Wann Universaladhäsiv, wann nicht?
30 Jahre Adhäsivtechnologie haben mindestens sieben Generationen von Schmelzdentin-Adhäsivsystemen hervorgebracht. Das Spektrum der unterschiedlichen Produkte ist breit. Sind Zwei- und Mehr-Flaschen-Systeme heute noch zeitgemäß? Wann funktioniert das Ein-Schritt-System? Hier diskutieren die Experten darüber, wann welches Adhäsiv indiziert ist.
Das Universaladhäsiv soll sich sowohl für direkte und indirekte Restaurationen als auch für chemische, lichthärtende und dual-härtende Füllungsmaterialien ohne Einschränkungen eignen.
Herr Professor Frankenberger, wann setzen Sie Universaladhäsive ein?
Frankenberger: Für nahezu jede Indikation. Ein-Flaschen-Systeme, also Universaladhäsive, haben die Mehr-Flaschen-Systeme heute so gut wie abgelöst. Dass die richtig gute Zahnmedizin nur mit Mehr-Flaschen-Adhäsiven möglich sei, kann ich heute aufgrund unserer Daten nicht mehr aufrechterhalten. Dafür haben wir viel zu viele Doktorarbeiten abgeschlossen, die zeigen, dass die Performance von Ein- und Mehr-Flaschen-Systemen gleich gut ist.
Dennoch bevorzugen viele Zahnärzte die Mehr-Flaschen-Adhäsive.
Frankenberger: Das ist ja auch in Ordnung. Man kann sie ja weiterhin benutzen. Aber wenn es Weiterentwicklungen gibt, die sinnvoll und effektiv sind, muss man das auch sagen dürfen. Ehemalige Kritiker haben inzwischen auch erfolgreich auf Ein-Flaschen-Systeme gewechselt.
Wie sieht es denn inzwischen in der täglichen Praxis aus?
Hey: Der Trend geht zum Universaladhäsiv, ganz klar. Wir nutzen es ebenfalls in fast allen Indikationen, angefangen bei der adhäsiven Befestigung von Kronen und Brücken bis hin zum adhäsiven Stumpfaufbau.
Siems: Ich favorisiere die Ein-Flaschen-Systeme vor allem bei schwieriger Trockenlegung, etwa bei Milchzahnfüllungen. Wenn ich sichere Verhältnisse habe, verlasse ich mich auf die Etch- & Rinse-Technik und Mehr-Schritt-Adhäsive. Der zusätzliche Primeschritt ist für mich gut investiert: Er sorgt für maximale Haftkraft, es kommt praktisch nie zu postoperativen Hypersensibiltäten.
Gibt es heute noch Pflicht-Indikationen für Mehr-Flaschen-Adhäsive?
Frankenberger: Kaum. Wenn wir Hochrisikogruppen für postoperative Hypersensitivitäten behandeln – das sind vor allem junge Damen im Pubertätsalter bis 18 – nehmen wir Mehr-Flaschen-Systeme, zum Beispiel Syntac, das sich wegen des hohen Glutaraldehyd-Anteils im Kampf gegen postoperative Hypersensitivitäten bewährt hat. Aber das sind eher Spezialfälle. Für die tägliche Routine, egal ob die Kavität flach oder tief ist, komme ich mit einem Ein-Flaschen-System gut hin.
Hey: Ich nutze Mehr-Flaschen-Systeme nach wie vor für die adhäsive Inlay-Befestigung.
Siems: Ich arbeite grundsätzlich bei indirekten und additiven Restaurationen wie Schneidekantenverlängerungen damit. Komplettverluste von funktionellen Schneidekantenverlängerungen hatten wir beim Einsatz von Mehr-Flaschen-Systemen mit Phosphorsäureätzung noch nie.
Ursprünglich war das „Universaladhäsiv“ nur für direkte Kompositrestaurationen entwickelt worden. Ist das nach wie vor „in den Köpfen“ vieler Anwender?
Frankenberger: Das kann sein. Heutiges Universaladhäsiv ist jedoch auch für indirekte Restaurationen freigegeben und haben dort auch Vorteile: Sie bilden nach erfolgter separater Lichtpolymerisation dünne und somit im indirekten Prozedere gut beherrschbare Adhäsivschichten, die beim adhäsiven Befestigen die Kavitätengeometrie nicht verändern. Dadurch passt das Inlay oder die Teilkrone auch bei separater Polymerisation problemlos in die Endposition. Das ist eine klare Schwäche der Mehr-Flaschen-Adhäsive, bei denen bei separater Polymerisation dünne Schichtstärken nicht immer garantiert werden können.
Elsayed: Ich verwende bei einigen Fällen, auch für die Befestigung indirekter Restaurationen, Clearfil Universal Bond Quick Kombination mit einem selbstadhäsiven Befestigungskomposit. Da es neben dem MDP-Monomer Bisphenol A Diglycidylmethacrylat (bis-GMA) und Silanhaftmonomer enthält, eignet es sich für die Befestigung von Oxidkeramiken, Silikatkeramiken und Kompositen (Abb. 1 und 2).
Wie viel Stuhlzeit lässt sich mit dem „richtigen“ Adhäsivsystem sparen?
Frankenberger: Diese Frage mochte ich noch nie. Der Bondingschritt ist extrem wichtig, ob ich dafür 1 Minute, 1:15 Minuten oder 1:30 Minuten brauche, ist wirtschaftlich völlig irrelevant. Die Qualität des Bondingsschritts ist so entscheidend fürs Endergebnis, 30 Sekunden mehr oder weniger spielen aus meiner Sicht dabei überhaupt keine Rolle. Der einzige Grund, warum man die Zeitersparnis ins Feld führen könnte, ist, dass man knapp an der Kontaminationsgrenze arbeitet. Dann ist natürlich eine schnellere Applikation erfolgreicher. Aber dafür gibt es auch Kofferdam und die kontrollierte Trockenlegung.
Nach welchen Kriterien soll der Anwender nun zwischen den unterschiedlichen Adhäsiv-Systemen auswählen?
Frankenberger: Wenn man ehrlich ist, ist der Unterschied gar nicht mehr so riesengroß. Weil heute praktisch alle Universaladhäsive MDP-Monomere als Haftmonomer enthalten. Seit Auslaufen der Patente hat sich damit bei fast allen Anbietern die chemische Haftung und Dentinversiegelung verbessert. Unterschiede gibt es natürlich in der Darreichungsform – Pen oder Flasche – und mit Blick auf die Viskosität. Im Großen und Ganzen sind sich die Universaladhäsive aber schon relativ ähnlich geworden. Was auch gut ist, weil bei den Adhäsiven, die wir in den vergangenen Jahren getestet haben, nie irgendwelche „Vollversager“ dabei waren, und das war 15 Jahre lang so, dass immer wieder Adhäsive im Markt aufgepoppt sind, die wir getestet und dann gesagt haben: „Was ist das denn, das kann doch nicht euer Ernst sein“. Aber diese Zeiten sind einfach vorbei.
Herr Dr. Elsayed, wie erklären Sie sich das? MDP-Monomere dürften seit Auslaufen des Patents ja alle Anbieter besitzen?
Elsayed: Nicht alle MDP-Monomere sind gleich gut und gleich zuverlässig. Es bestehen erhebliche Unterschiede, was auf den Reinheitsgrad und den Herstellungsprozess zurückzuführen ist. Das belegt unter anderem eine Arbeit von Yoshihara et al. Das von Kuraray entwickelte MDP-Monomer besitzt ein hohes Potenzial, eine chemische Bindung an Hydroxylapatit einzugehen, und gilt als das wirksamste Monomer für die Haftung an Zahnhartsubstanz und Zirkonoxidkeramik.
Was sagen Sie als Praktiker zur Materialwahl?
Hey: Ich entscheide mich für hypersensitivitätenfreie Systeme, die auch preislich attraktiv sind. Wenn 1 Liter der Flüssigkeit weit über 25.000 Euro kostet, wird es für mich lächerlich.
Vermeidet man mit Universaladhäsiv so genanntes „Over-Etching“?
Frankenberger: Wenn man eine reine Self-Etch-Technik anwendet ohne Phosphorsäure, dann ist ein Over-Etching nicht möglich. Aber wir wissen heute, wie wir mit der Phosphorsäure verantwortungsvoll umgehen. Wenn man das Dentin nicht länger als 15 Sekunden ätzt, kann man das eigentlich immer beherrschen. Mit Ein- oder Zwei-Flaschen-Systemen hat das nichts zu tun.
Over-Etching ist also heute kein Thema mehr?
Hey: Sofern man nicht zusätzlich das Dentin mit Phosphorsäure ätzt, ist „Over-Etching“ sicher kein Thema mehr.
Siems: Ich habe Over-Etching nie als Problem empfunden, postoperative Beschwerden liegen bei uns im Promillebereich.
Versorgen Sie in Ihrer Praxis kariöse Läsionen grundsätzlich adhäsiv?
Frankenberger: Ja, ich versuche, wann immer es geht, minimalinvasiv mit Komposit zu arbeiten und bei großen Restaurationen mit Keramik, auch immer adhäsiv. Es sei denn, es steht ein Provisorium an. Die anschließende definitive Füllung mache ich ausschließlich mit der Adhäsivtechnik.
Hey: Ich schließe mich an, wenn wir nicht temporär mit Zement versorgen, etwa bei indirekter oder direkter Überkappung, versorgen wir ausschließlich adhäsiv.
Welche Verbesserungen wünschen Sie sich? Was sollte das Adhäsiv von morgen leisten?
Hey: In Kombination mit Blut und Speichel sollte es antiseptisch wirken und auch dann noch unveränderte Haftkraft vorweisen.
Elsayed: Die Forschung widmet sich bereits diesem Thema. Im Fokus stehen bioaktive Bondings, also Bonding-Systeme, die bei gleichen Hafteigenschaften therapeutische Vorteile bieten, etwa die Remineralisierung des Dentins, natürlich ohne die ursprünglichen Hafteigenschaften zu gefährden.
Siems: Die Haftwerte an Schmelz und Dentin sollten so gut sein wie bei den aktuellen Goldstandardsystemen.
Frankenberger: Universaladhäsive bilden eine relative dünne Filmschichtstärke. Das bietet für indirekte Restaurationen Vorteile, weil man sie separat härten kann, ohne dass die Kavitätengeometrie verändert wird. Aber wenn durch das Verpusten die Adhäsivschicht sehr dünn wird, besteht die Gefahr, dass durch Sauerstoff in der Läsion die Polymerisation nicht richtig stattfinden kann. Da ist durchaus noch Optimierungspotenzial beim Universaladhäsiv gegeben. Insgesamt bin ich aber mit der Performance wirklich sehr zufrieden, gerade da ich über die gesamten 26 Jahre, die ich jetzt in diesem Bereich forsche, halt auch andere Zeiten erlebt habe. Man muss deshalb auch einmal betonen, dass die Industrie hier wirklich gute Arbeit geleistet hat und die Adhäsivtechnik heute auf einem viel höheren Niveau steht, als es noch vor 15 Jahren der Fall war. Mein Fazit: Die Ein-Flaschen-Systeme haben sich bewährt!
- Für die tägliche Routine, egal ob die Kavität flach oder tief ist, reicht heute ein Universaladhäsiv (Ein-Flaschen-System).
- Moderne Universaladhäsive sind auch für indirekte Restaurationen freigegeben und haben dort durchaus Vorteile.
- Bei Kavitäten mit Schmelzanteil empfiehlt sich, für den Schmelz die Etch & Rinse-Technik, die auch mit einem Universaladhäsiv erfolgreich angewendet werden kann.
Die Experten
Prof. Dr. Roland Frankenberger
Direktor der Abteilung für Zahnerhaltungskunde der Philipps-Universität Marburg und des Universitätsklinikum Gießen und Marburg, forscht seit 26 Jahren im Bereich der Adhäsivtechnik
roland.fr@nkenberger.de
Dr. Friedrich Hey
ist niedergelassen in Laboe bei Kiel. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen die Ästhetische Zahnheikunde und die Implantologie.
empfang@doc-hey.de
Dr. Adham Elsayed
Clinical and Scientific Manager DACH Kuraray Noritake Dental, Spezialist für Prothetik der DGPro
adhamfawzy.elsayed@kuraray.com
Dr. Nils Elger Siems
seit 2008 niedergelassen in eigener Praxis in Königstein im Taunus. Schwerpunkt: Ganzheitliche zahnärztliche Diagnostik und Therapie.
info@dr-siems.com