600 Joghurts, 600 mal zu viel Zucker
Praktisch alle Fruchtjoghurt-Sorten im Einkaufsregal sind deutlich höher gezuckert, als notwendig und gut für den Körper ist. Norwegische Konzerne dagegen bieten Joghurts in sechs verschiedenen Süßestufen an.
Dass Süßigkeiten, Fruchtschorlen und Softdrinks viel Zucker enthalten und in großen Mengen schädlich für die Zähne sind, ist allgemein bekannt. Dass auch Fruchtjoghurts zu den “Übeltätern” zählen, ist manchen vielleicht neu:
Durchschnittlich 14,1 Gramm Zucker befinden sich in 100 Gramm Fruchtjoghurt: Bei Stichprobeneinkäufen von 600 Joghurt-Sorten verschiedener Marken stellten zwei Studentinnen der Universität Hohenheim fest, dass alle Sorten die fast gleich hohe Menge an Zucker aufwiesen.
„Eigentlich sollte man laut WHO nur fünf Prozent des täglichen Energiebedarfs aus Zucker beziehen“, warnt Prof. Dr. Lutz Graeve vom Fachgebiet Biochemie der Ernährung an der Universität Hohenheim. „Mit einem einzigen Becher Fruchtjoghurt hat man das aber schon fast erreicht und nimmt im Laufe des Tages noch Zucker aus weiteren Lebensmitteln (Marmeladen, Softdrinks, Säfte und Süßigkeiten) zu sich.“
Vorliebe für Süßes ist evolutionsbedingt
„Mittlerweile beziehen Menschen 10-20 Prozent des täglichen Energiebedarfs aus Industriezucker“, so Graeve. „Früher gab es Zucker nur in Form von Honig oder Obst. Mit dem Industriezucker kam eine zusätzliche Quelle dazu.“
Denn Menschen mögen es süß, weiß der Experte weiter. „Das ist evolutionsbedingt. Die Süße vermittelt dem Körper, dass man gerade energiereiche Nahrung zu sich nimmt, also viel Kohlenhydrate.“ Anders als jedoch beispielsweise beim Müsli – ebenfalls ein kohlenhydratreiches Essen – ist Zucker sofort verfügbar und liefert dem Körper kurzfristig überflüssige Energie. Heutzutage sei daher weniger Zucker in den Lebensmitteln angezeigt.
Schweizer und Norweger: unterschiedliche Zuckermengen
Norwegische Konzerne sind da schon weiter und bieten Joghurts mit sechs verschiedenen Süßestufen an, von 0 bis 13 Gramm zugesetztem Zucker. Auch ein Schweizer Konzern reduzierte den Zuckergehalt in einem Produkt gleich um 45 Prozent. Dort können die Verbraucher nun auf Joghurt mit weniger Zucker ausweichen, wenn sie wollen.
„Man braucht nach unseren Versuchen nicht mehr als insgesamt neun Gramm in einem normalen Fruchtjoghurt, damit er angenehm süß ist“, sagt Graeve weiter. Die Studentinnen und ihr Betreuer fordern nun, dass auch die deutsche Lebensmittelindustrie reagiert. „Im Moment haben die Firmen gleich viel Zucker in ihren Produkten. Es wäre kein Problem, die Menge zu reduzieren. Und die Beispiele aus der Schweiz und Norwegen zeigen, dass die Verbraucher es begrüßen, wenn man ihnen die Wahl lässt.“
Weitere Ergebnisse von studentischen Forschungsprojekten, Details zur Untersuchung des Joghurts und die selbstgemachten und zuckerreduzierten Sorten gibt es am 22. Oktober 2015 auf der Jahrestagung von Humboldt reloaded an der Universität Hohenheim.