Bulk-Fill Komposite: Das Handling entscheidet
Bulk-Fill-Komposite eignen sich für Kavitäten im Seitenzahnbereich. Ihr Vorteil: Das Material kann in größeren Schichtstärken von vier bis fünf Millimetern lichtpolymerisiert werden und lässt sich daher einfacher einbringen. Auch Zeitersparnis wird in diesem Zusammenhang als Vorteil angeführt. Welche Aspekte für Prof. Dr. Roland Frankenberger von der Philipps- Universität Marburg bei dieser Kompositgruppe entscheidend sind, erläutert er im Interview mit Britt Salewski, Köln. So favorisiert er zum Beispiel ein fließfähiges Bulk-Fill-Komposit.

Herr Prof. Frankenberger, Bulk-Fill-Komposite gibt es bereits seit den 1960er Jahren. Welche Entwicklungen sind aus Ihrer Sicht maßgeblich dafür, dass sie heute eine wesentliche Rolle in der Füllungstherapie spielen?
Prof. Frankenberger: Soweit mir bekannt, nutzen nur etwa 50 % der Zahnärzte routinemäßig Bulk-Fill-Komposite. Das ist aus meiner Sicht recht wenig.
Der Game-Changer bei den Bulk-Fill-Kompositen war tatsächlich SDR (Smart Dentin Replacement)*: Der große Vorteil von solchen fließfähigen Kompositen ist ihr extrem gutes Handling. Das sehr gute Anfließverhalten und nicht zuletzt der selbst-nivellierende Effekt vermeidet Applikationsfehler wie zum Beispiel Luftblasen und Fehlstellen. Ich halte das Handling für einen der wichtigsten Komposit-Parameter überhaupt, denn ich mache immer dann die besten Füllungen, wenn ich das Komposit „mag“. Mir ist es egal, ob ein Komposit 0,2 % mehr oder weniger schrumpft, aber ich ärgere mich, wenn sich das Material nicht so verarbeiten lässt, wie ich es gerne hätte.
Das Handling wird von vielen Zahnärzten als aufwendig beschrieben – sowohl beim Schichten selbst als auch bei der Polymerisation. Erreicht die Lichthärtung zum Beispiel nicht den Kavitätenboden drohen Misserfolge. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Prof. Frankenberger: Das Aufwendige bei Kompositfüllungen ist weniger das Schichten, das ist ein Mythos, sondern vielmehr die Trockenlegung, also der Umgang mit Kontaminationen aller Art.
Gerade bei subgingivalen Kavitäten ist das noch immer die tägliche Herausforderung in der Praxis. Die Kontamination – vor allem die unbemerkte – ist bis heute die Fehlerquelle Nr. 1 bei Kompositrestaurationen.
Und wie Sie richtig sagen: Die Fehlerquelle Nr. 2 ist die Lichtpolymerisation. Dort, wo die Lampe nicht richtig positioniert wird, kann das Komposit nicht aushärten. Aber gerade SDR mit seinem systemimmanenten guten Handling und dem Anfließverhalten hilft dabei, Fehler zu vermeiden – eine gute Lampe ist übrigens fundamental wichtig. Eine schlechte Polymerisationslampe macht die ganze Mühe in wenigen Sekunden zunichte.
Welche Unterschiede gibt es zwischen auf dem Markt angebotenen Bulk-Fill-Kompositen?
Prof. Frankenberger: Da ist in erster Linie die Konsistenz zu nennen. Ich favorisiere die fließfähigen Varianten, weil ich dadurch einfach weniger Fehler mache und die restaurative Therapie sicherer wird.
Die bei Bulk-Fill-Kompositen erreichte Zeitersparnis steht für mich nicht im Vordergrund und spielt nach unseren Zeitmessungen auch tatsächlich eine eher untergeordnete Rolle. Die meiste Zeit kosten Trockenlegung und kompromisslose Minimalinvasivität: Es ist eben zeitaufwendig, den gesunden Zahn nicht „wegzuschleifen“, sondern zu erhalten.
Mit SDR brachte Dentsply Sirona 2009 ein Bulk-Fill-Komposit mit einer speziellen fließfähigen Chemie auf den Markt. Was war das Besondere daran?
Prof. Frankenberger: SDR war das erste Bulk-Fill-Flowable auf dem Markt – und es hat sofort sehr gut funktioniert. Das ist natürlich aus Marketingperspektive toll. Für mich war SDR besonders, weil ich die Entwicklung mit meinen Studien seit 2007 noch vor der Markteinführung begleitet habe und schon vorher wusste, wie gut es funktioniert. Unsere Publikationen zu Bulk-Fill wurden unfassbar oft in der internationalen Literatur zitiert, weil sie ganze Lehrmeinungen in der Zahnerhaltung verändert haben.
Seitdem sind zahlreiche weitere Bulk-Fill-Komposite auf den Markt gekommen, die ähnliche Eigenschaften versprechen. Was macht beispielsweise SDR Flow+ noch heute zu einem modernen Material?
Prof. Frankenberger: Die Vorteile von SDR gelten auch heute noch für SDR flow+, daran hat sich nichts geändert.
Wie steht es um die Reparaturfähigkeit von Kompositfüllungen?
Prof. Frankenberger: Die Kompositreparatur ist seit langem wissenschaftlich anerkannt, und das macht heute einen substanziellen Vorteil der Komposite im Vergleich zur Keramik aus, die bei Reparaturen deutlich komplizierter sind.
Auch das sogenannte „Refurbishing“ gelingt mit Reparaturen oder Korrekturen problemlos. Das sichert die Minimalinvasivität mit ihren vier Säulen: Exkavation, Präparation, Reparatur und Langlebigkeit.
Wie schätzen Sie die Möglichkeiten ein, SDR Flow+ als Amalgamersatz in der Füllungstherapie zu etablieren?
Prof. Frankenberger: Nun bin ich kein Marketingexperte, doch ich sehe einen gewaltigen Widerspruch: Die „Kassenfüllung“ orientiert sich an den Parametern „wirtschaftlich, ausreichend, zweckmäßig“. SDR Flow+ ist aufgrund der beschriebenen Eigenschaften allerdings immer noch aufwendiger als eine Zementfüllung. Doch es ist vor allem hochwertig, weil es eine sichere adhäsive Füllungstherapie erlaubt – von „ausreichend“ also keine Spur.
Somit ist es für mich klarer Bestandteil einer Mehrkostenvereinbarung. Wenn man SDR Flow+ jetzt in die „Amalgamecke“ stellt, bedeutet das aus meiner Sicht eine Abwertung. Es ist mir bewusst, dass dies momentan ein großes Thema in der Industrie ist, doch worüber sprechen wir eigentlich? Es geht darum, die 2,3 % Amalgamfüllungen, die tatsächlich noch als Kassenleistung erbracht wurden, mit einem wirtschaftlichen Material zu ersetzen. Das ist bis auf die Ausnahmeindikation nicht primär Komposit.
Blicken wir einmal in die Zukunft: Wo wird die Reise bei den Füllungsmaterialien hingehen? Was wünschen Sie sich von der Dentalindustrie?
Prof. Frankenberger: Ich wünsche mir sehnlichst eine Reanimation des industriellen Engagements im Bereich klinischer Studien. Durch Explosion der Universitätsbürokratie, ausufernde Patientenrechte sowie das unbegründete Misstrauen und Bashing von industriefinanzierten Studien an unseren Universitäten sind diese so wichtigen Studien leider sehr teuer geworden. Wenn überhaupt noch klinische Studien laufen, gehen sie ins Ausland, weil sie dort noch bezahlbar sind. Leider ist dann aber oft auch die Qualität der Experimente nicht top, ich sehe das als Editor und Reviewer jeden Tag. Das ist wirklich schade.
Herzlichen Dank für das informative Interview, Herr Prof. Frankenberger.
*Anmerkung der Redaktion: SDR ist eine eingetragene Marke von Dentsply Sirona.
Prof. Dr. Roland Frankenberger
ist Direktor der Abteilung für Zahnerhaltung an der Philipps Universität Marburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u. a.: Kariologie, klinische Simulation und Mikromorphologie des Schmelz-/Dentinverbunds und klinische Studien zur Evaluation von Restaurationsmaterialien.
Roland.Frankenberger@med.uni-marburg.de
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