Zahnerhaltung

Neue Studien: Karies stoppen ohne Bohren

Aktuelle Fünfjahresstudien belegen: Eine bis ins Dentin reichende Approximalkaries lässt sich ohne Bohren in den Griff bekommen. Kariesinfiltration heißt die Lösung. Ein lichthärtender Kunststoff, der in das Porensystem des vorbereiteten Zahnschmelzes dringt, soll die therapeutische Lücke zwischen Prophylaxe und Füllungstherapie schließen.



Für welche Patienten eignet sich die Kariesinfiltration besonders?

Schiffner: Vor allem für Jugendliche mit vollständigem Gebiss bis hin zu jungen Erwachsenen. Bei älteren Patienten liegen entweder bereits Füllungen vor – dann funktioniert die Infiltration nicht – oder die Approximalflächen sind intakt.

Wie lässt sich die Therapie in den Praxisalltag integrieren?

Schiffner: Gut, die Infiltration ist zwar nicht ganz banal, man muss das Vorgehen schon beherrschen. Das Wichtigste aber ist: Es braucht ein modernes Denken in puncto Karies. Im Fokus stehen folgende Fragen: Wie läuft der kariöse Prozess ab? Wo geht er los? Wie kann ich ihn stoppen? Der Zahnarzt muss die Röntgendiagnostik gut beherrschen, denn die frühe Approximalläsion sieht man in der Regel lediglich auf dem Röntgenbild und nicht mit bloßem Auge. Er muss in der Lage sein, standardisiert wiederholbare Röntgenaufnahmen zu erstellen, um den Erfolg langfristig kontrollieren zu können.

Wie steil ist die Lernkurve?

Schiffner: Die Infiltration funktioniert einfacher, als Füllungen zu legen, aber so simpel, wie eine Fluoridlackierung oder eine Fissurenversiegelung zu machen, ist es auch wieder nicht. Die Lernkurve liegt irgendwo dazwischen. Die Infiltration ist im Grunde einfach: Ich muss trockenlegen, also den Umgang mit Kofferdam beherrschen, und ich muss mir darüber im Klaren sein, dass für die Separierung der Zähne ein gewisser Druck erforderlich ist.

Eine gute Röntgendiagnostik ist also nötig. Lässt sich das nicht durch neue Techniken ersetzen?

Schiffner: Das wissen wir noch nicht. Es muss standardisiert im gleichen Strahlungswinkel untersucht werden. Darüber hinaus muss sich die Diagnostik speichern lassen. Das wäre zum Beispiel bei der DIAGNOcam der Fall. Aber ob sich die Technik tatsächlich dafür eignet, ist derzeit noch unklar.

Wie sieht es mit der Laserfluoreszenz-Technik aus?

Schiffner: Die erscheint mir ungeeignet. Dabei handelt es sich ja um Momentaufnahmen. Die Überprüfung des Infiltrationsprozesses erstreckt sich aber über mehrere Jahre, da muss ich mit möglichst standardisierten Mitteln auf die Erstaufnahme zurückgreifen können.

Die Infiltration beschränk sich bislang auf kariös bedingte Veränderungen der Approximal- und anderer Glattflächen. Sind weitere Indikationen dazugekommen bzw. rechnen Sie noch mit weiteren?

Schiffner: Ich weiß, dass hier geforscht wird. Auf den letzten Kongressen wurden entsprechende Fallpräsentationen vorgestellt. Es wurden entwicklungsbedingte Defekte infiltriert, die sich als Farbveränderungen in den Frontzähnen zeigten. Die Erfolge sind unterschiedlich. Auf diesen Erfahrungen aufbauend, laufen Forschungen, und ich kann mir vorstellen, dass es bald Ergebnisse geben wird.

Bitte nennen Sie die Kontraindikationen.

Schiffner: Kontraindiziert ist die Infiltration bei Karies, die röntgenologisch mehr als das erste Drittel des Dentins erfasst hat, denn bei kavitierter Approximalfläche funktioniert die Infiltration nicht. Da ich die Fläche aber nicht sehen kann, weil der Nachbarzahn im Weg ist, muss ich mir einen Weg übers Röntgen schaffen. Die Röntgenaufnahme erlaubt eine Schlussfolgerung, ob eine Kavitation vorhanden ist oder nicht. Geht die Karies bis zum ersten Dentin-Drittel, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Kavitation vorhanden, überschreitet sie das erste Drittel, muss ich von einer Kavitation ausgehen.

Stichwort Salzsäure: Bei der Infiltration muss die Oberflächenschicht zunächst mit einem Salzsäuregel erodiert werden – würde es nicht auch eine weniger aggressive Säure tun?

Schiffner: Definitiv nicht. Man öffnet mit der Salzsäure die poröse Struktur, um infiltrieren zu können. Es ist gut dokumentiert, dass dies mit Alternativen, etwa mit Phosphorsäure, nicht möglich ist. Das haben bereits die allerersten Veröffentlichungen gezeigt, die zur Kariesinfiltration publiziert wurden – bevor überhaupt ein Produkt auf dem Markt war.

Eignet sich die Therapie auch für Milchzahnläsionen?

Schiffner: Im Prinzip ja, eine der ersten Studien wurde an Milchzähnen gemacht, in Grönland. Inzwischen läuft eine zweite Studie in Brasilien. Technisch ist die Infiltration von Milchzähnen wegen der besseren Separierbarkeit der Zähne einfacher, aber nicht die Hauptindikation. In unserer Klinik führen wir das kaum durch, das höre ich auch aus dem niedergelassenen Bereich.

Insgesamt setzt sich die Kariesinfiltration eher schleppend in den Praxen durch? Warum?

Schiffner: Ich glaube, dass sich die Zahnärzte umstellen müssen. Der Zahnarzt kann den Defekt nur auf dem Röntgenbild erkennen. Eine direkte visuelle Überprüfung fehlt. Und wenn dann infiltriert wurde, lässt sich der Effekt nur durch den Vergleich von Röntgenbildern erkennen. Klinisch scheint sich nichts zu verändern. Das ist nach wie vor eine neue Situation für den Behandler, und deshalb ist er skeptisch. Viel besser wird die Infiltration sichtbarer Glattflächen in der Front angenommen. Denn Zahnarzt und Patient sehen das Ergebnis.

Wann erwarten Sie mehr Begeisterung für dieses Verfahren?

Schiffner: Es gibt bereits immer mehr Fans dieser Methode, die Akzeptanz wächst. Auf dem ORCA-Kongress im Juli dieses Jahres in Liverpool wurden sehr gute Ergebnisse aus dem niedergelassenen Bereich vorgestellt, mit deutlicher Kariesreduktion. Ich denke, viele Zahnärzte warten noch ab, aber das Umdenken beginnt. Eine bundesweite Studie unter meiner Leitung hat die Ergebnisse einer Integration der Kariesinfiltration in den Praxisalltag zum Inhalt. Und inzwischen liegt auch die erste Studie über einen Fünfjahresbeobachtungszeitraum vor, was nicht schlecht ist. Länger gibt es Icon eben noch nicht. In der Fünfjahresstudie zeigen sich deutliche Kariesreduktionsraten.

Was wurde verglichen?

Schiffner: In der einen Hälfte des Mundes der Patienten wurde eine Läsion infiltriert, eine gegenüberliegende Läsion wurde unter Durchführung von Fluoridierungen und Maßnahmen der Interdentalhygiene uninfiltriert belassen. Ergebnis: Bei den Infiltrationen war die Kariesprogression um mehr als 80 Prozent reduziert. Das ist schon überzeugend.

Prof. Dr. Ulrich Schiffner leitete 2003–2005 den Bereich Präventive Zahnheilkunde der Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Universität Hamburg, war 2004–2008 DGK-Präsident, zurzeit DGKiZ-Fortbildungsreferent. Schwerpunkte: Kariesätiologie und -prophylaxe, Epidemiologie, Deutsche Mundgesundheitsstudien
Kontakt: schiffner@uke.de