Gebündelte Wurzelstifte: simpel und sicher
Neue Materialien und Designs bringen Schwung in die kontrovers diskutierte Wurzelstiftversorgung. Der Clou: Die den Zahn schwächende Stiftbettaufbereitung entfällt. Die Bündel passen sich jeder Morphologie und Aufbereitung an und sind einfach zu inserieren. Sind damit Masterstifte out? Darum geht es im aktuellen Expertenzirkel des DENTAL MAGAZINs.
Ob ein endodontisch versorgter Zahn einen Wurzelstift braucht oder nicht, ist in der Praxis durchaus umstritten. Gibt es klare Vorgaben?
Gernhardt: Das Setzen von Wurzelstiften ist indiziert, wenn ein hoher Substanzverlust der klinischen Krone vorliegt und damit eine genügende Retention der finalen restaurativen Versorgung schwierig oder gar nicht zu realisieren ist. Lediglich das Ausmaß des Zahnhartsubstanzverlusts indiziert die Stiftversorgung. Die in der Vergangenheit häufig vermutete Stabilisierung des Restzahns durch einen Stift ist wissenschaftlich nicht zu begründen.
Meyer-Sandberg: Bei endodontisch behandelten Zähnen mit geringem bis mittlerem Zerstörungsgrad kann mit einem adhäsiven Aufbau auch ohne Stift eine zuverlässige Verankerung für die definitive Versorgung erzielt werden. Die Weiterentwicklung der Adhäsivtechnik reduziert die Notwendigkeit von Wurzelstiften.
Hemeyer: Sind noch zwei Kavitätenwände erhalten, braucht es heute definitiv keinen Stift mehr.
Wird das in der Praxis auch so gehandhabt? Ein Drittel der deutschen Zahnärzte plädiert immerhin für das Inserieren eines Stifts nach jeder endodontischen Behandlung. (J Prosthet Dent 2006; 96:332–8).
Gernhardt: Lange Zeit, bis Mitte bzw. Ende der 90er Jahre, galt in der Zahnmedizin das Dogma, endodontisch behandelte Zähne müssten grundsätzlich mit einem Wurzelkanalstift versorgt werden, um die geschwächte Wurzel zu stabilisieren. Viele Zahnärzte scheinen es in der Tat auch heute noch so zu sehen. Doch die Annahme ist falsch; tatsächlich schwächt die Stiftbettkanalpräparation durch den erneuten Zahnhartsubstanzverlust die Stabilität der Wurzel zusätzlich.
Hemeyer: Nur wenn praktisch keine klinische Krone mehr vorhanden ist, führt kein Weg an einer postendodontischen Versorgung mit Wurzelstiften vorbei. Das ist besonders häufig bei mehrwurzeligen Molaren der Fall, da diese eine umfangreiche Zugangsbohrung benötigen. Das Gros der zurzeit durchgeführten Stiftinsertionen zieht wie Prof. Gernhardt bereits ausführte eine Schwächung des Zahns nach sich.
Wie kommt es zu der Schwächung, wo doch die Hälfte der Zahnärzte meint, ein Stift diene der Stabilisierung des Zahns?
Meyer-Sandberg: Sie ist auf das in der Praxis dominierende Prinzip zurückzuführen, einen „Masterstift“ zu setzen. Die dafür notwendige Stiftkanalpräparation kostet neben der Wurzelkanalaufbereitung und der Präparation der Trepanationsöffnung zusätzliche Zahnhartsubstanz.
Gilt das nur für diese konfektionierten Masterstifte?
Gernhardt: Jedenfalls in der Hauptsache. Solche Stifte gibt es nur in genormten Größen, die in der Regel nur in einigen Fällen ohne weitere Präparationsmaßnahmen inseriert werden können.
So dass der Stift nie perfekt passt, mal zu klein, mal zu groß ist?
Gernhardt: Genau – und dann muss präpariert werden …
Meyer-Sandberg: … bis das Stiftbett zum Stift passt.
Wie aufwendig kann das werden?
Meyer-Sandberg: Der Aufwand hält sich eigentlich in Grenzen – es braucht dazu einen auf den Stift abgestimmten Bohrer für die Präparation, das war’s. Doch die Wurzel und damit der gesamte Zahn werden geschwächt. Je nach Stiftdesign kostet die Präparation mal mehr, mal weniger Zahnhartsubstanz.
Alternative: Stiftbündel
Was ist die Alternative?
Gernhardt: Mehrere dünne, glasfaserverstärkte Einzelstifte zu inserieren, anstatt einen Masterstift zu setzen.
Ist das üblich?
Gernhardt: In der Praxis vermutlich noch eher weniger. Wir in Halle arbeiten seit einigen Monaten mit dieser Idee. Mit dem Rebilda Post GT Stiftsystem von VOCO existieren seit Kurzem dünne Einzelstifte, die auch in gebündelter Form in vier unterschiedlichen Größen verfügbar sind. Die vorhandene Wurzelfüllung wird entfernt – das klappt am schnellsten bei Guttaperchafüllungen – die Stifte werden eingesetzt. Eine wirklich interessante Idee, total simpel.
Meyer-Sandberg: Die Stiftbündel passen sich allen Wurzelkanalmorphologien an, indem die dünnen Einzelstifte mit einem geeigneten Instrument wie zum Beispiel einem Spreader im Kanal verteilt werden. Allgemein kann man sagen, beim Setzen eines einzelnen „Masterstiftes“ muss das Stiftbett dem Stift angepasst werden, während bei der Verwendung mehrerer dünner Einzelstifte diese sich der Wurzelkanalmorphologie anpassen.
Gernhardt: Es lassen sich auch unterschiedliche Stiftdurchmesser „mixen, bis der Kanal dicht ist“. Das hat mehrere Vorteile: Denn Wurzelstifte dienen nicht nur als Retentionselemente für den postendodontischen Aufbau, sondern auch als „nicht-schrumpfbarer Füller“. Sprich: Je mehr Stifte den Kanal ausfüllen, desto weniger Aufbaukunststoff braucht es, desto geringer das Schrumpfungsphänomen.
Ist das so erfolgsentscheidend?
Gernhardt: Definitiv! Um einen dauerhaften Verbund zu etablieren und die Schrumpfung der adhäsiven Materialien positiv zu beeinflussen, ist es notwendig, so wenig wie möglich polymerisierbares Material in den Wurzelkanal einzubringen. Polymerisierbares Material schrumpft bekanntlich beim Abbinden. Wäre das nicht der Fall, könnte man ja einfach den ganzen Wurzelkanal mit Komposit ausfüllen, seinen individuellen, exakt in den jeweiligen Wurzelkanal passenden Stift „bauen“.
Das klingt zunächst einmal logisch …
Gernhardt: … führt aber zu Misserfolgen, denn die Polymerisationsschrumpfung begünstigt Spaltbildungen. Der Verbund von Stift und Aufbau kann sich lösen.
Die neuen Stiftbündel werden in den mit Befestigungskomposit, also mit polymerisierbarem Material, aufgefüllten Wurzelkanal gesetzt. Wieso besteht kein Schrumpfungsproblem?
Gernhardt: Aufgrund der geringen Größe der Stifte, ähnlich der lateralen Kompaktion einer Wurzelfüllung, kann so viel Raum wie möglich von den Faserstiften eingenommen werden. Dies könnte sich günstig auf den Verbund auswirken. Wir sind sehr gespannt, was derzeit laufende Untersuchungen zeigen werden.
Meyer-Sandberg: Nur der Harz-Anteil eines Komposits schrumpft bei der Polymerisation, nicht die Füllstoffe. Wenn durch die verwendeten Glasfaserstifte, die quasi als sehr große zusätzliche Füllstoffe agieren, das Befestigungskomposit im Wurzelkanal insgesamt reduziert wird (das Volumen des Wurzelkanals verändert sich ja dadurch nicht), wird die generell schon niedrige Schrumpfung im Vergleich zum Volumen noch weiter abnehmen. Dadurch wird der Verbund zwischen Befestigungs-komposit, Glasfaserstiften und dem umgebenden Wurzeldentin noch zusätzlich positiv beeinflusst.
Brauchen wirklich alle Masterstifte eine Kanalpräparation, egal ob aus rigidem oder nicht rigidem Material?
Gernhardt: Ja, es ist völlig egal, ob es sich um Metall-, Zirkon-, Titan- oder Glasfaserstifte handelt. Masterstifte gibt es nur in limitiertem Größenangebot, meistens in drei bis vier Durchmessern. Kein Wurzelkanal sieht jedoch nach der Aufbereitung so aus wie der konfektionierte Stift. Mithilfe eines speziellen Stiftbohrers muss also das Stiftbett entsprechend präpariert werden. Die Folge: Der endodontisch behandelte Zahn wird zusätzlich geschwächt.
Und mit den gebündelten Stiften ist das Problem definitiv vom Tisch.
Gernhardt: Exakt!
Wurzelkanalstifte verursachen auch Frakturen, welche in besonderem Ausmaß?
Gernhardt: Das kommt ganz aufs Material an. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen rigidem und nicht rigidem Material …
Glasfaserstifte versus Metall- bzw. Zirkonstift
Sprich Glasfaserstifte versus Metall- bzw. Zirkonstift?
Hemeyer: Korrekt. Zu den rigiden Materialien zählen Zirkon, Titan und Metall, zu den nicht rigiden Quarz-, Glas- und Karbonfaser. Auch laborgefertigte, gegossene Stifte stehen zur Verfügung.
Gernhardt: Wir in Halle nutzen zurzeit ausschließlich Glasfaserstifte. Rigide Materialien führen nicht nur zu Spannungen, sondern frakturieren oft ungünstiger, etwa wenn der Patient einen Schlag auf den Zahn bekommt. Das belegen In-vitro-Untersuchungen.
Metallstifte sind also „Schnee von gestern“?
Meyer-Sandberg: Empfohlen sind sie jedenfalls nicht mehr. An Wurzelkanalstifte werden heute einfach höhere Anforderungen gestellt: Gute Passgenauigkeit, hohe Bruchfestigkeit, gute Biokompatibilität und möglichst geringe auf den Zahn einwirkende Kraftspitzen sollten gegeben sein. Auch sind zur Therapie ästhetisch anspruchsvoller Situationen die Anforderungen an die optischen Eigenschaften von Wurzelkanalstiften gestiegen. Ungünstige optische Eigenschaften, ein hoher E-Modul und die damit verbundene Gefahr von großen Spannungsspitzen sowie das Korrosionsrisiko sind nur einige Nachteile der Metallstifte. Glasfaserwurzelstifte punkten dagegen mit günstigen sowohl mechanischen als auch optischen Eigenschaften. Zudem weisen sie eine hohe Bruchfestigkeit bei einem gleichzeitig dentinähnlichen E-Modul auf.
Warum verschwinden Metallstifte nicht vom Markt?
Hemeyer: Aus finanziellen Erwägungen werden sie nach wie vor gesetzt. Ich favorisiere in meiner Praxis zwar klar die Glasfaserstifte. Möchte oder kann der Patient die Zusatzkosten dafür aber nicht zahlen, setzen auch wir noch schraubbare aktive Metallstifte, obwohl die bei der Verarbeitung auftretenden Kräfte zu Spannungen führen, die die Überlebensrate des Systems deutlich senken.
Unter aktiven Metallstiften versteht man vor allem Schrauben?
Meyer-Sandberg: Im Grunde ja. Wurzelstifte werden in zwei Retentionsprinzipien, aktive und passive Stifte, und in zwei Hauptformen, zylindrische (parallele) bzw. konische Stifte, unterteilt. Beim Einbringen von aktiven Stiften entstehen immer höhere unerwünschte Kerbspannungen im Dentin. Da passive Stifte weniger Stress auf die Wurzel ausüben, werden diese heute hauptsächlich empfohlen.
- Zylindrische Stifte bieten eine höhere Retention als konische Stifte. Allerdings verursachen zylindrische Stifte im apikalen Bereich Spannungsspitzen und besitzen einen schlechteren Zementabfluss. Konische Wurzelstifte besitzen den Vorteil, dass sie formkongruent dem Wurzelkanalverlauf folgen. Als Nachteil der konischen Stifte ist jedoch ihre Keilwirkung auf die Wurzel zu sehen.
- Stiftsysteme mit zylindrokonischer Form nehmen eine Zwischenstellung ein und versuchen die Nachteile der zylindrischen und konischen Stifte zu umgehen.
- Um all diese Stifte setzen zu können, ist zur Präparation immer ein auf den Stift abgestimmter Bohrer notwendig, wobei zwangsläufig noch weitere Zahnhartsubstanz entfernt wird.
Dies ist, wie gesagt, nicht notwendig, wenn mehrere dünne Glasfasereinzelstifte in einen Kanal appliziert werden. Dann muss nach der Wurzelkanalbehandlung keine weitere Zahnhartsubstanz zur Aufnahme des beziehungsweise der Stifte geopfert werden. Da jedoch die endodontische Behandlung häufig die letzte Möglichkeit darstellt, den Zahn zu erhalten, ist in Fällen einer großen Destruktion der Zahnkrone oftmals eine Stiftversorgung zur zuverlässigen Verankerung des Aufbaus nötig.
Herr Dr. Hemeyer, für welche Stiftform plädieren Sie?
Hemeyer: Ich favorisiere eine konische Stiftform. Dies entspricht am besten der Anatomie des Wurzelkanals. Das Befestigungsmaterial kann beim Einbringen des Stifts in den Wurzelkanal dank der konischen Form gut nach koronal abfließen.
Gernhardt: Diese wurzelanaloge Form ist schlicht ein Muss. Von koronal nach apikal wird schließlich jede Zahnwurzel schmaler. Deswegen nimmt man heute praktisch keine parallelwandigen Stifte mehr.
Aber angeboten werden sie schon noch?
Gernhardt: Sicher, genauso wie Schrauben. All das ist auf dem Markt, all das wird inseriert, obwohl es nachgewiesenermaßen zu Spannungen und Frakturen kommt. Solch ein Vorgehen stammt – dies kann man im Jahr 2017 ja sagen – aus dem letzten Jahrtausend und galt schon während meines Studiums als obsolet.
Ein adäquater Verbund von Stift und Wurzelkanaldentin ist ein Erfolgsgarant der Stiftinsertion. Worauf kommt es dabei an?
Gernhardt: Auf ein sehr sorgfältiges Vorgehen. Das adhäsive Befestigen der Stifte ist eine echte Aufgabe; höchste Sorgfalt ist geboten. Man muss das Dentin vorbehandeln, man muss es konditionieren, so wie bei einer Füllungstherapie auch, einen geeigneten Haftvermittler wählen und das dazu passende Kompositmaterial. Auch die Dualhärtung, also Licht- und Selbsthärtung, ist ein Muss. Die reine Lichtpolymerisation reicht nicht, weil das Licht nicht in die Tiefen des Wurzelkanals gelangt.
Hemeyer: Wir bevorzugen Materialien, mit denen sowohl die Befestigung im Wurzelkanal als auch der Stumpfaufbau erfolgen kann. Wichtig ist die korrekte Abstimmung der verwendeten Materialien beim Ätzen, Bonden und Befestigen. Total-Etch-Bonding-Systeme scheiden übrigens völlig aus. Zu bevorzugen sind alle DC-Materialien.
Hauptrisiken
Hauptrisiken sind demnach nicht nur ein schlechter Verbund von Stift und Wurzelkanaldentin, sondern auch ein mangelhafter Verbund von Stift und Zahnhartsubstanz?
Gernhardt: Genau, das muss gemeinsam betrachtet werden. Der Verbund ist wichtig, um die dauerhafte Retention der koronalen Restauration zu ermöglichen. Er muss sicher und ausreichend sein, damit die koronale Restauration sich nicht lösen kann. Ein Debonding zählt zu den häufigsten Misserfolgen. Ist der adhäsive Verbund mangelhaft, löst sich der Stift und mit ihm die finale koronale Restauration. Das passiert durchaus häufiger. Bei Metallstiften, die zementiert werden, zählt die Dezementierung neben der Perforation aufgrund der Spannungen, die das rigide Material verursacht, zu den häufigsten Risiken.
Frau Meyer-Sandberg, auch die neuen gebündelten VOCO-Stifte müssen adhäsiv befestigt werden. Wie schätzen Sie das Debonding-Risiko ein?
Meyer-Sandberg: Adhäsionsverlust oder eine Stiftfraktur können Misserfolge beim Einsatz von Faserstiften darstellen, sind aber sehr selten. Das gilt auch für die Stiftbündel. Nach Vorbehandlung des Wurzelkanals soll das Stiftbündel silanisiert, mit Befestigungskomposit benetzt und anschließend in den mit Befestigungskomposit gefüllten Wurzelkanal gesetzt werden.
Herr Dr. Hemeyer, mit welchen Risiken sind Sie in Ihrer Praxis vor allem konfrontiert?
Hemeyer: Häufig ist die Aufbereitung des Wurzelkanals problematisch. Nicht immer ist es möglich, dem Verlauf der Wurzelfüllung einfach zu folgen. Es besteht die Gefahr einer via falsa bei forciertem Vorgehen. Systeme, bei denen die Aufbereitung des Wurzelkanals und der Stift formenkongruent sind, können zu Problemen führen.
Welche Größe ist die richtige?
Welche Fehlervermeidungsstrategien bieten sich an?
Gernhardt: Der beste Schutz vor Komplikationen ist letztlich, so viel gesunde Zahnhartsubstanz wie möglich im Rahmen der endodontischen Behandlung zu erhalten. Lautete in der Vergangenheit die Devise, da trepanieren wir so groß wie möglich, um gut zu sehen, trepaniert man heute so klein wie nötig.
So dass es erst gar keinen Stift braucht?
Meyer-Sandberg: Richtig. Und sollte es doch nötig sein, helfen die Stiftbündel, da sie sich jeder Morphologie und Aufbereitungsart anpassen und einfach zu inserieren sind.
Ich möchte doch noch einmal gerne auf die typischen Stiftindikationen eingehen, die ja nach wie vor nicht unumstritten sind. Zählt zum Beispiel die Kronen-Wurzel-Fraktur im Frontzahnbereich dazu?
Gernhardt: Eher nicht, die typische Wurzelstiftindikation ist der Zahn, dessen klinische Krone total zerstört ist. Noch einmal: Ein Wurzelkanalstift stabilisiert weder den Zahn noch die Wurzel. Er schafft lediglich die Retention für den koronalen Aufbau. Die Indikation hängt vom Zerstörungsgrad der klinischen Krone ab. Schaut noch etwas aus dem Zahnfleisch, salopp gesagt, erübrigt sich der Stift. Ist dagegen nichts mehr da, braucht es den Stift. Am Ende geht es darum, den sogenannten Fassreifeneffekt zu realisieren.
Das heißt?
Gernhardt: Das heißt, unsere koronale Restauration, unsere Krone, soll den Zahn mindestens zwei mm im Gesunden umfassen. Und wenn das ohne Stift möglich ist, wunderbar, wenn nicht, dann braucht es einen Stiftaufbau. Es ist also stets ein 2 mm breiter Dentinsaum um den eingefügten Stift zu präparieren, der später von der definitiven Krone umfasst wird
Meyer-Sandberg: Da der Wurzelstift nur den Aufbau bei unzureichender Zahnhartsubstanz stabilisiert, nicht jedoch die häufig nachfolgende prothetische Versorgung, ist eine angepasste Präparation mit ausreichender Fassung im Dentin in der Tat unumgänglich. Die endodontisch behandelten Zähne widerstehen einer Belastung besser, je größer die von der Krone gefasste Zahnhartsubstanz ist. Am Ende geht es darum, den Fassreifeneffekt umzusetzen, wie Prof. Gernhardt bereits hervorhob. Damit entsteht quasi ein Ring um die koronale Wurzel, der als Widerlager gegenüber auf die Krone wirkenden horizontalen oder vertikalen Kräften dient. Eine mindestens 2 mm breite Fassung des Dentins ist hierfür gefordert.
Warum sollte man angesichts dieser Vorteile überhaupt noch einzelne Masterstifte inserieren, außer vielleicht aus finanziellen Erwägungen?
Meyer-Sandberg: Die noch vorhandene koronale Zahnhartsubstanz bestimmt, ob ein Stift gesetzt werden sollte oder nicht. Alle Stifte dienen nur der Vereinfachung und Stabilisierung des Kronenaufbaus. Ob nun ein einzelner Stift verwendet wird oder ein Stiftbündel, ist wiederum abhängig von der Morphologie des aufbereiteten Wurzelkanals.
Hemeyer: Es beruhigt wohl auch noch unser Gewissen, etwas vermeintlich Gutes für die Stabilität eines Zahns getan zu haben.
Welche aktuellen Studien belegen den Erfolg der neuen „Bundle-Posts“?
Gernhardt: Es gibt erste vielversprechende In-vitro-Untersuchungen, man muss natürlich schauen, wie sich das Ganze klinisch bewährt. Die Idee ist gut und ich gehe davon aus, dass gebündelte Stifte eine interessante Alternative sein könnten, die sich durchaus im klinischen Alltag etablieren könnten. Wissenschaftliche Ergebnisse gilt es natürlich abzuwarten.
Ihr Stichwort, Frau Meyer-Sandberg: Welche Studien werden derzeit angestoßen?
Meyer-Sandberg: Derzeit läuft eine Studie zu verschiedenen Fragestellungen an einer großen deutschen Universität. Mit ersten Ergebnissen rechnen wir bereits in diesem Frühjahr.
Zusammenfassung
- Im Rahmen der postendodontischen Versorgung induziert lediglich das Ausmaß des Zahnhartsubstanzverlusts die Notwendigkeit einer Stiftversorgung.
- Eine Stiftbettkanalpräparation kann zu einem zusätzlichen Zahnhartsubstanzverlust führen und dadurch die Stabilität des betroffenen Zahns zusätzlich einschränken.
- Diese Schwächung ist vor allem dann zu beobachten, wenn in der Praxis konfektionierte Stifte gesetzt werden, die es in der Regel nur in eingeschränkter Zahl und genormten Größen gibt und die nur selten ohne weitere Präparationsmaßnahmen inseriert werden können.
- Ein neuer Ansatz ist die Verwendung mehrerer dünner, glasfaserverstärkter Einzelstifte. Die Insertion dieser Stifte erfordert keine speziellen Präparationsmaßnahmen, und daher wird auch kein zusätzlicher Zahnhartsubstanzverlust provoziert.
- Wurzelstifte dienen nicht nur als Retentionselemente für den postendodontischen Aufbau, sondern auch als „nicht schrumpfbarer Füller“. Sprich: Je mehr Stifte den Kanal ausfüllen, desto weniger Aufbaukunststoff braucht es, desto geringer ist das Schrumpfungsphänomen.
- Aufgrund der geringen Größe der Stifte, ähnlich der lateralen Kompaktion einer Wurzelfüllung, kann so viel Raum wie möglich von den Faserstiften eingenommen werden. Dies könnte sich günstig auf den Verbund auswirken. Entsprechende Untersuchungen müssten darüber Aufschluss geben.
- Glasfaserwurzelstifte weisen eine hohe Bruchfestigkeit auf und sind durch einen dentinähnlichen E-Modul charakterisiert. Beim Einbringen von Schrauben entstehen immer höhere unerwünschte Kerbspannungen im Dentin. Passive Wurzelstifte üben dagegen weniger Stress auf die Wurzel aus.
- Ein adäquater Verbund von Stift und Wurzelkanaldentin ist ein Erfolgsparameter der Stiftinsertion, und letztlich hängt der Langzeiterfolg der postendodontischen Versorgung davon ab. Daher ist ein sehr sorgfältiges Vorgehen beim adhäsiven Befestigen der Stifte geboten, da das Debonding bzw. Dezementieren zu den häufigsten Misserfolgsursachen zählt.
Die Experten
Dr. Willi Hemeyer
studierte Medizin in Düsseldorf und in Bonn Zahnmedizin. Seit 1985 ist er mit seiner Ehefrau und Kollegin in eigener Praxis in Koblenz niedergelassen.
brecht-hemeyer@t-online.de
ZA Britt Meyer-Sandberg
studierte Zahnmedizin in Witten/Herdecke und praktizierte zehn Jahre lang in eigener Praxis in Nordholz. Seit 2012 arbeitet sie als Produktmanagerin bei VOCO.
b. meyer-sandberg@voco.de
Prof. Dr. Christian Gernhardt
studierte Zahnmedizin in Ulm und Freiburg und ist stellvertretender Direktor der Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie an der Universitätsklinik Halle.
christian.gernhardt@uk-halle.de