CAD/CAM

Digitale Abformung versus konventionelle Abformung

Die puderfreie digitale Abformung mit originaler Farbdarstellung ist en vogue. Diese Scanner erobern den Markt, sorgen für mehr Patientenkomfort und effizientere Prozesse. Und: Zahnärzte favorisieren offene Systeme ohne weitere Zusatzkosten. Ein Gespräch mit Ulf Glahn.


Foto: Böll


Technisch betrachtet ist die digitale Abformung heute präziser als die präziseste herkömmliche Abformung. Das belegen etliche Studien. Was konkret sind die Vorteile?

Glahn: Intraorale Scanner arbeiten mit hochpräzisen Kameras bei der Erfassung der Abformdaten. Von großem Vorteil ist ebenfalls die stark vergrößerte Darstellung der Situation auf dem Bildschirm, die dem Behandler eine direkte Begutachtung seiner Abformung und eventuell mögliche Korrekturen erlaubt. Das ist die eine Seite als Basis für den gesamten digitalen Fertigungsprozess der Restauration. Für die Qualität des Endergebnisses ist natürlich die Funktionalität und Präzision des gesamten Prozesses notwendig. Da überzeugt offensichtlich die Genauigkeit der Schleif- beziehungsweise Fräsergebnisse im Vergleich zur herkömmlichen Vorgehensweise. Ich halte aber vor allem die Flexibilität im Prozess der digitalen Abformung für den entscheidenden Vorteil – gerade aus Sicht des Zahnarztes:

Der Anwender hat die volle Kontrolle, da er den Abdruck direkt beurteilen kann. Wenn Ungenauigkeiten in der digitalen Abformung auftreten, kann er sofort korrigieren und einzelne Bereiche löschen und neu scannen. Die Möglichkeit der effizienten Prozessgestaltung sorgt zudem für einen hoch wirtschaft‧lichen Einsatz der Geräte, ohne dass die eigentliche Behandlung oder das Patientengespräch verkürzt werden muss. Je nach Situation in der Praxis können der Abdruck und viele andere Arbeitsschritte delegiert werden. Auch die Kommunikation zwischen Zahnarztpraxis und Dentallabor – eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle – wird durch die Digitalisierung verbessert. Der Abdruck kann sicher und ohne Verzögerung oder Verlust über ein Portal an das Dentallabor gesendet werden, wo mit dem Datensatz sofort weiter gearbeitet werden kann.

Bitte nennen Sie die häufigsten Ungenauigkeiten in der konventionellen Abformung.

Glahn: Typische Ungenauigkeiten ergeben sich beispielsweise durch Blasen oder Pressfahnen im Abdruck. Bei falschem Handling entstehen auch schnell verzogene Abdrücke. Weitere potenzielle Fehlerquellen sind die Lagerung und das Anmischen der Abdruckmasse. Grundsätzlich können auch konventionelle Abdrücke sehr präzise sein, aber nur wenn der gesamte Prozess ohne Fehler ist. Eine Möglichkeit zur Nachkorrektur besteht dabei nicht, der Abdruck muss im Zweifelsfall komplett wiederholt werden.

Wie lässt sich die Präzision des Scans messen? Welche Korrekturmöglichkeiten bestehen?

Glahn: Selbstverständlich gibt es von den Herstellern Genauigkeitsuntersuchungen, die die Präzision der intraoralen Scanner rein technisch belegen. Das ist die Basis für einen erfolgreichen Einsatz. Schlussendlich lautet die entscheidende Frage: Wie gut passt die fertige Restauration, wenn sie vom Labor in die Praxis geliefert und beim Patienten eingesetzt wird?

Dazu gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen unterschiedlicher Hersteller. Verglichen wurden identische Restaurationen, die parallel sowohl mit herkömmlicher Technik als auch digital hergestellt wurden. Ergebnis: Die Behandler entschieden sich deutlich häufiger für die digital gefertigte Restauration. Denn die Exaktheit des Scans als Basisdaten lässt sich sehr handfest am Ende der digitalen Kette feststellen, also an der fertigen Restauration. Die Qualität der Restauration hängt aber nicht nur mit dem digitalen Scan zusammen …

Sondern?

Glahn: Sondern sie ist immer Ergebnis des Zusammenspiels von Behandler, der für die optimale Vorbereitung des Arbeitsfelds sorgt, dem Scan an sich und der Fertigungseinheit. Korrekturen der Scans sind, wie schon erwähnt, direkt nach der Aufnahme möglich, da man sofort am PC das Resultat sieht, ausschneiden und nachscannen kann.

Welche Scanner machen in der ganz normalen Praxis wirklich Sinn? Kurz: Wie genau muss es sein?

Glahn: Auf diese Frage gibt es keine allgemein gültige Antwort, so wie es insgesamt bei der Praxisdigitalisierung keine Lösungen von der Stange gibt. Es kommt darauf an, wie die jeweilige Praxis ausgerichtet ist, welche Patientenstruktur angestrebt wird und welche Indikationen und Behandlungen überwiegen. Deshalb ist es auch für „ganz normale“ Praxen wichtig, im Entscheidungsprozess nicht zuerst auf die Produkte zu schauen, sondern auf das Konzept und die Vision der Praxis. Ich lege Wert auf das persönliche Gespräch, aus dem sich dann meist automatisch ergibt, welcher Intraoralscanner mit welchen Möglichkeiten der Richtige ist.

Stichwort Konditionierung: Das Pudern mögen weder Zahnärzte noch Patienten. Sind puderfreie Scanner, die z. B. auf Videotechnik basieren, die Alternative?

Glahn: Auch das kann man so pauschal nicht sagen. Scanner, bei denen mattiert werden muss, haben ihre Berechtigung, wenn man sich den Erfolg, aber auch die Weiterentwicklung etwa des CEREC-Systems ansieht. Denn am Ende zählt immer das Ergebnis, also die fertige Patientenarbeit. Es ist aber richtig, dass puderfreie Scanner sowohl für Patienten als auch für das Praxisteam angenehmer sind. Verschiedene Anbieter auf dem Markt haben solche Modelle im Programm, und ich erwarte, dass die Hersteller zukünftig noch stärker auf diese Technologien setzen werden.

Welchen Trend sehen Sie in diesem Zusammenhang? Was „reicht“ für die Allgemeinpraxis?

Glahn: Der Trend geht ganz klar in Richtung puderfreie digitale Abdrucknahme mit originaler Farbdarstellung. Auch gibt es eine deutliche Tendenz in Richtung offener Systeme ohne weitere Zusatzkosten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein puderfreies System aber noch nicht für jede Praxis die wirtschaftlich beste Wahl. Auch wenn ich mich wiederhole: Welches System für die eigene Zahnarztpraxis ausreichend ist, kann nur im Gespräch mit einem erfahrenen Spezialisten herausgefunden werden. Dabei geht es zunächst nicht um das eine oder das andere System, sondern um die Anforderungen der Praxis und die mittel- bis langfristigen Ziele des Praxisinhabers.

In welchen Fällen stößt die digitale Abformung klar an ihre Grenzen?

Glahn: Bei aller Präzision der Kameras können sie nur das abformen, was auch sichtbar ist. Sprich, die Technologie befreit nicht von den sorgfältigen Maßnahmen vor der Abformung. Wenn Präparationsanteile von Speichel, Blut oder Gingiva abgedeckt sind, können sie aktuell nur sehr schwer abgeformt werden. Der Behandler muss beim Sulcusmanagement − Doppelfadentechnik, Trockenlegung mit Hilfsmitteln wie Retraktionspasten − sehr präzise vorgehen. Auch bei der Weichgewebedarstellung, z. B. für Prothesen, stößt die digitale Abformung an ihre Grenzen. Klar gibt es bei der digitalen Abformung auch in anderen Bereichen ab und zu Schwierigkeiten, gerade wenn der Anwender noch nicht viel Übung hat. Deshalb legen wir bei Henry Schein sehr viel Wert auf ein vielfältiges Fortbildungsprogramm und gut ausgebildete CAD/CAM-Spezialisten, die individuelle Einführungen und Trainings anbieten. In unseren Veranstaltungen vermitteln wir Tipps und Tricks, mit denen die anfänglichen Probleme schnell gelöst werden können.

Ausblick: Zurzeit werden neue Techniken erprobt, unter anderem die Ultraschalltechnik. Wie stufen Sie die Entwicklung ein?

Glahn: Diese neuen Ansätze sehe ich sehr positiv, genau wie das schnelle Fortschreiten der technischen Entwicklung insgesamt. Schon jetzt erobern puderfreie Scanner den Markt und sorgen für mehr Patientenkomfort und effizientere Prozesse. Die Ultraschalltechnik ist eine interessante Möglichkeit, bei der der Vorteil speziell in der direkten Unterscheidung zwischen Weich- und Hartgewebe besteht. Da bin ich aber erst mal sehr gespannt auf die ersten Ergebnisse. Wie bei allen technischen Neuerungen in der dentalen Praxis ist auch dabei die einfache Bedienung ein wichtiger Erfolgsfaktor, ebenso das Preis-Leistungs-Verhältnis. Vor allem aber gilt: Das Ergebnis am Ende muss stimmen.

Ulf Glahn
ist Key Account Manager Labor und CAD/CAM Region Nord bei Henry Schein Dental Deutschland.
Kontakt: ulf.glahn@henryschein.de