und Dokumentation der Bilder ebenfalls. Das DIAGNOcam- und das Röntgenbild ähneln sich auf den ersten Blick. Doch bei Röntgenbildern hat man eine orovestibuläre Ansicht, die DIAGNOcam zeigt die okklusale Ansicht.
Alternative Kariesdiagnostik
Der Goldstandard Röntgen muss sich schon seit geraumer Zeit gegen Alternativen beweisen.
- FOTI: Eine der ältesten und insbesondere im skandinavischen Bereich sehr verbreitete Methode ist die Fiberoptische Transillumination für die Approximalkariesdiagnostik, bei der z. B. mit einem Lichtstab der Approximalbereich untersucht werden kann, jedoch keine bildgebende Dokumentation vorliegt.
- Laserfluoreszenzverfahren: Hier sind das DIAGNOdent und dessen Weiterentwicklung, der DIAGNOdent Pen, von KaVo zu nennen, der auch im Approximalbereich angewendet werden kann. Daneben existieren mittlerweile auch bildgebende Verfahren wie z. B. die VistaProof/VistaCam iX von DÜRR oder die SoproLive von ACTEON, die allerdings im Approximalberich systembedingt nur eine sehr eingeschränkte Aussagekraft haben.
- Elektrische Widerstandsmessung (ECM): An frei zugänglichen Zahnflächen können über elektrische Widerstandsmessungen kariöse Läsionen diagnostiziert werden (z. B. Carie Scan, orangedental).
- In puncto Approximalkariesdiagnostik sind jedoch all diese Verfahren, insbesondere wenn es um eine bildgebende Dokumentation geht, limitiert.
Zusammenfassung
- Die konventionelle visuelle Kariesdiagnostik wird auch in Zukunft die erste Wahl für Routineuntersuchungen sein. Doch kariöse Prozesse an Okklusal- und Approximalflächen lassen sich damit nicht sicher detektieren und diagnostizieren.
- Das Erkennen initialer Läsionen muss noch stärker in den Vordergrund rücken. Neue Techniken helfen dabei. Sie erweitern zudem das Behandlungsspektrum der Praxen.
- Mithilfe solcher effektiven kariespräventiven Strategien wird es mehr und mehr gelingen, den kariösen Prozess zu verlangsamen oder zu arretieren.
- Sowohl das Röntgen als auch neue bildgebende Verfahren lassen sich an die entsprechend geschulte Assistenz delegieren.
- Ein typisches Problem beim Röntgen sind Überlagerungseffekte, und sie sind kaum zu vermeiden. Sie entstehen zum Beispiel, wenn man auf Film- bzw. Sensorhalter verzichtet und damit eine rechtwinklige Projektion nicht ermöglicht wird. Die entsprechenden Approximalräume werden dann überlagert und lassen sich nicht auswerten.
- Doch nicht nur Überlagerungseffekte können das Auswerten von Röntgenaufnahmen verhindern. Dazu kommen sog. Cone Cuts, die den gewünschten Bereich nicht zeigen, weil der Röntgenstrahl falsch positioniert wurde. Mit neuen Techniken kann man auch solche Effekte vermeiden.
- Sekundärkaries eindeutig zu detektieren ist derzeit mit noch keinem System vollständig möglich. Denn die Bereiche sind durch die Füllungen nicht vollständig einsehbar. Beim Röntgen kann etwa eine approximale und eine am Boden der Kavität gelegene Karies sichtbar gemacht werden, nicht aber bukkale oder linguale Läsionen.
- Meist entdeckt man Sekundärkaries per Zufallsbefund anhand von Bissflügelröntgenaufnahmen.
- Durch den Einsatz digitaler Systeme, die die Patienteninfos perfekt bündeln, Trends anzeigen und damit als Frühwarnsystem dienen, ließe sich die Kariesdiagnostik weiter verbessern. (ab)
Abrechunung
Beim Einsatz von DIAGNOdent und DIAGNOcam handelt es sich um Leistungen, die weder im BEMA noch in der GOZ beschrieben sind. Sie können somit gemäß § 6.1 GOZ analog berechnet werden. Welche nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertige Leistung aus der GOZ bzw. GOÄ als „Analog-Leistung“ herangezogen wird, liegt im Ermessen des Zahnarztes (siehe auch Seiten 80, 81).
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