Digital gleich optimal?
Die immer zahlreicher werdenden Facetten der digitalen Zahnmedizin sind beeindruckend. Doch es gilt die Augen offen zu halten, wann die Faszination der Technik oder die Lust am Neuen eine negative Kosten-Nutzen-Relation verschleiert.
Die digitale Implantologie besteht im Grunde aus großen Teilbereichen: der detaillierten Ist-Analyse und der optimierten Therapieplanung. Der Bereich der digitalen Unterstützung bei der Durchführung hat allerdings eine Ernüchterungsphase hinter sich und beschränkt sich derzeit lediglich auf die Verwendung von Bohrschablonen, die auf der Basis der digitalen Daten erstellt werden. Die Möglichkeiten der ersten beiden Bereiche dagegen scheinen noch lange nicht ausgeschöpft. Immer neue Spielarten werden entwickelt, viele stecken in der Bewährungsphase.
Zu den offensichtlichen Vorteilen digitaler Datenerfassung und -verarbeitung zählen bessere Dokumentation, bessere Transparenz für den Patienten und womöglich weniger intraoperative Komplikationen. Nachteile sind die Investitionen, die Umstellung des Arbeitsablaufs – und die möglicherweise nachlassende Aufmerksamkeit auf Seiten des Behandlers, der sich von seiner Verantwortung durch die Datenverarbeitung entlastet glaubt. Doch selbst bei der besten digitalen Planung ist man vor Abweichungen nicht gefeit, auf die der Operateur nach wie vor spontan reagieren muss – selbst wenn der Prozentsatz der unerwarteten Situationen deutlich geringer sein sollte als ohne die Unterstützung von digitaler Diagnostik und Planung. Auch der Gefahr der überhöhten Erwartungen auf Patientenseite sollte man sich bewusst sein, wenn man durch Imaging des optimalen Ergebnisses eine nicht garantierbare Vorstellung schürt.
Fakt ist, dass jeder implantologische Eingriff einer vorherigen Behandlungsplanung bedarf. Es klingt wie eine Binsenweisheit und ist dennoch gültig: Im Dreieck von Kosten, Zeit und Ergebnis muss man jedoch für jeden Eingriff den optimalen Schnittpunkt neu bedenken. Ob es immer und in jedem Fall eine digital unterstützte Planung sein muss, ist die Frage. Langsam scheinen sich Erfahrungswerte herauszukristallisieren, wann die Einbindung von digitalen Schritten Sinn macht und wann nicht. Angesichts des höheren Anfangsaufwands wird man erst mit steigender Diagnostik- und Planungskomplexität in einen Bereich kommen, der dieses Vorgehen gerechtfertigt scheinen lässt. Das heißt, dass bei einfachen Einzelzahn-Sofortimplantaten eine 3D-Planung eher als verzichtbar gelten kann. Sind aber mehrere Einzelimplantate nebeneinander zu setzen oder das Restknochenangebot im Unterkiefer gering und die Lagebeziehung des N. alveolaris inferior und des N. mentalis in die Überlegungen dringend mit einzubeziehen, sieht die Sache schon ganz anders aus. Mit jeder „Komplikationsstufe“ und damit Risikostufe wächst das Gewicht, das man der Feststellungs- und Planungsphase einräumen muss: verkürzte Zahnreihe, fehlender natürlicher Antagonist, zahnloser Kiefer. Gerade wenn die Therapiewahl entscheidend von der Ausgangssituation und dem angestrebten Ziel abhängig ist, kann die 3D-Planung von grundlegender Bedeutung sein (Augmentation: ja/nein, fester Zahnersatz: ja/nein, verkürze Implantate: ja/nein).
Ob also „digital“ immer gleichzusetzen ist mit „optimal“, hängt vom Einzelfall ab und erfordert eine differenzierte Betrachtung.
Die digitale Implantologie mit ihren ständigen Weiterentwicklungen ist in aller Munde – aber hält sie im Ergebnis auch, was sie verspricht? Dr. Sönke Harder, München, bringt Sie im Dental Online College auf den neuesten Stand der Studien zu Überlebensraten, spezifischen Komplikationen und Patienten-Benefit. Der Vortrag steht allen Dental-Magazin-Lesern für vier Wochen kostenlos zur Verfügung.
Dr. Markus Bechtold
studierte Zahnmedizin in Würzburg und ist seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie in Würzburg und Prüfarzt für klinische Studien. 2011 begann er als Redakteur und Referent beim Dental Online College, seit 2012 ist er Chefredakteur.
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