ZFZ Winterakademie 2017

Win-win-Modell minmalinvasive Zahnheilkunde

Mit 500 Teilnehmern und einem hochkarätigen Referenten-Team setzte die Winterakademie 2017 des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums Stuttgart (ZFZ) das erste Ausrufezeichen im neuen Jahr.



Bevor es mit dem thematischen Rundumschlag aus Parodontologie, Prothetik und Implantologie losging, standen wichtige Bekanntmachungen und Ehrungen auf der Tagesordnung der Fortbildungsveranstaltung im Mövenpick Hotel Stuttgart Airport.

Nach 16 Jahren legt Dr. Konrad Bühler sein Amt als Vorsitzender des Vorstandes der Bezirkszahnärztekammer (BZK) für den Regierungsbezirk Stuttgart nieder. Zuvor mit Standing ovations bedacht, überreichte Bühler symbolisch einen Staffelstab an seinen Nachfolger, Dr. Eberhard Montigel. Gemeinsam mit ZFZ-Direktor Prof. Dr. Johannes Einwag, selbst seit 25 Jahren im Amt, gab Montigel einen Ausblick auf die wichtigsten Veranstaltungen dieses Jahres, wie die Frühjahrs-Akademie auf Mallorca (25. bis 27. Mai) und die Sommer-Akademie in Ludwigsburg (7. und 8. Juli) sowie dem neuen Fortbildungs-Highlight Dentaler Fachwirt.

“Reparieren ist kein Fusch”

Den Anfang des inhaltlichen Teils machte Prof. Dr. Hendrik Meyer-Lückel, Aachen. Bei verschiedenen Indikationen wie Fissurenkaries, Wurzelkaries und Co. beantwortete er die Frage, wann man bohren muss und wann minimalinvasive Herangehensweisen angezeigt sind. “Es ist immer das Ziel, die ‘Restaurationsspirale’ auseinander zu ziehen und somit eine invasivere Behandlung hinauszuzögern”, sagte Meyer-Lückel. Dies sei der Weg weg von “Drill & Fill” hin zu “Heal & Seal”. Bei Letzterem rücken non-invasive Faktoren wie eine ausführliche Aufklärung und der Einsatz von Therapeutika in den Vordergrund. Aber: “Wenn eine Kavität vorliegt, muss nach wie vor gebohrt werden”, hielt Meyer-Lückel fest. Obwohl minimalinvasive Methoden erwiesenermaßen effektiver seien als invasive, solle die Erwartungshaltung dem Therapieerfolg gegenüber nie zu hoch angesetzt werden. “Gehen Sie nicht von 100 Prozent aus – natürlich müssen Sie technisch einen einwandfreien Job machen. Das heißt aber nicht, dass immer alles gelingt”, sagte Meyer-Lückel. Eine Bewertung der globalen Gesamtsituation sei entscheidend für die Wahl und die Erfolgsaussichten der Therapie – den ganzen Menschen betrachten, das gesamte Risiko in der Mundhöhle bewerten.

Den aktuellen State of the art bei Kompositrestaurationen stellte Dr. Tobias Tauböck, Zürich, dar. Langzeitdaten zeigen, dass circa 66 Prozent aller Restaurationen mehr als 30 Jahre halten. Die Qualitätseinflussfaktoren auf Seiten des Zahnarztes seien die Therapieplanung, die Exkavation, die Adhäsion, die Schichtung, die Lichtpolymerisation, die Politur sowie der Restaurationsunterhalt. Auf der Seite der Patienten komme es auf das generelle Kariesrisiko, die Mundhygiene, eventuell Bruxismus sowie Adhärenz und auch die finanzielle Situation an. “Generell kann man sagen, dass die Datenlage schlechter wird, je komplexer die Fälle werden, beispielsweise bei extendierten Komposit-Höckeraufbauten”, sagte Tauböck. Längere Überlebenszeiten gebe es hier bei Keramik-Restaurationen. Für die Bisshöhenrekonstruktion mit Komposit stellte Tauböck die Schienentechnik vor, ein non-invasives Verfahren, bei dem eine mit Komposit befüllte Schiene auf die Zahnreihe aufgesetzt wird. Diese Behandlung kommt ganz ohne Beschleifen aus. Tauböck: “Auch wenn nicht alles perfekt ist, sind die Zehn-Jahres-Daten klinisch sehr akzeptabel.” Das Fazit des Referenten: Wirkliche Grenzen gebe es nicht, aber: je größer der Defekt, desto schwieriger die Rekonstruktion. Neben dem maximalen Erhalt an gesunder Zahnhartsubstanz und der guten Reparierbarkeit, zeichnen sich direkte Kompositrestaurationen auch durch ihre verhältnismäßig geringen Behandlungskosten aus.

Erfolgreich in der Parodontologie ohne Chirurgie

Die Antwort auf die übergeordnete Frage “Kann man in der Parodontologie auch ohne Chirurgie erfolgreich sein?” beantwortete Dr. Wolfgang Westermann, Emsdetten, gleich zu Beginn seines Vortrages schlicht und einfach mit “Ja”: “Bei gleichmäßigem horizontalem Knochenabbau können Sie nichts falsch machen, Sie müssen einfach nur behandeln”, sagte Westermann. Wichtig sei es, die Fälle von Beginn an richtig einzuordnen und die Relation zwischen Plaque und Krankheit zu beachten. Westermann: “Wenn Sie wenig Plaque finden, aber viel Krankheit, dann wird es problematisch.”

Die Plaque müsse regelmäßig entfernt werden, je nach Schweregrad muss der Patient alle drei bis zwölf Monate zum Recall kommen. Die Ziele der PA-Therapie seien API/BOP von weniger als 25 Prozent, eine Sondierungstiefe von weniger als vier Millimetern, keine Furkationsbeteiligung und eine adäquate Funktion sowie Ästhetik. Der Patient sollte zudem bestenfalls nicht rauchen. “In der Praxis behandeln wir alle Fälle ausschließlich mit Deep scaling und Root planning”, sagte Westermann. Bei schweren Fällen (mehr als sechs Millimeter Taschentiefe) wird der Recall engmaschiger angesetzt und eine zusätzliche Medikation gegeben (Winkelhoff-Cocktail). “Dieses Konzept kommt ohne Chirurgie aus und Sie schaffen es, bei 90 Prozent der PAR-Fälle den Attachement-Verlust zu stoppen und Zähne zu erhalten”, sagte Westermann.

Adhäsivtechnik: “Wir machen nichts kaputt”

Prof. Dr. Matthias Kern, Kiel, stellte verschiedene Optionen des minimalinvasiven Zahnersatzes vor, unter anderem die adhäsive Befestigung vollkeramischer Kauflächen. Diese zeichnen sich durch eine hohe Bruchfestigkeit aus, sind nahezu unkaputtbar, zumindest durch die Kräfte, die im Mund wirken. “Bei normalen Kronen wird viel Schmelz und Dentin weggeschliffen. Mit der adhäsiven Befestigung vollkeramischer Kauflächen ersetzen wir, was fehlt, machen aber gar nichts mehr kaputt”, sagte Kern.

Kern wies darauf hin, dass Adhäsivbrücken ab sofort zur Regelversorgung zählen und auch eine gute Alternative darstellen: “Wenn eine Brücke versagt, kann man eine neue machen. Wenn sich an Implantaten eine Periimplantitis entwickelt, dann gibt es ganz andere Probleme.” Auch einflügelige Brücken werden in Kiel mittlerweile als Standard hergestellt, kommen bei den Patienten gut an und halten sehr zuverlässig. Das schwächste Glied in der Kette sei der Kleber, der sich nach einigen Jahren theoretisch lösen kann. In diesem Fall werden der Zahn und die Versorgung aufbereitet und die Brücke neu aufgeklebt. Auch die Instandsetzung einer Doppelkronenarbeit mit Adhäsivattachements sei deutlich günstiger als eine komplett neue Arbeit.

Wie viele Implantate braucht der Mensch?

Aktuelle Leitlinien-Empfehlungen in der Implantologie stellte Prof. Dr. Frank Schwarz, Düsseldorf, vor. Die Devise laute “Je mehr Implantate, desto stabiler”. Für im Oberkiefer festsitzenden Zahnersatz werden derzeit mindestens sechs Implantate empfohlen und für herausnehmbaren Zahnersatz vier Implantate. Im Unterkiefer sollten mindestens vier Implantate (besser sechs) bei festsitzenden, und unter Berücksichtigung anatomischer Limitationen bei herausnehmbaren Versorgungen zwei bis vier Implantate gesetzt werden.

Zu den anatomischen Beschränkungen zählen im Unterkiefer beispielsweise der anteriore Loop des Nervus mentalis sowie der inzisive Kanal, der die interforaminale Region mit einem neurovaskulären Bündel limitiert. “Diese Einschränkungen sind vielen nicht wirklich bekannt”, sagte Schwarz. Eine Beschädigung dieser Nervenstrukturen sei auf jeden Fall zu vermeiden, da sonst Parästhesien entstehen, die irreversibel sind. Im Oberkiefer sei vor allem die Septierung der Kieferhöhle als Limitierung der Sinusbodenelevation zu beachten. Die Implantatanzahl müsse hier entsprechend angepasst werden, da auch mit kurzen Implantaten eine in- oder externe Sinusbodenelevation häufig angewendet werden müssen.

Implantat-Versorgung bei  antiresorptiver Therapie

Implantat-Versorgungen bei Patienten unter antiresorptiver Therapie seien, auch unter Berücksichtigung der aktuell erschienenen S3-Leitlinie, durchaus differenzierter, also positiver, zu betrachten. Sie helfen, Drucknekrosen zu reduzieren, die Versorgung vom Schleimhautniveau abzuhalten. “Generell muss die Therapie unter kritischer Abwägung des allgemeinen Risikoprofils der Patienten erfolgen”, hielt Schwarz fest. Eine Hilfe bietet der Laufzettel “Risiko-Evaluation bei antiresorptiver Therapie vor Implantation” der DGI (Grötz, Al-Nawas).