Der beste Zeitpunkt des Zähneputzens nach dem Essen?

Zahnschmelzerosionen: Zahlt sich warten aus?

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich vor einigen Jahren unter Zahnmedizinern, Journalisten und Patienten die Empfehlung, nach dem Essen 30 Minuten mit dem Zähneputzen zu warten. So könnten Erosionen des Zahnschmelzes verhindert werden. Doch so schnell, wie die Empfehlung in Umlauf kam, so hartnäckig hält sie sich.


Warten oder Zähneputzen, auch unter Medizinern herrscht Unsicherheit

Warten – oder besser doch nicht? Auch unter Zahnmedizinern herrscht darüber Uneinigkeit. © Uzfoto/fotolia


Auch heute sind sich Zahnmediziner teilweise noch darüber uneinig, inwieweit der Zeitpunkt der Zahnreinigung nach stark sauren oder zuckerhaltigen Essen Einfluss auf die Entstehung von Erosionen des Zahnschmelzes hat und was sie ihren Patienten raten sollen. Dazu sagt Prof. Dr. Carolina Ganß von der Justus-Liebig-Universität in Gießen: „Die Grundlage der Empfehlung bilden Untersuchungen, die im Labor durchgeführt wurden.“

In diesen Versuchen mit Zahnproben, die Säuren ausgesetzt wurden, konnte festgestellt werden, dass der Zahnschmelz messbar an Härte verlor. Als man die Proben anschließend mit einer Zahnbürste reinigte, kam es durch die mechanische Einwirkung der Putzbewegung zu einem Abtrag des Zahnschmelzes. Daraus wurde die Empfehlung abgeleitet, nach dem Verzehr von säurehaltigen Speisen mit dem Putzen zu warten, „… und das hat sich dann wie ein Lauffeuer herumgesprochen“, erzählt Ganß.

Proteine hemmen Reminalisierung

Die Empfehlung beruhe also auf Laborbeobachtungen, aus denen Schlüsse für den Alltag gezogen wurden; und darin liege das Problem. „Bei den genannten Laborexperimenten wurde kein echter, sondern künstlicher Speichel verwendet, nämlich eine übersättigte Calcium-Phosphat-Lösung, bei deren Verwendung innerhalb einer halben Stunde ein deutlicher Mineralienniederschlag auf den Zähnen zu beobachten war.“

In „echtem“ Speichel werde dieser Niederschlag durch Proteine (beispielsweise Statherine, Cystatine, Albumine) gehemmt, der Effekt der Remineralisierung sei so im „echten Leben“ nicht in dem Maße zu beobachten wie im Labor.

Kein Nachweis in epidemiologischen Studien

Fakt ist: Bislang konnte keine epidemiologische Studie einen Zusammenhang zwischen dem Putzverhalten der Patienten und Erosionen feststellen. Welche Prädispositionen konkret für die Anfälligkeit für Erosionen verantwortlich sind, darüber hat die Forschung noch keine Erkenntnisse.

„Die einzige Einschränkung, die ich bezüglich der Empfehlung, nicht zu warten, machen würde, betrifft Patienten, die sich aufgrund von Essstörungen häufig erbrechen. Deren Zähne weisen infolge der regelmäßigen Einwirkung der Magensäure bereitshäufig Erosionen auf,“ so Ganß. Somit sei ihnen ein unmittelbar an das Essen anschließendes Putzen nicht zu empfehlen. Als Alternative könne hier aber beispielsweise eine Mundspüllösung verwendet werden.

Direkt putzen

So entschieden davon abraten möchte Dr. Karim El-Mahdy, Oberarzt an der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Ludwig-Maximilians-Universität in München, nicht.

„Ich bin der Meinung, dass es schon sinnvoll ist, nach dem Verzehr von säure- oder zuckerhaltiger Lebensmittel etwa 30 Minuten mit dem Putzen zu warten – oder wirklich direkt, also wenige Minuten nach dem Konsum entsprechender Lebensmittel, die Zähne zu bürsten.“ In diesem Fall habe die Säure noch nicht genug Zeit gehabt, um den Schmelz zu erweichen, eine erosionsbedingte Schädigung durch die Putzbewegung sei nicht zu erwarten.

Langwieriger Prozess

„Ich gebe diesen Rat zum Beispiel, wenn Gingivarezessionen vorliegen und der Säureeintrag das Dentin schädigen könnte.“ Vor allem Patienten mit einer hohen Keimzahl in der Mundhöhle und Menschen, die fluoridhaltige Pasten ablehnen, immerhin etwa fünf Prozent seiner Klienten, müssten darauf achten, ihren Zähnen eine Pause zur Remineraliserung zu geben.

Jedoch gelte seine Empfehlung zu warten nicht uneingeschränkt: „Man muss sich bewusst machen, dass es sich bei einer Erosion um einen viele Jahre andauernden, langwierigen Prozess handelt.“ Zudem ist für ihn die Entstehung erosiver Schäden nicht so sehr abhängig vom Zeitpunkt, sondern eher von der Art des Putzens – und davon, ob überhaupt geputzt werde. Die Säureeinwirkung sei nur ein „Mosaikteilchen“. In einer falschen Putztechnik und -frequenz liege die bedeutendere Ursache für mögliche Erosionsschäden.

Kinderzahnpflege

Besonders heikel sei die 30-Minuten-Empfehlung im Bezug auf die Mundgesundheitserziehung von (Klein-)Kindern. Frau Dr. Andrea Thumeyer, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH), gibt in diesem Zusammenhang zusätzlich zu bedenken: „Etwa 50 Prozent aller Kinder in Deutschland, haben Löcher in den Zähnen, wenn sie in die Schule kommen.“

Damit sei Karies nach wie vor die häufigste chronische Erkrankung von Kindern vor Schuleintritt. Die Ursache der frühkindlichen Karies sind in den meisten Fällen eine fehlende oder unzureichende Zahnpflege durch die Eltern und der häufige Konsum zuckerhaltiger Speisen und vor allem Getränke. Thumeyer: „Erosionen haben dagegen so gut wie keine Bedeutung für das Milchgebiss.“

Ernährungsweise

Zudem gelte es noch hervorzuheben, dass es in diesem Zusammenhang auch mehr Aufklärung in Bezug auf dem Missbrauch von Erfrischungsgetränken, aber auch hinsichtlich spezieller Ernährungsgewohnheiten brauche. Eigentlich sei jedem Menschen klar, dass Softdrinks und stark gesüßte Getränke und Speisen ungesund für Körper und Zähne sind.

„Vielen ist aber nicht so bewusst, dass das, was gesund für den Organismus ist, manchmal einer zahngesunden Ernährungsweise widersprechen kann“, sagt Ganß. Beispielsweise würden Menschen, die sich vegetarisch oder auch vegan ernähren, oft sehr viel Obst essen. „Ein übermäßiger Verzehr kann hier aber wegen der Fruchtsäuren zu erosionsbedingten Schäden an den Zähnen führen.“

Verwirrendes Element

„Für mich persönlich hat die 30-Minuten-Empfehlung lediglich ein weiteres ‚verwirrendes Element‘ in die Prophylaxe gebracht“, so Ganß. Denn sie werfe viele Fragen für den Patienten auf: Was ist eigentlich als besonders sauer einzustufen? Was ist besonders zuckerhaltig? Wie lange kann ich mit dem Putzen warten? Wie lange muss ich warten?

Ganß empfiehlt daher: „Am besten ist es, sich einfach an die Regularien zu halten, die schon seit Jahrzehnten propagiert werden: Grundsätzlich nicht traumatisch putzen und zweimal täglich Fluorid auf die Zähne zu bringen.“

Sie betont aber auch: „Nichts ersetzt die individuelle Beratung durch einen Zahnarzt, der seinen Patienten von Fall zu Fall persönliche Empfehlungen mit auf den Weg geben sollte.“