Biokiefer: Was kann die Software?
Nicht nur Inlays, Onlays, Kronen, Veneers und Brücken können mit der biogenerischen Kauflächengestaltung rekonstruiert werden, sondern ganze Zahngruppen. „Biokiefer“ heißt die Erweiterung des biogenerischen Prinzips. Auf der Basis des Intraoralscans berechnet diese neue Applikation in der CEREC Software 4.4 den gesamten Kieferverlauf. Ergebnis: Erstvorschläge, die zur Anatomie des Patienten passen. Wie das funktioniert, erklärt Dr. Andreas Ender im Interview.
Herr Dr. Ender, läutet der neue Biokiefer-Algorithmus das Ende der „Zahndatenbanken“ ein?
Ender: Vielleicht noch nicht heute, aber ich halte Biokiefer für die Zukunft. Die Software analysiert den Scan und errechnet Restaurationsvorschläge.
Das hat das biogenerische Zahnmodell auch getan, was ist neu?
Ender: Die Erweiterung des biogenerischen Prinzips. Mit Biokiefer lassen sich nicht nur der einzelne Zahn, sondern ganze Zahngruppen inklusive Zahnstellung und Zahnmorphologie individuell wieder herstellen.
Von wie vielen Zähnen sprechen wir da?
Ender: Vom gesamten Kiefer, selbst wenn kaum Zähne vorhanden sind. Man braucht nur das Modell des Patienten, die Formel dahinter analysiert die Stellung der noch vorhandenen Zähne respektive der Kieferform des Patienten und errechnet daraus die Position der fehlenden Zähne. Wie man vorab die digitalen Daten generiert – per Intraoralscan oder über den Modellscan –, ist egal.
Wie exakt funktioniert die Formel?
Ender: Biokiefer basiert auf dem biogenerischen Zahnmodell, das für den einzelnen Zahn eine mathematische Formel finden möchte, um die optimale Wiederherstellung zu generieren. Die natür‧lichen Zahnoberflächen werden dazu dreidimensional gescannt, die Daten gespeichert und die unterschiedlichen Merkmale wie Höckerspitzen, Fissuren, Randleisten, Höckerabhänge, aber auch ganze Flächenareale, miteinander verglichen. Die hohe Datenmenge der Scans erlaubt eine sehr detaillierte Analyse auch feinster Oberflächenstrukturen.
Das klingt kompliziert …
Ender: Ist es aber gar nicht. Man kann einen Großteil der in der Natur vorkommenden Kauflächen für jeden Zahntyp durch wenige Parameter oder Merkmale beschreiben und erhält so eine effektive Datenreduktion, ähnlich wie das bei den Millionen von Farben der Fall ist, die durch die drei Grundfarben rot, grün und blau charakterisiert werden können.
Biogenerische Kauflächen sind demnach einfach eine Beschreibung der Kauflächen?
Ender: Ja, genauer eine Beschreibung von natürlichen Okklusionsmorphologien, die aus der Analyse von Tausenden von intakten Zahnoberflächen gewonnen wurde. Im weitläufigen Sinne stellt das biogenerische Zahnmodell eine Art Formel dar, die die Kauflächen, aber auch die gesamte Gebisssituation eines Individuums beschreibt. Bei der Rekonstruk‧tion kann man sich dann das Wissen über diese Formel verfügbar machen und daraus eine für die individuelle Situation gut passende Rekonstruktion berechnen. Dies kann zum Beispiel bei Inlays, Onlays und Veneers, aber auch bei Kronen und Brücken zum Einsatz kommen. Ohne die Biokiefer-Anwendung konnte sich das System nur an den Nachbarzähnen orientieren. Wenn aber Nachbarzahnstrukturen oder die Zahnhartsubstanz extrem zerstört ist wie in meinen beiden Fallbeispielen (CEREC-Fall: Abb. 1 bis 8, Inlab-Fall: Abb. 9 bis 12), braucht es eine Erweiterung.
Und da kommt Biokiefer ins Spiel?
Ender: Korrekt, denn Biokiefer kann über die Zuordnung der Zähne diese Nachbarschaftsstrukturen wieder herstellen. Und das war vorher nicht möglich.
Was sind die Vorteile?
Ender: Man spart vor allem Zeit, bis zu 50 Prozent – und das auf Anhieb! Diese Zeit musste bislang zum Beispiel für das Anpassen der Restauration einkalkuliert werden. Der Biokiefer liefert dagegen für alle Restaurationen vollautomatisch Vorschläge. Nur kleinere Anpassungen sind nötig, das war’s. Ganz deutlich zeigt sich dies beim inlab-Fall, Abbildungen 9 bis 11.
Ist das denn dann auch ein Konzept für Totalprothesen? Also für den wirklich zahnlosen Kiefer.
Ender: Ja, man müsste manuell natürlich noch gewisse Referenzpunkte setzen. Man braucht einen Startpunkt, quasi einen Nullpunkt, für das biogenerische Zahnmodell.
Bitte konkretisieren Sie das.
Ender: Man geht im Grunde vor wie der Zahntechniker bei der Modellerstellung: Es wird eine Mittellinie oder Okklusalebene festgelegt, damit das Modell dann die Zahnaufstellung darauf automatisiert durchführen kann. Konstruiert man also eine Totalprothese auf Implantaten, so lässt sich das mit dem Biokiefer bereits heute realisieren.
Seit wann setzten Sie die Biokiefer-Anwendung in Ihrer Klinik ein?
Ender: Wir testen seit Dezember letzten Jahres und haben rund 100 Fälle durchgeführt. Sirona hat die Biokiefer-Anwendung in die kommende CEREC-Software integriert, die seit September auf dem Markt ist. Ab Herbst ist die inLab-Software für das zahntechnische Labor erhältlich.
Welche Tücken hat das biogenerische Konstruieren?
Ender: Eigentlich keine, Misserfolge können nur im Zusammenhang mit der Datenqualität der Präparationsaufnahme bzw. der Aufnahme der umgebenden Zähne oder Antagonisten auftreten. Aufgrund der hohen Automatisierung müssen Nachbarzahnstrukturen, Präparationsgrenzen gut erkennbar sein.
Worauf muss man besonders achten?
Ender: Auf eine ausreichende Minimalschichtstärke für die Restauration. Wie bei einem Modell für das zahntechnische Labor ist es also auch hier wichtig, Präparationsrichtlinien exakt einzuhalten und bei der intraoralen optischen Aufnahme die Präparationsumgebung ausreichend – mindestens die nächsten Nachbarzähne – mit einzubeziehen. Wenn trotzdem mal ein nicht so guter Restaurationsvorschlag entsteht, kann man immer noch mit wenigen interaktiven Tools die Morphologie verbessern. Von einem Misserfolg im medizinischen Sinne kann man hier also nicht sprechen.
Hat die automatische Kauflächengestaltung auch in der implantatprothetischen Versorgung des ganzen Kiefers Chancen?
Ender: Diese Frage kann man eindeutig mit „ja“ beantworten. Das Verfahren funktioniert im Fall kleinerer Einheiten schon heute sehr gut. Mit dem Biokiefer wird es auch bei umfassenden Suprakonstruktionen und wie oben erwähnt beim zahnlosen Kiefer realisierbar. Bei Implantaten gibt es aber natürlich eine Reihe spezifischer Eigenheiten, wie zum Beispiel das Emergenzprofil oder die Größe der Suprakonstruktion, die sich deutlich von den natürlichen Zähnen unterscheiden können und damit einer gesonderten Betrachtung zugeführt werden müssen. Diese Probleme lassen sich jedoch mit vertretbarem Aufwand in naher Zukunft lösen. Ein vollautomatischer Vorschlag wird dann auch für die umfassende Implantatprothetik möglich sein. Bei großen Fällen führt das zu einer Zeitersparnis und man hat mehr Möglichkeiten bezüglich der Aufstellung der Zähne. Das System nimmt einem viel an manueller Arbeit ab. Diese Zeit kann man dann in das Individualisieren der Restauration investieren.
Ihr Fazit?
Ender: Biokiefer erleichtert sowohl dem Zahnarzt als auch dem Zahntechniker den Praxisalltag. Und: Der Zahnarzt kann wählen, ob er die Daten ans Labor schickt oder in seiner Praxis weiterverarbeitet.
Dr. Andreas Ender
Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie, Schwerpunkt: CAD/CAM-Technologien, speziell das CEREC-System, Studentenausbildung CAD/CAM
andreas.ender@zzm.uzh.ch