Expertenzirkel

Augmentationen vermeiden

Durch die optimale Ausnutzung des Restknochens lassen sich Implantate häufig auch ohne aufwendige Augmentationen realisieren. Das gelingt unter anderem durch die richtige Implantatgeometrie mit kurzen, durchmesserreduzierten Implantate und Miniimplantaten.


3c Augmentation Miniimplantate

Postoperative Kontrolle © Klein


Für welche Indikationen – inzwischen gibt es 4-mm-Implantate – setzen Sie extrem kurze Implantate ein?
Al Nawas: Die spannendste Region für 4-mm-Implantate ist die verkürzte Zahnreihe im seitlichen Unterkiefer mit dem typischen vertikalen Defizit. Vertikale Augmentationen sind bekanntlich nur sehr schlecht vorhersagbar. Und 4-mm-Implantate im stabilen Knochen haben eine relativ gute Prognose. Dennoch gilt es, den Patienten extrem streng aufzuklären und das Vorgehen extrem streng abzuwägen.

Nutzen Sie kurze Implantate auch, um einen Sinuslift zu vermeiden?
Al-Nawas: Warum sollte man das tun? Der Sinuslift ist unsere sicherste Augmentationsform, vorhersagbar und nachweislich extrem wenig belastend für den Patienten. Im seitlichen Oberkiefer ist aus meiner Sicht ein 4-mm-Implantat nicht gerechtfertigt, um einen Sinuslift zu vermeiden.
Ukelo: Kontraindiziert sind 4-mm-Implantate im Oberkiefer aber nicht. Bei fehlender Knochenmasse in der vertikalen Ebene können die 4-mm- Implantate sowohl im Oberkiefer als auch im Unterkiefer eingesetzt werden.

Ist das belegt?
Klein: Für den klinischen Einsatz von 4-mm-Implantaten im atrophen Unterkiefer gibt es inzwischen belastbare 5-Jahresdaten, 10-Jahresdaten sind wohl auf dem Weg. Zu 8-mm bzw. auch 6-mm Implantaten existiert eine sichere Datenlage, was sich auch mit meiner Erfahrung in der täglichen Praxis deckt. Egal welche „Kurzen“ eingesetzt werden sollen, es gilt immer genau abzuwägen, in welchen Fällen ein zweizeitiges Vorgehen, also evtl. ein Sinuslift, eine Interpositionsosteoplastik oder eine Block-augmentation, der bessere Weg ist, vor allem bei jüngeren Patienten mit existierender Gegenbezahnung. Diesen biete ich jedenfalls für den atrophen Unterkiefer sehr selten ad hoc ein 4-mm-Implantat an.

Was kann passieren?
Klein: Kommt es zu entzündungs- oder belastungsbedingten periimplantären Knocheneinbrüchen, kann die „biologische Reserve“ eines sehr kurzen Implantats sehr schnell aufgebraucht sein, mit der Folge des Implantatverlusts. Zudem gilt es einige Besonderheiten mit dem Prothetiker abzusprechen. Wenn festsitzender Zahnersatz auf 4-mm-Implantaten geplant ist, müssen die Implantate zum Beispiel verblockt sein, entweder mit weiteren 4-mm-Implantaten oder mit einem längeren Implantat. Meines Wissens dürfen zwei 4-mm-Implantate nicht als Brückenpfeiler eingesetzt werden. 4-mm-Implantate im Oberkieferseitenzahnbereich sehe ich kritisch. Die Knochenstruktur ist zu weich, es drohen Knocheneinbrüche.
Ukelo: Es kommt natürlich auf die patientenindividuelle Situa‧tion an.
Klein: Sie meinen Risikopatienten, etwa Bisphosphonat- und Tumorpatienten nach einer Strahlentherapie, oder Menschen, die augmentative Maßnahmen grundsätzlich ablehnen? Da stimme ich zu. Für diese Patienten können ultrakurze Implantate ein Segen sein. Dennoch würde ich mich im Oberkiefer zurückhalten.


Welche Alternativen sehen Sie?
Klein: Den internen Sinuslift. Damit lassen sich Augmentationen zwar nicht vermeiden, sehr wohl aber deutlich reduzieren.

Mit 4-mm-Implantaten?
Klein: Nein, aber durchaus schon mit 6-mm-Implantaten. Ich bin ein Fan dieser Methode, sie ist elegant und liefert gute Ergebnisse. Ich verzichte dabei auch auf KEM und arbeite wirklich nur mit dem lokalen Knochen. Und das funktioniert. Häufig wird auch unterdimensioniert aufbereitet, damit das Implantat den Knochen noch kondensiert und somit stabiler ist. Für meine Patienten ist das häufig DER Unterschied. Das Implantat kann bei dieser Methode direkt inseriert werden. Grundvoraussetzung für den internen Sinuslift ist natürlich ein ausreichendes Knochenrestangebot. Auch wir kommen häufig nicht um den externen Sinuslift herum – dieser ist trotz hervorragender Ergebnisse aber invasiver.

Wie klären Sie Ihre Patienten in Sachen Augmentationsvermeidung auf?

Klein: Sobald wir in den Dunstkreis einer möglichen Augmenta‧tion oder eben auch einer Augmentationsvermeidung gelangen, profitieren wir extrem von 3D-Aufnahmen. Damit können wir für den Patienten die Implantate in allen Ebenen simulieren und auch gut Alternativen anbieten. Nach dem Motto: Hier sehen Sie Ihren Oberkiefer mit einer Knochenhöhe von 5 mm. Möglichkeit a: ein externer Sinuslift mit einem 10-mm-Implantat, Möglichkeit b: ein interner Sinuslift mit einem 6-mm-Implantat. Wir stellen dem Patienten sein mögliches Gesamtkonzept vor, inklusive der Analyse seiner Gegenbezahnung und Kaufunktion. Mit einer 3D-Aufnahme lässt sich sehr gut in Richtung Augmentationsvermeidung bzw. -reduktion arbeiten. Das ist zwar erst einmal eine Investition für den Patienten, es ist anfangs auch etwas aufwendiger, aber das Ergebnis ist oft weniger invasiv. Man kann das Restknochenangebot optimal ausnutzen, der Augmentationsumfang kann häufig reduziert werden.

Damit lohnt es sich für den Patienten?
Klein: Richtig, Augmentationsvermeidung heißt aber nicht, dass man überall, wo noch Knochen ist, um jeden Preis irgendwie ein kurzes oder durchmesserreduziertes Implantat setzt. Wir halten uns an die Positionierungsregelungen und an eine optimale prothetische Implantatpositionierung. Manchmal kommt man um Augmentationen zwar nicht herum, aber wir versuchen dann so wenig wie möglich zu augmentieren.

Gehen Sie dabei geführt vor?
Klein: Nicht immer. Bei den rein schleimhautgestützten Bohrschablonen sind wir vorsichtig, sie sind häufig ungenau. Da klappen wir auf und kontrollieren, wo wir vorbohren.

Ist das Freihandinserieren denn noch State of the Art?

Al-Nawas: Natürlich, ein Implantat, lückenbegrenzt, kann man nach wie vor freihändig setzen. Die geführte Implantologie steigert die Genauigkeit nicht mehr als 2 mm. Bei vielen Indikationen erübrigt sich somit die geführte Implantologie. Es braucht eine geplante Implantologie und eine Idee der späteren Versorgung.

Zurück zur Studienlage der Kurzen …
Al-Nawas: Als wirklich gesichert betrachten wir heute die Implantatlänge von 8 mm. Das ist eine Größenordnung, bei der Kräfte in den Knochen gleichmäßig eingeleitet werden. In der Vergangenheit dachten wir, sehr kurze Implantate überlasteten den krestalen Knochen bis hin zum Knochenabbau.

Das ist vom Tisch?
Al-Nawas: Ja, das zeigen zum Beispiel die tierexperimentellen und die klinischen Untersuchungen. Nachweislich reagiert der Knochen biologisch, er antwortet auf die Belastung, es bildet sich bei Belastung mehr Knochen an dem Implantat.

Also entsteht höherer Knochen-Implantat-Kontakt?
Al-Nawas: Genau, ich erinnere an die Vorstellung vom „Knochentraining“ á la Prof. Dr. Georg-Hubertus Nentwig.

Das heißt?
Al-Nawas: Das heißt, das Implantat ist erst einmal provisorisch zu versorgen, bis der Knochen die Biologie ausgebildet hat. Es gibt bis heute keine Daten, die belegen, dass ein sehr kurzes Implantat überlastet wird.

Wo liegen die mechanischen Grenzen?

Al-Nawas: Mechanische Limitationen sind viel kritischer als die biologischen. Die häufig langen Kronen auf sehr kurzen Implantaten bedeuten sehr große Hebelwege. Bei Bruxisten verbietet sich so etwas. Kritisch wird es auch in Freiendsituationen, die ganz anders belastet sind als Situationen mit natürlichem endständigem Pfeiler. Auch eine Eckzahnführung über einen natürlichen Zahn reduziert die Kräfte.
Was hilft?
Al-Nawas: Verblockungen von Implantaten, die Verwendung von Originalabutments mit exakter Passgenauigkeit, die Zusammenarbeit mit dem Zahntechniker etc..
Faoro: Um eine adäquate Primärstabilität zu erreichen und optimal einzuwachsen, braucht ein Implantat ein Mindestmaß an Kontaktfläche zum Knochen, die vom Verhältnis Durchmesser/Länge abhängt. Das gilt sowohl für durchmesserreduzierte Implantate als auch für kurze Implantate. Aus diesem Grund sind die 4 mm kurzen Straumann-Implantate in den Durchmessern 4,1 und 4,8 mm erhältlich, damit dieses Mindestmaß eingehalten ist. Mechanisch betrachtet müssen auch kurze Implantate das Verhältnis Kronenhöhe/Implantatlänge überstehen. Je kürzer ein Implantat ist, desto größer sind die Hebelkräfte. Im Extremfall könnten diese zur Überbeanspruchung des gesamten Systems führen. Während der Produktentwicklung werden die Implantate in Computersimulationen (Finite-Elemente-Mo‧du‧lation, FEM) und umfangreichen Laboruntersuchungen getestet und das Risiko einer Überbeanspruchung minimiert. Schließlich bietet die hydrophile Oberfläche SLActive in Kombination mit dem hochfesten Material Roxolid klinische Vorteile: Die Einheilzeit im Knochen wird im Vergleich zu hydrophoben Oberflächen um die Hälfte reduziert. Somit spielt die Kombination von Design, Material und Oberfläche eine essenzielle Rolle bei der Dimensionierung eines verlässlichen Implantats.

Wo genau liegen nach diesen Analysen die stärksten Krafteinleitungen?
Klein: Die Hauptbelastung konzentriert sich auf die zervikalen 3 mm. Die Spitzenbelastungen der Implantate liegen im Bereich des obersten, des krestalen Gewindegangs. In diesem Bereich findet sich in der Regel kortikaler Knochen.

Der Unterkiefer ist sehr kortikal …
Klein: … und der OK weniger. Daher drohen bei extrem kurzen Implantaten im Oberkiefer Knocheneinbrüche. Denn bei sehr kurzen Implantaten fehlt der Puffer nach apikal.

Bitte erläutern Sie das näher.
Klein: Setzt man im Oberkiefer ein 4-mm-Implantat und hat 2 mm Knochenrückgang, was durchaus passieren kann, dann hat man ein Problem. Mit einem Augenzwinkern kann man noch sagen, dass man dafür das Implantat auch leichter explantieren kann …

… oder es direkt verliert?
Klein: Richtig. Kommt es aber zu einem Knochendefekt und gar noch zu einer Infektion, ist der Schaden enorm. Im Oberkiefer ist für mich deshalb bei 6-mm-Implantaten Schluss, das ist die letzte Alternative.

Stichwort Verblockungen. Wie gehen Sie bei einer Einzelzahnlücken vor, die mit Kurzen versorgt werden soll?

Klein: Ziel sollte die Vermeidung von Belastungen außerhalb der Implantatachse sein. Man sollte die okklusale Fläche der Implantatkrone so gestalten, dass kaum exzentrischer Druck entsteht, also z. B. keine Okklusionskontakte auf den Randleisten. Vielleicht kann man die Versorgung auch minimal aus der Okklusion nehmen. Man muss natürlich stets die Gegenbezahnung und die Risikofaktoren im Auge haben. Wer unter pathologischen Parafunktionen leidet, ist nur nach strenger Prüfung ein Kandidat für ein 6-mm-Implantat im Oberkiefer.

Raten Sie im Frontzahnbereich von kurzen Implantaten mit Blick auf die Ästhetik ab?
Al-Nawas: Ich glaube, beim Thema Augmentationsvermeidung brauchen wir nicht über die Ästhetik zu diskutieren. Es ist ein No-Go, ein kurzes Implantat im sichtbaren Bereich zu setzen, weil man nicht augmentieren möchte. Das kann man bei einem Patienten in Erwägung ziehen, der keine andere Möglichkeit hat, weil er vielleicht immunsupprimiert ist und weiß, was ihn erwartet. Aber bei dem Gros der Patienten wird man über die Position des Frontzahnimplantats anhand ästhetischer Gesichtspunkte entscheiden.

Kurze in der Front zur Augmentationsvermeidung sind also kontraindiziert?

Al-Nawas: Richtig, kurze Implantate bieten sich im Wesent‧lichen im Unterkiefer-Seitenzahngebiet an.

Ukelo: Nicht nur kurze Implantate können eine Augmentation überflüssig machen, sondern natürlich auch durchmesserreduzierte Implantate. Wir haben im Jahr 2016 die BLT 2,9er auf den Markt gebracht und werden demnächst weitere, noch dünnere einteilige Implantate lancieren: die sogenannten Miniimplantate. Durchmesserreduzierte Implantate bieten zusätzliche Versorgungsmöglichkeiten bei extrem schmalen Knochenkämmen, bei denen aus klinischen Gründen nicht augmentiert werden soll.

Al-Nawas: Die durchmesserreduzierten Implantate sind natürlich im zahnlosen Kiefer interessant, vor allem im zahnlosen Oberkiefer, der ja oft eine Atrophie auch horizontal aufweist. Da lassen sich mit durchmesserreduzierten Implantaten in Kombination mit Standardimplantaten schöne Versorgungen auf 6 Implantaten herstellen. Auch für den Frontzahn und den seit‧lichen Schneidezahn im Ober- und Unterkiefer bieten sich die Schmalen an. Im Seitenzahnbereich sind sie kontraindiziert aus biomechanischen Erwägungen.

Klein: Schmale Implantate sind mein Steckenpferd, da kommen wir in eine andere Dimension. Da geht es jetzt nicht um die vertikale Augmentationsnotwendigkeit, sondern vor allem um die vestibulären Defizite. Man weiß, dass man für den langfristigen implantologischen und ästhetischen Erfolg einen Knochenpuffer vestibulär von 2, besser 3 mm braucht. Und wenn man da durchmesserreduzierte Implantate verwendet, kann man in einigen Fällen die Augmentation umgehen bzw. den Umfang reduzieren, indem man also beispielsweise keinen Knochenblock vestibulär anschrauben muss, sondern ein schmales Implantat in Kombina‧tion mit einer umschriebenen GBR verwendet und zudem einzeitig vorgehen kann. Das sind die Vorteile der Schmalen.

Nutzen Sie auch das zweiteilige 2,9er?
Klein: Gerne und häufig. Wir gehen sogar in ausgewählten Fällen über die vorgegeben Indikationen Oberkiefer 2er und Unterkieferfront hinaus. Ich setze die extra dünnen Zweiteiligen auch in schmale Prämolarenlücken ein, wenn 3,3er nicht „passt“.

Das dürfte ein „Off-Label-Use“ sein.
Klein: Schon, aber ich habe in solchen Situationen schon einige 2,9er mit gutem Gewissen eingesetzt. Das funktioniert, man muss die Patienten aber darüber aufklären, dass man im Off-Label-Use arbeitet.

Wie sehen Ihre Indikationen für das 2,9er-Implantat aus? Wählen Sie ab und an auch den Off-Label-Use, Herr Professor Al-Nawas?
Al-Nawas: Nein, und ich rate auch davon ab, auch wenn ich zugeben muss, dass weitere Indikationen für das 2,9er vorstellbar sind. Aber wir sind mit den 2,9 bis 3,1 zweiteilig unterwegs, und das zieht absolute Indikationseinschränkungen nach sich. Die mechanischen Testwerte haben definitiv gezeigt: Molaren können die extra Schmalen nicht tragen.
Klein: In dem Bereich würde ich sie auch nie einsetzen …
Al-Nawas: … ich rate aber auch für Prämolaren ab. Wir setzen die 2,9er-Implantate streng ausschließlich im seitlichen Schneidezahngebiet oder unteren Schneidezahn ein. Bei Indikationserweiterungen muss man mit Frakturen rechnen, die dann auch nicht mehr durch den Hersteller abgedeckt sind.

Ein Wort vom Hersteller dazu …
Faoro: Durchmesserreduzierte Implantate sind besonders geeignet für engere Zahnlücken und extrem schmale Knochenkämme im anterioren Bereich. So sind zum Beispiel die 2,9er indiziert für den Ersatz der Schneidezähne im Unterkiefer oder der lateralen Schneidezähne im Oberkiefer. Diese dünnen Implantate eignen sich nur für Einzelzahnversorgungen, vorausgesetzt, die Ausschlusskriterien wurden berücksichtigt. Für Brücken im Unterkiefer über mehrere Schneidezähne sind sie nicht indiziert.

Welche Augmentationen lassen sich vermeiden durch Dünne? Was sind die Haupteinsatzgebiete?

Al-Nawas: Der seitliche Unterkiefer mit der horizontalen Atrophie und sehr schlanke Unterkiefer sind ganz interessante Einsatzgebiete von durchmesserreduzierten Implantaten. Wann ein 3,3- oder 3,5-Implantat im Seitenzahngebiet indiziert ist, wird patientenspezifisch entschieden. Auch in diesem Zusammenhang dominieren biomechanische Aspekte.

Ein kleiner Exkurs zur Sofortimplantation, die zum Teil auch der Augmentationsvermeidung oder -reduzierung dient.
Faoro: Wir stellen fest, dass Kliniker vorsichtigere Chirurgieprotokolle wählen, wenn Spezialimplantate zur Anwendung kommen. Dies hängt im Wesentlichen an der klinischen Situation. Es kann jedoch gesagt werden, dass kurze oder dünne Implantate im Grunde gleich verwendet werden wie Standardlängen oder Standarddurchmesser. Denn auch die Operationstechniken unterscheiden sich nicht vom Rest des Portfolios.
Klein: Sofortimplantation und -versorgung ist auf kurzen oder dünnen Implantaten schwieriger, weil die funktionelle Oberfläche geringer ist, die die Retention gewährleistet. Man kann es dem Patienten nicht versprechen, dass es funktioniert, und muss im Zweifel die Alveole konventionell abheilen lassen.
Al-Nawas: Aus meiner Sicht hat die Sofortimplantation wenig mit Augmentationsvermeidung zu tun. Zunächst einmal gilt es zwischen Sofortimplantationen im ästhetischen Bereich, im Seitenzahnbereich und im zahnlosen Kiefer zu unterscheiden. In der ästhetischen Zone ist man an die Implantatposition gebunden, die die Ästhetik bestimmt. Dafür braucht es ein relativ langes Implantat, um stabilisieren zu können. Fast immer muss aufgrund der Resorption des Bündelknochens augmentiert werden. Das ist alles andere als minimalinvasiv. Die Sofortimplantation mag die Behandlungsdauer zwar verkürzen, aber die Behandlung wird deutlich komplexer.

Ausnahmen dürften All-on-four-Konzepte sein, durch die Augmentationen vermieden werden.

Ukelo: Und die 4 mm kurzen Tissue-Level-Implantate sind Teil unseres Straumann ProArch Behandlungskonzepts für die Sofortversorgung des zahnlosen Kiefers bei Patienten mit begrenztem Knochenangebot. Dort werden die kurzen Implantate mit längeren Implantaten im Frontzahnbereich kombiniert und ermöglichen eine Behandlung ohne komplexe vertikale Knochenaugmentation. Insgesamt werden typischerweise 6 Implantate eingesetzt, wobei die beiden posterioren 4-mm-Implantate nicht sofort belastet werden. Nach einer Einheilzeit von 10–12 Wochen werden die kurzen Implantate in die finale Restauration integriert.
Die BLT 2,9 sind dagegen für die Sofortimplantation geeignet. Dank des apikal konischen Implantatdesigns und eines selbstschneidenden Apex bietet das BLT 2,9mm eine hohe Primärstabilität, was eine entscheidende Rolle spielt bei frischen Extraktionsalveolen.

Für die Alterszahnheilkunde eröffnen einteilige Miniimplantate attraktive Behandlungsalternativen. In vielen Fällen lassen sich Augmentationen vermeiden und eine Prothese, die ihrem Träger Probleme beim Kauen und Sprechen bereitet, lässt sich sicher befestigen. Gibt es inzwischen weitere Indikationen?
Al-Nawas: Zunächst einmal zur Definition: Miniimplantate sind einteilige Implantate, meist aus einer Titanlegierung, in der Größenordnung 1,8 bis 2,3 mm Durchmesser.
Klein: Man bezeichnet sie auch als bessere Kortikalisschrauben mit maschinierter Oberfläche, die Legierung ist meist Titan Grad 5.
Al-Nawas: Miniimplantate sind in der Literatur gut belegt für die Indikation zahnloser Unterkiefer auf vier Implantaten, herausnehmbar.
Klein: Und das ist sehr attraktiv, weil sich damit Augmentationen vermeiden lassen. Älteren Patienten kann man z. B. im zahnlosen Unterkiefer mit zwei bis vier Miniimplantaten eine deutlich verbesserte Kaufunktion bescheren. Sie fühlen sich wohler und gesellschaftlich integrierter.

Wie sieht es mit herausnehmbaren Konstruktionen auf Miniimplantaten für den zahnlosen Oberkiefer aus?
Al-Nawas: Da würde ich deutlich zurückhaltender sein, gute Daten fehlen.
Klein: Ich kenne Untersuchungen, die desaströse Ergebnisse für den Einsatz von 4 Miniimplantaten zeigten. Da gab es dramatische Knocheneinbrüche in der Vertikalen von 5 bis 6 mm und in der Horizontalen von 1,5 bis 2 mm.

Straumann empfiehlt in dem neuen Konzept 6 Miniimplantate für die herausnehmbare Oberkieferkonstruktion.
Klein: Und das finde ich schlüssig, mit 2,4 mm sind die Miniimplantate nicht ganz so schmal wie bislang.

Werden Sie die neuen „Mini-Implantate“ von Straumann testen?
Klein: Auf jeden Fall werde ich das meinen Patienten anbieten, im Unterkiefer auf 4, im Oberkiefer auf 6 Miniimplantaten. Im Unterkiefer halte ich sogar 2 Miniimplantate an 3er-Positionen für denkbar, etwa bei sehr betagten Patienten mit einem atrophen Kieferkamm, die auch eine herausnehmbare Oberkieferprothese tragen. Denn das mindert den Kaudruck enorm. Was ich kritisch sehe, ist das geschlossene Einbringen.

Das aber propagiert wird.
Klein: Ich plädiere eigentlich immer für eine kleine Lappenbildung zur besseren Übersicht. Denn bei atrophen Kiefern gibt es ja teilweise unter sich gehende Stellen; man weiß nicht, wo man landet. Ein kleiner Schnitt ist nicht so dramatisch und man hat das Knochenangebot einmal gesehen. Ganz blind würde ich die Implantate definitiv nicht setzen.

Das hat den Ruf der einteiligen Dünnen wohl auch ruiniert.
Al-Nawas: Dabei stellen vier Miniimplantate im zahnlosen Unterkiefer mit einem guten Bohrprotokoll eine gut dokumentierte Versorgung dar.

Haben Sie das neue Straumann-Konzept bereits testen können?
Al-Nawas: Das ist ja kein neues Konzept, das Bemerkenswerte ist vielmehr, dass jetzt ein großer Hersteller dieses bisherige Nischenprodukt für sich entdeckt hat. Bislang hat man die Minis eher belächelt. Jetzt darf man mit wissenschaftlich fundierten Daten rechnen.

Somit könnte sich der Ruf der Miniimplantate verbessern?
Al-Nawas: Absolut, bislang gab es weder etablierte Bohrprotokolle noch ausreichend wissenschaftliche Studien. Ein großer Hersteller wird immer Wissenschaft dazu betreiben. Er wird sich überlegen müssen, wie die Bohrer aussehen, er wird ganz anders vorgehen, als wir das bisher gewöhnt sind bei diesen Implantaten. Und das tut dem Konzept sicher gut, ich begrüße das.

Herr Ukelo, warum bietet Straumann nun auch Miniimplantate an?
Ukelo: Weil wir jetzt in der Lage sind, – je nach Patientensitua‧tion – eine weniger invasiv und konsteneffiziente Versorgungs‧alternative anzubieten. Eine Knochenaugmentation kann die Versorgung teurer machen. Daher sind einteilige Implantate in gewissen Fällen eine gute Alternative. Wir haben den Nutzen solcher Implantate für die Retention herausnehmbarer Prothesen erkannt und werden im Oktober eine zuverlässige Version der Miniimplantate anbieten: das „Straumann Mini Implantat“. Die Entscheidung für eine Behandlung kann unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte gefällt werden: Die klinische Situation bestimmt die möglichen Versorgungsoptionen. Es gibt immer verschiedene Ansichten über eine Behandlung, die zu gleichwertigen Ergebnissen führen. Deshalb ist die Anamnese extrem wichtig. Man sollte zum Beispiel Knochenangebot, Knochenqualität, Alter und Gesundheitszustand des Patienten berücksichtigen. Anhand dieser Informationen kann das optimale Behandlungskonzept definiert werden. Eine Studie von Al-Nawas et al. (2015) hat gezeigt, dass bei Verwendung von durchmesserreduzierten Implantaten eine Knochenaugmentation in 54 Prozent der Fälle vermieden werden konnte (4). Die Kosten spielen für die Patienten auch eine wichtige Rolle.

Welche Verbesserungen dürfen wir erwarten? Den tollsten Ruf hatten die Miniimplantate bislang ja nicht …
Ukelo: Dank des bewährten Materials Roxolid und der klinisch bewährten Oberfläche SLA werden wir das Segment der Miniimplantate neu definieren. Basierend auf den Erfahrungen mit unseren vorherigen Generationen von durchmesserreduzierten Roxolid-Implantaten, die über die Jahre intensiv klinisch getestet wurden, sind wir in der Lage, Miniimplantate mit einer hohen mechanischen Festigkeit anzubieten. Unser „Mini Implantat“ kommt mit dem neuen Verankerungssystem Optiloc auf den Markt: Die prothetische Verbindung ist nahezu verschleißfreie dank einer spiegelglatten Oberfläche. Die dazu passenden Retentionseinsätze werden nach allen Regeln der Kunst aus dem körperverträglichen Hochleistungskunststoff PEEK hergestellt. Die neuen „Mini Implantate“ sind so verlässlich.

 

Die Experten:

Prof. Dr. Dr. Marcus Klein absolvierte seine Facharztausbildung in Mainz, ist seit 2012 niedergelassen als MKGler in einer Gemeinschaftspraxis in Düsseldorf. Seit 2018 ist er außerpl. Professor der Universität Mainz durch einen dortigen Lehrauftrag.

Thomas Ukelo ist Head Product Management New Products am Institut der Straumann AG, Basel. Er verfügt über eine fundierte Erfahrung in Sachen Biomechanik und Medizintechnik.

Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, plastische Operationen der Universität Mainz, Präsident der Fachgesellschaft 3D-Druck in der Medizin.

Francisco M. Faoro ist Vice President, Head Product Development beim Institut Straumann, Basel. Er studierte Maschinenbau in Zürich und verfügt über langjährige Erfahrung in der Medizinprodukteindustrie.

Literatur Augmentationen vermeiden