Mit oder ohne Stift?
Bietet die natürliche Zahnkrone nach einer Endotherapie keinen Halt mehr für die Restauration, kann ein Stiftaufbau die Lösung sein. Nach welchen Kriterien dieser Therapieentscheid getroffen wird, zeigt das Fallbeispiel.
Die korrekte postendodontische Behandlung ist nicht einfach. Meist bestehen aufgrund kariöser Läsionen bereits erhebliche Zahnhartsubstanzdefekte. Weiterer Substanzverlust entsteht bei der Präparation für die definitive Versorgung. Nun gilt es, das weitere Vorgehen zu klären und folgende Fragen zu beantworten:
– Soll ein Stift gesetzt werden?
– Wenn ja, wie soll der Stift geformt sein?
– Aus welchem Material soll er bestehen?
– Wie wird er im Wurzelkanal befestigt und
– ist eine Stift-Vorbehandlung indiziert?
Nicht selten werden solche Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ getroffen. Doch das kann zu Übertherapie oder dem Versagen der Konstruktion führen. Zwar garantiert kein Verfahren hundertprozentigen Erfolg, doch jeder optimierte Parameter verringert das Misserfolgsrisiko. Dass das Thema diskutiert wird, zeigt die Literaturrecherche. Allein Medline bietet über 3000 gelistete Artikel zu dem Suchterm: „Post and Core Technique“ [Mesh]).
Indikationen für Stifte
In Studien konnte gezeigt werden, dass die Widerstandsfähigkeit des Zahns mit dem Umfang an verbliebener Zahnhartsubstanz steigt. So benötigen Zähne, bei denen keine oder nur eine Wand fehlt, in der Regel keinen Stift; es genügt ein adhäsiver Aufbau. Hierbei sollte die Wandstärke 1 mm nicht unterschreiten. Während im Frontzahnbereich auch noch bei zwei fehlenden Wänden das Setzen eines Stifts im Regelfall nicht geboten ist, wird diese im Seitenzahnbereich vor adhäsivem Kernaufbau empfohlen.
Erst bei drei oder vier fehlenden Wänden ist es entsprechend der Stellungnahme der Fachgesellschaften in der Regel sinnvoll, Stifte zur Verankerung der Kernaufbauten einzubringen [Edelhoff et al. 2003]. Aber nicht nur die Anzahl der fehlenden Wände spielt eine Rolle bei der Prognose der Versorgung. Wichtig ist vor allem die Höhe der durch die prothetische Versorgung übergriffenen Zahnhartsubstanz. Die überfasste Zahnhartsubstanz hat prinzipiell einen größeren Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit des Zahns als die Wahl des Stifts und des Befestigungsmaterials. Es besteht weitgehend der Konsens, dass ein zirkuläres Überfassen des natürlichen Zahns von 1,5 bis 2 mm einen wesentlichen Faktor für den Erfolg der Restauration darstellt [Juloski et al. 2012]. Denn je geringer diese Überfassung ist, umso mehr Belastung wird auf den Stift übertragen. Ist das nicht direkt möglich, ist es empfehlenswert, zusätzlichen Aufwand zu betreiben.
Neben der chirurgischen Kronenverlängerung hat sich in jüngerer Zeit zunehmend die Extrusion des Zahnfragments etabliert, da hier zusätzlich eine Optimierung des Verhältnisses Last- zu Kraftarm erreicht wird [Chandler 2006]. Als relativ einfach umzusetzen und wenig invasiv gilt hier die Extrusion mittels Magneten [Mehl 2008].
Stiftdesign
Beim Stiftdesign besteht auf dem Markt eine kreative Vielfalt. Neben den heutzutage aufgrund ihres erhöhten Frakturrisikos obsoleten parapulpären und intrakanalär geschraubten Metallstiften sind im Wesentlichen drei Grundformen erhältlich. Dazu zählen die
- konischen Stiftformen,
- zylindrischen Stiftformen und
- die zylindrokonischen Stiftformen.
Aufgrund des erheblichen Zahnhartsubstanzverlusts im Zahnhalsbereich besteht bei rein konischen Stiften ein erhöhtes Frakturrisiko (Abb. 1). Untersuchungen zur Frakturanfälligkeit bei zylindrischen Systemen geben keinen Anhalt für ein erhöhtes Frakturrisiko gegenüber den zylindrokonischen Stiftsystemen. Allerdings lässt sich mutmaßen, dass wegen der breiten Stiftspitze ein erhöhtes Perforationsrisiko besteht (Abb. 2). Insofern erscheinen Stifte mit zylindrokonischem Design als am besten geeignet.
Unklar ist auch, ob ein dicker Stift einen besseren Halt verspricht als ein dünner. Studien belegen eindeutig, dass durch den bei dicken Stiften vermehrten Zahnhartsubstanzverlust das Frakturrisiko steigt [Peutzfeldt 2008]. Das spräche für den Einsatz dünner Stifte. Andererseits muss die Kanalaufbereitung jedoch ausreichend groß sein, um im Wurzelkanal befindliches Füllungsmaterial möglichst vollständig zu entfernen. Andernfalls wäre ein ausreichender Verbund mit dem Wurzeldentin nicht gegeben. Ergo gilt für den Stiftdurchmesser: so klein wie möglich, so groß wie nötig.
Stiftmaterialien
Zu gängigen Stiftmaterialien zählen Titan, glas- bzw. quarzfaserverstärkte Komposite, Keramik und Carbon. Stifte aus Keramik und Carbonfasern zeigen in Studien geringere Belastbarkeiten gegenüber den anderen Materialien. Die größten Festigkeitswerte weisen Titanstifte auf. Die glas- bzw. quarzfaserverstärkten Stifte erreichen die Belastungsfähigkeit von Titanstiften zwar nicht ganz, besitzen jedoch bessere optische Eigenschaften, was vor allem im Zusammenhang mit transluzenten Keramiken relevant sein kann. Und: Das Risiko fataler Zahnfrakturen ist bei Glasfaserstiften geringer, außerdem lassen sie sich leichter entfernen. Wird maximale Belastungsfähigkeit angestrebt, empfehlen sich Metallstifte bzw. indirekte metallene Stift-Stumpf-Aufbauten. Letztere sind auch dann das Mittel der Wahl, wenn eine sichere Trockenlegung nicht gewährleistet werden kann.
Stiftbefestigung
Das klassische Zementieren mit Phosphat- und Glasionomerzementen spielt bei direkten Stift-Stumpf-Aufbauten keine Rolle. Zur optimalen Spannungsverteilung wird eine adhäsive Befestigung angestrebt. Neben Kompositen stehen hier auch Adhäsivzemente zur Auswahl. Das ursprüngliche Vorgehen der Befestigung von Stiften mittels rein lichthärtender Komposite hat sich nicht bewährt, da keine ausreichende Polymerisation im Bereich der Stiftspitze stattfindet.
Deshalb werden heute in der Regel dualhärtende Komposite verwendet, die eine sichere Durchhärtung auch in nicht ausreichend lichtgehärteten Bereichen gewährleisten. Hierbei zeigen In-vitro-Untersuchungen, dass bei Langzeitbelastung Stiften, die mit Kompositen befestigten sind, bessere mechanische Kennwerte liefern als mit Adhäsivzementen (z. B. RelyXUnicem, Fa. Espe) befestigte Stifte.
Aussagekräftige klinische Daten stehen zu diesem Thema aber noch aus [Bolhuis 2005].
Diskussion um Stiftvorbehandlung
Kontrovers diskutiert wird zurzeit die richtige Stiftvorbehandlung. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die sich auch kombinieren lassen. Dazu zählen unter anderem:
- das Entfetten der Oberfläche mit Ethanol
- das Sandstrahlen der Oberfläche
- das Silanisieren der Oberfläche
- und die Verwendung vorsilanisierter Stifte
Inwieweit diese Stiftvorbehandlung zu klinisch relevanten Unterschieden führt, ist noch nicht abschließend geklärt. In-vitro-Studien belegen aber, dass die reine Vorbehandlung mit Ethanol die geringsten Verbundfestigkeiten bewirkt. Wichtig hierbei: Glasfaserstifte dürfen nicht in Ethanol gebadet werden, sie quellen dann, und es setzen hydrolytische Prozesse ein.
Die Entfettung sollte durch Abwischen mit einem in Ethanol getränkten Schaumstoffpellet erfolgen. Das Sandstrahlen bewirkt eine Aktivierung der Oberfläche und besseren mechanischen Verbund, ist klinisch jedoch mit einem nicht unwesentlichen Mehraufwand verbunden. Beide Vorbehandlungsoptionen können durch eine anschließende Silanisierung des Stifts (z. B. Ceramic Primer, Kuraray) in ihrem chemischen Verbund optimiert werden.
Einen Kompromiss bieten die bereits vorbeschichteten Stifte (z. B. DT Light Post SL, VDW). Diese erreichen zwar nicht die Haftwerte der mechanisch und chemisch am Stuhl vorbehandelten Stifte, sind jedoch in ihrer Handhabung deutlich einfacher [Goracci 2011].
Bessere Handhabung
Bei klassischen adhäsiven Befestigungsmaterialien wird der Kanal ggf. vorgeätzt, mit einem dualhärtenden Adhäsiv beschichtet, anschließend mit einem speziellen Befestigungskomposit (z. B. Panavia, Kuraray) befüllt und der Stift eingebracht. Hier ergab sich das Problem, dass das Adhäsiv des Befestigungskomposits nicht kompatibel mit dem Aufbaukomposit war. Dadurch musste nach Einkleben des Stifts, ggf. nach Entfernung von Überständen, das Adhäsiv des Komposits nachträglich aufgebracht werden. Da dies recht umständlich ist, wurden von einigen Firmen Befestigungsmaterialien entwickelt, die dieses Problem lösen, indem das Befestigungsmaterial zugleich dem Material des Kernaufbaus entspricht. Dies vereinfacht die Handhabung, da nicht mehr jeweils ein separates Adhäsiv und ein Komposit verwendet werden müssen, sondern ein Adhäsiv und ein Komposit für die Befestigung des Stifts und den Kernaufbau verwendet werden können. Mit dem neuen Ein-Schritt-Adhäsiv Clearfil S3 Bond Plus (Kuraray) lässt sich die Handhabungssicherheit weiter verbessern. Im Gegensatz zu klassischen Ein-Schritt-Adhäsivsystemen ist ein Anmischen nicht mehr notwendig. Durch direktes Einbringen des Komposits in den Kanal mithilfe der sogenannten Endo-Tips – das sind auf die Mischkanüle aufsteckbare Spitzen – lässt sich der Kanal von der Spitze her füllen. Lufteinschlüsse, die die Stabilität mindern würden, lassen sich so reduzieren. Durch die dualhärtenden Eigenschaften ist einerseits eine sichere Durchhärtung auch in den dem Polymerisationslicht nicht zugänglichen Bereichen gewährleistet und es besteht andererseits die Möglichkeit, ohne Wechsel der Mischkanüle schrittweise den kompletten Stumpf aufzubauen.
Der konkrete Fall
Eine 47-jährige Patientin stellte sich im April 2012 mit leichter Aufbissempfindlichkeit des Zahns 45 vor. Allgemeinanamnestisch war die Patientin unauffällig.
Bei der Befunderhebung zeigte sich ein sondierbarer Randspalt des Brückenankers an Zahn 45. Der Zahn reagierte auf die Vitalitätsprobe mit CO2-Schnee positiv und zeigte eine leichte Perkussionsempfindlichkeit. Bei der parodontologischen Beurteilung der behandlungsbedürftigen Zähne waren keine Sulkustiefen größer 3 mm sondierbar. Die Zähne zeigten keine erhöhte Blutungsneigung. Anzeichen erhöhter okklusaler Aktivitäten (überdurchschnittliche Attrition, Keramikabplatzungen) waren nicht sichtbar. Der funktionelle Befund ergab keine Hinweise auf craniomandibuläre Dysfunktionen. Die Brücke wurde entfernt und die sich darstellende Caries profunda exkaviert. Dabei kam es zur Eröffnung der Zahnpulpa und anschließender Vitalextirpation. Nach medikamentöser Einlage mittels Calciumhydroxid und Beschwerdefreiheit des Zahns 45 erfolgte die Wurzelkanalfüllung mit Guttapercha und AHplus (Dentsply) (Abb. 3). Der Zahn ist seitdem beschwerdefrei.
Die Therapieplanung sah die Neuanfertigung der Brückenversorgung 45 bis 47 vor. Aufgrund des Verlusts aller vier Kronenwände des Zahns 45 entschieden wir uns für die Insertion eines Stifts. Die supragingivale Lage der verbliebenen Zahnsubstanz ermöglichte es, ein adhäsives Stiftsystem zu nutzen (ER System, Komet Dental). Als konfektionierter Stift diente der bereits vorkonditionierte glasfaserverstärkte Wurzelstift „DentinPost Coated“.
Zu Beginn wurde die provisorische Brücke entfernt und der Stumpf mit Orthoskavident C (Kettenbach) gesäubert (Abb. 4). Die Aufbaufüllungen wurden entfernt und der Kanaleingang wurde dargestellt (Abb. 5). Zur Revision der Wurzelfüllung wurden zunächst Gates-Glidden-Bohrer (Dentsply) in aufsteigender Größe (Größe II und IV) verwendet. Die nichtschneidenden Spitzen minimieren das Risiko einer via falsa. Es wurde entsprechend dem Röntgenbild der Obturationskontrolle zunächst eine Arbeitslänge von 11 mm verwendet, die in einer anschließenden Röntgenkontrollaufnahme hinsichtlich Länge und Lage kontrolliert wurde (Abb. 6).
Alternativ kann die Revision der Wurzelfüllung auch mit dem Pilotbohrer (183LB, ER-System) erfolgen (Abb. 7). Anschließend wurde der Kanal mittels eines Erweiterers (196, ER-System) Größe ISO 050 aufbereitet. Um eine weitgehend vollständige Entfernung der Guttapercha von den Kanalwänden sicherzustellen, wurde das Stiftbett auf Größe ISO 070 erweitert. Diese finale Aufbereitung des Stiftbetts wurde durch ein Röntgenbild kontrolliert und für ausreichend befunden (Abb. 8a, 8b, 8c)
Absolute Trockenlegung
Um eine optimale Prozesssicherheit zu gewährleisten, wurde eine absolute Trockenlegung im Bereich des Zahns 45 mittels Kofferdam durchgeführt (Abb. 9). Anschließend wurde die Stiftbettwand durch fünfmalige manuelle Rotation mit dem diamantierten Instrument 196D angeraut. Dies sorgt für eine zusätzliche mechanische Retention und eine Vergrößerung der Kontaktfläche für das Befestigungsadhäsiv. Danach wurden das Stiftbett und die Kavität mit Ethanol 70 Vol.-% gereinigt und mit Luftstrom getrocknet. Im Wurzelkanal verbliebene Ethanol-Rückstände wurden mittels Papierspitzen entfernt. Der vorkonditionierte Stift, DentinPost Coated Größe ISO 070, wurde einprobiert (Abb. 10), anschließend mit einem in 70-prozentigem Ethanol getränkten Schaumstoffpellet gereinigt und per Luftstrom getrocknet (Abb. 11).
Mithilfe der Applikatorbürste „Endo“ wurden das Stiftbett und die Kavitätenwände für zehn Sekunden mit Clearfil S3 Bond Plus (Kuraray) benetzt. Danach wurde das Material mit einem sanften Luftstrom für ca. fünf Sekunden verblasen. Zusätzlich wurden die Überschüsse aus dem Stiftbett mit Papierspitzen entfernt. Im Anschluss wurde Clearfil DC Core Plus (Kuraray) mittels der Automix-Spritze und des Endo-Aufsatzes in das Stiftbett appliziert, wobei zur Vermeidung von Lufteinschlüssen darauf zu achten ist, dass die Spitze möglichst tief in das Stiftbett eingebracht und dieses von der Spitze her aufgefüllt wird (Abb. 12). Anschließend wurde der Stift inseriert und für zehn Sekunden lichtgehärtet (Abb. 13, 14). Der Kernaufbau wurde darauf schichtweise mit dem gleichen Material ohne nochmalige Applikation des Bondings ergänzt (Abb. 15a, b). Danach wurde der glasfaserverstärkte Wurzelstift entsprechend der angestrebten Aufbauhöhe unter Wasserkühlung und Schaffung einer Mulde gekürzt (Abb. 16a, b) sowie der Aufbau grob vorbeschliffen. Wichtig ist hierbei die anschließende okklusale Versiegelung, um den adhäsiven Stift vor Flüssigkeitszutritt zu schützen und dadurch unerwünschte hydrolytische Prozesse zu vermeiden. Dazu wurde die Kavität erneut für 10 Sekunden mit Clearfil S3 Bond Plus (Kuraray) mit einer Applikatorbürste benetzt, dieses fünf Sekunden mit sanftem Luftstrom verblasen und abschließend zehn Sekunden lichtgehärtet. Clearfil DC Core Plus (Kuraray) wurde appliziert und erneut für zehn Sekunden gehärtet (Abb. 17, 18)
Abschließend erfolgte die Präparation des Zahns für die Aufnahme eines Brückenankers (Abb. 19). Vor Weiterversorgung erfolgte die Endkontrolle des adhäsiven Stift-Stumpf-Aufbaus und Dokumentation des Ergebnisses durch ein Röntgenbild (Abb. 20).
Fazit
Schonung plus ausreichende Überfassung der verbliebenen Zahnhartsubstanz sind die wichtigsten Faktoren für einen langfristigen Erhalt endodontisch behandelter Zähne. Bei kleineren Defekten ist ein Aufbau des Zahns mittels adhäsiver Restaurationen ausreichend, während bei mehr als zwei fehlenden Wänden eine Überkronung indiziert erscheint. Durch die Optimierung der Befestigungstechniken lassen sich potenzielle Fehlerquellen beseitigen und gleichzeitig der Zeitaufwand reduzieren. Davon profitieren sowohl der Zahnarzt als auch der Patient.
Dr. Oliver Schierz ist Oberarzt an der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde der Universität Leipzig.
ZÄ Angelika Rauch arbeitet in derselben Abteilung als Assistenzzahnärztin.