Die recycelbare Zahnarztpraxis: Cradle2Cradle und Upcycling

Nachhaltige Praxisgestaltung

In Zeiten eines wachsenden Umweltbewusstseins und der Suche nach nachhaltigen Lösungen in allen Lebensbereichen ist die moderne Zahnarztpraxis keine Ausnahme. Dr. Nadine Ballhausen, Zahnärztin und Inhaberin der Praxis für nachhaltige Familienzahngesundheit zahn_raum in Berlin, zeigt, wie recycelte Materialien und innovative Technik Hand in Hand eine moderne, ressourcenschonende Zahnarztpraxis ermöglichen.



Frau Dr. Ballhausen, Ihre Zahnarztpraxis ist ein Paradebeispiel für Nachhaltigkeit. Wie setzen Sie den Cradle2Cradle-Ansatz in Ihrer Praxiseinrichtung um?
Dr. Nadine Ballhausen: Der Cradle2Cradle-Ansatz war von Anfang an ein zentraler Gedanke bei der Gestaltung meiner Praxisräume. Urselmann Interior hat hier als innovativer Berater und Realisierer weitreichenden Input geliefert.
Wir haben nach der Übernahme der Altpraxis bis ins kleinste Detail auf Nachhaltigkeit geachtet, sodass die gesamte Praxiseinrichtung umweltfreundlich und recycelbar ist. So ist z. B. der Empfang aus Massivholz hergestellt, das wiederverwendet werden kann und dabei auf schwer trennbare Verleimungen verzichtet.
Die verwendeten Wandfarben, Kalkputz, Lichtschalter, Steckdosen, Wand – und Bodenfliesen und auch das verlegte Linoleum für medizinische Einrichtungen tragen das Cradle2Cradle (C2C) Zertifikat.
Dieses Zertifikat muss alle 2 Jahre erneuert werden und wird für Produkte vergeben, die eine besonders hohe Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, Klimaschutz und den Erhalt sauberer Luft aufweisen. Es steht für einen verantwortungsvollen Umgang mit Boden und Wasser sowie für soziale Gerechtigkeit.
Unsere C2C-Arbeitsflächen wurden aus eingeschmolzenen Glasscherben hergestellt. Ein tolles Beispiel für ein gelungenes Upcycling Produkt. Upcycling kann man natürlich auch allein. Wir haben die etwa 30 Jahre alten Schrankzeilen der Altpraxis neu lackiert und wiederverwendet. Es ist erstaunlich, wie viele Möglichkeiten es gibt, nachhaltige Materialien und Möbel einzusetzen, ohne auf Design und Funktionalität zu verzichten.

Bitte erzählen Sie mehr über die Beschaffung der Einrichtungsgegenstände.
Dr. Ballhausen: Die Suche nach geeigneten Möbeln und Materialien war wirklich ein kleines Abenteuer. Ich habe viel Zeit auf secondhand Apps verbracht, um hochwertiges Mobiliar ausfindig zu machen. Es wurde zu einer richtigen Herzensangelegenheit und ich laufe noch heute durch die Praxis und kann zu jedem Einrichtungsgegenstand eine kleine Geschichte erzählen.
Sämtliche Stühle und Spiegel der Praxis sind gebraucht und die Deckenleuchten haben wir größtenteils aus einem alten Museum. Es gibt so viele schöne und gut erhaltene Möbel, die nur darauf warten, wieder verwendet zu werden.

Welche Rolle spielt moderne Technik bei der Umsetzung Ihrer Nachhaltigkeitsziele?
Dr. Ballhausen: Die Technik spielt eine wichtige Rolle, vor allem wenn es darum geht, Ressourcen zu schonen und Wege von Patient, Zahntechnik und Lieferanten einzusparen.
In unserer Praxis verfügen wir über eine moderne Fräsmaschine, mit der wir Zahnersatz wie keramische Inlays und Kronen direkt vor Ort herstellen können. Dadurch sparen wir uns diese Lieferwege und unsere Patienten profitieren von kürzeren Behandlungszeiten. Wir reduzieren damit den CO₂-Fußabdruck erheblich.
Außerdem haben wir in unseren Behandlungsräumen sogenannte Deckenbaffeln installiert – das sind schallabsorbierende Elemente, angebracht an den Zimmerdecken. Sie sind aus upgecycelten PET-Flaschen, die eigentlich in Tonstudios verwendet werden. Sie sorgen für eine angenehme Akustik in unseren hohen Altbauräumen, tragen gleichzeitig zu einer harmonischeren Raumakustik bei und sehen nebenbei richtig gut aus.

Wie spiegelt sich Nachhaltigkeit in der Atmosphäre Ihrer Praxis wider?
Dr. Ballhausen: Unser Ziel war es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich unsere Patienten wohl und entspannt fühlen – fast wie in einem Wohnzimmer. Ich habe während der Planung immer gesagt, ich hätte in der Praxis gern das Gefühl, in ein entspanntes Café mit Spa-Charakter zu kommen.
Wir haben viel mit massivem Eschenholz gearbeitet. Holz schafft immer Gemütlichkeit und Wärme. Die Verwendung von warmen Farben runden das angestrebte Wohlgefühl ab.
Ich glaube, es ist uns ziemlich gut gelungen, mit relativ einfachen Mitteln eine beruhigende und einladende Umgebung zu schaffen.

Wie sehen Sie die Zukunft in Bezug auf Nachhaltigkeit in Zahnarztpraxen?
Dr. Ballhausen: Ich hoffe, dass der Cradle2Cradle-Ansatz und nachhaltige Innovationen in der Zahnarztpraxis zukünftig immer mehr an Bedeutung gewinnen. Preislich gibt es kaum noch Unterschiede, weshalb der Schritt hin zur nachhaltigen Raumgestaltung keine große Hürde darstellen dürfte.
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, nachhaltig zu arbeiten – von der Einrichtung über die Materialien bis hin zur Technik. Ich glaube, dass die Zukunft in der Kombination von umweltfreundlichen Lösungen und fortschrittlichen, digitalisierten Technologien liegt.
Das kann bedeuten, dass wir noch mehr Tools, wie das Patienten- und Terminmanagement Doctolib, einsetzen können, um den Praxisalltag effizienter zu gestalten und uns damit Zeit für den Patienten zu verschaffen oder dass wir verstärkt auf lokale und recycelbare Materialien setzen.
Auch mit einem Labor für Zahntechnik in der Nähe, das mit E-Autos oder E-Bikes beliefert, ist man weitaus klimaneutraler als Zahnersatz in Asien anfertigen zu lassen. Das wäre doch schon ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit in medizinischen Einrichtungen kein Luxus mehr ist und sich nicht nur auf Mülltrennung und das Ausschalten des Lichtes beschränkt. Nachhaltigkeit ist überall möglich! Man muss einfach nur damit anfangen.

Herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch.  

Das Interview führte Dominik Kratzenberg, Senior PR & Communications Manager bei doctolib.

https://info.doctolib.de/zahnarzt/

Anmerkung der Redaktion
Cradle to Cradle (C2C) steht sinngemäß für „vom Ursprung zum Ursprung“ und damit für eine durchgängige, konsequente Kreislaufwirtschaft. Mehr zu diesem Thema findet man in dem Buch „Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things“ von dem Architekten William McDonough und dem Chemiker Michael Braungart, die dieses „Prinzip“ Ende der 1990iger Jahre entworfen haben.

Dr. Nadine Ballhausen 

ist Inhaberin von zahn_raum,
einer Zahnarztpraxis für nachhaltige
Familienzahngesundheit in Berlin.
www.zahnraumberlin.de
Foto: privat