Zahnpasta ohne Fluorid

Fluoride – Ja oder nein?

Die Verwendung von fluoridhaltiger Zahnpasta mit mindestens 1000 ppm Fluorid ist eine breitenwirksame und effektive kariespräventive Maßnahme, deren Wirksamkeit ab dem Schulalter nachgewiesen ist. Dennoch setzen Hersteller auch auf fluoridfreie Zahnpasten. Warum? Eine „Fluoriddiskussion“ schafft Klarheit: Dabei sind Dr. Jens-Martin Quasdorff, Geschäftsführer der Herstellerfirma Dr. Liebe, die die fluoridfreie „Ajona“ produziert und vertreibt, und die Kieferorthopäden Dres. Sanders, die sich für ein Doppel-Fluorid-System aus Amin- und Natriumfluorid stark machen.


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Fluorid ist nachweislich in der Kariesprophylaxe hochwirksam, die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) empfiehlt in ihrer Leitlinie vom April 2013 ausdrücklich fluoridhaltige Zahncremes. Mit welchen Argumenten können sich fluoridfreie Zahncremes dennoch behaupten?

Jens-Martin Quasdorff: Die Fluoridierung ist ein geeigneter Weg der Kariesprophylaxe, diese Ansicht vertreten auch wir. Aber es ist auch möglich, eine wirksame Prophylaxe ohne Fluorid zu erzielen.

Wie kann das funktionieren?

Jens-Martin Quasdorff: Ein Garant für die erfolgreiche Kariesprophylaxe ist die Kombination aus effizienter und schonender Reinigung, der Neutralisation des pH-Werts, der Verwendung antibakterieller Wirkstoffe und der Remineralisierung. Auch durch Mineralstoffe wie Calcium und Phosphat – die rein natür‧lichen Hauptbestandteile der Zahnhartsubstanz – kann die Remineralisierung erfolgen. Die dreimal tägliche Reinigung sollte natürlich durch eine professionelle Zahnreinigung unterstützt werden. Und: Wer sich ohne Fluorid erfolgreich vor Karies schützen möchte, muss seine Ernährungs- und Zahnpflegegewohnheiten überprüfen.

Welche klinischen Studien belegen die Wirksamkeit fluoridfreier Zahncremes?

Martin Sander: Wir halten die Fluoridbeigabe für sehr nützlich und wichtig. Damit halten wir uns auch an die wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse vieler Untersuchungen, die die protektive Wirkung bewiesen haben. Trotzdem halten wir es nicht für verkehrt, auch eine fluoridfreie Zahncreme anzubieten.

Potenziell giftiger Stoff Fluorid: Verunsicherte Patienten


Aber was ist mit der Wirksamkeit?

Martin Sander: Studien, die belegen, dass fluoridfreie Zahncremes die gleiche Wirksamkeit aufweisen wie fluoridhaltige, sind nicht bekannt. Aber: Mit Fluoriden werden nicht nur positive Eigenschaften verbunden. Die Meinungen zur Fluoridgabe bei Kindern sind in Deutschland zwischen der DGZMK und der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde (DGK) kontrovers. Während die DGZMK die Gabe von Fluoridtabletten ablehnt, möchte die DGK die Bevölkerung flächendeckend versorgen. Solche Uneinigkeiten zwischen Fachgruppen verunsichern den Patienten, besonders, wenn es sich um einen potenziell giftigen Stoff wie Fluorid handelt.

Warum giftig?

Martin Sander: Die systemische Wirkung von Fluoriden ist bis heute nicht klar – so kann Fluorid auf molekularer Ebene beispielsweise organschädigend wirken. Auch gibt es Untersuchungen, die die kognitive Entwicklung von Heranwachsenden durch hohe Fluoridgabe nachweisen. Dazu kommt: Ein gewisser Anteil der Bevölkerung will einer Zwangsmedikation ausweichen. Nutzen und potenzielles Risiko kann nur jeder für sich selbst entscheiden – auch für die Zahncreme gilt: Die Dosis macht das Gift.

Fluoridfreie Zahnpasten scheinen aber out zu sein? Zumindest hört man nicht mehr viel davon, wie kommt das?

Jens-Martin Quasdorff: Sicherlich spielen öffentliche Diskussionen, in denen sich in der Regel „pro Fluorid“ ausgesprochen wird, dabei eine Rolle – nicht zuletzt, da sie natürlich das Kaufverhalten der Verbraucher beeinflussen.

Dr. Liebes fluoridfreie Ajona behauptet sich seit mehr als 60 Jahren auf dem Markt, gehen die Absätze aktuell zurück?

Jens-Martin Quasdorff: Nein, ein Absatzrückgang ist nicht in Sicht. Unsere Strategie lautet: Wir folgen keinem Trend, sondern bleiben bei unserem Konzept. Von tendenziösen Diskussionen halten wir uns fern. Dr. Liebe setzt auf die zur gesamten Unternehmensphilosophie passende Strategie der Kontinuität. Wir sind überzeugt von unseren Produkten – ob mit oder ohne Fluorid – und fühlen uns durch die wachsende Zahl treuer Kunden und deren zahlreiche positive Meinungsäußerungen sowie die verschiedenen Untersuchungen und Studien in der Richtigkeit dieser Strategie bestätigt.

Fluoridfreie Zahnpasta Ajona


Dennoch fahren Sie in Ihrem Haus eine Doppelstrategie: Sie setzen auf die fluoridfreie Ajona und auf weitere fluoridhaltige Zahncremes? Warum?

Jens-Martin Quasdorff: Wir betrachten die Aufgabe einer effektiven Kariesprophylaxe ganzheitlich: Unser medizinisches Zahncreme-Konzentrat Ajona enthält als einzige der drei Zahncremes aus dem Hause Dr. Liebe kein Fluorid und beugt dennoch effektiv Karies vor. Ihre nachweislich antikariogene Wirkung bewährt sich seit mehr als 60 Jahren und beruht auf einem traditionellen historischen Prinzip, das auf die genannten vier Bausteine der Kariesprophylaxe baut. Neben Reinigung, Neutralisation des pH-Werts und Remineralisierung basiert dieser Effekt vor allem auf der antibakteriellen Wirkung des beinahe ausschließlich natürlichen Wirkstoffpakets. Untersuchungen haben ergeben, dass bereits nach sehr kurzer Zeit der allergrößte Teil der kariesauslösenden Bakterien unter Verwendung von Ajona beseitigt ist. Ein spezielles Doppel-Fluorid-System aus Amin- und Natriumfluorid enthalten unsere Kamillenblütenzahncreme Aminomed, die wir besonders bei gereiztem Zahnfleisch und empfindlichen Zähnen empfehlen, und die medizinische Spezialzahncreme Pearls & Dents. Beide Fluoride sorgen in ihrer speziellen Kombination für eine optimale Bioverfügbarkeit, sie wirken bestmöglich dort, wo sie benötigt werden. Die stark kariesprotektive Fluoridverbindung ist zudem in der Lage, kleine Kanäle zu schließen, und wirkt dadurch desensibilisierend. „Fluorid – ja oder nein?“ ist daher aus unserer Sicht nicht unbedingt die treffende Frage, wenn es um effektive Kariesprophylaxe geht. Dass wir mit unserem Sortiment beide „Glaubensrichtungen“ bedienen, entspricht unserer Überzeugung als fachlich anspruchsvoller Hersteller medizinischer Spezialzahncremes, dass nicht Fluorid allein über eine effektive Kariesprophylaxe entscheidet.

Stichwort Fluoriddosierung: Bei Pearls & Dents setzen Sie auf ein Doppel-Fluorid-System, warum?

Christian Sander: Die Zusammensetzung der beiden Fluoride basiert auf der Feststellung, dass deren Wirkung nicht nur von der vom Hersteller beigefügten Menge abhängig ist, sondern dass die biologisch verfügbare Fluoridkonzentration zählt.

Bitte konkretisieren Sie das.

Christian Sander: Die Universität Gießen hat dazu verschiedene Zahnpasten untersucht. Die Kombination aus Amin- und Natriumfluorid, selbst bei nicht maximal zugelassener Dosis in der Zahncreme, erzielte im Vergleichstest die höchste Bioverfügbarkeit an Fluoridkonzentration. Dabei ergab sich sogar eine höhere bioverfügbare Fluoridkonzentration als bei rein aminfluoridhaltigen Zahnpasten. Insofern halten wir die Kombination für sehr sinnvoll. Es ergibt sich in dieser Untersuchung die wertabsteigende Reihenfolge gemessen an Fluoridverfügbarkeit:

  • kombiniert amin- und natriumfluoridhaltig
  • ausschließlich aminfluoridhaltig
  • Kombination Natriummonofluor‧phos‧phat und Natriumfluorid

Zu beachten ist auch, dass Aminfluorid erheblich teurer als Natriumfluorid ist. Schon deswegen verzichten Hersteller trotz besseren Wissens auch aus ökonomischen Gründen auf dessen Beigabe. Aminfluorid ist zudem nicht in jedem Land als Inhaltsstoff für Zahnpasten zugelassen. Den aufwendigen und teuren Zulassungsprozess wollen weltweit agierende Firmen oft nicht eingehen.

Wiederholt schlechte Benotungen von Stiftung Warentest


Zurück zu den fluoridfreien Zahncremes. Verbrauchertests vergeben dafür gerne ein Mangelhaft. Wie wirkt sich das auf Ihre Geschäftsstrategie aus?

 Jens-Martin Quasdorff: Gar nicht. Ajona hat durch die Stiftung Warentest wiederholt schlechte Benotungen erhalten. Hauptbegründung ist stets, dass das medizinische Zahncreme-Konzentrat kein Fluorid enthält. Die Aufmerksamkeit, die Stiftung-Warentest-Urteile in der Regel generell erzielen, hat unserem Klassiker in der kleinen roten Tube eher einen Schub verpasst. Ajona erhält über all die Jahre regen Zuspruch von Verwendern, die die Wirkung des medizinischen Zahncremekonzentrats bestätigen. Wir haben eine sehr treue Verwenderschaft, die sich durch derlei Bewertungen eher darin bestärkt fühlt, sich aktiv für Ajona auszusprechen. An unserer Strategie hinsichtlich des Einsatzes von Fluorid in den Dr.-Liebe-Zahncremes werden solche Test‧ergebnisse nicht rütteln.

Welchen Stellenwert nehmen solche Verbrauchertests aus Ihrer Sicht ein?

Christian Sander: Die Meinung von Anwendern wird aus unserer Sicht vor allem für potenzielle Verbraucher – egal, ob Endverbraucher oder Geschäftskunden – immer wichtiger. Empfehlungsmarketing und Mundpropaganda genießen in Zeiten, in denen sich Konsumenten von Werbebotschaften zunehmend überflutet fühlen, besonders hohe Glaubwürdigkeit. Sie werden daher aus Marketingsicht kontinuierlich wichtiger.

Lehnen Sie die Tests ab?

Jens-Martin Quasdorff: Wir persönlich sehen viele der durchgeführten Tests äußerst kritisch. Denn die wichtigste Eigenschaft von Zahnpasten, nämlich die Verbesserung der Putzleistung bei möglichst geringer Steigerung der Abrasion, bleibt meist völlig unbeachtet. Daher stellt sich die Frage: Verunsichern nicht manche Verbrauchertests eher, als dass sie bei der Entscheidungsfindung unterstützen?

Inwiefern?

Jens-Martin Quasdorff: Alle uns bekannten Verbrauchertests fokussieren sich zum Teil auf Aspekte, die an Produkt oder Verbraucher vorbeigehen. Da gibt es Abzüge für die Umweltverträglichkeit wegen einer Umverpackung, aber keinen Bonus für Aluminiumtuben.

Dabei sind sie je nach Zusammensetzung des Produkts deutlich sinnvoller: Sie weisen sehr gute Barriereeigenschaften auf. Zum einen verhindern sie zum Beispiel den Austritt von wertvollen ätherischen Komponenten und zum anderen die Oxidation durch den Eintritt von Luftsauerstoff in die Tube. Durch die Oxidation kann sich die Sensorik eines Kosmetikums negativ verändern.

Dr. Jens-Martin Quasdorff
studierte Chemie in Bielefeld, arbeitet seit 2013 als Geschäftsführer der Dr. Rudolf Liebe Nachfolge GmbH & Co. KG und ist Vorsitzender des Vereins für Zahnhygiene e. V.

PD Dr. Christian Sander
studierte Zahnmedizin in Bonn und absolvierte seine Weiterbildung zum Kieferorthopäden in Ulm. Seit 2012 ist er niedergelassen in eigener Praxis in München-Allach.

PD Dr. Franz Martin Sander
ist Fachzahnarzt für Kieferorthopädie und niedergelassen in einer Praxisgemeinschaft in Frankfurt a. M. 2008 Habilitation und Lehrauftrag an der Universität Ulm.