Digitale Zahnmedizin, Material und Biologie
Es gibt disruptive dentale Entdeckungen und kleinschrittige Weiterentwicklungen. Vor allem jedoch werden inmitten dieses dynamischen Innovationsgeschehens langjährige Linien sichtbar, besonders auf der Internationalen Dental-Schau (IDS) vom 25. bis zum 29. März 2025 in Köln. Den Blick für sie zu schärfen hilft, zukünftige Fortschritte besser vorausahnen zu können. Dr. Christian Ehrensberger, Frankfurt am Main, gibt einen Ausblick auf die vier großen Linien der Zahnheilkunde.

Hallendurchblick, Halle 10.2
Vieles, was heute ganz normaler Praxisalltag ist, hat einmal unscheinbar angefangen – die Adhäsivtechnik zum Beispiel.
Linie 1: Adhäsiv befestigte Füllungsmaterialien
Schon vor 75 Jahren entdeckte Zahnarzt Günter Staehle: Die Adhäsion zwischen Acrylat und Zahnschmelz lässt sich durch seine vorherige Ätzung steigern. Auch erkannte er bereits, dass es sich hier um einen physikalischen Retentionsmechanismus handelt. Die Zeit war aber wohl noch nicht reif für die Einführung zahnfarbener, adhäsiv befestigter Komposite in die Zahnmedizin.
Heute gibt es eine große Auswahl davon mit je eigenen Vorteilen. Darum empfiehlt sich eine Sichtung von bewährten und innovativen Kompositen und Adhäsiven auf der 41. IDS. Denn auf der Weltleitmesse der Dentalbranche finden die Besucher eine vollumfängliche Präsentation des Stands der Technik. Gegebenenfalls optimieren sie anschließend ihren Füllungstherapie-Alltag unter Verwendung ihrer „Neuentdeckungen“ auf der IDS.
Zur Auswahl stehen klassische Komposite für die Inkrementtechnik ebenso wie Bulkfill-Komposite für die schnelle Füllung „in einem Rutsch“; glasfaserverstärkte Komposite für großvolumige Restaurationen und neue Spezialitäten wie die Nano-Hybrid-Ormocere; bei ihnen bildet Siliziumdioxid die chemische Basis sowohl für die Füllstoffe (Nano- und Glaskeramik-Füllkörper) als auch – und das ist neu – für die Harzmatrix. Das Konzept der selbstadhäsiven Komposit-Hybrid-Kunststoffe wiederum zielt auf die Möglichkeit zur Befestigung zahnfarbener Füllungen ohne die separate Applikation eines Adhäsivs.
Linie 2: Digitale Technologien
Werden bei stärkerer Zerstörung von Zähnen prothetische Restaurationen nötig, so helfen verschiedene digitale dentale Technologien. Ihre Geschichte begann schon vor vierzig Jahren.
Im folgenden Statement hat Prof. Dr. Dr. Werner H. Mörmann, Zahnärztliches Institut der Universität Zürich, die ursprünglichen Ideen prägnant zusammengefasst: „Die aufkommende Computertechnologie für den persönlichen Gebrauch brachte die schnelle computergestützte Herstellung von keramischen Zahnfüllungen in den Bereich des Möglichen.“ [1]
Seither haben sich nach und nach die digitale Abformung, das computergestützte Design (CAD) von Restaurationen am Bildschirm und ihre computergestützte Fertigung (CAM) in der Zahnheilkunde zu einem Routineverfahren entwickelt. Die einsetzbaren Keramiken haben sich stark ausdifferenziert, erzielen eine hohe Ästhetik und lassen sich einfacher verarbeiten, z. B. unverblendet dank hochtransluzentem Material oder Multilayer-Varianten mit intrinsischer Farbstruktur. Auch andere Materialien wurden im Laufe der Zeit für CAD/CAM zugänglich, etwa Kobalt-Chrom-Legierungen, Titan und selbst hochgoldhaltige Legierungen.
Diese klassische subtraktive Fertigung wird durch die jüngere additive Fertigung ergänzt (3D-Druck). Mit ihr lassen sich alle denkbaren Geometrien realisieren (z. B. auch Retentionen für Kunststoffverblendungen und Hinterschnitte). Über Kronen hinaus zählen zu den druckbaren zahntechnischen Objekten auch Brücken, Stege und Suprakonstruktionen sowie alle implantatgestützten Objekte wie Einzelabutments, Teleskopkronen, Primär- und Sekundärteile, kieferorthopädische Apparaturen (inklusive Alignern), Modellgussklammerprothesen und Teilprothesen.
In der additiven Fertigung aus Kunststoff lassen sich mit Hilfe des DPS-Verfahrens (Digital-Press-Stereolithographie) Restaurationen aus hochgefüllten Kompositen drucken. Dabei kann das Harz heute in Form vakuumversiegelter Kapseln dargereicht werden. Dies funktioniert innerhalb einer großen Spanne von Viskositäten insbesondere auch mit hochviskosen keramikgefüllten Harzen.
Neben Metallen und Kunststoffen lassen sich sogar Keramiken additiv fertigen. So weit sind wir schon: Aus Zirkonoxidkeramik hat man bereits ein subperiostales Kieferimplantat gedruckt und beim Patienten ohne Knochenaufbau in einem einzigen Eingriff eingesetzt. Unter Vermeidung eines übermäßigen Traumas verkürzt sich die Heilungszeit um zirka 75 %. Das stellt nicht zuletzt einen für den Patienten unmittelbar spürbaren Vorteil dar.
Durch die Zusammenführung des digitalen Workflows in sicheren Cloud-Systemen kann die Praxis auf mehrfache Weise profitieren. Bei unterschiedlichen Services steht mal die vorausschauende Instandhaltung der Versorgungssysteme einer Praxis im Vordergrund (z. B. Kompressoren, Sauganlagen, Betriebswasser), ein andermal die digitale Praxisverwaltung oder die sichere und komfortable Datenübertragung zwischen Laboren, Kliniken und Praxen.
Die Zeit, in der man für eine weitgehend digitale Arbeitsweise einen Haufen separater Software-Lizenzen brauchte, könnte sich damit dem Ende nähern.
Linie 3: Biologische Zahnheilkunde
Neben der digitalen Technologie entwickeln sich biologische Strategien zu einem weiteren Zukunftsfeld. Geweberegeneration ist möglich! Die Konzepte dafür heißen gesteuerte Geweberegeneration (GTR) und gesteuerte Knochenregeneration (GBR) und sind seit Jahren erfolgreich im Einsatz.
Beispielsweise besteht bei massiven Knochendefekten infolge einer Periimplantitis die Möglichkeit, autologe Knochenersatzmaterialien oder, alternativ dazu, allogene, auf Grundlage des CAD/CAM-Verfahrens patientenindividuell gefertigte Knochenblöcke im Rahmen einer gesteuerten Knochenregeneration anzuwenden [2]. Bei der Rekonstruktion periimplantärer Knochendefekte kann eine Vielzahl bewährter Knochenersatzmaterialien zum Einsatz kommen. Darüber hinaus wird die Verwendung von Eigenblutkonzentraten erprobt.
Damit es gar nicht erst zu solchen Defekten kommt, lässt sich das neue Galvanosurge-Verfahren zur elektrolytischen Reinigung von Implantatoberflächen aus Titan anwenden [3]: „Das Prinzip beruht auf einer leichten, ans Zahnimplantat angelegten elektrischen Spannung und dem Besprühen des Implantates mit einer Reinigungsflüssigkeit. Das führt zu einer Bildung von Ionen, die wiederum den Biofilm penetrieren. Dabei bilden sich Bläschen aus atomarem Wasserstoff. Diese Bläschen heben den Biofilm samt Stoffwechselprodukten von der Implantatoberfläche ab, drücken ihn gewissermaßen von dort nach außen weg – und entfernen ihn so vollständig. Der Biofilm wird hierbei nicht mechanisch von außen abgetragen, die Oberfläche des Implantats so nicht beschädigt. […] Das Reinigungssystem schafft Implantatoberflächen, die wieder von Knochen und Weichgewebe besiedelt werden können.“
Eine wesentliche Rolle spielen bei GBR- und GTR-Membranen: Sie halten Knochenersatzmaterial in Form oder hindern ein schnell proliferierendes Saumepithel am Tiefenwachstum (Barriere-Funktion). Dafür stehen heute Produkte ohne zell- oder gentoxische Wirkungen zur Verfügung. Über verschiedene Eigenschaften, wie etwa ihren Faserdurchmesser und ihre Maschenweite, lässt sich das Verhalten der Zellen je nach der Anforderung des speziellen klinischen Falls beeinflussen.
Neben nicht-resorbierbaren Varianten werden vermehrt resorbierbare Membranen angeboten. Sie werden mit der Zeit aufgelöst. Einer dabei entstehenden, allerdings unerwünschten lokalen Übersäuerung durch die Zersetzungsprodukte (z. B. Milchsäure, Glykolsäure) könnte in Zukunft durch Membranen auf der Basis von resorbierbarem Kieselgel entgegengewirkt werden [4].
Linie Nr. 4: Alles auf der IDS
Die drei Beispiele für große Entwicklungslinien haben eines gemeinsam: Sowohl bei Materialien für die Zahnheilkunde als auch bei digitalen Technologien und biologischen Behandlungsstrategien lassen sich Produkte in Augenschein nehmen und wortwörtlich begreifen; gleichzeitig zählen auch ihre „inneren Werte“ (z. B. physikalische Belastungsfähigkeit; zugehörige Software, Cloud-Anbindung; Vorgänge auf molekularer Ebene).
Die IDS bietet die Gelegenheit, Produkte haptisch zu bewerten und sich mit Experten an den Messeständen tiefgehend darüber auszutauschen. Das betrifft die oben vorgestellten Beispiele ebenso wie vollumfänglich alles, was die Praxis braucht