Expertenzirkel: All on four

Erst fest verschraubt, im Alter umwandelbar

Im aktuellen Expertenzirkel diskutieren die Teilnehmer die bisher nicht unumstrittenen All-on-four-Konzepte. Im exklusiven Video aus Kurzinterviews mit den Experten sehen Sie die Kernaussagen zu diesem Thema.


Comfour All on four

Seit 2016 bietet Camlog das Comfour-System an. © Camlog


Komplexe Kieferkammrekonstruktionen führen nicht selten zu postoperativen Beschwerden und langen Behandlungs‧zeiten. Bis zum Einsetzen des Zahnersatzes können mehr als zwölf Monate verstreichen. Patienten wünschen jedoch eine kurze Behandlungszeit, keine aufwendigen augmentativen Maßnahmen und kostengünstige Lösungen. Welche festen Versorgungen bieten sich bei bestehender oder drohender Zahn‧losigkeit an? Sind die nicht unumstrittenen All-on-four-Konzepte eine Alternative? Was hat sich in den vergangenen Jahren bei diesen Konzepten getan? Wie lassen sich die Konstruktionen reinigen? Und wann sollten sie besser in herausnehmbare Versorgungen umgewandelt werden?

Sogenannte All-on-four-Konzepte zur Sofortversorgung zahnloser Kiefer waren lange Zeit umstritten, sind seit geraumer Zeit aber wieder en vogue, warum?
Hildebrand: Mit festsitzenden okklusal verschraubten Brücken auf vier oder mehr Implantaten lässt sich weitestgehend auf augmentative Maßnahmen verzichten. Es braucht meist nur einen operativen Eingriff: Die Provisorien werden vorab im Labor angefertigt, so dass der Patient „mit festen Zähnen“ nach der Opera‧tion die Praxis verlässt. Ich halte derartige Sofortbelastungskonzepte – basierend auf einer reduzierten Implantatzahl – für eine komfortable, wirtschaftliche und risikoarme Alternative, wenn diese seriös geplant und sauber umgesetzt werden bzw. wurden.

Wie erklären Sie sich den aktuellen Hype?
Hildebrand: Der Hype entsteht durch unsere Patienten. Sie wünschen sich eine schnell umsetzbare, wenig aufwendige und bezahlbare Lösung. Und genau das versprechen solche Konzepte! Die stetig zunehmende Werbung für „Feste Dritte sofort“ sensibilisiert immer mehr Patienten für solche Konzepte. Auch in unserer Praxis fragen Patienten vermehrt und aktiv danach, meist jüngere, ab Mitte 40.

Wie häufig führen Sie die OPs in Ihrer Praxis durch?
Hildebrand: Wir sind zwar vor einigen Jahren eingestiegen, seinerzeit mit einer anderen Firma, das hat aber letztlich für uns nicht so gepasst. Nun haben wir mit dem COMFOUR-Konzept wesentlich mehr Erfolg und Resonanz seitens der Zuweiser und Patienten. Insgesamt ist es aber ein eher junges Konzept in unserer Praxis.
Schnutenhaus: Wir sind schon länger dabei. Wir operieren meist einen Fall pro Woche, und das seit Jahren. Da kommt schon einiges zusammen, sicherlich mehr als 100 Fälle. Einen Implantatverlust nach der prothetischen Versorgung hatten wir bislang noch nicht.

Welche Konzepte haben Sie genutzt?
Schnutenhaus: Verschiedene, unter anderem auch das COMFOUR-Vorgängerkonzept Vario SR.

Unterscheiden sich die chirurgischen Protokolle, oder läuft das bei allen Varianten gleich?
Schnutenhaus: Das chirurgische Protokoll sieht im anterioren Kieferbereich stets zwei gerade Implantate und in der posterioren Kieferregion zwei abgewinkelte vor. Im Oberkiefer nehmen wir häufiger auch sechs Implantate. Entscheidend ist, dass sofort belastet werden kann.

Mehr als sechs Implantate lassen sich ohne Augmentation nicht inserieren, sehe ich das richtig?
Schnutenhaus: Um ein Mehr geht es gar nicht. Wir versuchen mit diesem Konzept eine wissenschaftlich basierte Minimalzahl von Implantaten zu erreichen. Im Unterkiefer reichen auf jeden Fall vier. Der Erfolg ist vor allem von der Erfahrung des Chirurgen und dem Erreichen der erforderlichen Primärstabilität der eingebrachten Implantate abhängig.
Hildebrand: Unser Konzept sieht in der Regel im Oberkiefer sechs und im Unterkiefer vier Implantate vor. Mit den gekippt inserierten, distal stehenden Implantaten lassen sich die anatomisch sensiblen Strukturen umgehen, zum Beispiel das Foramen mentale im Unterkiefer und die Sinus maxillaris im Oberkiefer. Zudem wird mit den schräg gesetzten, langen Implantaten das vorhandene Knochenvolumen optimal genutzt und eine bessere prothetische Abstützung für eine bis zu zwölfgliedrige Brücke erzielt. Bei entsprechendem Knochenangebot sowie ausreichender Abstützung kann der chirurgische Eingriff nach 3D-Diagnostik und -Planung auch navigiert erfolgen, sodass die Implantate manchmal ohne ein Aufklappen minimalinvasiv inseriert werden können.

Kritisiert wird an den All-on-four-Konzepten, dass teilweise Knochen egalisiert wird, um ein ästhetisches Ergebnis zu erzielen, etwa bei einer hohen Lachlinie. Wie gehen Sie damit um?
Hildebrand: Wir haben gelernt, jeden Millimeter Knochen zu retten, sei es durch Knochenblockaugmentationen, Sinuslift oder andere Maßnahmen. Und jetzt wird anterior abgetragen, da muss man zunächst natürlich schlucken. Andererseits ist ein Knochenaufbau im Unterkieferseitenzahnbereich sehr herausfordernd und schwierig …


Das heißt?
Hildebrand: Das heißt, im Zweifel – bei sehr unterschiedlichem Knochenniveau – tragen auch wir gezielt Knochen ab, um das Niveau einzuebnen und die Implantate sinnvoll auf die gleiche prothetische Höhe zu bringen. In diesen Fällen ist das meiner Ansicht nach auch sinnvoll. Das Maló-Konzept sieht dagegen vor, bei allen Patienten den Knochen zu planieren, um einheitlich und standardisiert vorgehen zu können. Das machen wir nicht.
Kunz: Wir favorisieren den individuellen Weg. Wir starten mit einem Wax-up/Set-up, machen uns eine Grundaufstellung und verschaffen uns einen Überblick. Wir kontrollieren die Höhe der Lachlinie und überlegen im Team. Gemeinsam mit Detlef Hildebrand prüfe ich, ob für eine festsitzende ästhetische Versorgung tatsächlich Knochen abgetragen werden muss. Ist das der Fall, raten wir häufig zu der herausnehmbaren Variante.
Rähle: Letztlich ist das eine Philosophie-Frage. Es gibt durchaus Anwender, die zuerst einen Knochen planieren, damit sie immer die gleiche Ausgangssituation haben. Es gibt aber auch Verfechter, die möglichst wenig Substanz verlieren möchten und deshalb nicht planieren. Aber mit den unterschiedlichen Systemen hat das nichts zu tun. Diese Varianten kann man mit allen verfügbaren Konzepten fahren.

Herr Dr. Schnutenhaus, welche Philosophie vertreten Sie? Fräsen Sie Knochen weg?
Schnutenhaus: Nein, fast nie. Mit der richtigen Planung kann man sehr viele Situationen in den Griff bekommen, ohne nivellieren zu müssen. Ausnahme: Der Kieferkamm hat wirklich sehr extreme Variationen. Wir bevorzugen dann die Flapless-OP oder nur eine geringe Aufklappung zur Schonung der befestigten Gingiva und gleichen durch die entsprechende Planung aus. Wir kämpfen um jeden Millimeter Knochen. Das Maló-Protokoll richtet sich dagegen nach einem standardisierten Protokoll, nicht nach einem individuellen. Die prothetische Versorgung soll möglichst einfach eingebracht werden können. Für mich ist das Protokoll heute aber überholt. Ich gebe dem minimalinvasiven Weg den Vorzug und überlege mir vorab, wie ich ästhetische Defizite prothetisch ausgleiche.

… etwa die hohe Lachlinie?
Schnutenhaus: Ja, denn auch bei einer hohen Lachlinie muss man nicht zwingend nivellieren. Sie lässt sich mit dem richtigen prothetischen Konzept ausgleichen. Ausnahmen sind, wie erwähnt, extreme Deformationen.
Kunz: Aber auch die Hygienefähigkeit der Patienten spielt eine Rolle. Bei einer hohen Lachlinie werden Putzbereiche oder der Übergang zwischen künstlicher und natürlicher Gingiva schnell sichtbar. Bei festsitzenden Konzepten stellt uns dieses Problem oft vor ästhetische Herausforderungen. Deshalb diskutieren wir bei älteren Patienten über herausnehmbare Lösungen.

Wie gehen Sie vor, wenn noch erhaltungswürdige Zähne, auch wenn sie nicht die besten sind, vorhanden sind? Die gängigen Konzepte funktionieren ja nur im zahnlosen Kiefer.
Rähle: Das ist das Schöne an COMFOUR, das Protokoll funktioniert auch bei Teilbezahnung.

Haben Sie das schon erprobt, Herr Dr. Schnutenhaus?
Schnutenhaus: Ja, wir haben einige Fälle, bei denen im Seitenzahnbereich in einem Quadranten noch erhaltungsfähige Zähne vorhanden waren, im Frontzahnbereich und den anderen zahnlosen Quadranten haben wir mit COMFOUR versorgt, also eine segmentierte Arbeit.
Aber in der Vorplanung ist bereits ein möglicher weiterer Zahnverlust berücksichtigt. Darauf achten wir. Die Rekonstruktion lässt sich nämlich problemlos erweitern. Mit COMFOUR lässt sich also nicht nur der zahnlose Kiefer sofort versorgen, es gibt da viel mehr Möglichkeiten. Zurzeit haben wird dafür zwar noch keine Langzeitdaten, aber ich bin optimistisch. COMFOUR bietet ein weites Spektrum an Sofortversorgungsmöglichkeiten. Man kann gezielt verschraubte Arbeiten realisieren, ohne augmentative Maßnahmen im Vorfeld ergreifen zu müssen, wenn der Knochen das zulässt.

Prinzipiell sollten die Implantate in dreidimensional korrekter Position mit ad‧äquatem Knochen zirkumferent von ≥ 1 mm, ästhetische Zone ≥ 2 mm vestibulär, inseriert werden. Können diese Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden, sind knochenaugmentative Verfahren indiziert, sagen Experten, zum Beispiel Prof. Dr. Guido Heydecke, Hamburg (DM 4/2012). Lassen sich mit COMFOUR-Konstruktionen Augmentationen in solchen Situationen definitiv vermeiden?
Schnutenhaus: Ins COMFOUR-Konzept ist kein Zauberstab integriert. Wo kein ausreichender Knochen vorhanden ist, kann bisweilen kein Konzept der Welt Implantate osseointegrieren lassen. Jedoch zeigt sich, dass mit der Anwendung von 3D-Planungsverfahren in der Kombination mit anguliert gesetzten Implantaten eine optimale Balance zwischen der Vermeidung von Augmentationen und optimaler prothetischer Versorgung erreicht werden kann. Damit ist auch das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr gut. Und wenn man komplett schablonengeführt vorgeht, ist die Prothetik absolut vorhersagbar.

Apropos Preis-Leistungs-Verhältnis: Favo- risieren Sie Kunststoffversorgungen?
Kunz: Nur für die festsitzende Erstversorgung. Die Provisorien bereiten wir bereits vor dem chirurgischen Eingriff vor, damit sie direkt nach der OP eingegliedert werden können. Wir orientieren uns dabei an den Bohrschablonen, die nach dem funktionellen ästhetischen Set-up der Ausgangsprothese gefertigt wurden. Die Schablone wird ausgeschliffen und die Abformpfosten werden hineinpolymerisiert. Danach setze ich die Bohrschablone auf das Modell, übertrage die Abformpfosten, um die Bohrungen im Modell entsprechend übernehmen zu können.

Wie lange dauert das?
Kunz: Zirka zwei Stunden, je nachdem, wie gut die Vorplanung ist. Um eine lange Freiendsituation für die Zeit der Einheilung zu vermeiden, fertigen wir bei zahnlosen Patienten Kunststoffbrücken nur zehngliedrig und verstärken sie mit Metall. Das verhindert ein Zerbrechen des Provisoriums unter einem zu starken Kaudruck. Die Immobilisierung und die starre Verblockung der Implantate sowie ein Provisorium, das nicht sofort bei der ersten Belastung bricht, sind die wichtigsten Forderungen für die Sofortbelastung. Im zweiten Schritt, wenn es zu der definitiven Versorgung kommt, favorisieren wir ein keramisches Material, weil es in der Auflage zum Weichgewebe deutlich biokompatibler als Kunststoff ist.

Trotz der Verblockung braucht es eine ausreichende Primärstabilität …
Hildebrand: … Definitiv! Und dazu müssen seriöse Messungen erfolgen! Um wirklich sicher eine ausreichende Primärstabilität zu erzielen, messen wir einerseits das Eindrehmoment des Implantats – Pflicht sind mindestens 35 Ncm.

Wie genau messen Sie das Eindrehmoment?
Hildebrand: Da fangen die Probleme schon an: Welche Chirurgiemaschine liefert uns nachvollziehbare und dokumentierbare Messungen? Wir setzen auf das modernste Produkt: die iChiro Pro der Fa. Bien-Air. Diese Maschine liefert uns einwandfreie Messungen, die nach der OP als OP-Protokoll abspeicherbar und somit dokumentierbar sind. Das sollte heute zum Standard gehören. Zusätzlich erheben wir den sogenannten ISQ-Wert mit dem Osstell-ISQ. Dieser Wert gibt Auskunft über die knöcherne Primärstabilität. Liegt sie bei einem Implantat unter 65 ISQ, ist eine gedeckte zweizeitige Einheilung mehr als empfehlenswert. Beide Werte dokumentieren für uns die Seriosität der Behandlungskonzeption und sind in unserer Klinik unabdingbar.

Die Primärstabilität kann aber auch zu hoch liegen und zu Nekrosen führen. Kennen Sie solche Fälle?
Schnutenhaus: Fälle von Drucknekrosen hatten wir bislang nicht, da wir sehr vorsichtig sind und lieber das Implantat zu einem frühen Zeitpunkt nochmals zurückdrehen und dann doch einen Gewendeschnitt vornehmen oder mit einem Kortikalisbohrer die Aufbereitung behutsam erweitern.

Zurück zur definitiven Versorgung und dem Preis-Leitungs-Verhältnis: Finale Kunststoffversorgungen würden dem COMFOUR-Konzept doch „gut stehen“. Sie sind deutlich günstiger.
Hildebrand: Schon, aber Keramik ist allen Kunststoffen und Kompositen in jeder Hinsicht überlegen. Keramik und deren Verarbeitung sind natürlich auch teurer, was letztlich dem ökonomischen Ansatz dieses Konzepts widersprechen dürfte. Doch die vermeintlich so viel kostengünstigeren Kunststoff- bzw. Kompositversorgungen funktionieren nur dann, wenn sie jährlich mindestens einmal herausgenommen, aufgearbeitet und poliert werden. Das ist aufwendig, aber notwendig, da sich vermehrt Beläge und Plaque an der Kunststoffoberfläche ansammeln. Dies könnte schnell die periimplantären Gewebe beeinträchtigen und letztlich eine Schädigung des Implantatlagers herbeiführen. Diese jährliche Implantatrekonstruktions-Inspektion kostet Geld. Das muss der Patient wissen und einplanen.


Und für keramische Brücken gilt das nicht?
Hildebrand: Da versuchen wir, das regelmäßige Herausnehmen zu vermeiden. Denn die periimplantären Gewebe bilden bei keramischen Versorgungen eine Art Verbindung zu den Zirkonoberflächen, die dann zerstört wird. Oberstes Ziel ist und bleibt ohnehin: Jeder Patient sollte in der Lage sein, die festen Dritten selbst zu reinigen.

Im Recall wird demnach nicht gereinigt?
Hildebrand: Nein, wir motivieren den Patienten zur adäquaten Mundhygiene und kontrollieren seine Reinigungsfähigkeiten. Aber wir reinigen nicht, Aber wir reinigen nicht nur, sondern fördern hiermit vor allem die Gesunderhaltung der Implantatstrukturen. Besonders wichtig ist das bei älteren Patienten, die unter manuellen oder visuellen Einschränkungen leiden. Pflegebedürftige Menschen werden sicherlich nicht mehr in der Lage sein, die Hygiene selbst zu managen.

Was ist die Lösung?
Hildebrand: Die festsitzende Versorgung durch eine herausnehmbare zu ersetzen.
Kunz: Und das gelingt mit dem COMFOUR-System. Die ursprüngliche feste Arbeit lässt sich in eine Locator- oder Stegversorgung umwandeln. Denn das System umfasst speziell auf die COMFOUR-Abutments abgestimmte Locatoren. Das Pflegepersonal kann dann die Arbeit somit zum Reinigen herausnehmen. Aber: Man muss gut vorplanen, vor allem in der prothetischen Erstphase.
Hildebrand: Es gilt, individuell zu entscheiden und zu beurteilen, was in welcher Situation für den Patienten die richtige Lösung ist. Wer sich für eine festsitzende Versorgung entscheidet, muss dreimal am Tag mindestens fünf Minuten für die Reinigung aufwenden, manchmal auch zehn. Darüber muss der Zahnarzt den Patienten aufklären.

Das dürfte die Patientenauswahl deutlich limitieren?
Hildebrand: Gar nicht! Das Gros der Patienten hat eine harte Leidensphase hinter sich, mit schlecht sitzender Totalprothese oder unzureichend abgestütztem Zahnersatz. Sie wünschen sich feste Zähne ein Leben lang und möchten nie mehr etwas anderes. Dieses Motto ist eine gute Grundlage zur Motivation unserer Patienten. Dennoch muss man bei den Patienten am Ball bleiben und sie immer wieder neu motivieren, instruieren und aktivieren.

Die All-on-four-Brücke mit flächigem Kontakt zur Schleimhaut herzustellen, ist nicht einfach. Muss eigentlich ein gewisser Spalt bestehen, um ein Minimum an Reinigungsfähigkeit zu gewährleisten? Wenn ja, erweist sich dieser Spalt nicht als Hygienefalle? Und kann es zum „Zischen“ beim Sprechen kommen. Wie löst man solche Probleme?
Schnutenhaus: Die Reinigungsmöglichkeit muss von dem Zahntechniker stets im Auge behalten werden. Wir versuchen bei unseren Versorgungen dabei ein Optimum an Ästhetik von labial und ein Optimum an Funktion von oral anzustreben. Da muss ein Zahntechniker schon mal über seinen Schatten springen, keine anatomische Gestaltung der palatinalen Zahnflächen im Oberkiefer zu modellieren. Glatte Flächen mit geringen Spalträumen machen es dem Patienten wesentlich leichter die Sprachbildung an der neuen Versorgung umzusetzen.
Kunz: Das sehe ich genauso. Ein phonetisches Problem entsteht meistens dann, wenn die Restaurationen, egal ob festsitzend oder herausnehmbar, über- oder unterkonturiert sind oder einen Spalt haben. Das bedeutet, die implantatgetragene Versorgung sollte nur das fehlende Gewebe ersetzen. Das ist auch der große Unterschied zur totalen Prothese. Auch aus diesem Grund sind implantatgetragene Versorgungen bei zahnlosen Patienten so erfolgreich.

Wie schätzen Sie das Periimplantitisproblem bei All-on-four-Lösungen ein?
Hildebrand: Das Periimplantitisrisiko besteht bei jedem Patienten. Die o. g. Kriterien und der dauerhafte Support durch die begleitende Prophylaxe zur Gesund‧erhaltung der Implantate sind unabdingbare Pfeiler der Implantologie getreu dem Motto: Die beste Therapie der Periimplantitis ist die Vermeidung der Periimplantitis.

Gibt es Studien dazu?
Schnutenhaus. Die Studienlage ist zwar noch recht übersichtlich, die publizierten Zahlen lassen jedoch darauf schließen, dass es sich um ein sicheres und auch evidenzbasiertes Verfahren handelt.

Wie häufig schrauben Sie in Ihrer Praxis COMFOUR-Versorgungen für den zahn‧losen Kiefer zum Reinigen ab, um Periimplantitis zu vermeiden. Ist das regel‧mäßige Abschrauben überhaupt empfehlenswert?
Schnutenhaus: Wir schrauben Arbeiten nur im Fall von Reparaturmaßnahmen ab. Gerade bei kunststoffverblendeten Versorgungen kommt es nach Jahren des Gebrauchs gelegentlich zu Frakturen der Verblendung. Die Reparatur und dann das gleichzeitige Aufarbeitung und die Reinigung stellen keine größere Herausforderung dar. Der Patient bleibt damit höchstens ein bis zwei Stunden unversorgt.

Welche Hygienehilfen bietet der Hersteller?
Rähle: Auf dem Markt gibt es bereits unterschiedliche Anbieter von Zahn- und Interdentalbürsten, Zahnseide und vielem mehr. Diese sind nicht auf ein Implantatsystem abgestimmt, sondern universell einsetzbar. Deshalb haben wir diese Produkte nicht im eigenen Sortiment.

Kommen wir zur Lernkurve: Was muss der Zahnarzt können?
Schnutenhaus: Ein Erstlingswerk sollte All on four nicht sein. Man muss sich mit der schablonengeführten Implantologie auskennen. Denn das schablonengeführte Vorgehen halte ich bei diesem Protokoll für eine Pflicht.

Aber viele, auch Maló, favorisieren das Freihand-Inserieren …
Schnutenhaus: … Und es ist mir ein Rätsel, wie das gelingen kann. Es gibt Stu‧dien, die die Freihand-Genauigkeit exakt beschreiben. Danach gibt es Winkelabweichungen von 15 bis 20 Prozent. Und wenn man ganz bewusst auf 30 bis 32 Grad Genauigkeit gehen möchte, und nur auf plusminus 15 Grad genau bohren kann, geht die Rechnung nicht auf.
Hildebrand: Wer feste Sofortversorgungskonzepte auf vier oder sechs Implantaten in seiner Praxis anbietet, muss sicher implantieren, sicher planen und sicher seine Grenzen einschätzen können. Wer nicht weiß, wie er eine 3D-Diagnostik mit einer 3D-Planung und einer 3D-schablonengestützten Implantologie umsetzen kann, sollte es lassen.

„Learning by doing“ ist demnach fehl am Platze?
Hildebrand: Definitiv! Das implantologische Können muss sitzen.
Schnutenhaus: Ganz wichtig ist auch der Plan B, selbst beim schablonengeführten Vorgehen. Es kann immer mal etwas anders laufen als gedacht. Fehlt einem Implantat zum Beispiel die ausreichende primäre Stabilität, muss man wissen, was zu tun ist.

Und das wäre?
Schnutenhaus: Das fängt mit der Patientenaufklärung an. Man sollte kein hundertprozentiges Versprechen abgeben, dass der Patient am Tag der OP auch langzeitprovisorisch festsitzend versorgt ist. In der Hinterhand sollte man ein Labor haben, das sehr schnell eine totale Interimsprothese herstellen kann. Damit hat man Chancen, Implantate gedeckt einheilen zu lassen oder auch die Planung zu modifizieren und weitere Implantate an anderen Lokalisationen zu planen und in einem Zweiteingriff zu setzen.

Herr Kunz, All-on-four-Lösungen lassen sich letztlich nur im Team realisieren. Welche Voraussetzungen sollte der Zahntechniker erfüllen?
Kunz: Auch er muss detailliert vorplanen. Der Zahntechniker stellt die Arbeit schon im Vorfeld her. Dazu braucht es eine klare Vorausplanung auf beiden Seiten. Auch der Industriepartner spielt eine wichtige Rolle; wir benötigen schließlich die richtigen Teile für die jeweiligen Indikationen.

Es ist also ein Konzept, das alle fordert.
Rähle: Richtig, COMFOUR vereinfacht zwar vieles, doch ist die Lernkurve nicht zu unterschätzen. Es dauert seine Zeit, bis man mit der OP-Technik klarkommt. Zudem muss man den Überblick behalten und genau wissen, welche Produkte man benötigt, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.

Inwieweit helfen Tools wie Smop, CoDiagnostic etc.?
Rähle: Eine Planungssoftware ist sicherlich ein sehr hilfreiches Tool. Wenn nun auch noch eine geführte Chirurgie eingesetzt wird, lassen sich vorbereitete provisorische Versorgungen einfacher eingliedern. Je besser man vorbereitet ist, desto einfacher wird die Umsetzung realisierbar sein.

Hat der Patient noch erhaltungsfähige Zähne, werden auch diese oft extrahiert, um für All on four Platz zu schaffen, lautet eine weitere häufig geäußerte Kritik. Warum eignen sich die meisten Konzepte eigentlich nur für zahnlose Kiefer?
Rähle: Wahrscheinlich ließen sich auch mit Produkten anderer Anbieter teilbezahnte Kiefer versorgen. Typischerweise gibt es aber im Sortiment oft noch andere Lösungen, und so will man beim All-on-four-Konzept das Alleinstellungsmerkmal innerhalb des Portfolios in den Vordergrund rücken.

Also letztlich eine Marketingstrategie?
Rähle: Ich denke ja. CAMLOG macht es anders …
Schnutenhaus: … was ich begrüße. Denn erhaltungsfähige Zähne sollten natürlich erhalten bleiben. Aus der Parodontologie wissen wir ja, wie lange auch kompromittierte Zähne bei einer geschlossenen Zahnreihe erhalten werden können.
Hildebrand: In der Regel kommen die Patienten mit dem Wunsch nach „festen Dritten“, wenn die Zähne keine gute Prognose mehr besitzen, dauerhaften Sitz und Stabilität zu bieten. Andererseits können uns Zähne aber bei der Insertion als Stützpfeiler dienen (siehe Abb. 2a bis 2i). Aber: Es macht keinen Sinn, einen unsicheren Zahn in eine Versorgung einzubeziehen, wenn mesial und distal fest eingeheilte Implantate eine wesentlich bessere Prognose besitzen.

COMFOUR bietet damit ein weiteres Behandlungsspektrum. Neben okklusal verschraubten Brücken für Sofort- und Spätversorgungen im zahnlosen Kiefer auf vier oder sechs Implantaten sind auch Steg- und Einzelzahnversorgungen auf geraden und abgewinkelten Stegaufbauten möglich …
Rähle: Das System erweitert die prothetischen Optionen auf Abutmentniveau, und die Versorgung kann bei Bedarfl an neue Gegebenheiten angepasst werden, von teilbezahnt zu zahnlos, von festsitzen zu herausnehmbar. Technische Vorteile bringen Rotationssicherung und die guide-kompatiblen Ausrichthilfe.
Kunz: Das schafft prothetischen Spielraum …
Schnutenhaus: … und macht dem Zahnarzt das Leben leichter.
Kunz: Nicht nur dem Zahnarzt. Auch mich haben die unterschiedlichen Möglichkeiten der prothetischen Versorgung und Rekonstruktion überzeugt. Wir können je nach Bedarf festsitzend versorgen und nach Abschluss der Einheilphase gegebenenfalls auf herausnehmbar umstellen. Wir haben einen echten prothetischen Spielraum.
Schnutenhaus: Dazu kommt: Der Stegaufbau wurde weiter optimiert. Ein Vergleich mit den gängigen Wettbewerbssystemen zeigt, dass – bei vertikal und horizontal vergleichbaren oder sogar geringeren Abutmentdimensionen – die Prothetikschraube des COMFOUR-Systems (M1.6) stärker dimensioniert ist und damit für ein Mehr an Stabilität sorgt.

Wie genau?
Rähle: Neben geraden Stegaufbauten bieten wir auch 17° und 30° abgewinkelte Abutments. Beim Design der abgewinkelten Abutments wurde speziell darauf geachtet, dass dieses möglichst schlank ausfällt und kein sogenanntes „Knie“ hat, das z. B. mit dem Knochen kollidiert. Alle Stegaufbauten gibt es in zwei Gingivahöhen, gerade Stegaufbauten ab einem Durchmesser von 3,8 mm in drei Gingivahöhen. Die Zusatzkomponenten, Titankappen für Stegaufbau für die provisorische oder auch definitive Versorgung und Ausrichthilfen für die Feinjustierung der Nockenausrichtung während der Implantation, vereinfachen die prothetische Versorgung weiter. Die Ausrichthilfen sind kompatibel zum Guide-System von CAMLOG.

… zum Smop-System?
Rähle: Ja, sie werden zur exakten Ausrichtung der Implantat-Innenkonfiguration über die Guide-Einbringpfosten gesteckt.
Damit unterscheidet sich COMFOUR von anderen Konzepten, auch vom Vorgängersystem Vario SR?
Rähle: Ja, unbedingt. Die Motivation lag unter anderem darin, das gesamte Feedback, das wir zum Vario SR erhalten haben, in COMFOUR einfließen zu lassen. Dort gab es zum Beispiel nur Richtungsindikatoren aus Kunststoff. Nun können die Implantate gleich ausgerichtet werden. Auch der Platzbedarf der Abutments in der Prothetik wurde verringert und ermöglicht so dem Zahntechniker mehr Freiheiten.

Herr Dr. Schnutenhaus, Herr Dr. Hildebrand – das ewig junge Thema lautet „Verschrauben versus Zementieren“, eigentlich gilt das Zementieren als einfacher, hat sich das mit COMFOUR geändert?
Schnutenhaus: Zementieren ist einfacher? Das müssen Sie mir erklären. Ich bin wesentlich entspannter beim Verschrauben. Kein Stress mit dem richtigen Einfüllen des Zements durch die Assistenz, keine Risiken bei der korrekten Platzierung der Versorgung und natürlich kein Kampf um die Zemententfernung. Wie einfach ist dann Aufschrauben, kurze Pause, ausreichend für einen Espresso, Schrauben nachziehen, verschließen, polieren. Und das alles an gut einsehbaren und erreichbaren Regionen.

Hildebrand: Wir bestehen auf Verschraubungen. Aufs Zementieren würden wir nur im Fall ästhetischer Probleme zurückgreifen, etwa bei fehlpositionierten Implantatachsen im Frontzahnbereich. Aufgrund der 3D-Planung und der 3D-Guide-Chirurgie ist das aber kein Thema.

Herr Rähle, was sagen Sie? Ist das Zementieren einfacher?
Rähle: Nur bis zu einem gewissen Grad. Bei dem COMFOUR-System wird dank unterschiedlicher Abwinklungen und Gingivahöhen der Abutments die prothetische Anschlussgeometrie auf eine möglichst optimale Ebene gebracht.

Last but not least: Wo liegt für den Patienten der Vorteil von All-on-four-Lösungen im Vergleich zu ebenfalls preisgünstigen Kombinationslösungen.
Rähle: Mit einer sauberen Planung können für den Patienten vorhersagbare Ergebnisse erzielt werden, und es sind keine langwierigen augmentativ Eingriffe notwendig. Zudem lässt dieses System allfällige zukünftige Adaptionen an neue Gegebenheiten zu (erweiterbar, Wechsel von festsitzend auf herausnehmbar).
Schnutenhaus: Die optimale Synergie aus Leistung, Funktionalität, Ästhetik, Geschwindigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Hildebrand: Bei unseren Patienten gibt es in der Regel keine alternativen Lösungen, mit Ausnahme von Totalprothesen. Das wissen die Patienten, und deswegen entscheiden sie sich immer für diese moderne und vielversprechende Behandlungsmethode.

 

Die Experten:

Dr. Detlef Hildebrand, Zahntechniker und Zahnarzt, ist seit 1998 niedergelassen in Berlin. Schwerpunkte: Implantologie, Parodontologie, Ästhetische Zahnheilkunde.

ZTM Andreas Kunz ist Zahntechnikermeister in Berlin, Präsident der European Association of Dental Technology, Referent des DGI-APW Curriculums Implantatprothetik und Zahntechnik.

Christian Rähle studierte Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Medizintechnik in Zürich und ist seit 2012 Mitglied der Geschäftsleitung der CAMLOG Biotechnologie GmbH in Basel.

Dr. Sigmar Schnutenhaus ist seit 1998 niedergelassen in eigener Praxis in Hilzingen. Schwerpunkte: Implantologie, Parodontologie, wissenschaftlicher Kooperationspartner der Klinik für Zahnärztliche Prothetik der Universität Ulm.