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Kieferorthopäden kritisieren Zeitungsbericht

Der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) und die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) kritisieren in einer gemeinsamen Presseerklärung einen Artikel der Welt am Sonntag über „das Riesengeschäft mit unnötigen Zahnspangen".


Zahnspangen bei Erwachsenen waren auch einer der Kritikpunkte des Zeitungsberichts der WELT am Sonntag. Fotolia


In einem ausführlichen Beitrag hat die Welt am Sonntag unter der Überschrift „Millionen für ein Lächeln” den Kieferorthopäden vorgeworfen, sie machten „mit vielen unnötigen Zahnspangen vor allem ein Riesengeschäft”. Der Beitrag gruppiert vielerlei Meinungen rund um Statements eines niedergelassenen Kieferorthopäden, der seit einigen Jahren dafür bekannt ist, den Medien als Kritiker aus den eigenen Reihen zur Verfügung zu stehen.

Dass diese Rolle mindestens indirekt kostenlose Werbung für die Praxis dieses „Kritikers” ist, der Privatzahlerleistungen anbietet und dies durchaus, so die kieferorthopädische Wissenschaft und der Berufsverband, mit werbenden Hinweisen, die seitens der Wissenschaft nicht unterschrieben würden, sei bedauerlicherweise von der Redaktion der Welt im Vorfeld offenbar nicht geprüft worden.

Kritik und Aufklärung einer Falschaussage

Inhaltlich üben die Dachorganisationen der Fachzahnärzte für Kieferorthopädie an den Ausführungen des Beitrags vielfältige Kritik und klären eine eindeutige Falschaussage auf. Wiewohl dies in dem schriftlichen Interview vorab anders dargestellt wurde, zitiert die Redaktion der WELT Dr. Gundi Mindermann, Bundesvorsitzende des BDK: „Schließlich seien die Gerätschaften, die die Kassen bezahlten, medizinisch nicht auf dem neusten Stand.” Richtig ist, dass Mindermann sich wie folgt geäußert hat: „Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen die ausreichende, wirtschaftliche, notwendige und zweckmäßige (GKV-Grundlagen) kieferorthopädische Behandlung. An deren Behandlungsergebnis gibt es auch nichts auszusetzen – und diese Leistung ist im europäischen Vergleich nahezu einzigartig.”

Hinter dieser Aussage zur Qualität der „Kassen-Leistung“ stehen der Berufsverband und die wissenschaftliche Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie unter Leitung von Prof. Dr. Ursula Hirschfelder, Universität Erlangen. Über diese „ausreichenden” Techniken hinaus bietet die moderne KFO neue Verfahren an, die die Behandlung einerseits erleichtern und andererseits nicht zuletzt optisch unsichtbarer machen können. Es sei den Kassen jedoch nicht zuzumuten, für solcherart Leistungen wie durchsichtige Brackets, unsichtbare Bögen usw. in Anspruch genommen zu werden.

Frühes Korrigieren wirkt sich positiv aus

Kritisiert wurde im Beitrag der WELT, die Kieferorthopäden behandelten heute aus „Geschäftsgründen” zu früh. Dagegen stellen die Wissenschaftliche Gesellschaft und der Berufsverband klar, dass es im Gegenteil viele Fälle gibt, wo eine leichtere Frühbehandlung eine aufwändige Spätbehandlung vermeiden oder mindestens reduzieren helfen kann. Kritisiert wird, dass Eltern Behandlungen „aufgeschwatzt” würden, obwohl sie gar nicht nötig wären. Dem widersprechen die Experten vehement: Bestätigt ist, dass ein frühes Korrigieren beispielsweise des Kreuzbisses die gesamte Kieferentwicklung, die Sprach- und Haltungsentwicklung positiv beeinflusst.

Die WELT kritisiert, dass viele Behandlungen von den Kassen nicht erstattet, demnach als unnötig einzuschätzen wären. Dem widersprechen die Expertinnen ebenfalls: Die Krankenkasse bezahlt die Behandlung erst ab einer fest definierten erheblichen Fehlstellung. Diese Grenze ist nicht fachliche definiert, sondern lediglich versicherungstechnisch und damit „kostenbewusst“. Ob ein Zustand unterhalb dieser Distanz-Marke für das Kind gesundheitlich belastend ist, ist nach den kostenfokussierten GKV-Kriterien eine reine Privat-Frage. An der Therapie-Notwendigkeit besteht aus fachlicher Sicht oft kein Zweifel, da sich Fehlstellungen nicht „auswachsen”.

Zähne haben weniger Platz als früher

Kritisiert wird seitens der Zeitung die gestiegene Häufigkeit kieferorthopädischer Kinder-Behandlungen. Hier erinnern die Expertinnen daran, dass sich mit den geänderten Lebensverhältnissen, insbesondere im Bereich der Ernährung, die Größe der Kiefer verringert hat, während die Anzahl der natürlich angelegten Zähne geblieben ist. Effekt: Die Zähne haben deutlich weniger Platz als früher.

Ebenfalls kritisiert wird in dem Zeitungsbericht, dass die Zahl der erwachsenen „Zahnspangenträger” gestiegen sei. Der Berufsstand dehne seine Zielgruppen aus. Hirschfelder und Mindermann stellen demgegenüber klar, dass dies nicht zuletzt mit dem gestiegenen Fachwissen in Verbindung steht und den erwachsenen Patienten manche aufwändigere Behandlung erspart: Heute seien Zusammenhänge zwischen Zahnfehlstellungen und funktionellen Problemen bekannt, die neue Lösungen ermöglichen. Deutlich verbesserte technischen Möglichkeiten einer kieferorthopädischen Erwachsenenbehandlung ermöglichen mehr Prävention bei Parodontalerkrankungen und auch bei prothetischen Aufgaben: Kieferorthopädie kann – ohne chirurgische Verfahren – notwendigen Platz für Implantate oder anderen Zahnersatz erreichen. Die Möglichkeiten der modernen Kieferorthopädie sprechen sich auch in den zahnärztlichen Praxen zunehmend herum und gehören in vielen bereits zum „ganzheitlichen Therapiekonzept“, weil sie Sinn machen. 

Die vorgenannten Aspekte sind nur einige Kernpunkte der Kritik an dem Beitrag in der aktuellen Sonntagsausgabe der WELT, der die umfassenden medizinischen Möglichkeiten der modernen Kieferorthopädie nicht angemessen darstellt und unverständlicherweise die hilfreiche fachliche Weiterentwicklung diskreditiert, so die beiden führenden Expertinnen Hirschfelder und Mindermann.