Leitlinien für die Implantologie

Sommersymposium der DGI 2016: Blick auf die Leitplanken

„Eine Leitlinie steht nicht für Innovation, sie ist nur eine Bewertung des Bestehenden.“ Dass Leitlinien für die zahlreichen Implantologen in Deutschland dennoch maßgebend sind, betonte Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden auf dem Sommersymposium der DGI in Kassel nachdrücklich.



Vorgestellt wurden in Hessen acht dieser Leitlinien für die Implantologie, maßgeblich mitgestaltet von der DGI. Was die nach einem demokratischen Einladungsprinzip zusammengestellten Leitliniengruppen bislang konsentiert hatten, wurde von den Referenten vorgestellt – allesamt sind diese auch Mitglieder der Leitliniengruppen. Leitlinien beschreiben einen Korridor möglicher Therapieentscheidungen, in dem Zahnärzte sich sicher bewegen können. Die Definition dieses Korridors besteht aus konsentiertem weltweitem Wissen, das in Studien nachgewiesen wurde. Ist dieses Wissen noch unvollständig oder widersprüchlich, muss aber trotzdem eine Therapieentscheidung gefällt werden, greifen die Leitlinien auch auf die Erfahrungen und das Wissen aus der Praxis und nicht zuletzt auf die Wünsche und Vorstellungen der Patienten zurück.

Achtung: Leitlinien sind nicht justiziabel

Zum Einstieg warnte Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz vor einer juristischen Falle: Beim Scheitern einer Implantatversorgung seien Leitlinien nicht justiziabel. Grötz: „Allerdings stärken sie die Rolle der Implantologen: Es wird immer vorausgesetzt, dass es in der Hand des Behandlers liegt, was zu tun ist.“

Zahnärzte dürfen also, vor allem bei begründeten Patientenfällen, von einer Leitlinie abweichen. Derzeit sei es bei gerichtlichen Verfahren gesetzt, bei jedem Fall immer einen Sachverständigen zu Rate zu ziehen.
Dr. Jaana-Sophia Kern, Implantologin von der Universität Aachen und Mitglied der Leitlinienkommission zur implantatprothetischen Versorgung des zahnlosen Oberkiefers, stellte dar, dass gerade beim zahnlosen Oberkiefer eine umfassende Planung im Sinne des Backward Planning erfolgen sollte. Dazu biete sich eine vorhandene Prothese oder eine laborgefertigte Zahnaufstellung an.

Weiteren Empfehlungen

Die weiteren Empfehlungen: Weniger als vier Implantate sollten im zahnlosen OK nicht geplant werden; vier Implantate sollten herausnehmbar versorgt werden, da aufgrund fehlender Langzeitdaten derzeit keine Empfehlung für festsitzende Versorgungen gegeben werden kann; fünf, sechs und auch mehr Implantate dagegen können herausnehmbar oder festsitzend versorgt werden. Für mehr als sechs Implantate gilt zudem: Falls festsitzend versorgt wird, können ein- oder mehrteilige Restaurationen verwendet werden, die verschraubt oder zementiert werden können.

Zudem sollte eine gleichmäßige anterior-posteriore Implantatverteilung im Sinne eines möglichst großen Unterstützungspolygons im Bereich des Zahnersatzes angestrebt werden. Bei aufwendiger, insbesondere festsitzendender Suprakonstruktion wird empfohlen, vor der definitiven Versorgung eine provisorische der gleichen Art einzugliedern.

Klinische Dokumentationen fehlen für die KEM

Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas stellte die Indikationen für die Verwendung von Knochenersatzmaterial vor – und räumte ein, dass klare Hinweise für die Handhabung in der Praxis aus der Literatur nur schwierig zu erstellen seien. Zwar seien aufgrund der Vielzahl der verfügbaren Materialien Analogschlüsse auf der Basis verfügbarer Daten und bekannter Eigenschaften denkbar. Um klarere Aussagen treffen zu können, sei aber grundsätzlich eine klinische Dokumentation eines KEM zu fordern und dem Anwender zur Verfügung zu stellen. Bei der crestalen Augmentation sei ein Gewinn an Dimension zu verzeichnen: lateral 3,6 bis 5,6 mm nach sechs Monaten, vertikal zwischen 2,0 und 5,6 mm im gleichen Zeitraum. Beim Implantatüberleben (simultan oder verzögert inseriert) zeigten sich Erfolgsraten nach 64 Monaten zwischen 67 und 100 Prozent. Der crestale Knochenverlust betrug zwischen 0,3 und 1,9 mm nach 6 bis 12 Monaten. Allerdings kam hier überwiegend zweidimensionale Röntgendiagnostik zum Einsatz, was eine eingeschränkte Aussagekraft bedeutet.

Lokale Infekte und Pathologien

Lokale Infekte und Pathologien gelten ebenso wie kritische Durchblutungsverhältnisse als Risikofaktoren. Beim horizontalen Defekt (Dehiszenz-Typ) ist die Augmentation mit unterschiedlichen Materialien bei simultaner oder zweizeitiger Insertion gut beschrieben. Die Stabilisierung des Augmentationsvolumens durch Membranninsatz ist ebenso als sinnvoll beschrieben. Bei einwandigen Defekten ist eine Rekonstruktion allein mit KEM nicht aussagekräftig belegt. Als verlässliche Prozedur gilt ein autogener Knochenblock. Mit zunehmender Defektgröße wird ein zweizeitiges Vorgehen favorisiert. Die Wertigkeit von KEM bei vertikalen Alveolarkammdefekten ist nur unzureichend dokumentiert, wie Al-Nawas betonte. Der Grund: Es sind höhere Komplikationsraten als bei horizontalen Defekten zu verzeichnen.

Beim Sinuslift (intern und extern) kann autogener Knochen oder KEM verwendet werden – beides zeigte keine Unterschiede in den Erfolgsraten. Der individuelle Einsatz der Augmentationstechnik sollte vor allem von der Wertigkeit des vorhandenen crestalen Knochens abhängig gemacht werden.

Keine Leitlinie für die 3D-Röntgendiagnostik

Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang erläuterte zunächst, dass eine Leitlinie zu den Indikationen für eine implantologische 3D-Röntgendiagnostik und eine navigationsgesteuerte Implantologie nicht zustande gekommen sei: Die vorliegende Literatur habe dies nicht zugelassen. Erstellt wurde daher eine S2k-DGI-Leitlinie, in der die 3D-Röntgendiagnostik zur Unterstützung minimalinvasiver Techniken der Insertion bei Patienten mit besonderen Risiken (z. B. erhöhte Blutungsneigung), nach komplexen Kieferrekonstruktionen, bei schwierigen prothetischen Zielsetzungen und bei besonderen Konzepten (zum Beispiel Sofortversorgung mit präfabriziertem Zahnersatz) empfohlen wird.

Implantate bei Diabetes mellitus

Zudem stellte Wiltfang die Aussagen des Gremiums über Implantate bei Diabetes mellitus vor. Die steigende Prävalenz des Diabetes und die Verbreitung der Implantologie sorgen für eine entsprechend gestiegene Nachfrage. Dabei zeigte sich, dass Patienten mit schlecht eingestelltem Diabetes eine geringere Stabilität der Implantate in den ersten zwei bis sechs Wochen zeigen. In den folgenden Wochen dagegen erreicht die Stabilität wieder die Baseline – bei den schlecht eingestellten Patienten allerdings deutlich verlangsamt. Die Stabilität der Implantate ein Jahr nach der Insertion zeige keine Unterschiede in den Patientengruppen.
periimplantäre Infektionen

Die Leitlinienarbeit zu periimplantären Infektionen am Zahnimplantat stellte DGI-Präsident Prof. Dr. Frank Schwarz vor. Dabei hob Schwarz heraus, dass auch unter Kostengesichtspunkten die Prävention einer Periimplantitis durch eine frühzeitige Therapie der periimplantären Mukositis deutlich sinnvoller und damit auch angeraten sei. Bei der nichtchirurgischen Therapie der Mukositis biete sich die regelmäßige professionelle mechanische Plaqueentfernung an, kombiniert mit einer Optimierung der häuslichen Mundhygiene. Die Verwendung adjuvanter Maßnahmen (Mundspüllösungen, lokale Antibiotika) verbessere den Outcome nicht. Da die Mukositis nicht bei allen Patienten vollständig abheilbar ist, sollten regelmäßige Nachkontrollen (z. B. alle drei Monate) durchgeführt werden. Vor Therapiebeginn sollten systemische und lokale Risikofaktoren identifiziert werden. Außerdem sollten weitere Faktoren (fehlerhafter Sitz, mangelnde Präzision von Sekundärteilen, Fehlpositionierungen etc.) berücksichtigt werden.

Bei der nichtchirurgischen Periimplantitistherapie allerdings sollten adjuvante oder alternative Maßnahmen ergriffen werden. Eine Evidenz liegt dazu vor für Er:YAG-Laser, glycingestützte Air-Polishings und lokale Antibiotika sowie für CHX-Chips und die antimikrobielle Photodynamische Therapie.

Teil 2 folgt im nächsten Heft.