Der gut eingestellte Diabetiker mit parodontaler Vorerkrankung

Präventionskonzept für einen Diabetespatienten

Die genaue Anamnese und Befundung von Allgemeingesundheit und Mundgesundheit sowie deren gemeinschaftliche Betrachtung sind unabdingbar, um den Erhalt der oralen Gesundheit und der Lebensqualität der Patienten optimal zu unterstützen und auch dem Behandler eine Planungssicherheit zu geben. Dr. Romana Krapf aus Weißenhorn zeigt am Beispiel eines gut eingestellten Diabetespatienten mit parodontaler Vorerkrankung die Systematik des individuellen Präventionskonzepts zur Erstellung eines fallorientierten Patientenprofils mit den Therapiemaßnahmen, die sich daraus zur Anwendung ergeben.


11 – Rotierendes Polieren (hier Proxeo Cordless, W&H), unterstützt durch die schonende Glättung der Oberflächen, ist das Finish der Prophylaxe. Mittels speziell designter Polieraufsätze kann das Spritzen der Paste minimiert werden.


Schon längst ist bekannt, dass Allgemeingesundheit und Mundgesundheit in engem Zusammenhang stehen [1,2]. Eine alleinige Beurteilung der oralen Situation ist nicht ausreichend. Für jeden Patienten ist es sinnvoll, ein individuelles Präventions- und Patientenprofil mit den dazugehörigen Risiken von Seiten der Allgemeingesundheit und Mundgesundheit zu beurteilen und zu erstellen [3,4] (Abb. 1).

Allgemeine Anamnese
Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen 52-jährigen Patienten. Der Patient leidet an Diabetes mellitus Typ 2, welcher gut eingestellt ist. Sein HbA1c Wert liegt bei 6,7. Medikamentös nimmt der Patient täglich Metformin ein.
Der Patient ist Nichtraucher. Er pflegt zweimal pro Tag seine Zähne mit einer Handzahnbürste und nimmt einmal täglich Interdentalbürstchen für die Zahnzwischenräume.
Der Patient befindet sich in der regelmäßigen Nachsorge mit einem Behandlungsabstand von drei bis vier Monaten.
Befunderhebung
Extra- und Intraoraler Befund: Extra- und intraoral sind keine pathologischen Befunde festzustellen.
Dentaler Befund: Der Patient hat ein vollbezahntes Gebiss mit 28 Zähnen, an welchen sich im Molaren- und Prämolarenbereich Amalgamfüllungen und Kompositfüllungen befinden. An Zahn 14 zeigt sich ein sichtbarer klinischer Randspalt. Zahn 27 hat ein suffizientes Goldinlay. Zudem zeigen sich generalisierte Attritionen und Abrasionen. (Abb. 2 bis 6)


Parodontaler Befund: Der Patient hat eine Parodontitis Stadium II, Grad B [5]. Die klinischen Sondierungstiefen liegen mit 1–3 mm im physiologischen Bereich. Lokalisierte Sondierungstiefen finden sich an an den Zähnen 17 und 27 jeweils mesiopalatinal mit 5 mm. Es liegen generalisierte Rezessionen von 1–3 mm vor mit partiellem Verlust der Interdentalpapille. (Abb. 2 bis 4)
Radiologischer Befund: Es zeigt sich ein vollbezahntes Erwachsenengebiss mit einem generalisierten Knochenabbau zwischen 20–50 % und multiplen vertikalen Knocheneinbrüchen. Radiologisch ist keine kariöse Läsion sichtbar. (Abb. 7)


Individuelles Präventionskonzept
Im individuellen Präventionskonzept steht das fallorientierte Patientenprofil im Vordergrund [3,4]. Aus Allgemeingesundheit und Mundgesundheit wird ein Patientenprofil erstellt. (Abb. 1) Dies ist maßgeblich entscheidend für den Behandlungs- und Therapiebedarf.
Aus der Anamnese können im vorliegenden Fall keine besonderen Risikofaktoren identifiziert werden, die ein erhöhtes Komplikationsrisiko während der Behandlung erkennen lassen. Der Patient leidet an Diabetes mellitus. Da dieser jedoch gut eingestellt ist, kann dieser Patient wie ein „gesunder“ Patient behandelt werden. Dennoch ist zu beachten, dass er vor jeder Behandlung nach dem aktuellen HbA1c-Wert zu fragen ist.
Bezüglich des Erkrankungsrisikos ist zu beachten, dass eine bidirektionale Beziehung zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus besteht [6]. Bei einem gut eingestellten Diabetiker ist das Erkrankungsrisiko als moderat einzustufen.
Von Seiten der Mundgesundheit steht bei dem Patienten die Parodontitis im Vordergrund. Er hat eine derzeit stabile Parodontitis (Stadium II, Grad B). Basierend auf den aktuellen Befunden sind sowohl das Progressions- als auch Entstehungsrisiko derzeit als moderat einzustufen.

Behandlungsempfehlung
Der Patient ist ein gut eingestellter Diabetiker. Somit ergibt sich aus der Anamnese kein erhöhtes Komplikationsrisiko für die Behandlung. Grundsätzlich ist vor jeder Behandlung der HbA1c-Wert abzufragen.
Die Befundaufnahme intraoral ist entscheidend für den Bedarf an dentaler und parodontaler Therapie.
Aufgrund der Parodontitis ist ein parodontaler Befund mit Taschentiefensondierung und Blutungsstatus in jeder Sitzung unerlässlich (Abb. 8). Dieser gibt den individuellen Therapiebedarf vor und es kann auf eine mögliche Progression der parodontalen Vorerkrankung reagiert werden.
Ein ausführlicher Parodontalstatus mit Dokumentation der Taschentiefen, Blutung auf Sondierung, Rezessionen, Furkationsbefall, Lockerungsgrad ist 1x jährlich durchzuführen.
So kann rechtzeitig auf eine mögliche Progression der parodontalen Vorerkrankung reagiert werden. Die Befundung der Zahnhartsubstanz und der Wurzeloberflächen ist ebenso notwendig, da das Risiko für Wurzelkaries durch die exponierten Wurzeloberflächen steigt.
Der Patient pflegt mit Interdentalbürstchen und mit einer elektrischen Zahnbürste. Er zeigt eine gute Compliance und ein gutes häusliches Mundhygieneverhalten bzw. -verständnis. Eine regelmäßige Motivation und Reinstruktion sind aufgrund des Progressionsrisikos unerlässlich, insbesondere der Interdentalraumpflege aufgrund der erhöhten Sondierungstiefen in diesen Bereichen. Es zeigen sich lokalisiert Zahnstein in der Unterkieferfront lingual und weiche Beläge, die dem Patienten aufzuzeigen sind. Gegebenenfalls müssen Interdentalbürstchen auf die Größe geprüft und angepasst werden. Ein weicher Bürstenaufsatz ist aufgrund der freiliegenden Wurzeloberfläche zu empfehlen, um keilförmigen Defekten vorzubeugen. Eine Zahnpasta mit einem niedrig abrasiven Wert sollte angewendet werden.
Weitere Empfehlungen für den Patienten sind das Beibehalten einer fluoridhaltigen Zahnpasta zur häuslichen Mundhygiene sowie der Einsatz eines Fluorid-Gels, um das Risiko von Wurzelkaries aufgrund der exponierten Wurzeloberflächen zu vermindern.
Bei Sensibilitätsstörungen ist die Empfehlung einer Zahnpasta mit desensibilisierenden Inhaltsstoffen ratsam. Der Patient ist gleichermaßen zu informieren, dass ggf. nach der Präventionssitzung eine vorübergehende verstärke Sensibilität durch die freiliegenden Wurzeloberflächen und Dentintubuli vorliegen kann [7].
In der Instrumentierung sind bezüglich der Methodenwahl keine Einschränkungen gegeben. Aufgrund der parodontalen Vorerkrankung und dem hohen Rezidivrisikos ist die Vorbeugung einer Erkrankungsprogression durch die regelmäßige supra- und subgingivale Instrumentierung unerlässlich. Die Wahl der Instrumente zur mechanischen Biofilmentfernung ist aus allgemeingesundheitlicher Sicht nicht eingeschränkt und erfolgt bedarfsgerecht. Harte und mineralisierte Beläge wie Zahnstein und Konkremente sind mittels Handinstrumenten oder Schall/Ultraschallscalern zu entfernen (Abb. 9) [8,9].
Die Biofilmentfernung supra- und subgingival ist für die Stabilität des parodontalen Zustandes unerlässlich. Hier bietet sich die Methode des Air Polishing mit einem niedrig abrasiven Pulver an. Parodontale Taschen sowie freiliegende Wurzeloberflächen müssen mit niedrig-abrasiven Pulvern gereinigt werden. Für erhöhte Sondierungstiefen (tiefer als 5 mm) ist eine flexible Parospitze empfehlenswert (Abb. 10) [9].
Taschentiefen bis 5 mm sind auch mit einem konventionellen Aufsatz möglich [9]. Die Anwendung des Pulverstrahl-Geräts mit einem niedrig abrasiven Pulver empfiehlt sich gleichermaßen für Restaurationsränder, Zahnzwischenräume und Fissuren. Eine rotierende Politur (Abb. 11) unterstützt durch die schonende Glättung der Oberflächen das optimale Finish der Prophylaxe und reduziert die bakterielle Wiederanhaftung [10].
Eine Fluoridierung der freiliegenden Wurzeloberflächen zur Kariesprävention ist nach der Reinigung der Zahnoberflächen notwendig [11]. Bei Sensibilitätsstörungen bietet sich ein Desensibilisierungslack an. Fluorid unterstützt ebenfalls die Linderung leichter Sensibilitäten [12].
Für die Festlegung der Nachsorgeintervalle sind die parodontale Vorerkrankung (Stadium II, Grad B), im Besonderen aber das Progressionsrisiko und das damit verbundene Risiko einer Wurzelkaries, ausschlaggebend [13].
Es empfiehlt sich daher eine drei- bis viermal jährliche, unterstützende Erhaltungstherapie. Dieses Intervall wird bei Veränderungen dem Bedarf entsprechend angepasst, um einerseits eine Übertherapie und andererseits eine Unterversorgung zu vermeiden [14]. Da der nachhaltige Erfolg neben der professionellen Betreuung auch stark von der Compliance des Betroffenen abhängt, ist es wichtig, noch einmal die Relevanz der Maßnahmen anzusprechen und Fragen des Patienten zu beantworten.
Eine gute Patientenführung ist notwendig, um die parodontale und dentale Situation zu erhalten. Eine unmittelbare Terminvereinbarung für die nächste Nachsorgesitzung ist sinnvoll. Dies hat zum einen den Vorteil einer effizienten Verwaltung eines Recallsystems für die Praxis und gewährleistet zum anderen, dass der Patient seinen passenden Termin zum richtigen Zeitpunkt terminiert bekommt.


Fazit
Nach der ausführlichen Betrachtung lassen sich folgende Konsequenzen für den vorliegenden Patientenfall zusammenfassen:
Aus der Anamnese ergibt sich, dass der Patient einen gut eingestellten Diabetes mellitus hat. Der aktuelle HbA1c-Wert sowie sein Lebensstil machen eine besondere Adaptation des Prophylaxeablaufs innerhalb des IPC zum jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig. Das Komplikationsrisiko während der Behandlung ist als gering einzustufen.
Bezüglich des Erkrankungsrisikos ist zu beachten, dass eine bidirektionale Beziehung zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus besteht. Bei einem gut eingestellten Diabetiker, ist das Erkrankungsrisiko als moderat einzustufen.
Sondierungs- und Blutungsbefunde sind in jeder Sitzung unerlässlich. Diese geben die individuellen notwendigen therapeutische Maßnahmen vor. Einmal jährlich ist ein ausführlicher Parodontalstatus (Sondierungstiefen und BOP, Attachmentverlust und Furkationsbefund) ratsam. Ggf. müssen Therapiekonzepte angepasst oder abgeändert werden.
Das häusliche Hygieneverhalten des Patienten ist gut. Schwachstellen bei der Mundhygiene müssen dem Patienten erläutert und gezeigt werden. Zusätzliche Instruktionen und Anpassungen sind erforderlich.
Aufgrund der parodontalen Grunderkrankung (Stadium II, Grad B) benötigt der Patient eine regelmäßige professionelle bedarfsgerechte Nachsorgetherapie zum Erhalt der parodontalen Situation. Besonderes Augenmerk sollte auf die gründliche Reinigung der tieferen (Rest-) Taschen und der Zahnzwischenräume gelegt werden.
Zusätzliche therapeutische Maßnahmen wie die Fluoridapplikation sind aufgrund der freiliegenden Wurzel­oberflächen notwendig und ratsam.
Durch das Progressions- und Neuerkrankungsrisiko empfiehlt sich ein engmaschiges 3- bis 4-monatiges Nachsorgeintervall zur bestmöglichen Erhaltung des Status quo.

Dr. Romana Krapf, M. Sc.
ist mit ihrer Praxis in Weißenhorn niedergelassen. Ihre Behandlungsschwerpunkte sind die Paraxe, Vorstandsmitodontologie, Prophylaxe und Zahnerhalt mit präventiver Zahnheilkunde und Ästhetik. Sie ist Referentin im Bereich Prophylglied im zahnärztlichen Bezirksverband Schwaben und Dozentin an der DTMD-University Luxembourg.

www.drkrapf.de
Foto: Martin Ebert, Fotograf

Literatur
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[4] Schmalz G., Ziebolz D., Individualisierte Prävention-fallorientierte Bedarfsprävention, ZWR- Das deutsche Zahnärzteblatt 2020;129;33-41
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