Nicht zu viel exkavieren
Pulpanah exkavieren ohne Überpräparation – das schafft ein Rosenbohrer aus Polymer. Nach dem Entfernen des weichen, kariösen Dentins stumpft er auf hartem, gesundem Dentin automatisch ab. Das Instrument limitiert sich somit quasi selbst und hilft die pulpanahe Dentinschicht zu erhalten.
Die Grenze zwischen irreversibel geschädigtem Dentin und infiziertem, aber remineralisierbarem Dentin zu erkennen – das ist die Crux beim Exkavieren. Exakte Richtlinien für den Praktiker fehlen dazu nach wie vor. Das Thema steht im Mittelpunkt der Forschung etlicher Studiengruppen.
Was ist zu wenig, was ist zu viel?, lautet die zentrale Frage. Das „Zuviel“ ist meines Erachtens geklärt: Wer noch immer die klirrende Sonde am Kavitätenboden als Test einsetzt – wie es meine Generation im Studium noch gelernt hat –, hat definitiv überexkaviert. Die Grenze ist bereits vorher im bakterienarmen Bereich (affected layer) zu suchen.
Exkavation pulpanah
Für uns Praktiker heißt das, die Exkavation pulpanah im noch „ritzbaren“ Dentin zu beenden, um unnötige Pulpaeröffnungen zu vermeiden. Eine solche Vorgabe sorgt im Praxisalltag zunächst einmal für Unsicherheit. Bei einer Fortbildungsveranstaltung der Bayrischen Landesarbeitsgemeinschaft Zahngesundheit e. V. (LAGZ) im September vergangenen Jahres empfahl uns Prof. Dr. Norbert Krämer, den P1 (PolyBur, Komet Dental) zur schonenden Kariesentfernung bei Milchzähnen einzusetzen.
Begründung: Damit erhalte man im Durchschnitt 0,7 mm mehr Dentin als mit herkömmlichen Hartmetallinstrumenten, erklärte er damals. Ich setze den P1 seitdem bei der Caries-profunda-Therapie ein, also in Situationen, in denen das Röntgenbild zeigt, dass die Karies pulpanah fortgeschritten ist. Grundvoraussetzung ist ein ansonsten absolut symptomloser, beschwerdefreier Milchzahn bzw. Zahn, damit eine irreversible Pulpitis von vornherein ausgeschlossen werden kann. Zuerst entferne ich mit dem Rosenbohrer H1SEM (Komet Dental) die Hauptmenge des kariösen Dentins und arbeite mich vorsichtig vor. Es folgen die Randbezirke: Da richte ich mich nach dem „alten Prinzip“: Schmelz präparieren, finieren und dann eine saubere Schmelz-Dentin-Grenze schaffen. Dabei achte ich auf ein hartes Ergebnis. Erst ganz zum Schluss greife ich zum P1 und fahre mit gleichbleibend leichtem Druck über den pulpanahen Kavitätenboden. Erfolgsentscheidend ist der anschließende dichte Verschluss mit Adhäsivtechnik.
Behandlung von Kindern
Für die Behandlung von Kindern gelten eigene Gesetzmäßigkeiten: Milchzähne besitzen eine größere Pulpa, die Gefahr einer Eröffnung ist also noch größer als in der Erwachsenentherapie. Dazu kommt: Kinder sind meist unruhig und ungeduldig. Dass auch Milchzähne grundsätzlich zur Reizdentinbildung in der Lage sind, ist hinlänglich bekannt.
Bei Kindern empfinde ich den PolyBur P1 besonders hilfreich, da ein vorsichtiges Vorarbeiten mit einem scharfen Rosenbohrer in solchen Fällen sehr schwer umsetzbar ist. Bei dem P1 bin ich dagegen immer auf der sicheren Seite, denn ich möchte die Pulpa keinesfalls eröffnen. Sollte es trotzdem einmal passieren, war es ohnehin nicht zu vermeiden.
Resümee
Ich habe den P1 unproblematisch in mein Behandlungskonzept eingeführt. Es ist ein gutes Gefühl, beim Exkavieren ein Instrument in der Hand zu halten, das selbst entscheidet, „wann Schluss ist“. Das gibt mir Sicherheit. Natürlich gehört ein gewisser Mut dazu, etwas Karies in der Kavität zu belassen. Man muss sich auch daran gewöhnen, den röntgenologischen Schatten unter der Füllung zu akzeptieren.
Doch was nach Einführung des P1 (zur IDS 2011) noch als revolutionär und nahezu undenkbar betrachtet wurde, ist heute in der Praxis angekommen. Und so wird auch der röntgenologische Schatten unter der Füllung nicht mehr skeptisch betrachtet. Fakt ist: Er bedeutet keine Sekundärkaries und bedarf keiner Revision, sondern muss neu interpretiert werden. Wer behauptet, der P1 als zusätzliches Instrument koste Zeit und Geld, dem möchte ich entgegnen: Man tut sich und dem Patienten nur Gutes und vermeidet im konkreten Fall womöglich einen endodontischen Folgeeingriff.
Dr. Carolin Aschenbrenner
studierte Zahnmedizin in München und ist seit 1994 niedergelassen in Gemeinschaftspraxis mit Dr. Thomas Aschenbrenner in Altomünster in Oberbayern.
dres.aschenbrenner@gmx.de
Statement von Prof. Karl-Heinz Kunzelmann, Uniklinik München: „Selbstlimitierende Kariesexkavation“
Wie weit man exkavieren muss, bevor man einen kariösen Defekt mit einer passenden Restauration versorgen kann, wird bis heute kontrovers diskutiert. Die praktikabelste Lösung bei weicher, pulpanaher Karies sind Spezialbohrer, meint Prof. Dr. Karl-Heinz Kunzelmann, der zusammen mit Komet Dental den PolyBur P1 entwickelt hat.
Bis heute gibt es kein objektives Kriterium, wie weit man exkavieren muss, bevor man einen kariösen Defekt mit einer passenden Restauration versorgen kann. Der Trend unter Kariesforschern geht eindeutig hin zu mehr Substanzschonung. Von den zahlreichen möglichen Ansätzen, wie etwa Enzymlösungen, Carisolv oder drehmomentlimitierte Bohrer, sind PolyBur P1 und FACE derzeit die besten Lösungen für die Praxis. Der Polymer-Bohrer P1 (Komet Dental) entfernt nur minimal mehr Substanz als proteolytische Enzyme, die spezifisch denaturiertes Kollagen eliminieren. Er ist somit deutlich schonender als herkömmliche Rosenbohrer. Der wichtigste Aspekt ist aber, dass er aufgrund seiner Härte selbstlimitierend arbeitet. Wie viel Dentin entfernt wird, entscheidet damit nicht der Zahnarzt allein.
Der PolyBur soll herkömmliche Instrumente nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen. Das heißt: Der Zugang zur Kavität wird wie gewohnt mit rotierenden oder oszillierenden Instrumenten hergestellt. In den peripheren Anteilen der Kavität kann Dentin mit herkömmlichen Rosenbohrern entfernt werden. Wenn sich der Puls des Behandlers dann „beim Gedanken an eine Eröffnung des Nervs beschleunigt“, ist der Griff zum PolyBur richtig. Seine klassische Indikation lautet: die weiche, pulpanahe Karies bei klinisch symptomlosen Milch- und bleibenden Zähnen. Dunkel verfärbtes Dentin, hartes remineralisierbares Dentin oder Karies entlang der Schmelz-Dentin-Grenze hingegen sind Kontraindikationen für den Polymerbohrer.
Hier kann man von ihm keinen nennenswerten Materialabtrag erwarten, und es muss mit konventionellen Instrumenten exkaviert werden. Bei den ersten Versuchen kann es sein, dass mehr als ein Instrument erforderlich ist, bis man sich sicher fühlt, genug Dentin abgetragen zu haben. Mit etwas Routine reicht dann in der Regel ein Instrument pro Kavität aus. Gewöhnungsbedürftig wird die Bewertung des Ergebnisses sein. Die Dentinoberfläche wird nicht so hart sein, dass die Sonde klirrt. Die Endhärte liegt bei etwa 60 Prozent der Härte von kariesfreiem Dentin.
Es kann auch vorkommen, dass die Oberfläche nicht so glatt erscheint wie beim Exkavieren mit Hartmetallinstrumenten. Das ist nicht weiter problematisch, solange die Kavitätenränder sauber sind und einen dichten Verschluss mit Adhäsivrestaurationen ermöglichen. Nach „total etch“ oder nach Anwendung eines selbstätzenden Dentinadhäsivs unterscheidet sich die Oberfläche nicht mehr von einer klassischen Exkavation. Ohne Adhäsivtechnik würde ich den PolyBur nicht anwenden, da der dichte Verschluss der Kavität eine wichtige Voraussetzung aller substanzschonenden Exkavationsverfahren ist.
Die Effizienz des PolyBur kann durch die Kombination mit Carisolv (www.carisolvsystem.com/en) gesteigert werden. Der Grund: Das Natriumhypochlorit löst denaturiertes Kollagen auf und erleichtert so den Materialabtrag. Gleichzeitig desinfiziert Carisolv die Kavität. Zusammenfassend kann man sagen: Nach wie vor ist die eigene Pulpa die beste „Wurzelbehandlung“. Der Aufwand für die Anwendung des PolyBur ist sehr gering, der Gewinn für den Patienten enorm. Natürlich kann es sein, dass auch bei Anwendung des PolyBur der Nerv eröffnet wird. Dann war es aber aufgrund der geringen Härte des Instruments nicht zu vermeiden.
Prof. Karl-Heinz Kunzelmann, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Universität München.