Gute Aussicht vor Gericht
Einen ganz neuen Ansatz bei einer Fortbildung zeigte das 8. Euregio Symposium in Aachen. In „Tandem-Vorträgen“ präsentierten Zahnmediziner und Juristen jeweils gemeinsam eines der implantologisch geprägten Themen. Das Motto der Veranstaltung im Uniklinikum der RWTH Aachen: „Implantologie unter dem Damoklesschwert der Forensik“.
Organisiert von der Abteilung für Zahnärztliche Chirurgie und poliklinische Ambulanz des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität Witten/Herdecke und der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Uniklinik Aachen fand das Symposium in Kooperation mit dem 9. German Meisinger Bone Management Symposium statt. Der neue Ansatz der Fortbildung kam bei den rund 250 Teilnehmern sehr gut an. Besonders die rechtlichen Aspekte vieler Unterpunkte implantologischer oder oralchirurgischer Behandlungen sorgten für zahlreiche Fragen und ausgiebige Diskussionen.
Prof. Dr. Dr. med Frank Hölzle, Uniklinikum Aachen, betonte bereits bei seiner Begrüßung, dass man zeigen wolle, dass der Jurist nicht der Feind des Zahnarztes sei. Als Ergebnis des Symposiums erhoffte er sich, dass die Teilnehmer zukünftig „gelassener“ mit rechtlichen Auseinandersetzungen umgehen können oder diese sogar von vornherein vermeiden können.
Eingestiegen in ein Thema wurde in den Impulsvorträge meist durch den Zahnmediziner. Prof. Dr. Dr. med. Stefan Haßfeld, Witten/Herdecke, etwa beschäftigte sich zunächst mit der Bildgebung. Für ihn sei diagnostischer Standard weiterhin die Panoramaschichtaufnahme. Das 3D-Röntgen durch den Digitalen Volumentomographen (DVT) rücke aber immer mehr in den Fokus. Generell bemerkt er einen sanften Druck in Richtung aufwendigere Diagnostik. Allerdings spiele hier immer auch die Frage nach der höheren Dosis durch das DVT sowie die medizinische Notwendigkeit eine Rolle. In der Implantologie sieht Haßfeld einige „Kann-Möglichkeiten“ für den DVT-Einsatz, etwa wenn mit konventioneller Diagnostik keine ausreichende Information erreicht oder zu erwarten sei. Eine dringende Empfehlung für das DVT sieht er bei Verdacht auf Komplikationen oder unklare Situationen bei eingetretener Komplikation. RA Prof. Dr. jur. Karsten Fehn konnte die Symposiums-Teilnehmer auch beruhigen: der fehlende Einsatz eines DVT in einem Rechtsstreit sei kaum eine Angriffsfläche. „Der Sachverständige müsste schon sagen, dass durch ein DVT mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine andere Diagnose erfolgt und ein anderes Behandlungsvorgehen gewählt worden wäre.“
Gutachter sind entscheidend vor Gericht
Generell, das wurde vielen Teilnehmer durch die Diskussionen im Anschluss an die Vorträge deutlich, ist die Bedeutung von Gutachtern in Prozessen, die sich mit zahnmedizinischen Themen beschäftigen, ausgesprochen hoch. „Die Gutachter scheinen den Ausgang eines Verfahrend in der Hand zu haben“, formulierte es ein Teilnehmer. Von Seiten der juristischen Referenten konnte dies nur bestätigt werden. Richter kennen sich nicht besonders in der zahnmedizinischen Materie aus und verlassen sich deshalb auf die Expertise eines Gutachters, betonte RA Frank Heckenbücker, Fachanwalt für Medizinrecht aus Köln.
Weitere spannende juristisch-zahnmedizinische Themen waren die Patientenaufklärung, die Dokumentation, der medizinische Standard oder die Patientenkommunikation. Oralchirurg Dirk Elvers beispielsweise empfahl für die Sofortimplantation eine spezielle Patientenaufklärung. „Denn manche Entscheidung könne erst während der OP getroffen werden und darüber muss der Patient informiert sein.“ Sein juristischer Vortragspartner, Frank Heckenbücker, unterstützte diesen Vorschlag. Die Beweislast beim Aufklärungsfehler liege beim Zahnarzt. „Machen Sie sich handschriftliche Notizen in den Aufklärungsbogen, damit dieser vor Gericht mehr Gewicht hat“, lautete sein Tipp.
Wichtig sei zudem, den Patienten „ausreichend“ Zeit für eine Behandlungsentscheidung zu geben. Die sogenannte 24-Stunden-Frist sei aber eine Idee der Kliniken, betonte Heckenbücker. Er empfahl: Je schwerer der Eingriff, umso länger sollte die Überlegungszeit des Patienten sein. Bei „normalen“ stationären Eingriffen würde die Aufklärung einen Tag vor dem Eingriff bis etwa 17 Uhr ausreichen. „Bei ,schweren‘ stationären Eingriffen hingegen sollte die Aufklärung sehr frühzeitig stattfinden, etwa bei der Vergabe des OP-Termins“, riet Heckenbücker.
Doch was ist bei sprachlichen Barrieren – etwa bei Patienten mit Migrationshintergrund? Heckenbücker: „Sie müssen sich davon überzeugen, dass der Patient ihre Aufklärung verstanden hat!“ Im Zweifel müsse ein neuer Termin angesetzt werden, bei dem ein Familienmitglied oder ein bestellter Übersetzer für den Patienten übersetzt. Die Regelungen haben natürlich keine Auswirkungen auf die Sofortimplantation oder die Traumaversorgung. Gerade in der Traumaversorgung sei die Aufklärung unmittelbar vor dem Eingriff ausreichend, konnten die Juristen beruhigen.
Medizinischer Standard ist fließend
In der Aufklärung spielt auch die Wahl der passenden Behandlungsmethode eine Rolle. Hier zeigten Prof. Dr. Jochen Jackowski, Witten/Herdecke, und RA Dr. jur. Hendrik Zeiß, dass der medizinische Standard nicht statisch ist und sich verändern könne. Jackowski erklärte, dass zwar keine oder nur geringe Evidenz für durchmesserreduzierte oder kurze Implantate vorliege, diese trotzdem eine therapeutische Alternative zur Augmentation sein können. „Behandlungsmethoden können als medizinischer Standard auch nebeneinander stehen“, erklärte Zeiß.
Der Patient muss also umfassend, zeitnah und natürlich über verschiedene Behandlungsalternativen aufgeklärt sein. Diese Alternativen sind beim Kieferkammaufbau vielfältig, wie Hölzle in seinem Vortrag mit der RAin Dr. Susanna Zentai, Medizinanwältin aus Köln und Rechtsexpertin im DENTAL MAGAZIN, zeigte. Dabei müsse der Patient nicht nur die Alternativen für das Knochenersatzmaterial (autolog, allogen, xenogen, alloplastisch) kennen, sondern auch über die Entnahmestellen informiert werden. Kritisch betrachtete Zentai xenogenes Knochenersatzmaterial, welches möglicherweise aus religiösen Gründen abgelehnt werden könnte.
Auch die Verwendung von Fachbegriffen ist in der Aufklärung nicht immer angebracht. Zentai schilderte einen Fall, bei dem ein Zahnarzt zur Zahlung von Schadensersatz verklagt wurde, da die Patientin unzureichend aufgeklärt wurde. Die Alternativen des Kieferkammaufbaus wurden nur unter Kostengesichtspunkten erörtert, keine medizinischen Vor- und Nachteile genannt und vor allem der Begriff „bovin“ nicht erklärt. Im Nachhinein belegte die Patientin, dass Sie aufgrund ihrer persönlichen Situation niemals der Einbringung von Rinderknochen für den Knochenaufbau zugestimmt hätte.
Gutes Arzt-Patientenverhältnis
Viele dieser Rechtsstreitigkeiten könnten aber bereits im Vorfeld verhindert werden. „Versuchen Sie, das Arzt-Patientenverhältnis solange wie möglich gut zu gestalten“, riet Zentai. Denn viele Patienten gehen vor allem dann zum Anwalt, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlen. Ihre Tipps für die Behandler: Patientenbesonderheiten beachten, Aufklärung mit System, offensives Komplikationsmanagement (wenn wirklich einmal ein Fehler passiert) und aktive Kommunikation mit den Patienten.
So können nicht nur Streitsachen vor dem Zivilgericht sondern auch strafrechtliche Verfahren verhindert werden. Gerade das Strafrecht kann für den Zahnarzt existenziell bedrohend sein, zeigte Fehn in seinem zweiten Vortrag. Denn ein Behandlungsfehler könnte die strafrechtlichen Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) oder der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) erfüllen. „Auch berufsrechtlich kann bei einer Verurteilung oder bereits bei der Anklage mit Folgen gerechnet werden“, erklärte Fehn. Er selber hat Zahnärzte bereits in einigen Strafrechtlichen Prozessen vertreten und weiß, dass mit dem Strafverfahren auch „Druck“ von der Gegenseite ausgeübt werden soll. Wird von der Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen einen Zahnarzt betrieben, können Patientenvertreter so an Beweise gelangen (durch Akteneinsicht), an die sie selbst nicht kommen könnten. Fehn verschwieg auch nicht, dass die Geschädigten durch ein Strafverfahren „günstig“ an ein Gutachten gelangen können, das durch die Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben wird und für sie selber keine Kosten verursacht. „Solch ein Gutachten hat dann auch vor einem Zivilgericht viel Gewicht.“
Die gute Nachricht für die Teilnehmer: Bei strafrechtlichen Prozessen im medizinischen Bereich wird gerne mit Geldstrafen gearbeitet. Die Richter achten vor allem darauf, ob eine Fahrlässigkeit vorhanden ist oder der medizinische Standard eingehalten wurde. Hinzu kommt, so Rechtsanwalt Heckenbücker, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und einem Schaden bestehen müsse. Erst dann liege eine Ursache für die Haftung vor.