Interview

Parodontologie ist besser als ihr Ruf

Die Parodontaltherapie ist besser als ihr Ruf. Diese Ansicht vertritt PD Dr. Stefan Fickl. Viele Kollegen hielten die parodontale Therapie für nur wenig vorhersagbar und verließen sich nur ungern auf parodontal vorgeschädigte Zähne, führt er im Gespräch mit dem DENTAL MAGAZIN an. Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) plädiere zwar seit Jahren für den Erhalt der eigenen Zähne, der Erfolg stelle sich aber nur langsam ein.


Sondierung des parodontologischen Defekts Fickl


Herr Dr. Fickl, könnten Zahnärzte mehr Zähne retten, als sie es tun?

Fickl: Definitiv. Ich denke, das Potenzial der parodontalen Therapie ist heute absolut gegeben. Wir können heute auch Zähne mit geringem Restattachement sehr vorhersagbar parodontal therapieren und auch langfristig erhalten. Dies gilt insbesondere bei Zähnen ohne prothetische Restaurationen. Das Problem stellt sich aber auch häufig ein, wenn Zähne prothetisch versorgt werden müssen. Dann sind sich die Kollegen noch unsicherer, ob ein parodontal vorgeschädigter Zahn wirklich auch als Brückenanker langfristig geeignet ist.

Und dann wird ein Zahn lieber extrahiert und die Lücke durch eine Brücke oder eine Prothese ersetzt?

Fickl: Ja, aber das hat natürlich auch mit der universitären Ausbildung zu tun. Die parodontologische Ausbildung an deutschen Universitäten ist extrem unterrepräsentiert. Trotz der verbesserten postgradualen Möglichkeiten zur Fortbildung in der Parodontologie werden natürlich prothetische oder restaurative Ansätze immer noch bevorzugt, insbesondere auch weil man dies von der Pike auf so gelernt hat.

Inwieweit werden auch vom Gesetzgeber und den Kostenträgern falsche Anreize gegeben?

Fickl: Genau das ist der Punkt. Ich verstehe jeden Kollegen sehr gut, der lieber einen fraglichen Zahn extrahiert und auf den „sicheren Zähnen“ eine Rekonstruk‧tion anfertigt. Viele Zähne, die wir heute erfolgreich parodontal behandeln könnten, dürften nach aktuell geltendem Krankenkassenrecht überhaupt nicht erhalten oder für parodontale Rekonstruktionen verwendet werden. Dies zeigt sich auch in einer eindrucksvollen Studie aus der Greifswalder Universität. Darin wurde das Restattachement von Zähnen bestimmt, bei denen Extraktionen aus parodontalen Gründen durchgeführt wurden. Diese Zähne hatten zwischen 50 und 70 % an gesundem parodontalem Halteapparat. Das sind Zähne, die wir heute sehr vorhersagbar mit den modernen parodontalen Therapien erhalten könnten!

Was könnte die parodontale Therapie denn heute leisten?

Fickl: Die Parodontologie hat sich – wie die anderen zahnmedizinischen Disziplinen – stark verbessert. Neben einem genaueren Verständnis der parodontalen Erkrankung an sich hat sich insbesondere die geschlossene, nichtchirurgische Therapie zu einer wichtigen Säule in der parodontalen Behandlung entwickelt.

Was kann denn die nichtchirurgische PA-Therapie leisten?

Fickl: Wir verfügen heute über deutlich atraumatischere Mittel zur Biofilm- und Konkremententfernung als früher, wie z. B. Schall- und Ultraschallscaler und Pulverwasserstrahlgeräte. Darüber hinaus können indikationsbezogen systemische Antibiotika gerade bei schweren chronischen und aggressiven Parodontitiden einen positiven Effekt haben.

Systemische Antibiotika haben nicht gerade ein positives Image …

Fickl: Das ist richtig, und daher sollten diese Medikamente wirklich indikationsbezogen nur bei ausgeprägten Schweregraden sowie nach genauer Diagnostik verwendet werden. Aber pauschal aufgrund von allgemeinmedizinischen Bedenken auf systemische Antibiotika zu verzichten halte ich für falsch, und dies sorgt auch dafür, dass das volle Potenzial der parodontalen Therapie nicht ausgeschöpft wird.

Aber das ästhetische Ergebnis kann häufig grenzwertig sein. Nimmt man das in Kauf?

Fickl: Die Diskussionen um die Ästhetik halte ich für tendenziös. Natürlich ist es wichtig, dem Patienten ein schönes Lächeln erhalten zu können, und dies erreichen wir auch mit unseren minimal‧invasiven parodontalen Therapien, z. B. der nichtchirurgischen Parodontaltherapie oder den minimalinvasiven chirurgischen Verfahren. Aber meine Erfahrung ist auch eine andere: Die allermeisten Patienten kommen zum Zahnarzt, weil sie ihre eigenen Zähne erhalten möchten, auch wenn der Preis dafür ein 1 mm freiliegender Zahnhals ist. Für mich ist auf der anderen Seite auch fraglich, ob mit prothetischen oder implantologischen Maßnahmen gerade beim PA-Patienten bessere ästhetische Ergebnisse erzielt werden können.

Muss es doch ein Implantat sein, worauf gilt es beim PA-Patienten zu achten?

Fickl: Jedenfalls nicht auf die schnelle Einheilung des Implantats, wie es uns häufig suggeriert wird!

Die schnelle Einheilung ist also sekundär, worauf kommt es primär an?

Fickl: Auf eine langfristig entzündungsfreie Osseointegration der Implantatfixtur. Natürlich heilen raue Implantatoberflächen schneller und vielleicht auch in einem leicht erhöhten Prozentsatz ein, aber eine raue Oberfläche ist im Fall einer Schleimhautrezession natürlich auch deutlich schneller von Bakterien und Mikroorganismen besiedelt. Dies leistet periimplantären Entzündungen Vorschub und sorgt für eine eingeschränkte Reinigungsfähigkeit durch den Patienten und die betreuende Dentalhygienikerin.

Ihre Konsequenz?

Fickl: Wer PA-Patienten mit Implantaten versorgt, muss sich im Vorfeld Gedanken über ein suffizientes Gewebsmanagement und über das adäquate Implantatsystem machen. Es muss aber auch sichergestellt werden, dass dem Patienten die Wichtigkeit einer engmaschigen Nachsorge klar ist. Ohne regelmäßige unterstützende Parodontaltherapie macht die implantologische Versorgung von PA-Patienten nur wenig Sinn.

Gibt es denn Implantatsysteme, die sich für PA-Patienten besser eignen?

Fickl: Das kann man pauschal so nicht sagen. Jedoch macht es für mich schon Sinn, sich über die Oberflächenrauigkeit des verwendeten Implantatsystems zu informieren. Auch ist für mich ein Hybriddesign gerade beim PA-Patienten von großem Vorteil. Bei einem Hybridsystem ist der koronale Anteil des Implantats nur maschiniert, d. h., er hat eine geringe Rauigkeit und ist daher im Fall einer Rezes‧sion deutlich einfacher zu reinigen.

 PD Dr. Stefan Fickl
Abteilung für Parodontologie und Implantologie an der Universitätsklinik Würzburg,Spezialist für Parodontologie, Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie
Kontakt: Fickl_S@ukw.de